Inzwischen bewegten sich durch die Straßen des Haag die Equipagen und Gefolge der Fürsten und Gesandten, welche zu dem großen Congresse strömten. Zuerst erschien der ehrgeizige und prachtliebende Friedrich, Kurfürst von Brandenburg, der einige Jahre später den Titel König von Preußen annahm. Dann kamen der junge Kurfürst von Bayern, der Regent von Würtemberg, die Landgrafen von Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt und eine lange Reihe souverainer Fürsten aus den erlauchten Häusern Braunschweig, Sachsen, Holstein und Nassau. Der Marquis von Gastanaga, Gouverneur der spanischen Niederlande, kam vom viceköniglichen Hofe zu Brüssel zu der Versammlung. Außerordentliche Gesandte waren vom Kaiser, von der Königin von Spanien, Polen, Dänemark und Schweden und vom Herzoge von Savoyen geschickt. Die Stadt und Umgegend bot kaum Räumlichkeiten genug zur Aufnahme der englischen Lords und Gentlemen und der deutschen Grafen und Barone, welche Neugierde oder Amtspflicht an den Versammlungsort geführt hatten. Die ernste Hauptstadt der sparsamsten und betriebsamsten Nation der Welt war so heiter wie Venedig zur Carnevalszeit. Die durch jene majestätischen Linden und Ulmen, in deren Mitte die Villa des Prinzen von Oranien liegt, führenden Alleen strotzten von den Federbüschen, den Ordenssternen, den wallenden Perrücken, den gestickten Röcken und den vergoldeten Degengefäßen eleganter Cavaliere aus London, Berlin und Wien. Unter die Edelleute waren jedoch auch Gauner gemischt, nicht minder prächtig gekleidet als jene. Des Abends waren die Hazardspieltische belagert und das Theater bis unter das Dach gefüllt. Fürstliche Bankets drängten sich in rascher Aufeinanderfolge. Die Speisen wurden in goldenen Schüsseln aufgetragen und nach der alten teutonischen Sitte, mit welcher Shakespeare seine Landsleute bekannt gemacht hat, ertönten die Pauken und Trompeten so oft einer der großen Fürsten eine Gesundheit ausbrachte. Einige englische Lords, insbesondere Devonshire, gaben Feste, welche mit denen der Souveraine wetteiferten. Es wurde bemerkt, daß die deutschen Potentaten, welche im allgemeinen bezüglich der Etikette streitsüchtig und peinlich waren, sich bei dieser Gelegenheit ohne alle Förmlichkeit versammelten und ihren Hang zu genealogischen und heraldischen Controversen vergessen zu haben schienen. Die Liebe zum Wein aber, welche damals ein characteristischer Zug ihrer Nation war, hatten sie nicht vergessen. An der Tafel des Kurfürsten von Brandenburg erregte der gravitätische Ernst der holländischen Staatsmänner, die in ihrer Nüchternheit durch Citate aus Grotius und Puffendorf den Unsinn widerlegten, den die berauschten Edlen des Reichs hervorstammelten, große Heiterkeit. Einer dieser Edlen leerte so viele Humpen, daß er in das Torffeuer taumelte, aus dem er erst wieder herausgezogen wurde, als sein schöner Sammetrock verbrannt war.5
Doch inmitten dieser festlichen Gelage wurden die Geschäfte nicht vernachlässigt. Es wurde eine förmliche Sitzung des Congresses unter Wilhelm’s Präsidium gehalten, worin er in einer kurzen und würdevollen Ansprache, welche rasch die Runde durch ganz Europa machte, die Nothwendigkeit festen Zusammenhaltens und energischer Anstrengung auseinandersetzte. Die tiefe Ehrerbietung, mit der ihn die glänzende Versammlung anhörte, erweckte den bitteren Neid und Aerger seiner Feinde in England wie in Frankreich. Die deutschen Potentaten wurden heftig getadelt, daß sie einem Emporkömmlinge den Vorrang einräumten. Die Vornehmsten unter ihnen bezeigten ihm aber auch in der That eine solche Achtung, wie sie sie kaum der kaiserlichen Majestät gezollt haben würden; sie mischten sich unter die in seinem Vorzimmer harrende Menge und benahmen sich an seiner Tafel so ehrfurchtsvoll wie irgend ein dienstthuender englischer Lord. Auf einer Carricatur sind die verbündeten Fürsten als Bären mit Maulkörben dargestellt, einige mit Kronen, andere mit Staatsmützen auf dem Kopfe. Wilhelm hält sie alle an einer Kette und läßt sie tanzen. Auf einer andren Carricatur sah man ihn bequem in einem Armstuhl hingestreckt, die Füße auf einem Kissen und den Hut auf dem Kopfe, während die Kurfürsten von Brandenburg und Bayern entblößten Hauptes auf niedrigen Sesseln zu seiner Rechten und Linken saßen; die Schaar der Landgrafen und souverainen Herzöge stand in bescheidener Entfernung, und Gastanaga, der unwürdige Nachfolger Alva’s, erwartete mit gebeugtem Knie die Befehle des ketzerischen Tyrannen.6
