Als sie die Umfahrt beendet hatte, gab sie sich mit eigensinnigem Ausstrich einen Ruck und fuhr gerade auf Schtscherbazkiy zu, dessen Arm sie ergriff, während sie Lewin dabei zulächelte. Sie war schöner, als er vermutet hatte. Wenn er ihrer dachte, konnte er sie sich in ihrer ganzen Erscheinung vorstellen, besonders den ganzen Reiz dieses mit dem Ausdruck kindlicher Offenheit und Herzensgüte begabten Blondköpfchens, das so keck auf den schönen jungfräulichen Schultern saß. Die Kindlichkeit ihres Geichtsausdrucks im Vereine mit der zarten Schönheit ihrer Taille, bildeten insbesondere einen Reiz bei ihr, den er recht wohl zu würdigen verstand.
Was ihn aber immer an ihr zu verwirren pflegte, das war der Ausdruck ihrer Augen, die sanft, ruhig und ehrlich schauten und namentlich ihr Lächeln, das Lewin stets in eine Zauberwelt versetzte, in der er sich beseligt, weich gestimmt fühlte, bei dem er sich der halbvergessenen Tage seiner frühesten Kindheit entsann.
„Seid Ihr schon lange hier?“ frug sie, ihm die Hand hinreichend. „Danke bestens,“ fügte sie hinzu, als er ihr das Taschentuch aufhob, welches ihrem Muff entfallen war.
„Ich? Nein, noch nicht lange – seit gestern – oder vielmehr heute – bin ich angekommen,“ versetzte Lewin, der ihre Frage vor Erregung nicht so schnell verstanden hatte. „Ich wollte zu Euch fahren,“ fuhr er sogleich fort, indem er sich erinnerte, mit welcher Absicht er sie aufgesucht hatte, aber er geriet in Verwirrung und errötete. „Ich wußte nicht, daß Ihr Schlittschuh laufen könnt – und Ihr lauft gut!“
Sie blickte ihn aufmerksam an, als wünsche sie, die Ursache seiner Verwirrung zu erfahren.
„Ich muß Euer Lob hochschätzen. Es hat sich hier die Tradition erhalten, daß Ihr der beste Schlittschuhläufer wäret, den es gäbe,“ antwortete sie, mit der kleinen Hand in dem schwarzen Handschuh, die Reifnadeln abschüttelnd, welche auf den Muff gefallen waren.
„Ja, einst bin ich leidenschaftlich gern gefahren; ich hatte es bis zur Vollkommenheit bringen wollen.“
„Ihr treibt wohl alles leidenschaftlich, wie mir scheint,“ sagte sie lächelnd. „Ich möchte in der That gern einmal sehen, wie Ihr rollt. Legt Schlittschuhe an und laßt uns zusammen fahren!“
„Zusammen fahren! Ist es denn möglich?“ dachte Lewin, sie anschauend. „Sogleich,“ antwortete er laut, „lege ich Schlittschuhe an.
„Ihr waret lange nicht bei uns, Herr,“ sagte der Bahninhaber, Lewins Fuß haltend und den Absatz desselben anschraubend. „Nach Euch hat es hier keinen Meister wieder gegeben unter den Herren. Ist es so gut?“ frug er, den Riemen anziehend.
„Gut, gut, nur schnell wenn ich bitten darf,“ antwortete Lewin, mit Mühe ein Lächeln der Glückseligkeit unterdrückend, das ihm wider Willen aufstieg. „Ja,“ dachte er, „das ist Leben, das ist Glück! Zusammen! hat sie gesagt, laßt uns vereint fahren. Soll ich jetzt mit ihr reden? Aber ich fürchte mich ja fast, ihr zu gestehen, daß ich glücklich bin, glücklich schon in der Hoffnung. Was dann? Doch, es muß sein, es muß sein! Weg mit der Schwäche!“
Lewin trat auf seine Füße, legte den Überrock ab und auf dem holperigen Eise bei dem Häuschen ansetzend, lief er hinaus auf die spiegelnde Fläche und fuhr ohne Hast, ganz wie seinem eigenen Willen gehorchend und seinen Lauf mäßigend dahin. Dann näherte er sich voll Befangenheit; ihr Lächeln aber machte ihn wieder sicher.
Sie gab ihm die Hand und beide fuhren nun miteinander, ihren Lauf allmählich beschleunigend; und je schneller sie fuhren, desto stärker drückte sie seine Hand.
