Читать бесплатно книгу «Der versiegelte Engel und andere Geschichten» Николая Лескова полностью онлайн — MyBook

FÜNFTES KAPITEL

In einer jüdischen Stadt des Gouvernements war bei den Juden im Handel eine schmutzige Geschichte passiert. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, ob sie falsches Geld gehabt oder ein unredliches Geschäft gemacht hatten, jedenfalls mußte die Obrigkeit die Sache aufdecken und hatte eine bedeutende Belohnung dafür ausgesetzt. Die Gnädige ging also zu unserem Pimen und sagte:

»Pimen Iwanowitsch, hier gebe ich Ihnen zwanzig Rubel für Kerzen und Öl. Befehlen Sie den Ihrigen, so eifrig wie möglich zu beten, daß man meinen Mann mit dieser Sache beauftragt.«

Das machte ihm wenig Kummer! Er hatte schon Geschmack an diesen Opfergaben gefunden und antwortete:

»Gut, Gnädige, ich werde es befehlen.«

»Aber daß sie auch tüchtig beten, die Sache ist für mich sehr wichtig.«

»Die werden sich nicht unterstehen, schlecht zu beten, wenn ich es befehle,« beruhigt Pimen, »ich werde ihnen Fasten auferlegen, bis sie es erfleht haben.« Er nahm das Geld und ließ es dabei bewenden, ihr Gemahl aber erhielt noch in derselben Nacht den von ihr gewünschten Auftrag. Bei diesem Segen genügte ihr aber unser Gebet nicht mehr, und sie wollte unbedingt selber unserem Heiligtum ihre Lobpreisung darbringen. Sie sagte es Pimen, und er bekam Angst, weil er wußte, daß wir sie nicht in unser Heiligtum einlassen würden. Die Gnädige gab jedoch nicht nach.

»Ich werde,« sagt sie, »was Sie auch sagen mögen, heute gegen Abend ein Boot nehmen und mit meinem Sohne zu Ihnen kommen.«

Pimen redet ihr zu:

»Es ist besser,« sagt er, »wenn wir selber beten. Wir haben einen Schutzengel, dem weihen Sie ein Licht, und wir werden ihm den Schutz Ihres Gemahls anvertrauen.«

»Ach, das ist vortrefflich,« antwortet sie, »ganz vortrefflich! Ich bin sehr froh über diesen Engel; hier ist etwas Geld für Öl, zünden Sie unbedingt drei Lämpchen vor ihm an, und ich werde dann kommen, um es mir anzusehen.«

Pimen gefiel das gar nicht; er kam zu uns und begann zu jammern, daß die Sache so und so stünde.

»Ich habe,« sagte er, »der abscheulichen Ketzerin nicht widersprochen, als sie ihr Begehren äußerte, weil wir ihren Mann notwendig brauchen.« Und so log er uns ganze Körbe voll vor, aber von all dem, was er getan hatte, sagte er nichts. Nun, so unangenehm es uns auch war, es war nichts zu machen. Wir nahmen unsere Heiligenbilder möglichst schnell von der Wand und legten sie in ihre Kisten, aus denen wir die Ersatzbilder holten, die wir aus Furcht vor Beamtenüberfällen bei uns hatten. Diese setzten wir auf die Gestelle und erwarteten unseren Gast. Sie kam und war so aufgeputzt, daß es zum Erschrecken war. Sie fegte mit ihren langen, breiten Bändern nur so hin, schaute alle unsere vertauschten Heiligenbilder durch die Lorgnette an und fragte: »Sagen Sie, bitte, welcher ist hier der wundertätige Engel?«

Wir wissen schon nicht mehr, wie wir sie von dem Gespräch abbringen sollen.

»Wir haben keinen solchen Engel« sagen wir.

Und wie sie auch in uns drang und Pimen schalt, wir zeigten ihr den Engel nicht, sondern führten sie möglichst schnell zum Teetisch und setzten ihr vor, was wir hatten.

Sie mißfiel uns schrecklich, Gott weiß warum: sie sah irgendwie abstoßend aus, obwohl man sie sonst für schön hielt. Wissen Sie, so eine lange Hagere, mit zusammengewachsenen Augenbrauen.

»Solch eine Schönheit gefällt Ihnen nicht?« unterbrach der Bärenpelz den Erzähler.

»Erlauben Sie, was kann einem an einer solchen schlangenähnlichen Gestalt gefallen?« antwortete jener.

