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30

Furchtbar raste der Schneesturm und pfiff zwischen den Rädern der Waggons und um die Säulen hinter der Ecke der Station hervor. Die Waggons, die Säulen, die Menschen, alles was sichtbar war, war von einer Seite her mit Schnee überweht, der sich mehr und mehr häufte.

Auf einen Augenblick beruhigte sich der Sturm, dann aber erhob er sich wieder in solchen Stößen, daß es schien, als würde ihm nichts widerstehen können. Währenddem liefen Leute in heiterem Gespräch über die Bretter der Plattform, ohne Aufhören die großen Thüren öffnend und zuschlagend. Der zusammengeduckte Schatten eines Menschen bewegte sich unter ihren Füßen hin und man vernahm Töne von Hammerschlägen auf Eisen.

„Depeschen!“ ertönte ein rauher Schrei von jenseits aus dem Dunkel der Sturmnacht heraus.

„Hierher gefälligst, Nr. 28!“ riefen verschiedene Stimmen und mehrere von Schnee überdeckte, in dicke Kleidung gehüllte Leute.

Zwei Herren, die brennende Zigarette im Munde, gingen an ihr vorüber. Sie atmete nochmals auf, um satt Luft zu schöpfen und hatte schon die Hand aus dem Muffe gezogen, um sich an der Eisenstange anzuhalten und wieder den Waggon zu betreten, als noch ein Mann in Uniform dicht neben ihr das flackernde Licht der Laterne verdeckte.

Sie blickte um sich und erkannte im nämlichen Augenblick Wronskiy. Die Hand an den Mützenschild legend, verbeugte er sich vor ihr und frug, ob sie einen Wunsch habe und ob er ihr nicht dienen könne.

Geraume Zeit heftete sie ihren Blick auf ihn, ohne ein Wort zu sprechen; obwohl sie im Schatten stand, sah sie – oder es schien ihr doch so – den Ausdruck seines Gesichts und seiner Augen.

Es war wieder jener Ausdruck der achtungsvollen Freude, welcher gestern so stark auf sie eingewirkt hatte.

Mehr als einmal in den vergangenen Tagen hatte sie sich selbst gesagt, und soeben jetzt that sie es auch, daß Wronskiy für sie nur einer von jenen hunderten sich ewig gleichbleibender, überall begegnender junger Männer sei; daß sie sich nie und nimmermehr gestatten dürfe, seiner auch nur zu gedenken; jetzt aber, im ersten Moment ihrer Begegnung mit ihm übermannte sie das Gefühl eines freudigen Stolzes.

Sie brauchte nicht zu fragen, warum er hier sei. Sie wußte es so genau, als ob er ihr gesagt hätte er sei hier, weil er dort sein wolle, wo sie sei.

„Ich wußte nicht, daß Ihr reistet. Weshalb fahrt Ihr schon?“ frug sie, die Hand sinken lassend, mit welcher sie sich bereits am Geländer hielt.

Eine unbezwingbare Freude und Erregtheit glänzte auf ihren Zügen.

„Weshalb ich fahre?“ wiederholte er, ihr offen ins Auge blickend. „Ihr wißt, ich fahre deshalb, um dort zu sein, wo Ihr seid,“ antwortete er; – „ich kann nicht anders.“

Im selben Augenblick fegte der Sturm den Schnee von den Decken der Waggons herunter, als habe er Hindernisse besiegt, er spielte mit einem abgebrochenen Stück Eisenblech und vorn erklang die dumpfe Pfeife der Lokomotive.

Der ganze Schrecken des Schneesturms erschien ihr jetzt noch schöner. Er sagte das Nämliche, was ihre Seele wünschte und was ihr Verstand fürchtete.

Sie antwortete nichts, aber auf ihrem Gesicht bemerkte er einen Kampf.

„Verzeiht mir, wenn Euch das unangenehm ist, was ich soeben sagte,“ hub er in höflichem Tone an.

Er sprach ehrerbietig, achtungsvoll, aber so fest und entschieden, daß sie lange Zeit nichts antworten konnte.

„Das ist böse, was Ihr da sagt, und ich bitte Euch, wenn Ihr ein guter Mensch seid, zu vergessen was Ihr gesprochen habt – ebenso, wie auch ich Euch vergessen will,“ versetzte sie endlich.

