Читать книгу «Кавказ и Чечня – обозрение европейских ученых. Kaukasus und Tschetschenien. Ein Überblick der europäischen Wissenschaftler» онлайн полностью📖 — Джабраила Муслимовича Мурдалова — MyBook.
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Es existiert nun bei den Tschetschenen eine Sage über den Ursprung ihres Volkes, die verschiedene Varianten aufweist. Se ist tatsächlich sehr verbreitet; mir wurde sie verschiedentlich erzählt. Ich gebe sie in der Form wieder, wie sie sich bei Semenow verzeichnet findet (Lit. Verz. 46, S. 209), da sie dort ausführlicher dargestellt ist, als ich sie hörte. Es handelt sich dabei um Übersetzung eines arabischen Textes, der von einem Mullah im Jahre 1828 niedergeschrieben wurde. Die Sage hat demnach folgenden Wortlaut:

Geschichte der Auswanderung des Stammes Nachtschu aus dem Dorf Nachtschuwan im 63. Jahr nach der Hedschra (also 685 n. Chr.).

Aus dem Dorf Nachtschuwan zogen drei Brüder aus: Abdul-Chan, Raschid-Chan und Hamsat-Chan, Söhne des Said-Ali-Schami, der seinerzeit den Titel Saiedul-Umarai-Sultanu-Salatini hatte, 100 Jahre lebte und in Schami starb. (Schami = Damaskus oder Syrien).

Nach dem Tode des Vaters ging ihre Fürsten- und Sultanswürde über in die Hände dazu nicht berechtigter. Infolgedessen flohen die Brüder nach Nachtschuwan. Aus Nachtschuwan gingen sie nach Kagysman, wo Verwandte des Vaters wohnten. Dort lebten sie 10 Jahre. Der jüngste Bruder starb daselbst. Von Kagysman siedelten Abdul-Chan und Raschid-Chan nach Arsuman über, wo sie 6 Jahre wohnten. Dort starb der zweite Bruder Raschid-Chan. Abdul-Chan übersiedelte nach Chalyb mit seiner Familie, die aus drei Söhnen, vier Töchtern, seinem Weibe und einem Neffen bestand. Hier heiratete Abdul-Chan die Tochter des Fürsten der Ungläubigen Albulat. Er ließ den Neffen in Chalyb zurück und zog mit der Familie an einen Ort, wo außer Wölfen und anderen wilden Tieren niemand weiter wohnte und wo der kleine Fluß Baschan (Baschan) floß. Dort errichtete verschiedene steinerne Türme. Von seinen dort geborenen Söhnen nannte er einen Baschan. Dort starb er auch 90 Jahre alt.

Nach Abdul-Chan blieben drei Söhre übrig: Scham-Chan, Said-Ali und Fachruddin und vier Töchter: Sagidat, Habisat, Fatimat und Sainab. Scham-Chan verheiratete im 153. Jahre nach der Hedschra seine Schwestern an Fürsten von Abasakan und nahm sich selbst bei ihnen ein Weib, die Tochter Surchais. Seiner Schwestern wegen entstand zwischen ihm und den Abasaken ein Streit, weshalb er und seine Brüder vom Baschan zu einem kleinen Fluß übersiedelten und dort ein Sohn geboren, den sie Argun nannten. SaidßAli blieb dort wohnen, für Fachruddin wählten sie als Wohnplatz BaimaßSawraini (in einem anderen Bericht heißt es Syrin-kort, der östliche der beiden Hügel südlich Grosny), Scham-Chan aber zog nach Naschach und wohnte dort in einem von ihm erbauten steinernen Turme. Das war im Jahre 213 nach der Hedschra. Scham-Chan starb in Naschach. Nach ihm bildeten sich in Naschach 13 Geschlechter. Argun, der Sohn Said-Alís, überließ seinen Wohnsitz seinen Brüdern und zog nach Machketi (in Itschkerien).

Weiter ist in dem Text die Rede von Dingen, die mit der Ausbreitung der Tschetschenen direkt nichts mehr zu tun haben, von Fürsten der Kalmüken in der Ebene, von vermutlich chasarischen Fürsten und von der Ausbreitung des Islam, Dinge, über die außerdem andere Berichte vorliegen.

