»Was das Innere des Hauses betrifft, so kann ich jedoch hierüber keinen so günstigen Bericht erstatten. Die Zimmer im westlichen Teile, welche während der Zeit von Kapitän Trevertons Anwesenheit bewohnt und später von den mit der Aufsicht über das Haus beauftragten Personen gut in Ordnung gehalten worden, befinden sich in ganz leidlichem Zustande. Zweihundert Pfund würden, glaube ich, hinreichen, um die Kosten für alle in mein Fach schlagenden Reparaturen, deren diese Zimmer bedürfen, zu decken. Diese Summe würde jedoch nicht die Wiederherstellung der westlichen Treppe einschließen, die an mehreren Stellen zusammengebrochen und deren Geländer vom ersten bis zum zweiten Absatze sehr unsicher ist. Fünfundzwanzig bis dreißig Pfund würden jedoch genügen, um auch hier alles wieder in gehörige Ordnung zu bringen.
»In den Zimmern der Nordseite ist der Zustand von Verfall in jeder Beziehung so arg, als er nur sein kann. So viel ich habe ermitteln können, ist zu Kapitän Trevertons Zeit niemals jemand diesen Zimmern zu nahe gekommen und auch später sind sie von keinem Menschen betreten worden. Die Leute, welche jetzt das Haus bewohnen, haben eine abergläubische Furcht, irgend eine der nördlichen Türen zu öffnen, weil gar zu lange Zeit verstrichen ist, seitdem kein lebendes Wesen sie passiert hat. Niemand erbot sich, mich bei meiner Musterung zu begleiten und niemand konnte mir sagen, welche Schlüssel zu den Zimmertüren in irgend einem Teile des nördlichen Flügels gehörten. Ich fand auch keinen Plan, der die Namen oder Nummern dieser Zimmer enthalten hätte, und ebenso wenig waren zu meiner Überraschung Nummern oder Aufschriften an den einzelnen Schlüsseln befestigt. Man gab sie mir alle an einem großen Ringe hängend, mit einem Elfenbeintäfelchen daran, auf welchem bloß die Worte: ‚Schlüssel zu den nördlichen Zimmern’ zu lesen waren.
»Ich nehme mir die Freiheit, diese Einzelheiten zu erwähnen, um zu erklären, weshalb ich, wie Sie vielleicht glauben, meinen Aufenthalt in Porthgenna Tower länger ausgedehnt habe als es nötig war. Ich brachte beinahe einen ganzen Tag damit zu, die Schlüssel von dem Ringe abzunehmen und sie aufs Geratewohl in die Schlösser der Türen einzupassen. Ebenso war ich einige Stunden des nächstfolgenden Tages damit beschäftigt, jede Tür auswendig mit einer Nummer zu versehen und eine eben solche an jedem Schlüssel zu befestigen, ehe ich ihn wieder in den Ring brachte, um der Möglichkeit fernerer Irrtümer und Weitläufigkeiten vorzubeugen.
»Da ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen einen speziellen Anschlag über die in dem nördlichen Teile des Schlosses vom Erdgeschoß an bis unter das Dach notwendigen Reparaturen vorzulegen, so brauche ich hier bloß noch zu sagen, daß diese Reparaturen einige Zeit in Anspruch nehmen und von sehr ausgedehnter Art sein werden. Die Balken des ersten Stockwerks sind von der Trockensäule angegriffen. Die Feuchtigkeit in einigen Zimmern und die Ratten in andern haben das Wandgetäfel fast ganz zerstört. Vier der Kaminsimse haben sich von der Wand gelöst und die Zimmerdecken sind entweder mit Moderflecken bedeckt, oder geborsten, oder in ausgedehntem Maße abgebröckelt. Der Fußboden ist im Allgemeinen in besserem Zustande als ich erwartet hatte, die Fensterläden und Rahmen aber haben sich so krumm gezogen, daß sie nicht mehr zu gebrauchen sind.
