Man hätte erwarten sollen, daß wenigstens die beiden Häupter des Hauses Oesterreich in diesem Augenblicke ihre ganze Kraft gegen das rivalisirende Haus Bourbon aufbieten würden. Leider waren sie nicht zu bewegen, auch nur für ihre eigne Erhaltung energische Anstrengungen zu machen. Sie hatten ein großes Interesse daran, die Franzosen von Italien abzuhalten. Gleichwohl konnten sie nur mit Mühe dazu vermocht werden, dem Herzoge von Savoyen den geringsten Beistand zu leihen. Sie schienen zu glauben, daß es England’s und Holland’s Sache sei, die Pässe der Alpen zu vertheidigen und die Armeen Ludwig’s zu verhindern, die Lombardei zu überschwemmen. In den Augen des Kaisers war der Krieg gegen Frankreich in der That eine untergeordnete Aufgabe. Seine Hauptaufgabe war der Krieg gegen die Türkei. Er war beschränkt und bigott. Es beunruhigte ihn, daß der Krieg gegen Frankreich in gewissem Sinne ein Krieg gegen die katholische Religion war, und der Krieg gegen die Türkei war ein Kreuzzug. Sein neuerlicher Feldzug an der Donau war glücklich gewesen. Er hätte leicht einen ehrenvollen Frieden mit der Pforte schließen und seine Waffen gegen Westen richten können. Aber die Hoffnung war in ihm erwacht, seine Erblande auf Kosten der Ungläubigen vergrößern zu können. Visionen von einem triumphirenden Einzuge in Konstantinopel und von einem Te Deum in der Sophia-Moschee waren in seinem Kopfe aufgestiegen. Er beschäftigte nicht nur im Osten eine Truppenmacht, die mehr als ausreichend gewesen sein würde, Piemont zu vertheidigen und Lothringen wiederzuerobern, sondern er schien auch zu glauben, daß England und Holland verpflichtet seien, ihn für die Vernachlässigung ihrer Interessen und für die Wahrnehmung seiner eigenen glänzend zu belohnen.7
Spanien war damals schon was es bis auf unsre Zeit geblieben ist. Von dem Spanien, das über Land und Meer, über die alte und neue Welt geherrscht, von dem Spanien, das in der kurzen Zeit von zwölf Jahren einen Papst und einen König von Frankreich, einen Souverain von Mexico und einen Souverain von Peru als Gefangene fortgeführt, von dem Spanien, das eine Armee unter die Mauern von Paris gesandt und eine gewaltige Flotte ausgerüstet hatte, um in England einzufallen, war nichts mehr übrig als eine Anmaßung, die einst Schrecken und Haß erweckt hatte, die aber jetzt nur noch ein geringschätzendes Lächeln hervorrufen konnte. An Umfang übertrafen zwar die Gebiete des katholischen Königs die Gebiete Rom’s, als Rom auf dem Gipfel der Macht stand. Aber die ungeheure Ländermasse lag erstarrt und hülflos da und konnte ungestraft beleidigt und beraubt werden. Die ganze Verwaltung, des Heeres und der Marine, der Finanzen und der Kolonien, war völlig desorganisirt. Karl war ein entsprechender Repräsentant seines Reichs, körperlich, geistig und moralisch impotent, in Unwissenheit, Sorglosigkeit und Aberglauben versunken, doch aber vom Gefühl seiner Würde aufgebläht und sehr bereit, sich Beleidigungen einzubilden und solche zu ahnden. Seine Erziehung war so erbärmlich gewesen, daß, als man ihm den Fall von Mons, der wichtigsten Festung seines großen Reichs mittheilte, er fragte, ob Mons in England liege.8 Unter den Ministern, welche durch seine krankhafte Laune erhoben und gestürzt wurden, war keiner befähigt, ein Heilmittel gegen die Gebrechen des Staats anzuwenden. Die Nerven dieses gelähmten Körpers neu zu stählen, würde allerdings selbst für einen Ximenes eine schwere Aufgabe gewesen sein. Kein Diener der spanischen Krone bekleidete einen wichtigeren Posten und keiner war unfähiger zur Bekleidung eines wichtigen Postens als der Marquis von Gastanaga. Er war Gouverneur der Niederlande und es war wahrscheinlich, daß in den Niederlanden das Schicksal der Christenheit entschieden werden würde. Er hatte sein Amt verwaltet, wie damals jedes öffentliche Amt in jedem Theile dieser großen Monarchie verwaltet wurde, von der man hochtrabend sagte, daß die Sonne nie darin untergehe. So fruchtbar und reich das Land war, das er verwaltete, wälzte er doch auf England und Holland die ganze Last, es zu vertheidigen. Er erwartete daß Alles, Waffen, Munition, Wagen und Lebensmittel, von den Ketzern geliefert würde. Es war ihm nie eingefallen, daß es seine und nicht ihre Sache sei, Mons in den Stand zu setzen, eine Belagerung aushalten zu können. Die öffentliche Stimme beschuldigte ihn ganz laut, diese berühmte Festung an Frankreich verkauft zu haben. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß man ihm nichts Schlimmeres zur Last legen konnte als die seiner Nation eigene hochmüthige Apathie und Trägheit.