„Nicht ein Wort von Euch, nicht eine Bewegung von Euch werde ich je vergessen – noch könnte ich es“ —

„Genug, genug!“ rief sie aus, mit Mühe versuchend, ihrem Gesicht einen strengen Ausdruck verleihend, den er begehrlich musterte.

Mit der Hand nach der kalten Eisenstange greifend, stieg sie die Stufen hinauf und trat schnell in den Vorraum des Waggons. In diesem blieb sie stehen und überlegte bei sich, was soeben geschehen war.

Ohne sich ihrer oder seiner Worte zu entsinnen, erkannte sie nach ihrem Gefühl, daß dieses minutenlange Gespräch sie beide in furchtbarer Weise genähert hatte. Sie erschrak hierüber – und war beglückt davon. —

Nachdem sie einige Sekunden gestanden hatte, betrat sie ihr Coupé und setzte sich wieder auf ihren Platz.

Der Zustand von Spannung, der sie vorher gequält hatte, begann sich nicht nur von neuem einzustellen, er verstärkte sich auch noch und stieg bis zu einem Grade, daß sie fürchtete, es könne jeden Augenblick etwas in ihr, was allzusehr gespannt war, gesprengt werden.

Sie schlief die ganze Nacht hindurch nicht, aber in jenem Zustande der Spannung und Phantasieen, der ihr Vorstellungsvermögen erfüllte, war gleichwohl nichts Unangenehmes und Düsteres. Im Gegenteil; es lag etwas Freudiges darin, etwas Glühendes und Aufregendes.

Gegen Morgen schlummerte Anna, in ihrem Sessel sitzend, ein, und als sie wieder erwachte, da war alles weiß und hell, und der Zug fuhr schon auf Petersburg. Sofort befand sich ihr Ideengang daheim, bei ihrem Gatten, ihrem Sohne, und die Sorgen um den nächsten Tag und die folgenden traten jetzt an sie heran.

Der Zug hatte in Petersburg kaum Halt gemacht, und sie war kaum ausgestiegen, da war das erste Gesicht, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, das ihres Gatten.

„O, mein Gott! Woher hat er denn nur diese Ohren?“ dachte sie auf seine kalte, imposante Erscheinung blickend, auf seine großen Ohrmuscheln, die sie jetzt betroffen machten, mit den sich auf dieselben stützenden Hutkrempen.

Als er sie erblickt hatte, eilte er ihr entgegen, die Lippen zu dem ihm eigenen spöttischen Lächeln verziehend und sie mit seinen großen matten Augen starr anblickend.

Ein Gefühl des Unbehagens legte sich ihr schwer auf die Brust, als sie diesem unbeweglichen, müden Blick begegnete, und es war ihr zu Mute, als hätte sie erwartet, ihn als eine andere Erscheinung wiedersehen zu müssen.

Ganz besonders beunruhigte sie die Empfindung der Unzufriedenheit mit sich selbst, die sie bei der Begegnung mit ihm fühlte. Ihre Empfindung war eine an Heimisches, an Bekanntschaftliches gemahnende, ähnlich dem Zustand der Verstellung, welche sie aus ihren Beziehungen zu dem Gatten schon kannte. Früher hatte sie indessen dieses Gefühl nicht weiter wahrgenommen, erst jetzt ward sie sich desselben klar und schmerzlich bewußt.

„Ach, wie siehst du aus, mein süßes Weib, mein zartes Weib; wie im zweiten Jahre nach der Hochzeit verzehrte ich mich vor Sehnsucht, dich wiederzusehen,“ sagte er mit seiner langsamen, dünnen Stimme und jenem Tone, den er ihr gegenüber fast stets anwandte, dem Ton des Spottes über eine Persönlichkeit die etwa in der gleichen Lage so sprechen würde, wie er.

„Ist unser Sergey gesund?“

„Ist das der ganze Lohn für meine Liebesglut?“ antwortete er; „er ist gesund, gesund.“

31

Wronskiy hatte gar nicht versucht, während der Nacht zu schlafen. Er saß in seinem Armsessel, bald die Augen starr geradeaus gerichtet, bald die Eintretenden und Gehenden musternd, und wenn er ohnehin schon ihm unbekannte Leute mit dem ihm eignen Ausdruck unerschütterlicher Seelenruhe frappiert hatte, so erschien er jetzt noch bei weitem stolzer und selbstbewußter. Er blickte auf die Menschen wie auf Dinge.

