Wilhelm hatte die Coalition vor der Gefahr behütet, durch Uneinigkeit zu Grunde zu gehen. Aber durch keine Vorstellungen, durch keine Bitten, durch keine Bestechungen konnte er seine Verbündeten bewegen, bei Zeiten im Felde zu stehen. Sie hätten die harte Lection, die ihnen im vorhergehenden Jahre gegeben worden war, benutzen sollen. Doch abermals zauderte Jeder und wunderte sich warum die Anderen zauderten, und abermals erwies sich der Mann, der allein die ganze Macht Frankreich’s in seiner Hand hatte, wie seine stolze Devise sich dessen seit langer Zeit rühmte, einer Menge von Gegnern gewachsen.18 Während seine Feinde noch immer nicht schlagfertig waren, erfuhren sie mit Schrecken, daß er persönlich an der Spitze seines Adels ins Feld gerückt war. Noch bei keiner Gelegenheit war dieser tapfere Adel mit größerem Glanze in seinem Gefolge erschienen. Ein einziger Umstand mag genügen, um einen Begriff von der Pracht und dem Luxus seines Lagers zu geben. Unter den Musketieren seiner Haustruppen ritt zum ersten Male ein siebzehnjähriger Jüngling, der bald nachher den Titel eines Herzogs von Saint-Simon erbte und dem wir die unschätzbaren Memoiren verdanken, welche zur Unterhaltung und Belehrung vieler Länder und vieler Geschlechter das lebensvolle Gemälde eines längst entschwundenen Frankreich erhalten haben. Obgleich sich die Familie des Knaben damals in arger Geldverlegenheit befand, reiste er doch mit fünfunddreißig Pferden und Saumthieren. Die Prinzessinnen von Geblüt, jede von einer Gruppe vornehmer und anmuthiger Damen umgeben, begleiteten den König, und das Lächeln so vieler reizender Frauen beseelte den Schwarm der eitlen und üppigen, aber hochsinnigen Cavaliere mit einem mehr als gewöhnlichen Muthe. In der glänzenden Schaar, welche den französischen Augustus umgab, sah man auch den französischen Virgil, den eleganten, zarten, melodischen Racine. Er war, in Einklang mit der herrschenden Mode, fromm geworden, hatte das Schriftstellern für die Bühne aufgegeben, und da er sich entschlossen, den Pflichten, die ihm als Historiographen Frankreich’s oblagen, energisch nachzukommen, hatte er sich persönlich eingefunden, um die großen Ereignisse mit anzusehen, welche der Nachwelt zu erzählen sein Amt war.19 In der Nähe von Mons bereitete Ludwig den Damen das Schauspiel der prächtigsten Revue, die man im modernen Europa je gesehen hatte. Hundertzwanzigtausend Mann der schönsten Truppen der Welt waren in einer acht Meilen langen Linie aufgestellt. Es steht zu bezweifeln, ob eine solche Armee jemals unter den römischen Adlern vereinigt gewesen war. Das Schauspiel begann früh am Morgen und war noch nicht vorüber, als der lange Sommertag sich zu Ende neigte. Racine verließ den Platz erstaunt, betäubt, geblendet und todtmüde. In einem vertrauten Briefe wagte er es, einen liebenswürdigen Wunsch zu äußern, den er im Hofzirkel auszusprechen sich wahrscheinlich gehütet haben würde: „Wollte Gott, daß alle diese braven Burschen wieder in ihren Hütten, bei ihren Frauen und ihren Kleinen wären.”20
Nach diesem prächtigen Schauspiele kündigte Ludwig seine Absicht an, Namur anzugreifen. In fünf Tagen war er an der Spitze von dreißigtausend Mann unter den Mauern dieser Stadt. Zwanzigtausend Landleute, die man in den von den Franzosen besetzten Theilen der Niederlande gepreßt hatte, mußten als Schanzgräber dienen. Luxemburg hatte mit achtzigtausend Mann eine feste Stellung auf der Straße zwischen Namur und Brüssel inne und war bereit, jeder Truppenmacht, die es versuchen sollte, die Belagerung aufzuheben, eine Schlacht zu liefern.21 Diese Theilung der Aufgaben nahm Niemanden Wunder. Es war längst bekannt, daß der große Monarch ein Freund von Belagerungen, nicht aber von Schlachten war. Er sprach die Ansicht aus, daß eine Belagerung der wahre Prüfstein militärischer Tüchtigkeit sei. Der Ausgang eines Zusammenstoßes zwischen zwei Armeen im offenen Felde wurde seiner Meinung nach oft durch einen Zufall entschieden; aber Ravelins und Bastionen, welche die Wissenschaft erbaut, konnte nur die Wissenschaft bewältigen. Seine Verleumder nannten es spöttelnd ein Glück, daß der Zweig der Kriegskunst, den Se. Majestät für den edelsten halte, ein solcher sei, der ihn selten nöthigte, ein seinem Volke unschätzbares Leben ernster Gefahr auszusetzen.