In diesem Zustande befand sich die Coalition, deren Oberhaupt Wilhelm war. Es gab Momente, wo er sich überwältigt fühlte, wo ihm der Muth sank, wo seine Geduld erschöpft war und seine angeborne Reizbarkeit sich Luft machte. „Ich kann,” schrieb er, „keinen Vorschlag machen, ohne daß mir eine Subsidienforderung entgegengehalten wird.”9 „Ich habe rund abgeschlagen,” schrieb er ein andermal, als er dringend um Geld angegangen worden war, „denn es ist unmöglich, daß die Generalstaaten und England die Lasten der Armee am Rhein, der Armee in Piemont und der ganzen Vertheidigung von Flandern tragen können, der ungeheuren Kosten des Seekriegs gar nicht zu gedenken. Wenn unsere Alliirten nichts für sich thun können, dann ist es am besten, die Allianz löst sich je eher je lieber auf.”10 Aber nach jedem kurzen Anfall von Entmuthigung und Verstimmung raffte er wieder die ganze Energie seines Geistes zusammen und legte seinem Temperament einen starken Zügel an. So schwach, engherzig, falsch und selbstsüchtig nur zu viele seiner Verbündeten auch waren, nur unter ihrem Beistande konnte er durchführen, was er von Jugend auf als seine Mission betrachtet hatte. Wenn sie ihn verließen, so wurde Frankreich der unbestrittene Beherrscher Europa’s. Wie sehr sie auch bestraft zu werden verdienten, wollte er doch, um ihrer Bestrafung willen, nicht in die Unterjochung der ganzen civilisirten Welt willigen. Er nahm sich daher vor, einige Schwierigkeiten zu überwinden, und andere zu umgehen. Die skandinavischen Mächte gewann er, indem er, allerdings mit Widerstreben und nicht ohne schweren inneren Kampf, auf einige seiner Seerechte verzichtete.11 In Rom hielt sein Einfluß, obwohl nur indirect ausgeübt, dem des Papstes selbst die Wage. Ludwig und Jakob überzeugten sich, daß sie außer Innocenz keinen Freund im Vatikan hatten, und Innocenz, der von sanftem und unschlüssigem Character war, scheute sich, einen den Gesinnungen seiner ganzen Umgebung direct zuwiderlaufenden Weg einzuschlagen. In Privatunterredungen mit jakobitischen Agenten erklärte er sich dem Interesse des Hauses Stuart zugethan; in seinen öffentlichen Handlungen aber beobachtete er eine strenge Neutralität. Er schickte zwanzigtausend Kronen nach Saint-Germains; aber er entschuldigte sich bei den Gegnern Frankreich’s, indem er versicherte, daß dies keine Subsidie zu irgend einem politischen Zwecke, sondern lediglich ein unter arme britische Katholiken zu vertheilendes Almosen sein solle. Er gestattete die Verlesung von Gebeten für die gute Sache im englischen Collegium zu Rom; aber er bestand darauf, daß diese Gebete in allgemeine Ausdrücke gefaßt sein müßten und daß kein Name darin genannt werden dürfe. Umsonst beschworen ihn die Gesandten der Häuser Stuart und Bourbon ein entschiedeneres Verfahren zu beobachten. „Gott weiß,” rief er einmal aus, „daß ich mit Freuden mein Blut für die Wiedereinsetzung des Königs von England vergießen würde. Aber was kann ich thun? Wenn ich mich rühre, sagt man mir, daß ich die Franzosen begünstige und ihnen zur Aufrichtung einer Universalmonarchie behülflich sei. Ich bin nicht wie die früheren Päpste. Die Könige wollen nicht auf mich hören, wie sie auf meine Vorgänger hörten. Es giebt jetzt keine Religion, sondern nichts als gottlose, weltliche Politik. Der Prinz von Oranien ist der Gebieter. Er beherrscht uns Alle. Er hat eine solche Gewalt über den Kaiser und den König von Spanien gewonnen, daß keiner von Beiden es wagt, sein Mißfallen zu erregen. Gott helfe uns! Er allein kann uns helfen!” So sprechend schlug der alte Mann in einer Regung ohnmächtigen Zornes und Unwillens mit der Hand auf den Tisch.12
Die deutschen Fürsten standhaft zu erhalten, war keine leichte Aufgabe; aber sie wurde durchgeführt. Es wurde Geld unter sie vertheilt, zwar viel weniger als sie verlangt hatten, aber doch viel mehr als sie anständigerweise beanspruchen konnten. Mit dem Kurfürsten von Sachsen wurde ein Abkommen getroffen. Er hatte neben einem starken Gelüste nach Subsidien großes Verlangen danach, Mitglied der auserlesensten und höchsten Ritterorden zu werden. Wie es scheint, begnügte er sich anstatt der verlangten vierhunderttausend Reichsthaler mit hunderttausend und dem Hosenbandorden.13 Sein Premierminister Schöning, der habgierigste und treuloseste Mensch von der Welt, wurde durch eine Pension gewonnen.14 Dem Herzoge von Braunschweig-Lüneburg verschaffte Wilhelm nicht ohne Mühe den lange ersehnten Titel eines Kurfürsten von Hannover. Durch solche Mittel wurden die Risse, welche die Coalition zerklüftet hatten, so geschickt ausgebessert, daß sie dem Feinde noch immer eine feste Stirn bot.