»Ich halte es für meine Pflicht zu erklären, daß die Kosten für Instandsetzung aller dieser Dinge – das heißt um diese Zimmer sicher und bewohnbar zu machen und sie in geeignetem Zustand für den Tapezierer zu setzen – sehr beträchtlich sein werden. Ich möchte mir daher für den Fall, daß Sie von der Summe meines Kostenanschlages überrascht oder unzufrieden damit sind, den Vorschlag erlauben, daß Sie mir einen Freund, in welchen Sie Vertrauen setzen, namhaft machen, damit derselbe mit meinem Anschlage in der Hand mich auf einem Gange durch die nördlichen Zimmer begleite. Ich mache mich anheischig, dann, dafern es gewünscht wird, die Notwendigkeit jeder einzelnen Reparatur und die Richtigkeit jedes besondern Ansatzes für dieselbe zur Zufriedenheit jedes unparteiischen Sachverständigen, den Sie deshalb zu beauftragen belieben, nachzuweisen.
»In der Hoffnung, Ihnen diesen Kostenanschlag binnen einigen Tagen übersenden zu können, bin ich Ihr gehorsamster Diener
»Thomas Horlock.«
»Das ist ein sehr ehrlicher, gerade mit der Sprache herausgehender Brief,« sagte Mr. Frankland.
»Ich wollte, der Baumeister hätte den Kostenanschlag gleich mitgeschickt,« sagte Rosamunde. »Warum konnte der fatale Mann uns nicht sogleich in runder Summe sagen, was die Reparaturen wirklich kosten werden?«
»Ich vermute, liebe Rosamunde, er hat gefürchtet, uns zu erschrecken, wenn er uns den Betrag in runder Summe nennt.«
»Das abscheuliche Geld! Es kommt einem immer in den Weg und vereitelt alle Pläne. Wenn wir nicht genug haben, so wollen wir welches von jemand borgen. Gedenkst du einen Freund nach Porthgenna zu schicken, damit derselbe das Haus mit Mr. Horlock besichtige? Wenn dies der Fall wäre, so wüßte ich, wen du schicken könntest.«
»Wen denn?«
»Mich, wenn du willst – natürlich unter deiner Eskorte. Lache nur nicht, Lenny; ich würde Mr. Horlock scharf ins Gebet nehmen, gegen jeden seiner Ansätze Einspruch erheben und ihn unerbittlich in die Enge treiben. Ich sah einmal einen Taxator ein Haus durchgehen und weiß ganz genau, was dabei zu tun ist. Man stampft mit dem Fuße auf die Diele und pocht an die Wände und kratzt an der Mauer und guckt alle Kamine hinauf und zu allen Fenstern hinaus – zuweilen macht man Notizen in ein kleines Buch, zuweilen mißt man mit einer Schmiege, zuweilen setzt man sich plötzlich nieder und versinkt in tiefes Nachdenken – und das Ende von allem ist, daß man sagt, das Haus werde sich sehr gut machen, wenn der Besitzer den Beutel ziehen und es in gehörigen Stand setzen lassen wolle.«
»Sehr gut, Rosamunde. Du besitzest noch ein Talent mehr als ich wußte und ich glaube, ich habe nun keine andere Wahl, als dir Gelegenheit zu geben, es zu entwickeln. Ich habe nichts dagegen, Rosamunde, daß du mit einem Manne vom Fache als Beistand die wichtige Aufgabe übernimmst, Mr. Horlocks Kostenanschlag soviel als möglich zu reduzieren; ich habe nichts dagegen, daß du sobald du Lust hast, einen kurzen Besuch in Porthgenna machst – besonders da ich jetzt weiß, daß die westlichen Zimmer noch bewohnbar sind.«
»O wie freundlich von dir! Welches Vergnügen wird mir dies machen! Ich werde mich freuen, das alte Haus noch einmal zu sehen, ehe Veränderungen damit vorgenommen werden! Ich war erst fünf Jahre alt, Lenny, als wir Porthgenna verließen, und ich bin höchst neugierig zu sehen, was ich mir davon nach einer so langen, langen Abwesenheit noch gemerkt habe. Weißt du wohl, daß ich von jenem verfallenen nördlichen Flügel des Hauses nie etwas gesehen? Und doch bin ich so ganz vernarrt in altertümliche Zimmer. Wir wollen sie alle durchwandern, Lenny. Du sollst dich an meine Hand halten und mit meinen Augen sehen und ebenso viele Entdeckungen machen wie ich. Ich prophezeie, daß wir Gespenster sehen und Schätze finden und geheimnisvolle Geräusche hören werden. Und, o Himmel! welche Staubwolken werden wir durchzumachen haben. – Uff! Schon der Gedanke daran droht mich zu ersticken.«
»Jetzt, da wir einmal auf Porthgenna zu sprechen gekommen sind, Rosamunde, laß uns einen Augenblick lang ernsthaft sein. Mir ist es klar, daß diese Reparatur der nördlichen Zimmer eine bedeutende Summe Geldes kosten wird. Nun aber, liebe Rosamunde, betrachte ich keine Summe, wie groß sie auch sein möge, als übel angewendet, dafern sie dir Vergnügen verschafft. Ich bin mit Herz und Seele bei dir –«
Er schwieg. Die liebkosenden Arme seines Weibes schlangen sich wieder um ihn und ihre Wange lehnte sich sanft an die seine.