»Bei euch hält man wohl eine Frau für schön, wenn sie wie ein Erdhaufen aussieht?«

»Ein Erdhaufen!« wiederholte unser Erzähler lächelnd und ohne gekränkt zu sein. »Warum nehmen Sie das an? Nach unserer echt russischen Auffassung bevorzugen wir einen Typus, der, unserer Meinung nach, viel ansprechender ist, als der, den die jetzige Leichtfertigkeit schätzt, aber durchaus nicht, was man einen Erdhaufen nennen kann. Wir schätzen nur die langen, mageren nicht, sondern lieben es, wenn die Frau nicht auf langen, sondern auf kräftigen Beinen steht, damit sie nicht konfus herumrennt, sondern wie eine Kugel überall hinrollt und auch hinkommt, während die Lange hin und her läuft und stolpert. Die schlangenhafte Schlankheit schätzen wir ebenso wenig, sondern fordern, daß die Frau erdhafter sei und einen Busen habe, denn wenn er auch für die Figur nicht so schön ist, so spricht er doch von der Mutterschaft; die Stirne muß bei der echten russischen Frauenart voll und fleischig sein, weil in ihr dann mehr Lust und Freundlichkeit liegt. Ähnlich ist es mit der Nase. Wir mögen die Hakennasen nicht, sondern die Nase soll wie ein Pfeifchen sein, denn so ein Pfeifchen ist, wenn Sie erlauben, für die Familie viel freundlicher als eine trockene, stolze Nase. Und ganz besonders die Brauen: die Brauen offenbaren den Ausdruck im Gesicht, und deshalb dürfen sie bei der Frau nicht zusammenstoßen, sondern müssen einen offenen Bogen bilden, weil man mit einer solchen Frau viel umgänglicher sprechen kann und sie auf jeden einen ganz anderen, für das Haus einnehmenden Eindruck macht. Freilich der jetzige Geschmack ist von diesem guten Typus abgekommen und bevorzugt beim Frauengeschlecht ätherische Luftigkeit, aber das ist eben schade. Indes, gestatten Sie, wir sprachen nicht davon, und ich fahre lieber in meiner Erzählung fort:

Wie wir die Frau hinausbegleitet haben, merkt unser Pimen als eitler Mensch, daß wir sie abfällig kritisieren, und sagt:

»Was habt ihr denn? Sie ist doch gut.«

Aber wir antworten: »Die soll gut sein, wo sie schon im Gesicht nichts Gutes hat! Aber Gott sei mit ihr: wie sie ist, so wird sie auch bleiben.« Wir waren schon froh, daß wir sie hinausbegleitet hatten, und räucherten gleich mit Weihrauch, damit bei uns auch kein Hauch von ihr zurückbleibe. Danach befreiten wir das Stübchen von den letzten Spuren des Gastes. Die Ersatzbilder legten wir in die Kisten zurück in den Verschlag und holten unsere richtigen Bilder wieder hervor. Wir hoben sie auf die Gestelle, wie vorher, und besprengten sie mit Weihwasser. Dann ging ein jeder zu seinem Schlafplatz, und wir legten uns nieder. Aber Gott allein weiß, warum wir alle in dieser Nacht nicht schlafen konnten und wie ängstlich und unruhig es uns zumute war.

SECHSTES KAPITEL

Am Morgen gingen wir alle an unsere Arbeit, nur Luka Kirillow nicht. Das war in anbetracht seiner Pünktlichkeit erstaunlich, noch erstaunlicher aber war, daß er um acht Uhr ganz verstört und bleich zu uns kam.

Ich wußte, daß er ein Mann war, der sich in der Hand hatte und es nicht liebte, sich unnütz zu grämen, und darum wurde ich aufmerksam und fragte:

»Was hast du, Luka Kirillow?«

Aber er sagt: »Später sage ich es.«

Jung, wie ich damals war, war ich schrecklich neugierig, zudem hatte mich eine Vorahnung gepackt, daß sich irgend etwas Unheilvolles für unseren Glauben ereignet habe. Ich hielt aber den Glauben hoch und war niemals kleingläubig.

Ich konnte es nicht länger aushalten, verließ unter irgendeinem Vorwand die Arbeit und lief nach Hause. Ich dachte mir: solange niemand zu Hause ist, kann ich von Michailiza etwas erfahren. Wenn ihr Luka Kirillow auch nichts eröffnet hat, so durchschaut sie ihn, trotz ihrer Einfalt, und vor mir wird sie nichts verheimlichen, da ich, schon als Kind verwaist, bei ihr an Sohnesstatt aufgewachsen bin, und sie mir wie eine zweite Mutter gewesen ist.