Ein junger Herr, der sehr nervenschwach war, – er diente in einem Kreisgericht – saß ihm gegenüber und begann einen Groll auf ihn zu fassen wegen dieses Ausdrucks.

Der junge Herr rauchte mit ihm und unterhielt sich mit ihm; er stieß ihn sogar an, um ihn fühlen zu lassen, daß er selbst kein Ding, sondern ein Mensch sei, aber Wronskiy blickte ihn an, als schaue er eine Straßenlaterne an und der junge Herr schnitt nun Grimassen in der Empfindung, er würde die Selbstbeherrschung verlieren unter dem Drucke dieser Verachtung seitens eines Menschen.

Wronskiy sah und hörte nichts. Er fühlte sich als Zar, nicht deshalb, weil er etwa geglaubt hätte, einen Eindruck auf Anna hervorgebracht zu haben, – er glaubte noch gar nicht hieran – sondern deshalb, weil der Eindruck, den sie auf ihn hervorgebracht hatte, ihm ein Gefühl des Glückes und Stolzes verlieh.

Was aus alledem hervorgehen würde, das wußte er noch nicht und daran dachte er auch noch gar nicht. Er empfand, daß alle die Kräfte, welche er bisher vergeudete und verschwendete, sich jetzt in Einem konzentrierten und mit furchtbarer Energie einem glückverheißenden Ziele zustrebten.

Hierüber aber war er glücklich; er wußte nur das Eine, daß er ihr die Wahrheit gesagt hatte, er sei nur deshalb hier mitgefahren, weil sie hier sei, daß er alles Lebensglück, seinen einzigen Lebensgedanken jetzt nur noch darin finde, sie zu sehen, sie zu hören.

Als er in Bologowo ausstieg, um Selterswasser zu trinken und Anna erblickte, so sagte ihr das erste Wort aus seinem Munde das was er dachte. Und er freute sich darüber, daß er ihr dies gesagt hatte, daß sie es nun wisse und darüber nachdenken werde.

Er schlief die ganze Nacht hindurch nicht. Als er in den Waggon zurückgekommen war, ließ er ohne Aufhören wiederum alle Stellungen, in denen er sie gesehen hatte, an sich vorüberziehen und alle ihre Worte, und in seiner Einbildungskraft erschienen Gemälde einer möglichen Zukunft die ihm das Herz stocken ließen.

Nachdem er in Petersburg den Waggon verlassen hatte, fühlte er sich nach der schlaflosen Nacht erfrischt, wie neugeboren, gleich als käme er aus einem Kaltwasserbad.

Er blieb neben seinem Waggon stehen, um ihr Aussteigen abzuwarten.

„Noch einmal muß ich sie sehen,“ sprach er zu sich mit unwillkürlichem Lächeln, „noch einmal ihre Bewegungen sehen, ihr Gesicht anschauen; sie wird sprechen, den Kopf wenden, mich erblicken und vielleicht lächeln.“

Aber noch bevor er sie selbst erblickt hatte, gewahrte er ihren Gatten, welchen der Stationschef ehrfurchtsvoll durch das Gedränge begleitete.

„Ah, das ist ja der Gatte!“

Zum erstenmal erkannte jetzt Wronskiy klar, daß ein Mann, ein Gatte, ein mit ihr verbundenes Wesen existierte, er wußte jetzt, daß sie einen Gatten besaß, aber er vermochte nicht an sein Dasein zu glauben und überzeugte sich hiervon nicht früher, als bis er ihn gesehen hatte, mit seinem Kopf, den Schultern und den Beinen in schwarzen Pantalons; und nicht eher besonders, als bis er gewahrt hatte, wie dieser Mann im Gefühl seiner besonderen Eigenschaft, ruhig ihre Hand ergriffen hatte.

Als er diesen Aleksey Aleksandrowitsch mit seinem frischen petersburgischen Gesicht, der stolzen selbstbewußten Haltung, im runden Hute, dem etwas hohen Rücken gemustert hatte, glaubte er an ihn, empfand aber ein Gefühl des Unangenehmen, ähnlich dem, wie es ein Mensch empfinden würde, der von Durst gepeinigt an eine Quelle gelangt, und hier findet, daß an derselben ein Hund, ein Schöps oder Schwein gesoffen und das Wasser getrübt hat.