»Sprich weiter, Lenny,« sagte sie mit einem solchen Ausdruck von Zärtlichkeit in diesen drei einfachen Worten, daß ihm für den Augenblick die Sprache versagte und sein ganzes Gefühl in den einen Luxusgenuß des Hörens versenkt zu sein schien.
»Rosamunde,« flüsterte er, »es gibt in der Welt keine Musik, die mich so berührte, wie deine Stimme mich jetzt berührt. Ich fühle sie durch mein ganzes Sein hindurch, wie ich zuweilen zu der Zeit, wo ich noch sehen konnte, des Nachts den Himmel zu fühlen pflegte.«
Während er sprach, schlossen die liebkosenden Arme sich fester um seinen Hals und die brennenden Lippen nahmen die Stelle ein, wo bis jetzt die Wange gelegen.
»Sprich weiter, Lenny,« wiederholten sie jetzt nicht bloß zärtlich, sondern glücklich; »Du sagtest, du wärest mit Herz und Seele bei mir – worin?«
»In deinem Plane, liebe Rosamunde, deinen Vater zu bewegen, sich nach seiner letzten Reise von seinem Beruf zurückzuziehen, und in deiner Hoffnung, ihn zu überreden, den Abend seiner Tage glücklich bei uns in Porthgenna zu verleben. Wenn das Geld, welches für die Instandsetzung der nördlichen Zimmer zu verwenden wäre, damit wir alle in Zukunft darin leben könnten, die Erscheinung dieses Hauses in seinen Augen wirklich so veränderte, daß dadurch die alten, kummervollen Erinnerungen, die sich für ihn daran knüpfen, zerstreut würden und das Wohnen dort ihn wieder zur Freude anstatt zur Qual gereichte, so würde ich das Geld als das gut angewendet betrachten. Aber, Rosamunde, bist du des Gelingens deines Planes, ehe wir denselben in Angriff nehmen, auch gewiß? Hast du gegen deinen Vater hinsichtlich unserer Pläne mit Porthgenna irgend eine Andeutung fallen lassen?«
»Ich sagte ihm, Lenny, daß ich mich nicht eher ganz zufrieden fühlen würde, als bis er die See verließe und seinen Wohnsitz bei uns nähme – und er sagte, er wolle es tun. Über Porthgenna erwähnte ich kein Wort – er auch nicht – aber er weiß, daß wir dort wohnen werden, wenn wir uns häuslich einrichten, und er stellte keine Bedingungen als er versprach, daß unsere Heimat auch seine Heimat sein solle.«
»Ist der Verlust deiner Mutter die einzige traurige Erinnerung, die er an diesen Platz hat?«
»Nicht ganz. Es gibt auch noch etwas, was niemals erwähnt worden ist, aber was ich dir erzählen kann, weil keine Geheimnisse zwischen uns bestehen dürfen. Meine Mutter hatte nämlich eine Lieblingsdienerin, welche von der Zeit ihrer Verheiratung an bei ihr gewesen und die zufällig die einzige im Zimmer anwesende Person war, als sie starb. Ich entsinne mich noch dieses Frauenzimmers in unklarer kindischer Weise. Sie war sonderbar in ihrer äußern Erscheinung und in ihrem Benehmen, und kein großer Günstling bei irgend jemand im Hause, ausgenommen bei ihrer Herrin. An dem Morgen des Todestages meiner Mutter verschwand diese Dienerin nun auf die seltsamste Weise aus dem Hause, indem sie einen höchst eigentümlichen und geheimnisvollen Brief an meinen Vater zurückließ, worin sie behauptete, es sei ihr in den letzten Augenblicken meiner sterbenden Mutter ein Geheimnis anvertraut worden, welches sie beauftragt sei, ihrem Herrn mitzuteilen, sobald ihre Herrin nicht mehr wäre. Sie fügte hinzu, sie scheue sich, von diesem Geheimnis zu