„Unter Euch würde ich bald ausgelernt haben, ich habe solch ein Vertrauen zu Euch,“ sagte sie.
„Auch ich fühle mich sicher, wenn Ihr Euch auf mich stützet,“ antwortete er, erschrak aber sogleich über das, was er gesagt hatte und errötete. Und in der That, sowie er nur diese Worte herausgebracht hatte, verlor ihr Gesicht, wie die Sonne die hinter die Wolken geht, all seine Freundlichkeit, und Lewin erkannte auf ihrem Gesicht jenes bekannte Spiel, welches das Arbeiten der Gedanken andeutet; auf ihrem glatten Antlitz erschien eine Falte.
„Haben Sie etwas übel aufgenommen? Doch – eigentlich habe ich gar nicht das Recht so zu fragen,“ wandte er sich schnell an sie.
„Warum hätte ich etwas übel aufzunehmen? O nein, dem ist durchaus nicht so,“ versetzte sie kühl, fügte aber dann sogleich hinzu, „habt Ihr Mademoiselle Linon gesehen?“
„Noch nicht.“
„Geht doch zu ihr; sie liebt Euch so sehr.“
„Was soll das heißen?“ dachte Lewin, „ich habe sie gekränkt, Herr, steh mir bei!“ Er lief zu der alten Französin hin mit den weißen Locken, die drüben auf der Bank saß. Lächelnd und ihre falschen Zähne zeigend, begrüßte sie ihn als alten Freund.
„Ja, ja, wir sind gewachsen,“ sagte sie, mit den Augen auf Kity weisend, „und wir werden älter. Tiny bear ist groß geworden!“ fuhr die Französin lachend fort und erinnerte ihn damit an seinen Scherz über die jungen Herrinnen, die er einst die drei Bären aus dem englischen Märchen genannt hatte. „Wißt Ihr noch, wie Ihr zu sagen pflegtet.“
Er konnte sich durchaus nicht mehr hierauf besinnen, aber sie lachte nunmehr schon ins zehnte Jahr über jenen Scherz und sie liebte denselben.
„Nun, fahrt nur immer zu, fahrt. Unsere Kity hat gut Schlittschuhlaufen gelernt, nicht wahr?“
Als Lewin wieder zu Kity zurückkehrte, war ihr Gesicht nicht mehr so ernst, ihre Augen blickten wieder so ehrlich und freundlich, aber ihm schien es, als läge in ihrer Freundlichkeit ein seltsamer, nachdenklich ruhiger Ton. Auch er wurde nachdenklich. Er begann von der alten Gouvernante und von ihren Eigenheiten zu sprechen; sie aber frug ihn nach seinem Leben.
„Ist es Euch nicht zu langweilig auf dem Dorfe?“ sagte sie.
„O nein; langweilig ist es da nicht; ich habe sehr viel zu thun,“ antwortete er ihr, empfindend, daß sie ihn ihrem ruhigen Tone unterordnete, dem zu entweichen er sich nie imstande fühlen würde, obwohl es im Beginn des Winters war.
„Seid Ihr für längere Zeit hierher gekommen?“ frug Kity.
„Ich weiß noch nicht,“ antwortete er, ohne zu überlegen, was er sprach.
Der Gedanke, daß er wiederum unverrichteter Sache von dannen gehen werde, falls er sich dem nämlichen ruhigen Freundschaftston hingeben würde, wie sie, kam ihm in den Kopf und er entschloß sich, Mut zu fassen.
„Inwiefern wißt Ihr das nicht?“
„Ich weiß nicht. Es hängt dies ganz von Euch ab,“ sagte er, erschrak aber sofort über seine eigenen Worte.
Hörte sie diese nicht, oder wollte sie sie nicht hören, aber sie schien zu straucheln, stieß zweimal mit dem Füßchen auf das Eis und fuhr dann hinweg von ihm. Sie schwebte zu Mademoiselle Linon, sagte ihr einige Worte und begab sich dann nach dem Häuschen, wo die Damen ihre Schlittschuhe ablegten.
„Mein Gott, was habe ich angerichtet, mein Gott! Hilf mir und rate mir,“ sagte Lewin zu sich, gleichsam betend, und dabei zugleich in der Empfindung des Bedürfnisses nach einer heftigen Bewegung, ausstreichend und nach auswärts und innen Kreise ziehend.
In diesem Augenblicke kam ein junger Mann, der beste der jüngeren Schlittschuhläufer, die Cigarette im Munde, auf seinen Schlittschuhen aus dem Café heraus; er lief, eilte auf den Schlittschuhen die Stufen herab, lachend und springend und flog dann auf dem Eise davon, ohne die freie Haltung seiner Arme zu verändern.