Namur, am Zusammenflusse der Sambre und der Maas gelegen, war eine der großen Festungen Europa’s. Die Stadt lag in einer Ebene und besaß keine andre Stärke als die durch die Kunst hervorgerufene. Aber Kunst und Natur hatten sich vereinigt, um die berühmte Citadelle zu befestigen, die vom Scheitel eines hohen Felsens auf eine von zwei schönen Flüssen bewässerte unabsehbare Fläche von Kornfeldern, Waldungen und Wiesen herniedersieht. Die Bevölkerung der Stadt und Umgegend war stolz auf ihr uneinnehmbares Kastell. Sie bildete sich etwas darauf ein, daß in allen Kriegen, welche die Niederlande verwüstet, Geschicklichkeit oder Tapferkeit nie im Stande gewesen waren, durch diese Mauern zu dringen. Die benachbarten Festungen, in der ganzen Welt wegen ihrer Stärke berühmt, Antwerpen und Ostende, Ypern, Lille und Tournay, Mons und Valenciennes, Cambray und Charleroi, Limburg und Luxemburg, hatten ihre Thore den Siegern geöffnet, noch niemals aber war von den Zinnen Namur’s die Fahne herabgenommen worden. Damit nichts fehlte, um die Belagerung interessant zu machen, standen die beiden Großmeister der Befestigungskunst einander gegenüber. Vauban war viele Jahre hindurch als der erste Ingenieur betrachtet worden; aber ein gefährlicher Nebenbuhler war seit Kurzem aufgetaucht: Menno, Baron von Cohorn, der geschickteste Offizier im Dienste der Generalstaaten. Die Vertheidigungswerke von Namur waren unlängst unter Cohorn’s Oberleitung verstärkt und ausgebessert worden, und er befand sich jetzt innerhalb der Mauern. Vauban war im Lager Ludwig’s. Es ließ sich demnach erwarten, daß Angriff wie Vertheidigung mit ausgezeichneter Geschicklichkeit geleitet werden würden.