sprechen, und um allem Ausfragen darnach auszuweichen, habe sie beschlossen, das Haus auf immer zu verlassen. Sie war auch wirklich schon einige Stunden fort, als der Brief gefunden und geöffnet ward, und man hat seit dieser Zeit nie wieder etwas von ihr gesehen oder gehört. Dieser Umstand schien auf das Gemüt meines Vaters einen fast ebenso starken Eindruck zu machen wie der Tod meiner Mutter. Unsere Nachbar- und Dienstleute glaubten alle – ebenso wie ich – daß diese Person nicht recht bei Verstande gewesen sei, mein Vater aber war dieser Ansicht nicht und ich weiß, daß er den Brief von jener Zeit an bis jetzt weder vernichtet noch vergessen hat.«
»Ein seltsamer Umstand, Rosamunde – ein sehr seltsamer Umstand und ich wundre mich nicht, daß derselbe einen dauernden Eindruck auf ihn gemacht hat.«
»Verlaß dich darauf, Lenny, die Diener und die Nachbarn hatten Recht – das Weib war nicht recht bei Sinnen. Auf jeden Fall war es aber ein eigentümliches Ereignis in unserer Familie. Alle alten Häuser haben ihre Romantik und dies ist die Romantik unseres Hauses. Es sind aber seitdem viele Jahre vergangen und teils in Folge der Zeit, teils in Folge der Veränderungen, die wir vorzunehmen in Begriff stehen, fürchte ich nicht, daß mein guter, lieber Vater unsere Pläne vereiteln werde. Gib ihm einen neuen nördlichen Garten in Porthgenna, wo er, wie er es nennt, auf dem Deck herumspazieren kann – gib ihm neue nördliche Zimmer, um darin zu wohnen – und ich stehe für das gute Ergebnis. Doch alles dies gehört der Zukunft an; laß uns jetzt zur Gegenwart zurückkehren. Wann werden wir unsern fliegenden Besuch in Porthgenna machen, Lenny, und uns in die wichtige Aufgabe stürzen, Mr. Horlocks Kostenanschlag über die Reparaturen in gehörige Schranken zu bannen?«
»Wir haben noch drei Wochen hier zu bleiben, Rosamunde.«
»Ja, und dann müssen wir nach Long Beckley zurückkehren. Ich versprach jenem besten und dicksten aller Männer, dem Vikar, daß wir unsern ersten Besuch bei ihm abstatten würden. Unter drei Wochen oder einem Monat läßt er uns ganz gewiß nicht fort.«
»In diesem Falle wird es am besten sein, wenn wir sagen, daß unser Besuch in Porthgenna in zwei Monaten, von jetzt an gerechnet, stattfinden solle. Ist deine Schreibmappe im Zimmer, Rosamunde?«
»Ja, sie liegt dicht neben uns auf dem Tische.«
»Nun dann schreib an Mr. Horlock und bestimme eine Zusammenkunft nach zwei Monaten in dem alten Hause. Sage ihm auch, da wir uns unsicheren Treppen nicht anvertrauen könnten – besonders in Erwägung, daß ich auf Geländer angewiesen bin – so solle er die westliche Treppe unverweilt in Stand setzen lassen. Und da du dann einmal die Feder in der Hand hast, so wird es dir vielleicht künftige Mühe sparen, wenn du gleich ein zweites Briefchen an die Haushälterin in Porthgenna schreibst und ihr meldest, wenn sie uns erwarten kann.«
Rosamunde setzte sich heiter an den Tisch und tauchte mit einer kleinen triumphierenden Bewegung die Feder in die Tinte.
»In zwei Monaten,« rief sie fröhlich, »in zwei Monaten soll ich den lieben alten Ort wiedersehen! In zwei Monaten, Lenny, werden unsere profanen Füße in den Einöden der nördlichen Zimmer den Staub aufwirbeln.«
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