Die Sage hat offensichtlich unter dem Einfluß des Islam ihre ursprüngliche Gestalt verloren. Sie ist ja auch gerade zur Zeit des Aufkommens des Müridismus im Daghestan niedergeschrieben. So werden zunächst die Namen der Helden in echt arabisch-mohammedanische umgewandelt sein, die ja auch heute als Vornamen bei den Tschetschenen so gut wie bei anderen mohammedanischen Völkern verwandt werden. Zu der Annahme ist man um so mehr berechtigt, als in einer andereb Form der Sage der Name des aus Damaskus auswandernden Stammvaters anders laulet, nämlich Turpal. Andere Namen aus den Stammessagen sind Molkcha oder Malkchu, dessen Sohn heißt Tinawin-wissu, seine Recken Tinielder, Termagalla, Guno-Karkaloi, Gardaseirik, Schirdi-Kanat u. a. (Berge, Lit. Verz. 3, S. 124).

Wenig Glauben verdienen auch die Zeitangaben. Da der Stammvater unbedingt ein Rechtgläubiger sein mußte, so konnte der ‚Schreiber der Sage die Auswanderung auch erst nach Mohammeds Wirken stattfinden lassen. Daß kleinere mohammedanische Völker ihre Vorfahren gern als echte Mohammedaner hinstellen und aus der Familie des Propheten, ist ja eine bekannte Erscheinung. Im Nibelungenliede gehen die Helden ja auch als fromme Christen zur Kirche. Bei den Tschetschenen ist es nun erwiesen, daß ihre Vorfahren erst vor rund 200 Jahren zum Islam bekehrt wurden.

Man hat die Sage aus diesen Gründen als für die Aufklärung der tschetschenischen Geschichte belanglos hingestellt, so Berge und Jakowlew9) (Lit. Verz. 19); ich glaube jedoch, daß man den geographischen Kern des Ganzen nicht völlig außer Acht lassen darf. Schon der Gleichklang des tschetschenischen Ethnikons «nachtschoi» (nachčoi) bzw. «nachtschuo» mit «Nachtschuwan» oder «Nachitschewan» sollte doch zu denken geben, wenn man nicht etwa umgekehrt annehmen will, daß erst auf Grund des Volksnamens «nachtschoi» die Sage den Ursprung des Volkes volksetymologisch nach Nachitschewan verlegt hat. (Außer der bekannten Stadt Nachitschewan am Araxes gibt es nach dem Ortsverzeichnis der 5 Werst-Karte noch ein Dorf Nachitschewan in der Nähe des in der Sage ebenfalls erwähnten Städtchens Kagysman in Zentralarmenien zwischen Eriwan und Kars.) Dazu kommt dann die bestimmte Nennung anderer armenischer bzw. nordostkleinasiatischer Orte, wie Arsuman (nach Semenow = Erserum=, und Chalyb. Ein Volk der Chalyber wohnte nach dem Zeugnis antiker Schriftsteller an der Südostküste des Schwarzen Meeres.

Diese Ortsangaben verdienen um so mehr Beachtung, als es feststeht, daß ein altkaukasisches Volk, die Moscher (Mos-cher) eben aus diesen Gegenden einst nach NO zog (Leonhard, Lit. Verz. 25, S. 295= wie ja überhaupt die engen Verbindungen der kaukasischen Welt mit Armenien und Vorderasien besonders in der Sprachforschung immer mehr hervortreten.

Der Landschafts- und Volksname Abasakan ist sicher gleichbedeutend mit Abchasien bzw. Abchasen. Nach Ansicht Semenows kann jedoch auch die Kabarda damit gemeint sein. Mit dem Flußnamen Bas-chan dürfte der Baksan gemeint sein, was für Kabarda sprechen würde.

Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit darauf, welch wertvolle Aufschlüsse eine genauere Untersuchung der geographischen Namen des Tschetschenen-Gebietes für die Sprach- und Geschichtsforschung noch bringen kann. Ich habe mich damit begnügen müssen, den Gleichklang tschetschenischer Ortsnamen mit nichttschetschenischen, bzw. nichtkaukasischen festzustellen und muß es Fachleuten überlassen, zu entscheiden, ob diese Übereinstimmungen vielsagend oder nichtssagend sind. Es sind reine Zufallsfunde, von denen ich hier einige erwähnen möchte. So gibt es nördlich vom See Esenßam einen Gebirgszug Kerket mit gleichnamigem Paß, über den die Straße von Wedeno in Itschkerien nach Botlich im andischen Daghestan führt. Der Name entspricht vollkommen dem antiken Namen Choi; eine gleichnamige Stadt gibt es am Urmia-See in Nordwestpersien. Nach Persien deutet ebenso ein nur wenige Kilometer vom tschetschenischen Dorfe Choi gelegener Ort Parsenoi. Der Name des Flusses Argun kommt, wie ich dem Ortsverzeichnis der 5 WerstßKarte entnehme, in den Kaukasusländern noch mehrfach vor, teils als Flußß, teils als Ortsname. (Lit. Verz. 48) Eigenartig sind die Übereinstimmungen gerade, was die Flußnamen anbelangt, mit Sibirien. Bekannt ist der Quellfluß des Amur, mit Namen Argun oder Ergune. Derartige Übereinstimmungen ließen sich noch viele anführen.

