Man darf jedoch nicht glauben, daß Wilhelm je vergaß, daß die Beschützung des reformirten Glaubens seine specielle, seine erbliche Mission war. Er wendete seinen Einfluß auf die katholischen Fürsten beständig und nachdrücklich zu Gunsten ihrer protestantischen Unterthanen an. Im Frühjahr 1691 wurden die lange und grausam verfolgten und ihres Lebens überdrüssigen waldensischen Hirten durch frohe Botschaften überrascht. Diejenigen, welche wegen Ketzerei im Gefängniß schmachteten, kehrten in ihre Heimath zurück. Kinder die ihren Eltern entrissen worden waren, um von Priestern erzogen zu werden, wurden ihren Angehörigen zurückgegeben. Gemeinden, die sich bisher nur heimlich und mit der größten Gefahr hatten versammeln können, verehrten jetzt Gott am hellen Tage, ohne von Jemandem belästigt zu werden. Diese einfachen Gebirgsbewohner erfuhren wahrscheinlich niemals, daß ihr Schicksal im Haag besprochen worden war und daß sie ihr häusliches Glück und den ungestörten Besuch ihrer bescheidenen Tempel dem Einflusse verdankten, den Wilhelm auf den Herzog von Savoyen ausübte.8
Keine Coalition, deren Andenken die Geschichte uns aufbewahrt, hat ein geschickteres Oberhaupt gehabt als Wilhelm es war. Aber selbst Wilhelm kämpfte oft vergebens gegen die Mängel an, welche allen Coalitionen von Natur eigen sind. Kein Unternehmen, das ein herzliches und dauerndes Zusammenwirken vieler unabhängiger Staaten erfordert, verspricht einen gedeihlichen Fortgang. Eifersüchteleien entstehen unvermeidlich; Streitigkeiten erzeugen neue Streitigkeiten. Jeder Bundesgenosse fühlt sich versucht, einen Theil der Last, die er selbst tragen sollte, auf Andere zu wälzen. Kaum Einer stellt ehrlich das versprochene Contingent, kaum Einer hält pünktlich den bestimmten Tag ein. Aber vielleicht keine Coalition, welche je existirt hat, war in so fortwährender Gefahr der Auflösung als die, welche Wilhelm mit unendlicher Mühe gebildet hatte. Die lange Liste der Potentaten, die in Person oder durch Bevollmächtigte vertreten, im Haag zusammenkamen, nahm sich in den Zeitungen vortrefflich aus. Die Masse der von bunten Garden und Lakaien umgebenen fürstlichen Equipagen gewährte unter den Linden des Voorhout einen ganz prächtigen Anblick. Aber gerade die Umstände, welche den Congreß glänzender machten als andere Congresse, machten die Conföderation schwächer als andere Conföderationen. Je zahlreicher die Alliirten, um so zahlreicher waren die Gefahren, welche der Allianz drohten. Es war unmöglich, daß zwanzig Regierungen, welche durch Rang-, Gebiets-, Handels- oder Religionsstreitigkeiten veruneinigt waren, lange in vollkommener Harmonie zusammenhandeln konnten. Daß sie mehrere Jahre lang wenigstens in unvollkommener Harmonie zusammenhandelten, ist lediglich der Klugheit, Geduld und Festigkeit Wilhelm’s zuzuschreiben.
Die Lage seines mächtigen Feindes war eine ganz andre. Die Hülfsquellen der französischen Monarchie kamen zwar den vereinten Hülfsquellen England’s, Holland’s, des Hauses Oesterreich und des deutschen Reichs nicht gleich, waren aber doch sehr achtunggebietend, denn sie waren alle in einer Hand vereinigt und standen alle unter der unumschränkten Leitung eines einzigen Geistes. Ludwig konnte mit zwei Worten soviel erreichen als Wilhelm kaum durch zweimonatliche Unterhandlungen in Berlin, München, Brüssel, Turin und Wien zu Stande bringen konnte. Deshalb war Frankreich in effectiver Stärke allen gegen dasselbe verbündeten Staaten zusammen gewachsen. Denn in der politischen Welt kann, wie in der natürlichen Welt, zwischen zwei ungleichen Körpern eine Gleichheit der Wirkung stattfinden, wenn der an Gewicht geringere Körper an Geschwindigkeit überlegen ist.
Dies zeigte sich bald in augenfälliger Weise. Im März trennten sich die im Haag versammelt gewesenen Fürsten und Gesandten, und kaum waren sie auseinandergegangen, so wurden alle ihre Pläne durch eine kühne und geschickte Bewegung des Feindes über den Haufen geworfen.