Es wurde bald auf höheren Befehl angekündigt, daß noch vor Beginn des Sommers zweihundertzwanzigtausend Mann gegen Frankreich im Felde stehen würden.7 Das Contingent, das jede der verbündeten Mächte zu stellen hatte, wurde bekannt gemacht. Diejenigen Angelegenheiten aber, über welche eine öffentliche Erklärung abzugeben nicht zweckmäßig gewesen wäre, wurden zwischen dem Könige von England und seinen Bundesgenossen privatim besprochen. Bei dieser wie bei jeder andren wichtigen Gelegenheit während der ganzen Dauer seiner Regierung war er sein eigner Minister des Auswärtigen. Um der Form willen war es nothwendig, daß ihm ein Staatssekretär zur Seite stand, und daher hatte Nottingham ihn nach Holland begleitet. Aber wenn auch Nottingham in allen die innere Verwaltung England’s betreffenden Dingen das Vertrauen seines Gebieters in hohem Grade besaß, so erfuhr er doch von den Geschäften des Congresses wenig mehr als was er in den Zeitungen las.
Dieses Verfahren würde jetzt für höchst verfassungswidrig angesehen werden, und viele Schriftsteller, welche den Maßstab ihres Jahrhunderts an die Transactionen einer früheren Zeit legten, haben Wilhelm deshalb, weil er ohne den Rath seiner Minister handelte, und seine Minister, weil sie es sich gefallen ließen, über Angelegenheiten, bei denen die Ehre der Krone und das Wohl der Nation stark betheiligt waren, in Unkenntniß zu bleiben, streng getadelt. Man darf jedoch wohl mit Gewißheit annehmen, daß das was die rechtschaffensten und achtbarsten Männer beider Parteien, z. B. Nottingham unter den Tories und Somers unter den Whigs, nicht allein thaten, sondern auch öffentlich eingestanden, nicht ganz unverantwortlich gewesen sein kann; und eine genügende Entschuldigung ist nicht schwer zu finden.
Die Lehre, daß der Souverain nicht verantwortlich ist, ist unzweifelhaft so alt wie irgend ein andrer Theil unsrer Verfassung. Nicht minder uralt ist die Lehre, daß seine Minister verantwortlich sind. Daß da wo keine Verantwortlichkeit ist, keine sichere Gewähr gegen schlechte Verwaltung sein kann, ist ein Satz, den zu unsrer Zeit und in unsrem Lande Wenige bestreiten werden. Aus diesen drei Vordersätzen folgt ganz natürlich, daß die Verwaltung dann am besten geleitet zu werden verspricht, wenn der Souverain keinen öffentlichen Act ohne die Beihülfe und Vermittelung eines Ministers vollzieht. Diese Folgerung ist durchaus richtig. Aber wir müssen bedenken, daß Regierungen anders construirt sind als Schlußfolgerungen. In der Logik kann nur ein Dummkopf die Vordersätze zugeben und den daraus hervorgehenden Schluß in Abrede stellen. In der Praxis aber sehen wir, daß große und aufgeklärte Staatsgesellschaften oftmals viele Generationen hindurch darin beharren, Grundsätze aufzustellen, und doch nicht nach diesen Grundsätzen handeln wollen. Es darf bezweifelt werden, ob irgend ein Staatswesen, das jemals thatsächlich existirt hat, der reinen Idee dieses Staatswesens genau entsprochen hat. Nach der reinen Idee des constitutionellen Königthums herrscht der Fürst, regiert aber nicht, und das constitutionelle Königthum, wie es jetzt in England besteht, kommt der reinen Idee näher als in irgend einem andren Lande. Es würde jedoch ein großer Irrthum sein, wollte man glauben, daß unsere Fürsten bloß herrschen und niemals regieren. Im 17. Jahrhundert hielten es die Whigs sowohl wie die Tories nicht allein für das Recht, sondern für die Pflicht des ersten Staatsbeamten, zu regieren. Alle Parteien tadelten Karl II. einstimmig, daß er nicht sein Premierminister war; alle Parteien lobten Jakob einstimmig, daß er sein eigner Marineminister war, und alle Parteien fanden es natürlich und vernünftig, daß Wilhelm sein eigner Staatssekretär des Auswärtigen war.