Die verbündeten Armeen hatten sich inzwischen versammelt, aber es war zu spät.22 Wilhelm eilte nach Namur. Er bedrohte die französischen Werke zuerst von Westen, dann von Norden, dann von Osten. Aber zwischen ihm und den Circumvallationslinien stand die Armee Luxemburg’s, allen seinen Bewegungen folgend und stets in so starker Position, daß es die größte Unklugheit gewesen wäre, ihn anzugreifen. Mittlerweile machten die Belagerer unter Vauban’s geschickter Leitung und durch Ludwig’s Anwesenheit angefeuert rasche Fortschritte. Es waren allerdings viele Schwierigkeiten zu überwinden und große Beschwerden zu ertragen. Das Wetter war stürmisch, und am 8. Juni, dem Tage des heiligen Medardus, der im französischen Kalender die nämliche unheildrohende Stelle einnimmt, die in unsrem Kalender dem heiligen Swithin gebührt, regnete es in Strömen. Die Sambre stieg und überschwemmte viele mit reifenden Ernten bedeckte Quadratmeilen. Die Mehaigne führte ihre Brücken mit sich fort in die Maas. Alle Straßen wurden in Moräste verwandelt. In den Laufgräben standen Wasser und Schlamm so hoch, daß man drei Tage zu thun hatte, um eine Kanone von einer Batterie zur andren zu schaffen. Die sechstausend Wagen, welche die französische Armee begleitet hatten, waren nutzlos. Schießpulver, Kanonenkugeln, Korn und Heu mußten auf dem Rücken der Kriegsrosse von Ort zu Ort transportirt werden. Nur die Autorität Ludwig’s konnte unter solchen Umständen die Ordnung aufrecht erhalten und Freudigkeit erwecken. Seine Soldaten bezeigten ihm in der That eine größere Ehrerbietung als dem Heiligsten ihrer Religion. Sie verwünschten den heiligen Medardus aus dem Grunde des Herzens und zerschlugen oder verbrannten jedes Bild von ihm, dessen sie habhaft werden konnten. Aber es gab nichts, was sie nicht bereitwillig für ihren König gethan und ertragen haben würden. Trotz aller Hindernisse machten sie unaufhaltsame Fortschritte. Cohorn wurde schwer verwundet, während er mit verzweifelter Tapferkeit ein von ihm selbst erbautes Fort vertheidigte, auf das er stolz war. Seine Stelle war nicht zu ersetzen. Der Gouverneur war ein schwacher Mann, den Gastanaga ernannt und dessen Versetzung Wilhelm kürzlich dem Kurfürsten von Baiern angerathen hatte. Der Muth der Besatzung schwand, und die Stadt übergab sich am achten Tage der Belagerung, die Citadelle etwa drei Wochen später.23
Die Geschichte des Falles von Namur im Jahre 1692 ist der Geschichte des Falles von Mons im Jahre 1691 sehr ähnlich. Sowohl 1691 wie 1692 konnte Ludwig, der einzige und unumschränkte Gebieter über die Hülfsquellen des Landes, den Feldzug eröffnen, bevor Wilhelm, der Feldherr einer Coalition, seine zerstreuten Streitkräfte zusammengebracht hatte. In beiden Jahren entschied der Vortheil des ersten Zuges den Ausgang der Partie. Bei Namur sowohl wie bei Mons leitete Ludwig unter Vauban’s Beistand die Belagerung; Luxemburg deckte sie, Wilhelm versuchte vergebens sie aufzuheben und mußte zu seinem tiefen Schmerze dem Siege seines Gegners als Zuschauer beiwohnen.
In einer Hinsicht war jedoch das Schicksal der beiden Festungen ein ganz verschiedenes. Mons wurde von seinen eigenen Einwohnern übergeben. Namur hätte vielleicht gerettet werden können, wenn die Besatzung eben so begeistert und entschlossen gewesen wäre wie die Einwohnerschaft. Merkwürdigerweise herrschte in dieser so lange einer fremden Herrschaft unterworfenen Stadt ein Patriotismus ähnlich dem der kleinen griechischen Republiken. Man hat keinen Grund zu glauben, daß die Bürger sich um das Gleichgewicht der Macht kümmerten oder eine Vorliebe für Jakob oder für Wilhelm, für den Allerchristlichsten König oder für den Allerkatholischsten König hatten. Aber jeder Bürger glaubte seine eigene Ehre mit der Ehre der jungfräulichen Festung verknüpft. Die