Ludwig sah wohl ein, daß die Zusammenkunft des Congresses einen großen Eindruck auf die öffentliche Meinung in Europa machen werde. Diesen Eindruck beschloß er durch einen plötzlichen und furchtbaren Schlag zu zerstören. Während seine Feinde die Zahl der Truppen, welche jeder von ihnen stellen sollte, festsetzten, ließ er zahlreiche Divisionen seiner Armee von weit entfernten Punkten gegen Mons marschiren, das eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste der Festungen war, welche die spanischen Niederlande vertheidigten. Sein Vorhaben wurde erst entdeckt, als es fast schon ausgeführt war. Wilhelm, der sich auf einige Tage nach Loo zurückgezogen hatte, erfuhr mit Erstaunen und mit größtem Verdrusse, daß sich Cavallerie, Infanterie, Artillerie und Pontons auf verschiedenen convergirenden Straßen der dem Verderben geweihten Stadt rasch näherten. Es waren hunderttausend Mann zusammengezogen worden, und Louvois, im Verwaltungsfache der Erste seiner Zeit, hatte reichlich für alle Kriegsbedürfnisse gesorgt. Das Commando führte Luxemburg, der erste der lebenden Generäle, und die wissenschaftlichen Operationen leitete Vauban, der erste der lebenden Ingenieurs. Damit nichts fehlte, um in allen Reihen eines tapferen und loyalen Heeres einen edlen Wetteifer zu entzünden, war der große König selbst von Versailles nach dem Lager abgereist. Wilhelm hatte indessen noch eine schwache Hoffnung, daß es möglich sein könne, die Belagerung aufzuheben. Er eilte nach dem Haag, setzte alle Truppen der Generalstaaten in Bewegung und schickte Eilboten an die deutschen Fürsten. Schon drei Wochen nachdem er die erste Kunde von der drohenden Gefahr erhalten, stand er an der Spitze von funfzigtausend Mann Truppen verschiedener Nationen in der Nähe der belagerten Stadt. Eine an Zahl überlegene, von einem Feldherrn wie Luxemburg befehligte Armee anzugreifen, war ein kühnes, fast verzweifeltes Unternehmen. Wilhelm aber war so entschieden der Meinung, daß der Fall von Mons ein fast nicht wieder gutzumachendes Unglück und eine unauslöschliche Schmach sein würde, daß er sich entschloß, sein Heil zu versuchen. Er war überzeugt, daß der Ausgang der Belagerung die Politik der Höfe von Stockholm und Kopenhagen bestimmen werde. Diese beiden Höfe schienen seit Kurzem geneigt, der Coalition beizutreten; wenn aber Mons fiel, blieben sie gewiß neutral oder wurden vielleicht gar Feinde. „Es ist ein großes Wagniß,” schrieb er an Heinsius, „doch bin ich nicht ohne Hoffnung. Ich werde thun was möglich ist, der Ausgang liegt in Gottes Hand.” An dem nämlichen Tage, an welchem dieser Brief geschrieben wurde, fiel Mons. Die Belagerung war energisch betrieben worden. Ludwig selbst war, obgleich am Podagra leidend, mit dem Beispiele körperlicher Anstrengung vorangegangen. Seine Haustruppen, das schönste Soldatencorps in Europa, hatten unter seinen Augen sich selbst übertroffen. Die jungen Cavaliere seines Hofes hatten seinen Blick auf sich zu lenken gesucht, indem sie sich dem heftigsten Feuer mit der nämlichen sorglosen Heiterkeit aussetzten, mit der sie gewohnt waren, ihre eleganten Gestalten bei seinen Ballfesten zu zeigen. Seine verwundeten Soldaten waren entzückt über die herablassende Leutseligkeit, mit der er zwischen ihren Betten umherging, den Chirurgen beim Verbinden der Wunden zusah und zum Frühstück einen Napf Hospitalsuppe aß. Während bei den Belagerern Alles Gehorsam und Begeisterung war, herrschte unter den Belagerten Uneinigkeit und Angst. Die französischen Vorpostenlinien versahen ihren Dienst so gut, daß kein von Wilhelm abgesandter Bote im Stande war, sich durchzuschleichen. Die Garnison wußte daher nicht, daß Entsatz in ihrer Nähe war. Die Bürger schauderten bei der Aussicht auf die entsetzlichen Drangsale, denen mit Sturm genommene Städte preisgegeben sind. In den Straßen regnete es Bomben und glühende Kanonenkugeln, und die Stadt gerieth an zehn verschiedenen Stellen zugleich in Brand. Die friedlichen Bewohner fanden in dem Uebermaaß ihrer Angst einen ungewöhnlichen Muth und erhoben sich gegen die Soldaten. Von diesem Augenblicke an war jeder Widerstand unmöglich, und es wurde daher eine Kapitulation geschlossen. Dann kehrten die Armeen in ihre Quartiere zurück und die militärischen Operationen ruhten einige Wochen; Ludwig kehrte im Triumph nach Versailles zurück und Wilhelm machte England, wo seine Anwesenheit dringend nöthig war, einen kurzen Besuch.9