„Aha, ein neues Kunststückchen,“ sagte Lewin, und lief sofort nach oben um das neue Kunststückchen zu versuchen.
„Fallt nicht, das will geübt sein!“ rief ihm Nikolay Schtscherbazkiy zu.
Lewin trat auf einen Vortritt, und sprang herab, bei der ungewohnten Übung das Gleichgewicht mit den Armen haltend. Auf der letzten Stufe blieb er hängen und berührte leicht das Eis mit der Hand, machte aber eine heftige Bewegung, schnellte auf und flog lachend hinaus auf die Fläche.
„Ein wackerer Bursch,“ dachte Kity dabei, als sie aus dem Häuschen heraustrat in der Begleitung der Mademoiselle Linon. Sie blickte dabei mit stillem Lächeln nach ihm hinüber, wie nach einem lieben Bruder. „Bin ich denn schuld, habe ich etwas Übles gethan? Man sagt, das sei Koketterie. Ich weiß, daß ich ihn nicht liebe, und doch bin ich gern in seiner Gesellschaft, er ist so wacker. Warum sagte er das auch gerade?“ dachte sie.
Als Lewin Kity mit ihrer Mutter, die ihr auf den Stufen entgegenkam, fortgehen sah, blieb er, errötet von der schnellen Bewegung, stehen und versank in Nachdenken. Er schnallte die Schlittschuhe ab und holte dann Mutter und Tochter am Ausgange des Gartens ein.
„Sehr erfreut, Euch wiederzusehen,“ sagte die Fürstin, „Donnerstag, wie ja immer, empfangen wir.“
„Nicht heute vielleicht auch?“
„Wird uns sehr angenehm sein,“ versetzte die Fürstin trocken.
Diese Trockenheit erbitterte Kity, und diese konnte sich nicht enthalten, die Kälte ihrer Mutter zu mildern. Sie wandte das Haupt nach ihm um und sprach lächelnd:
„Auf Wiedersehen.“
In diesem Augenblick erschien Stefan Arkadjewitsch, den Hut schief auf der Seite mit glänzenden Mienen und Augen, wie ein wohlgelaunter Sieger im Garten. Als er sich indessen der Tante genähert hatte, antwortete er mit schuldbewußtem Gesicht auf ihre Fragen betreffs des Befindens von Dolly. Nachdem er so halblaut und zerknirscht mit der Tante eine Weile gesprochen hatte, warf er sich wieder in die Brust, und nahm Lewin unter dem Arme.
„Nun, was thun wir, wollen wir fahren?“ frug er, „ich habe immer an dich gedacht und bin sehr, sehr glücklich, daß du gekommen bist,“ sprach er, Lewin bedeutungsvoll ins Auge blickend.
„Fahren wir, fahren wir,“ antwortete dieser beglückt, ohne den Klang der Stimme aus dem Ohre zu verlieren, die da gesagt hatte, „auf Wiedersehen“. Er sah noch das Lächeln mit welchem die Worte gesprochen worden waren.
„Gehen wir nach England oder in die Eremitage?“
„Mir ganz gleichgültig.“
„Nun, also nach ‚England‘“, fuhr Stefan Arkadjewitsch fort, „England“ deshalb wählend, weil er daselbst mehr Schulden hatte, als in der Eremitage. Er hielt es daher nicht für geraten, dieses Hotel zu meiden. „Du hast wohl einen Kutscher? Gut, ich habe nämlich meinen Wagen entlassen.“
Die beiden Freunde legten schweigend den ganzen Weg zurück. Lewin dachte an das, was jene Veränderung im Gesichtsausdruck Kitys bedeutet haben mochte, und er überzeugte sich bald, es sei Hoffnung für ihn vorhanden, bald geriet er in Mutlosigkeit und erkannte klar, seine Hoffnung sei sinnlos. Nichtsdestoweniger fühlte er sich aber als einen ganz anderen Menschen, nicht mehr demjenigen ähnlich, der er gewesen war just bis zu jenem Lächeln hin, zu jenen Worten „auf Wiedersehen“!
Stefan Arkadjewitsch stellte während dessen das Menu des Diners zusammen. „Liebst du nicht turbot?“ frug er Lewin während der Fahrt.
„Was sagtest du?“ frug Lewin, „turbot? O ja, ich liebe den turbot außerordentlich.“
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