Ich eile zu ihr und sehe sie in einem alten offenen Halbpelz auf dem Freitreppchen sitzen; aber sie ist krank und traurig und ganz fahl im Gesicht.

»Warum sitzen Sie hier, Pflegemutter?« frage ich.

Und sie antwortet:

»Wo soll ich denn sonst bleiben, Marotschka?«

Ich heiße Mark Alexandrow, aber sie nannte mich in ihrer mütterlichen Zärtlichkeit Marotschka.

Was sind das für Dummheiten, denke ich mir, daß sie nicht weiß, wo sie sonst bleiben soll?

»Aber warum,« sage ich, »legen Sie sich denn nicht ein wenig im Schuppen hin?«

»Ich kann nicht, Marotschka,« antwortet sie, »in der großen Stube betet der alte Maroi.«

Aha, denke ich mir, es wird schon so sein, daß sich irgendetwas mit unserm Glauben zugetragen hat; und nun beginnt auch Tante Michailiza:

»Marotschka, du weißt sicher nichts, Kind, von dem, was sich heute nacht bei uns ereignet hat?«

»Nein, Pflegemutter, ich weiß nichts.«

»Ach, es ist schrecklich.«

»Erzählen Sie doch schneller, Pflegemutter!«

»Ich weiß nicht, ob ich es erzählen darf.«

»Warum wollen Sie nicht erzählen?« sage ich: »Bin ich denn für Sie ein Fremder und nicht an Sohnesstatt?«

»Ich weiß, mein Lieber, daß du mir wie ein Sohn bist,« antwortet sie, »aber ich habe kein Vertrauen, daß ich es dir auseinandersetzen kann, denn ich bin dumm und einfältig. Warte doch, nach Feierabend kommt der Onkel, und der wird dir gewiß alles erzählen.«

Aber ich konnte nicht warten und drang in sie:

»Erzähle doch, erzähle doch gleich, was alles geschehen ist.«

Ich sehe, wie sie mit den Lidern blinzelt und wie sich ihre Augen mit Tränen füllen, die sie mit dem Brusttuch abwischt; dann flüstert sie mir leise zu:

»Kind, der Schutzengel ist heute Nacht von uns fortgegangen.«

Diese Eröffnung machte mich zittern.

»Sagen Sie doch bitte schnell, wie das Wunder geschehen ist und wer es gesehen hat!«

»Das Wunder, Kind, ist unerklärlich, und niemand außer mir hat es gesehen, weil es tiefe Mitternacht war, als es geschah und ich allein nicht schlief.«

Und dann, meine werten Herren, erzählte sie mir folgende Geschichte:

»Nachdem ich gebetet hatte, war ich eingeschlafen. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schlief, aber plötzlich sehe ich im Traum eine Feuersbrunst, eine ganz große Feuersbrunst. Es war, als ob alles bei uns verbrannt wäre, und der Fluß führe die Asche mit sich fort, aber an den Strudeln um die Brückenjoche kreist sie noch, und dann schluckt sie der Fluß in die Tiefe.« Und Michailiza träumt, als sei sie hinausgelaufen und stehe in einem alten zerrissenen Hemd ganz unten am Wasser, aber ihr gegenüber am anderen Ufer erhebe sich eine hohe, rote Säule, und oben auf der Säule stehe ein kleiner, weißer Hahn, der in einemfort mit den Flügeln schlage. Michailiza fragt: »Wer bist du?«, denn das Gefühl sagt ihr, daß dieser Vogel ein Vorzeichen sei. Der Hahn aber ruft plötzlich mit menschlicher Stimme »Amen«, sonst nichts, und dann ist er verschwunden, aber um Michailiza herum herrscht eine große Stille, und die Luft ist so dünn, daß sie keinen Atem mehr bekommt und es ihr schrecklich zumute wird. Dann wacht sie auf, liegt da und vernimmt deutlich, wie vor der Tür ein Lämmchen blökt. Und an der Stimme merkt sie, daß es ein neugeborenes Lämmchen ist. Mit hellem silbernen Stimmchen macht es bä-ä-äh, und plötzlich hört Michailiza, daß es durch die Gebetsstube geht, mit seinen kleinen Hufen auf den Boden klopft und hin und wieder stehen bleibt, als ob es etwas suche. Michailiza überlegt: Herr Jesu Christ, was soll das bedeuten? In unserer ganzen Ansiedlung gibt es kein Schaf, und woher ist uns jetzt dieses Lämmchen zugelaufen? Nun wird sie ganz wach: Aber wie ist es denn in die Stube gekommen? In der gestrigen Hast haben wir also vergessen, das Hoftor zu schließen, Gott sei Dank, daß nur ein Lämmchen hereingesprungen und nicht der Hofhund in das Heiligtum eingedrungen ist. Und nun beginnt sie Luka zu wecken: »Kirillytsch«, ruft sie, »Kirillytsch, steh schnell auf! Unsere Tür ist offen, und irgendein Jungtier ist zu uns in die Hütte gesprungen.« Aber zum Unheil schläft Luka Kirillow wie ein Toter. Und wie ihn auch Michailiza zu wecken versucht, es will ihr auf keine Weise gelingen. Luka brummt nur und sagt kein Wort. Michailiza schüttelt ihn stärker, aber er brummt nur noch lauter. Sie beginnt ihn zu bitten: »Gedenk des Namen Jesu!« Aber kaum hat sie das Wort ausgesprochen, als in der Stube etwas winselt, und in dem Augenblick springt Luka vom Bett auf, stürzt nach vorne und prallt plötzlich mitten in der Stube wie vor einer ehernen Wand zurück. »Mach Licht, Weib, mach schneller Licht!« ruft er Michailiza zu, er selbst aber rührt sich nicht von der Stelle. Sie zündet eine Kerze an und läuft herzu, aber er ist bleich wie ein zum Tode Verurteilter und bebt, daß das Kreuz an seinem Hals, ja selbst die Fußlappen an seinen Füßen zittern. Die Frau spricht wieder zu ihm: »Ernährer, was hast du?« sagt sie. Er aber zeigt mit dem Finger, daß dort, wo der Engel war, eine leere Stelle ist und daß der Engel selbst vor Lukas Fuße auf dem Boden liegt.