Bei Benutzung der russischen Karten ist freilich Vorsicht geboten, da sie die tschetschenischen Ortsnamen häufig stark verstümmelt wiedergeben. Als Beispiel führe ich die Namen einiger Ortsnamen bzw. Einzelfestungen in Mälchisti an wie sie auf der 5 Werst-Karte10) verzeichnet sind und wie sie in Wahrheit ausgesprochen werden.

Nach der 5 Werst-Karte Aussprache der Einw.

 
Džarego – Dža’re
Sachano – Sa’chen
Ikišlo – Ikilče
Teretego – Te’rtje
Muzo – Me’si
Bonisti – Bänist
Kagnjacho – K’e’gnjech
Banacho – Bana’ch
Kamalago – Koma’lche
Dorze – Do’dze
Bazdeti – Ba’ste
Ami – A’me
 

Oder im Nachbargau Maisti:

 
Pogo – Pu’hu
Togo – T’u’ga
 

Wenn diese Abweichungen nicht auf Unachtsamkeit der russischen Kartographen beruhen, so bleibt noch die Möglichkeit, daß die Ausprache der benachbarten Chewsuren maßgebend gewesen ist; für Džarego trifft dies jedenfalls zu, für die übrigen Orte habe ich es nicht mehr nachprüfen können. Außerdem sei noch folgende Abweichung erwähnt, die weniger auf Ungenaigkeit der Kartographen als vielmehr auf einem Mißverständnis beruhen dürfte. Die Karte verzeichnet Scharo’i, Schikaro’i, Santcho’i, Schato’i, usw., die Tschetschenen, die ich über diesen auffälligen Unterschied befragte, gaben mir folgende Erklärung, wenn ich die einfachen Leute recht verstanden habe. Das Dorf heiße an und für sich Schare, Schikare usw.; Scharoi, Schikaroi wäre indessen nicht direkt unrichtig, es bedeute nur nicht den Ort selbst, sondern die Bewohner desselben, deutsch ausgedrückt also die Schare’er usw. Die Bewohner oder der Dolmetscher der russischen Kartographen hätten eben die Frage, wie der Ort heiße, immer nach der Bewohnerschaft beantwortet. Vielleicht liegt der Grund auch darin, daß die Tschetschenen an und für sich eher sagen z. B. «Ich gehe zu den Schare’ern» als «Ich gehe nach Schare»; es würde sich das daraus erklären, daß ja die Bewohnerschaft eines Gebirgsauls viel mehr eine geschlossene Einheit darstellt, als wir es aus unseren Verhältnissen heraus uns vorstellen können; gehört doch vielfach die gesamte Einwohnerschaft ein und derselben Familie an, die mithin geschlossen, sei es feindlich, sei es freundlich, den anderen Aulen bzw. Familien gegenübersteht. Ich möchte diese Ansichten jedoch nur mit größter Vorsicht äußern, da ich keine näheren Untersuchungen darüber angestellt habe.

Im übrigen haben sich die Leute vielfach schon auf die russische Benennungsweise ihres Ortes eingestellt und nennen ihn dem Fremden gegenüber nach Art der Russen. Das gilt auch für den Volksnamen Nachtschoi. Dem Fremden gegenüber bezeichnet man sich als Tschetschene. In den abgelegenen Gebirgstälern freilich erhält man weder die eine noch die andere Antwort. Das Nationalitätsbewußtsein ist hier noch ganz unentwickelt, von einem Nationalgefühl im westeuropäischen Sinne natürlich ganz zu schweigen. Der Gebirgler bezeichnet sich eben nur als Mitglied dieses oder jenes Dorfes bzw. Sippe oder Großfamilie und sieht auch um sich herum nur solche verschiedenen Sippen; das Verständnis für den übergeordneten Begriff des Volkes ist ihm in seinem abgeschlossenen Tal noch nicht aufgegangen.