Franzosen mißbrauchten zwar ihren Sieg nicht. Es wurden keine Gewaltthätigkeiten verübt, die Privilegien der Municipalität wurden geachtet, die Behörden nicht gewechselt. Dennoch aber konnte das Volk einen Sieger nicht ohne Thränen der Wuth und Scham in das bis dahin unbezwungene Schloß einziehen sehen. Selbst die barfüßigen Carmeliter, die allen Genüssen, allem Eigenthum, allem geselligen Umgang, allen häuslichen Zuneigungen entsagt hatten, deren Tage lauter Fasttage waren, die einen Monat nach dem andren verlebten, ohne ein Wort zu sprechen, waren heftig ergriffen. Umsonst bemühte sich Ludwig, sie durch Beweise von Achtung und fürstlicher Freigebigkeit zu beschwichtigen. So oft sie einer französischen Uniform begegneten, wendeten sie sich mit einer Miene ab, welche bewies, daß ein Leben des Gebets, der Enthaltsamkeit und des Schweigens ein irdisches Gefühl in ihnen nicht zu ersticken vermocht hatte.24
Dies war vielleicht der Augenblick, wo Ludwig’s Arroganz den höchsten Grad erreichte. Er hatte die letzte und glänzendste Kriegsthat seines Lebens vollbracht. Seine verbündeten Feinde, Engländer und Deutsche, hatten gegen ihren Willen seinen Triumph erhöht und waren Zeugen des Ruhmes gewesen, der ihnen das Herz brach. Seine Freude war grenzenlos. Die Umschriften auf den Denkmünzen, die er zur Verewigung seines Sieges schlagen ließ, die Schreiben, durch welche er den Prälaten seines Königreichs befahl, das Te Deum zu singen, waren prahlerisch und sarkastisch. Sein Volk, ein Volk, zu dessen vielen edlen Eigenschaften Mäßigung im Glück nicht gerechnet werden kann, schien eine Zeit lang trunken von Stolz. Selbst Boileau, durch die herrschende Begeisterung mit fortgerissen, vergaß die Gelassenheit und den guten Geschmack, denen er seinen Ruf verdankte. Er bildete sich ein, ein lyrischer Dichter zu sein und machte seinen Gefühlen in hundertsechzig Strophen geistlosen Bombastes über Alcibiades, Mars, Bacchus und Ceres, die Leier des Orpheus, die tracischen Eichen und die permessianischen Nymphen, Luft. Er sagte, er möchte wohl wissen, ob Namur, wie Troja, von Apollo und Neptun erbaut worden sei. Er fragte, welche Macht eine Stadt bezwingen könne, welche stärker sei als die, vor der die Griechen zehn Jahre lagen, und er gab sich selbst die Antwort darauf, daß ein solches Wunder nur durch Jupiter oder durch Ludwig bewerkstelligt werden könne. Die Feder am Hute Ludwig’s war der Leitstern des Sieges. Vor Ludwig müsse sich Alles beugen, Fürsten, Nationen, Winde und Wasser. Zum Schluß wendete sich der Dichter an die verbündeten Feinde Frankreich’s und ersuchte sie höhnisch, die Nachricht mit nach Hause zu nehmen, daß Namur vor ihren Augen gefallen sei. Doch es waren noch nicht viele Monate verstrichen, als der prahlerische König und der prahlerische Dichter belehrt wurden, daß es eben so klug als anständig ist, in der Stunde des Sieges bescheiden zu sein.
Eine Kränkung hatte Ludwig selbst inmitten seines Glückes erfahren. Während er vor Namur lag, hörte er Töne des Jubels im fernen Lager der Alliirten. Ein dreifacher Donner aus hundertvierzig Geschützen wurde von drei Salven aus sechzigtausend Flinten beantwortet. Man erfuhr bald, daß diese Salven wegen der Schlacht von La Hogue abgefeuert wurden. Der König von Frankreich bemühte sich heiter zu erscheinen. „Sie machen einen entsetzlichen Lärm um das Verbrennen einiger Schiffe,” sagte er. In der That aber war er sehr besorgt, dies um so mehr, als die Nachricht nach den Niederlanden gelangt war, daß ein Seetreffen stattgefunden und daß seine Flotte geschlagen worden sei. Seine gute Laune wurde jedoch bald wieder hergestellt durch den glänzenden Erfolg der Operationen, die unter seiner unmittelbaren Leitung vor sich gingen.
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