Luka Kirillow geht jetzt unverzüglich zum alten Maroi und sagt ihm, wie alles gewesen sei, was seine Frau gesehen habe und was bei uns geschehen war: »Komm und schau!« Maroi kommt, kniet vor dem auf der Erde liegenden Engel nieder und bleibt vor ihm lange unbeweglich, wie ein marmornes Grabbild liegen, dann hebt er aber die Hand, streicht sich über die Tonsur auf dem Scheitel und sagt leise:

»Bringt zwölf reine, neugebrannte Ziegelplatten her!«

Luka Kirillow bringt sie sogleich, Maroi schaut sie an und sieht, daß sie alle rein sind und gerade aus dem Brennofen kommen, und er befiehlt Luka, eine auf die andere zu legen und so eine Art Säule aufzuführen, diese mit einem reinen Handtuch zu bedecken und darauf das Heiligenbild zu legen. Dann verneigt sich Maroi bis zur Erde, und ruft:

»Engel Gottes, streu deine Spuren aus, wohin du willst!«

Er hat diese Worte kaum ausgesprochen, als an der Türe geklopft wird und eine unbekannte Stimme ruft:

»He, ihr Altgläubigen, wer ist euer Ältester?«

Luka Kirillow öffnet die Tür und sieht einen Soldaten mit einer Medaille vor sich stehen.

Luka fragt, was für einen Ältesten er wolle. Und der antwortet:

»Den, der oft zur Gnädigen kam und den sie Pimen nennen.«

Luka schickt seine Frau gleich zu Pimen und fragt weiter, worum es sich handle und wer ihn in der Nacht nach Pimen gesandt habe.

Der Soldat sagt:

»Etwas Gewisses weiß ich nicht, aber ich habe so etwas gehört, als ob die Juden dort eine schlimme Geschichte mit unserem Herrn angestellt hätten!«

Aber was es eigentlich sei, kann er nicht erzählen.

»Ich habe gehört,« sagt er, »daß der Herr erst sie versiegelt hätte und dann sie ihn.«

Aber darüber, wie sie einander versiegelt haben, weiß er nichts verständliches zu erzählen.

Währenddes war Pimen gekommen; er schielt selbst wie ein Jude, bald dorthin, bald dahin, und weiß sichtlich selbst nicht, was er sagen soll. Und Luka spricht ihn an:

»Was hast du da gemacht, Spielmann? Geh jetzt und spiel dein Stück nur zu Ende!«

Der setzt sich mit dem Soldaten ins Boot, und sie fahren ab.

Nach einer Stunde kommt unser Pimen zurück, stellt sich munter, aber man sieht, daß es ihm durchaus nicht so zumute ist.

Luka fragt ihn:

»Sprich,« sagt er, »du Windbeutel, und sag ganz aufrichtig, was du dort getan hast.«

Aber jener erwidert: »Nichts«.

Nun, bei dem Nichts blieb es, obwohl es durchaus kein Nichts gewesen war.

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