Mit der Ankunft des Stammes auf kaukasischem Boden, über die uns die erwähnte Sage vielleicht einen Anhaltspunkt gibt, beginnt der zweite Abschnitt der Geschichte des Volkes. Hierüber liegen nun bedeutend sicherere Nachrichten vor, wenn dieselben auch ausschließlich aus mündlichen Familienüberlieferungen bestehen mit all ihren Unsicherheiten besonders bezüglich der Zeitangaben. Diese Unsicherheit scheint, aber nicht in dem Maße für den geographischen Inhalt der Überlieferungen zu gelten, der uns hier hauptsächlich interessiert; es herrscht in dieser Beziehung nämlich in den verschiedenen Überlieferungen auffällige Übereinstimmung.

Die folgenden Angaben enthalten das wesentlichste aus einigen hierüber erfolgten Veröffentlichungen, teils von gebürtigen Tschetschenen, wie Laudajew, teils von gebürtigen Tschetschenen, wie Laudajew, teils von im Tschetschenengebiet tätig gewesenen russischen Beamten wie Ippolitow und Popow. (Lit. Verz. 24, 33. 47).

In diesem zweiten Abschnitt der tschetschenischen Geschichte handelt es sich vor allem um die Ausbreitung über das von ihnen heute eingenommene Gebiet. Hierbei lassen sich drei Phasen unterscheiden.

Als Ausgangspunkt melden die Überlieferungen mit großer Übereinstimmung den Ort (vielleicht ist es auch als Gauname aufzufassen) Naschach oder Naschache, also denselben Boden bezeichnet wird. Ein Dorf Naschache existiert heute noch und zwar im östlichen Teile des Gaues Galantschotsch oder Akki. Außerdem ist das Wort noch erhalten im Namen des Kalkgebirgsmassivs Naschacho-lam, der den Gau nach N gegen das niedere Waldgebirge abschließt. Zu den ältesten Siedlungen gehört auch Maisti. Beide Orte erfreuten sich noch lange großen Ansehens unter den Tschetschenen; besonders in strittigen Fragen des Adats, des Gewohnheitsrechtes, sollen die weisen Alten dieser Orte als letzte Instanz gegolten haben. Als älteste Gaue werden ferner genannt Childecheroi, Tschanti (Gegend von Itum-Kale). Recht früh scheinen auch die Gebiete von Scharoi, Schatoi und Tschaberloi eingenommen worden zu sein.

In größerem Abstande scheint dann erst die zweite Phase der Ausbreitung eingesetzt zu haben, die nach dem niedrigen Waldgebirge gerichtet war, vor allem ostwärts nach Itschkerien und Auch. Die Gründung der Dörfer in Itschkerien, als deren älteste Ersenoi, Agaschpatoi, Zontoroi genannt werden, soll nach den Ermittlungen Popows vor 600, 800 oder gar 1000 Jahren erfolgt sein, Zeitangaben, die naturgemäß höcht unsicher sind. Es würde das ungefähr mit der Blütezeit des georgischen Reiches unter der Königin Tamara (im 12. Jahrhundert) zusammenfallen. Vielleicht ist die Machtentfaltung der Georgier nach allen Seiten mit ein Anlaß gewesen zur Wanderung der Tschetschenen nach O. Daß der georgische Eibfluß sich damals auch auf den Nordhang des Kaukasus erstreckte, ist durch die Kirchenruine Tzchaba-Erdi unweit der tschetschenischen Grenze in Inguschen erwiesen, die im georgischen Stil des. 9. Jahrhunderts gehalten ist (Genaue Beschreibung bei Vsevolod Miller, Lit. Verz. 29), u. a. auch noch durch eine Inschrift in georgischen Buchstaben an einem alten Totenhause in einem Seitentale der Assa in Inguschien, die von Prof. Jakowlew gefunden wurde. (Lit. Verz. 19, S. 20). Der Gau Auch ist dabei ausschließlich von Leuten aus Akki (Galantschotsch) besiedelt worden; die Auch-Leute nennen sich selbst auch heute noch Akki.

Nach der Überlieferung sollen auch die Inguschen und die Karabulaken vom Zentrum Naschache aus in ihre heutigen Sitze gelangt sein.

Damit war die Besiedlung des tschetschenischen Berggebietes vollendet. Erst in weitem Abstande folgte die dritte und letzte Phase der Ausbreitung, nämlich die Besiedelung der Ebene. Sie begann etwa um den Anfang des 18. Jahrhunderts. Zur freiwilligen Besiedlung trat nach Beendigung der kaukasischen Kriege noch die unruhigen Tschetschenen hier besser beobachten konnte, als es in den Bergen möglich war. Auch heute dauert die Auswanderung nach der Ebene noch an, auch jetzt veranlaßt und gefördert durch die Regierung. Es handelt sich um die reichen Ländereien, die den sowjetfeindlichen Kosakenstanizen längs der Ssunscha gehört hatten und nach deren Vernichtung den Gebirglern zur Verfpgung gestellt wurden. Man will damit dem empfindlichen Mangel an brauchbarem Ackerland in den höheren Bergen steuern. Ebenso verfährt man jetzt in den anderen autonomen Republilken, besonders in der daghestanischen.