Wilhelm hatte sich bei der spanischen Regierung bitter über die Unfähigkeit und Trägheit Gastanaga’s beklagt, und die spanische Regierung konnte, so hülflos und schläfrig sie auch war, nicht ganz gleichgültig gegen die Gefahren sein, welche Flandern und Brabant drohten. Gastanaga wurde abberufen und Wilhelm ersucht, die Verwaltung der Niederlande mit Gewalten, welche denen eines Königs nicht nachstanden, selbst zu übernehmen. Philipp II. würde so leicht nicht geglaubt haben, daß innerhalb eines Jahrhunderts nach seinem Tode sein Urenkel den Urenkel Wilhelm’s des Schweigsamen bitten würde, in Brüssel die Autorität eines Souverains auszuüben.15
Der Antrag war in einer Hinsicht lockend; Wilhelm aber war zu klug, um ihn anzunehmen. Er wußte, daß die Bevölkerung der spanischen Niederlande der römischen Kirche fest anhing. Jede Maßregel eines protestantischen Regenten konnte sicher sein, von dem Klerus und der Bevölkerung dieses Landes mit Mißtrauen betrachtet zu werden. Gastanaga hatte bereits im Aerger über seine Entlassung den römischen Hof schriftlich benachrichtigt, daß man Veränderungen im Sinne habe, welche Gent und Antwerpen eben so ketzerisch machen würden wie Amsterdam und London.16 Ohne Zweifel hatte Wilhelm auch erwogen, daß, wenn es ihm auch durch eine milde und gerechte Regierung und durch Bezeigung einer geziemenden Achtung für die Gebräuche und Diener der katholischen Religion gelingen sollte, sich das Vertrauen der Belgier zu erwerben, er unvermeidlich auf unsrer Insel einen Sturm von Vorwürfen gegen sich heraufbeschwören würde. Er wußte aus Erfahrung was es hieß, zwei Nationen zu regieren, welche fest an zwei verschiedenen Kirchen hielten. Eine zahlreiche Partei unter den Episkopalen England’s konnte es ihm nicht vergeben, daß er in die Einführung der presbyterianischen Kirchenverfassung in Schottland gewilligt hatte. Eine zahlreiche Partei unter den Presbyterianern Schottland’s tadelte ihn, daß er die episkopale Kirchenverfassung in England aufrecht erhielt. Wenn er jetzt Messen, Processionen, geschnitzte Bilder, Mönchsklöster, Nonnenklöster und, was das Schlimmste von Allem war, Jesuitenkanzeln, Jesuitenbeichtstühle und Jesuitencollegien unter seinen Schutz nahm, was konnte er dann Andres erwarten, als daß England und Schottland einen einstimmigen Tadelsschrei erheben würden? Er weigerte sich daher, die Verwaltung der Niederlande zu übernehmen und schlug vor, sie dem Kurfürsten von Baiern zu übertragen. Der Kurfürst von Baiern war nach dem Kaiser der mächtigste katholische Potentat Deutschland’s. Er war jung, tapfer und lüstern nach militärischer Auszeichnung. Der spanische Hof war geneigt, ihn zu ernennen und er sehnte sich danach, ernannt zu werden; aber eine alberne Schwierigkeit verursachte eine lange Verzögerung. Der Kurfürst hielt es unter seiner Würde, das zu verlangen, was er so sehr wünschte, und die Formalisten des Cabinets von Madrid hielten es unter der Würde des katholischen Königs, etwas zu geben, um was nicht nachgesucht worden war. Eine Vermittelung war nothwendig, und sie führte endlich zum Ziele. Aber es war viel Zeit verloren worden, und das Frühjahr war schon weit vorgerückt, als der neue Gouverneur der Niederlande seine Functionen antrat.17
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