Er fand die Minister noch immer damit beschäftigt, die Verzweigungen des Complots aufzufinden, das kurz vor seiner Abreise entdeckt worden war. Zu Anfang des Januar waren Preston, Ashton und Elliot vor die Old Bailey gestellt worden. In ihren Einwendungen beanspruchten sie das Recht der abgesonderten Prozessirung, und die Untersuchung mußte daher gegen jeden einzeln geführt werden. Das Auditorium war zahlreich und glänzend, viele Peers waren anwesend. Der Lordpräsident und die beiden Staatssekretäre wohnten der Verhandlung bei, um zu beweisen, daß die dem Gerichtshof vorliegenden Papiere die nämlichen wären, welche Billop nach Whitehall gebracht hatte. Eine beträchtliche Anzahl Richter saßen auf der Bank und Holt präsidirte. Es ist ein vollständiger Bericht über die Verhandlungen auf uns gekommen und derselbe verdient aufmerksam studirt und mit den Berichten über andere Prozesse, welche nicht lange vorher unter dem nämlichen Dache stattgefunden hatten, verglichen zu werden. Der ganze Geist des Tribunals hatte in wenigen Monaten eine so vollständige Umwandlung erfahren, daß man hätte glauben sollen, sie könne nur das Werk von Jahrhunderten sein. Zwölf Jahre früher hatten unglückliche Katholiken unter der Anklage eines Verbrechens, das ihnen nie in den Sinn gekommen war, vor der nämlichen Verhörsschranke gestanden. Die Kronzeugen hatten ihre abscheulichen Erdichtungen unter dem Beifallsgemurmel der Anwesenden wiederholt. Die Richter hatten die stupide Leichtgläubigkeit und die wilden Leidenschaften des großen Haufens getheilt oder doch sich gestellt, als ob sie dieselben theilten, hatten mit den meineidigen Angebern lächelnde Blicke und Complimente gewechselt, die von den Gefangenen mit schwacher Stimme hervorgestammelten Argumente überschrien und sich nicht entblödet, bei Fällung des Todesurtheils gemeine Witze über das Fegefeuer und die Messe zu machen. Sobald das Abschlachten der Papisten vorüber war, hatte das Abschlachten der Whigs begonnen, und die Richter waren an dieses neue Werk mit noch größerer Barbarei gegangen. Diesen Skandalen hatte die Revolution ein Ziel gesetzt. Wer nach Durchlesung der Prozesse Ireland’s und Pickering’s, Grove’s und Berry’s, Sidney’s, Cornish’s und der Alice Lisle zu den Prozessen Preston’s und Ashton’s übergeht, wird über den Contrast erstaunen. Der Generalprokurator Somers führte die Untersuchung mit einer Mäßigung und Humanität, von der seine Vorgänger ihm kein Beispiel gegeben hatten. „Ich habe nie geglaubt,” sagte er, „daß Jemand, der in Fällen dieser Art als Rechtsbeistand des Königs fungirt, die Verpflichtung habe, das Verbrechen des Gefangenen in ein schwärzeres Licht zu stellen oder die Beweisführung mit falschen Farben auszuschmücken.”10 Holt’s Benehmen war tadellos. Pollexfen, der älter war als Holt und Somers, hatte noch ein wenig – und ein wenig war schon zu viel – von dem Tone der schlechten Schule beibehalten, in der er gebildet war. Aber obwohl er einigemal das strenge Decorum seiner Stellung vergaß, kann man ihn doch keiner Verletzung der materiellen Gerechtigkeit bezichtigen. Die Gefangenen selbst scheinen über die Unparteilichkeit und Milde, mit der sie behandelt wurden, erstaunt gewesen zu sein. „Ich versichere Ihnen,” sagte Holt zu Preston, „daß ich die Jury nicht irreleiten, noch Eurer Lordschaft überhaupt im entferntesten Unrecht thun werde.” – „Ja, Mylord,” entgegnete Preston, „ich sehe es deutlich genug, daß Eure Lordschaft dies nicht wollen.” – „Welches auch mein Schicksal sein mag,” sagte Ashton, „ich muß bekennen, daß mein Prozeß mit Unparteilichkeit geführt worden ist.”
Die Angeklagten gewannen indeß nichts durch die Mäßigung des Generalprokurators oder durch die Unparteilichkeit des Gerichtshofes, denn die Beweise waren unumstößlich. Die Bedeutung der von Billop aufgefangenen Papiere war so klar, daß auch der beschränkteste Geschworne sie nicht mißverstehen konnte. Es war vollständig erwiesen, daß ein Theil dieser Papiere von Preston’s Hand herrührte. Ein andrer Theil war von Ashton’s Hand, aber dies konnten die Anwälte der Krone nicht beweisen. Sie gründeten daher die Anklage gegen Ashton auf die unbestreitbare Thatsache, daß das verrätherische Packet auf seiner Brust gefunden worden war und daß er Aeußerungen gethan hatte, welche keinen Sinn gehabt haben würden, wenn er nicht eine strafbare Kenntniß des Inhalts gehabt hätte.11
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