Der Gang Aleksey Aleksandrowitschs, welcher ein Wanken des ganzen Körpers auf den kurzen Füßen zeigte, berührte Wronskiy ganz besonders unangenehm.

Er empfand fast eine Art von unzweifelhafter Berechtigung dazu, sie allein zu lieben. Aber Anna blieb sich stetig gleich, und ihre Erscheinung wirkte noch immer so physisch belebend, erregend und sein Gemüt beglückend, auf ihn.

Er befahl jetzt einem deutschen Dienstmann zweiter Klasse, der zu ihm herantrat, sein Gepäck aufzunehmen und fortzubringen und begab sich zu ihr hin.

Er beobachtete das erste Begegnen des Gatten mit der Gattin und bemerkte mit dem durchdringenden Scharfblick des Liebenden die Kennzeichen einer gewissen leichten Gespanntheit, mit welcher sie mit dem Gatten sprach.

„Nein; sie liebt diesen Mann nicht, und sie kann ihn ja auch nicht lieben,“ entschied er vor sich selbst.

Während er sich im Rücken Anna Kareninas näherte, bemerkte er mit Vergnügen, daß sie gleichwohl seiner Annäherung inne geworden war und sich umgeblickt hatte. Als sie seiner ansichtig geworden war, hatte sie sich wieder ihrem Manne gewidmet.

„Habt Ihr die Nacht gut verbracht?“ frug Wronskiy, vor ihr eine Verbeugung machend, die auch gleichzeitig dem Gatten Annas galt und auszudrücken schien, daß Aleksey Aleksandrowitsch diese Verbeugung aufnehmen könne, wie er wolle, gleichviel ob er ihn kenne oder nicht.

„Ich danke Euch! Sehr gut,“ antwortete Anna Karenina.

Ihr Gesicht sah ermüdet aus und es weilte jetzt nicht jenes Tändeln des Lebensmuts auf ihm, welches bald in ihrem Lächeln, bald in ihren Blicken erschien; aber für eine Sekunde, als sie ihn anblickte, blitzte etwas in ihren Augen auf, wovon er, obwohl dieses Feuer sofort wieder erlosch, sich glücklich fühlte.

Sie schaute auf ihren Mann, um zu ergründen, ob er Wronskiy schon kenne. Aleksey Aleksandrowitsch blickte mißvergnügt auf Wronskiy, sich zerstreut erinnernd, wer dies sein könne.

Die Ruhe und Sicherheit Wronskiys traf hier mit dem kalten Selbstgefühl Aleksey Aleksandrowitschs zusammen, wie eine Sense auf einen Feldstein.

„Graf Wronskiy,“ sagte Anna.

„Ah! Wir sind ja wohl Bekannte scheint es,“ versetzte Aleksey, diesem die Hand reichend. „Mein Weib fuhr nach Moskau mit der Mutter und kehrt von da zurück mit dem Sohne,“ fuhr er fort mit einer Aussprache, so sorgfältig, als müsse er für jedes Wort einen Rubel geben. „Ihr kommt wahrscheinlich von Urlaub?“ frug er weiter und wandte sich dann, ohne eine Antwort abzuwarten, in scherzendem Tone an seine Gattin: „Wurden denn viel Thränen vergossen in Moskau beim Abschied?“

Mit dieser Bemerkung an Anna gab er Wronskiy zu verstehen, daß er nunmehr allein zu sein wünsche und berührte daher, sich nach diesem umwendend, seinen Hut, allein Wronskiy wandte sich an Anna Arkadjewna:

„Ich hoffe die Ehre haben zu können, Ihnen meine Aufwartung zu machen?“

Aleksey Aleksandrowitsch schaute mit blöden Blicken auf Wronskiy.

„Sehr angenehm,“ versetzte er kühl, „wir empfangen Montags.“ Er überließ hierauf Wronskiy ganz sich selbst und sagte zu seinem Weibe scherzend: „Wie gut doch, daß ich noch eine halbe Stunde freie Zeit hatte, um dich abholen zu können und dir damit meine Zärtlichkeit zu erweisen.“

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