Man wird bemerken, daß selbst die Tüchtigsten und Kenntnißreichsten unter Denen, welche die Art und Weise tadelten, wie damals Unterhandlungen geleitet wurden, mit sich selbst nicht recht einig sind. Denn während sie Wilhelm tadeln, daß er sein eigner bevollmächtigter Minister im Haag war, loben sie ihn, daß er sein eigner Oberbefehlshaber in Irland war. Doch wo ist im Prinzip ein Unterschied zwischen den beiden Fällen? Gewiß wird jeder Grund der angeführt werden kann, um zu beweisen, daß er die Verfassung verletzte, als er aus eigner Machtvollkommenheit mit dem Kaiser und dem Kurfürsten von Brandenburg Verträge schloß, auch eben so beweisen, daß er die Verfassung verletzte, als er aus eigner Machtvollkommenheit einer Colonne befahl, bei Oldbridge ins Wasser zu gehen, einer andren, die Brücke von Slane zu passiren. Wenn die Verfassung ihm das Recht gab, die Streitkräfte des Staats zu commandiren, so gab sie ihm auch das Recht die auswärtigen Angelegenheiten des Staats zu leiten. Nach welchem Prinzipe kann man also behaupten, daß es ihm frei stand, die erste Befugniß auszuüben, ohne Jemanden zu fragen, daß er aber verpflichtet war, die letztere Befugniß nur in Uebereinstimmung mit dem Rathe eines Ministers auszuüben? Will man etwa sagen, ein diplomatischer Fehler könne dem Lande voraussichtlich mehr schaden als ein strategischer Fehler? Gewiß nicht. Es läßt sich kaum denken, daß ein Mißgriff, den Wilhelm im Haag begehen konnte, den öffentlichen Interessen hätte nachtheiliger werden können als eine Niederlage am Boyne. Oder wird man sagen, daß mehr Grund vorhanden gewesen sei, in seine militärische Geschicklichkeit Vertrauen zu setzen, als in seine diplomatische? Sicherlich nicht. Er zeigte im Kriege einige große moralische und geistige Eigenschaften, als Taktiker aber stand er auf keiner hohen Stufe, und von seinen zahlreichen Feldzügen waren nur zwei entschieden glücklich. In den Talenten eines Diplomaten hingegen ist er nie übertroffen worden. Er kannte die Interessen und Gesinnungen der festländischen Höfe besser als sein ganzer Staatsrath zusammengenommen. Einige seiner Minister waren unstreitig sehr geschickte Männer, vortreffliche Redner im Hause der Lords, und genaue Kenner aller Verhältnisse unsrer Insel. Aber bei den Verhandlungen des Congresses würden Caermarthen und Nottingham ihm eben so weit nachstehend erfunden worden sein, wie er sich bei einer parlamentarischen Debatte über eine englische Angelegenheit ihnen nachstehend erwiesen haben würde. Die Koalition gegen Frankreich war sein Werk. Er allein hatte die Theile des großen Ganzen zusammengefügt und er allein konnte sie zusammenhalten. Hätte er diese große und complicirte Maschine den Händen irgend eines seiner Unterthanen anvertraut, so würde sie augenblicklich in Stücke zerfallen sein.
Es mußte allerdings auch Einiges geschehen, was keiner seiner Unterthanen zu thun gewagt haben würde. Der Papst Alexander war factisch, wenn auch nicht nominell, einer der Verbündeten; es war von höchster Wichtigkeit, ihn zum Freunde zu haben, und doch war die Stimmung der englischen Nation von der Art, daß ein englischer Minister sich wohl scheuen konnte, mit dem Vatikan in directem oder indirectem Verkehr zu stehen. Die Staatssekretäre waren ganz froh, daß sie eine so delikate und gefährliche Sache ihrem Gebieter überlassen und mit gutem Gewissen versichern konnten, daß niemals eine einzige Zeile, gegen welche der intoleranteste Protestant etwas hätte einwenden können, aus ihrem Bureaux hervorgegangen sei.
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