Die Ausbreitung der Tschetschenen hat die Ssunscha-Ebene schon hinter sich gelassen. Eine Reihe von Aulen befindet sich schon jenseits der niedrigen Höhenzüge längs des Terek. Ebenso gibt es einige auf daghestanischem Gebiet in der Kumüken-Ebene, deren Bewohner sich 1917/18 durch Vernichtung der dortigen blühenden deutschen Kolonistendörfer einen traurigen Ruhm erworben haben.

Nun darf natürlich nicht angenommen werden, daß die Ausbreitung der Tschetschenen zu dem heutigen Volkskörper ganz aus einiger Kraft erfolgt wäre, sondern es steht fest, daß sie dabei im Laufe der Zeit viele fremde Bestandteile in sich aufgenommen haben. Es wird dies wiederum durch die Familienüberlieferungen bestätigt. Sehr stark sind dabei georgische Volkselemente beteiligt gewesen, d. h. solche der Berggeorgier und unter diesen werden besonders die Tuschen erwähnt. Deren Einfluß ist stark spürbar im Scharo-Argun-Gebiet, aber auch weiter abwärts, z. B. im Gebiet von Schatoi. Mir war dort ein Mann durch seine ausgeprägt georgische Physiognomie aufgefallen. Es erwies sich auch, daß seine Familie tatsächlich georgischen Ursprungs, aber längst tschetschenisiert war. Andere Familien wieder sind daghestanischen Ursprungs, auch kumükischen, persischen u. a. Eine Familie will sogar firengischer, d. h. westeuropäischer, eine andere wieder griechischer Abstammung sein.

Als Grund für das häufige Einströmen fremder Elemente in den tschetschenischen Volksköper wird gewöhnlich angegeben, daß dieselben bei den Tschetschenen, die stets ein demokratisches Volk ohne ständische Gliederung gewesen seien – sie unterscheiden sich noch heute, d. h. bis zur Revolution, darin von den anderen kaukasischen Bergvölkern —, vor der Bedrückung durch eigene oder fremde Gewalthaber Zuflucht gesucht hätten. Es werden vermutlich auch solche darunter gewesen sein, die sich der Strafe für irgend welche Vergehen entziehen wollten.

Man wird vor allem auch annehmen müssen, daß die Tschetschenen bei ihrem Vordringen nach O in ein z. T. wenigstens schon besiedeltes Gebiet kamen. Vielleicht wohnten schon daghestanische Stämme dort. Laudajew erwähnt jedenfalls ausdrücklich (S. 11 u. 12), daß das Land awarischen Chanen gehört hätte, von deren Zinsherrschaft die Tschetschenen sich erst im Laufe der Zeit freigemacht hätten, zumal die Aucher. Auch heute noch wohnt der awarische Stamm der Salauter am Nordlang der Andischen Kette; jedoch nur in einem etwa 30 km breiten Streifen westlich des Ssulak; westlich des Aktasch wohnen nur Tschetschenen.

Die Volkszahl der Tschetschenen dürfte also früher viel geringer gewesen sein als heute, und damit auch ihre politische Bedeutung.

In der Ssunscha-Ebene wohnten vor den Tschetschenen auch schon Russen. Semenow schreibt ausdrücklich S. 206: «Aus vielen Anzeichen geht zweifelsfrei hervor, daß seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auf tschetschenischem Gebiete auch orthodoxe Russen siedelten». Als dieselben, wohl aus Sicherheitsgründen, sich hinter den Terek zurückzogen, folgten die Tschetschenen nach. Eine Vermischung mit ihnen erfolgte jedenfalls nicht.

Beim Vordringen in die Ebene hatten die Tschetschenen Reibereien mit den Kalmüken, teilweise auch – im W – mit den Kabardinern. Von einer Verschmelzung mit jenen istnichts verlautet. Rein mongolische Merkmale habe ich z. B. unter den Tschetschenen nicht beobachtet.

Die Kurgane schreiben sie einem Volke Ani zu, das einst in der Ebene gewohnt haben soll. Der Name des Feldes Ani-irsau südwestlich Urus-Martan erinnert daran. (G. A. Wertepow, Lit. Verz. 41, S. 11—21).