Читать бесплатно книгу «Der versiegelte Engel und andere Geschichten» Николая Лескова полностью онлайн — MyBook

DRITTES KAPITEL

»Wir kamen vor eine große Stadt, an ein großes fließendes Wasser, den Dnjeprstrom, um dort eine große und jetzt sehr berühmte Brücke zu bauen. Die Stadt erhebt sich auf dem rechten steilen Ufer, während wir auf dem linken flachen Wiesenufer standen, und vor uns lag die ganze wundervolle Landschaft: alte Kirchen, heilige Klöster mit vielen heiligen Reliquien, dichte Gärten und Bäume, wie man sie in alten Büchern abgebildet findet, spitzwipfelige Pappeln. Du schaust auf all das, und dein Herz brennt in dir gleichsam, so herrlich ist es! Sehen Sie, wir sind natürlich einfache Leute, aber wir fühlen doch die Pracht der gottgeschaffenen Natur! Der Ort hier gefiel uns so sehr, daß wir am ersten Tag mit dem Bau einer vorläufigen Unterkunft für uns begannen; zuerst schlugen wir hohe Pfähle ein, da die Stelle nieder gelegen war, ganz neben dem Wasser. Dann errichteten wir auf diesen Pfählen eine Stube und daneben einen Schuppen. In der Stube stellten wir unser ganzes Heiligtum auf, wie es sich nach dem Gesetz der Väter gehört: längs der einen Wand stellten wir die zusammenlegbare, dreiteilige Heiligenwand auf, zu unterst die großen Bilder, darauf zwei Tafeln für die kleineren Bilder, und so errichteten wir eine Art Treppe bis hinauf zum Kruzifix; den Engel aber stellten wir auf das Chorpult, auf dem Luka Kirillow die Heilige Schrift vorlas. Luka Kirillow wohnte mit Michailiza im Schuppen, während wir uns daneben einen Schlafraum errichteten. Andere, die ebenfalls gekommen waren, um hier lange zu arbeiten, sahen uns zu und begannen ebendort zu bauen, so daß bei uns, der großen Stadt gegenüber, ein kleines Städtchen auf Pfählen entstand. Wir arbeiteten, und alles ging ganz nach Wunsch. Das Geld zur Auszahlung lag immer pünktlich im Kontor der Engländer bereit, und Gott schenkte uns solch eine Gesundheit, daß es den ganzen Sommer über keinen einzigen Kranken gab; Lukas Michailiza begann sogar zu klagen, daß sie gar nicht froh werden könne, so dick werde sie überall. Uns Altgläubigen gefiel besonders gut, daß wir, die wir damals sonst überall wegen unserer Bräuche verfolgt wurden, hier volle Freiheit hatten: es gab keine Stadt- und keine Kreisobrigkeit und keinen Popen; wir sahen niemanden, und niemand kümmerte sich um unseren Glauben oder behinderte uns … Wir beteten soviel wir wollten. Wenn wir unsere Stunden abgearbeitet hatten, versammelten wir uns in der Stube, wo schon das ganze Heiligtum im Lichte der Lämpchen glänzte, so daß einem das Herz erglühte. Luka Kirillow stimmte das Segenslied an, und wir fielen ein, so daß unser Gesang manchmal bei ruhigem Wetter weit von unserer Ansiedlung zu hören war. Unser Glaube störte niemanden, vielen gefiel er sogar, und zwar nicht nur den einfachen Leuten, die Gott nach russischem Brauche verehren, sondern auch Andersgläubigen. Viele fromme kirchlich Gesinnte, die nicht Zeit hatten, zur Kirche jenseits des Flusses zu gehen, standen bei uns an den Fenstern, hörten zu und beteten mit. Wir trieben sie von da nicht weg, es wäre auch nicht möglich gewesen alle fortzujagen, weil auch hin und wieder die Ausländer kamen, die sich für die alten russischen Bräuche interessierten und unserem Gesang mit Vergnügen zuhörten. Der Oberbaumeister der Engländer, Jakow Jakowlewitsch, stand manchmal sogar mit einem Stück Papier hinter dem Fenster und wartete, um unsern Gesang in Notenschrift aufzuzeichnen, und wenn er dann zur Arbeit kam, summte er nach unserer Weise vor sich hin: »Herr Gott, erscheine uns.« Nur geriet es bei ihm, versteht sich, in einem anderen Stil, weil dieses Lied in der alten kirchlichen Notenschrift aufgezeichnet ist und sich mit den westlichen Noten nicht vollkommen aufzeichnen läßt. Die Engländer, man muß ihnen die Ehre lassen, sind umgängliche und gottesfürchtige Leute, sie hatten uns sehr gern und schätzten und lobten uns als gute Menschen. Mit einem Wort, der Engel Gottes hatte uns an einen guten Ort geführt und vor uns die Herzen der Menschen und die ganze Natur aufgetan. In solch friedlicher Stimmung, wie ich sie Ihnen geschildert habe, lebten wir fast drei Jahre. Alles glückte uns, und die Erfolge strömten über uns wie aus einem Zauberhorn, als wir plötzlich sahen, daß unter uns zwei Gefäße waren, die Gott zu unserer Bestrafung auserwählt hatte. Der eine war der Schmied Maroi, der andere der Rechnungsführer Pimen Iwanow. Maroi war ein ganz einfacher Mann, der weder lesen noch schreiben konnte, was unter den Altgläubigen selten vorkommt, aber doch auffallend: von außen plump wie ein Kamel und wild wie ein Eber, seine Brust war um die Hälfte breiter, als bei einem anderen Menschen, seine Stirn war mit dichten Haarbüscheln bewachsen, aber auf dem Scheitel hatte er sich eine Tonsur geschoren. Seine Sprache war dumpf und schwerverständlich, da er immer mit den Lippen schmatzte, und sein Verstand war so beschränkt, daß er nicht einmal aus dem Gedächtnis beten konnte, sondern nur immer dasselbe Wort vor sich hersagte. Aber er sah in die Zukunft, besaß die Gabe der Weissagung und konnte Andeutungen über kommende Dinge geben. – Pimen dagegen war ein stutzerhafter Mensch, der sich gern wichtig machte und seine Worte so schlau setzte, daß man seine Reden bewundern mußte, aber er hatte einen leichtfertigen und beeinflußbaren Charakter. Maroi war ein bejahrter Mann, schon über die siebzig, Pimen war mittleren Alters und ansehnlich: er hatte krause, in der Mitte gescheitelte Haare, starke Brauen, eine gesunde Gesichtsfarbe und war mit einem Wort ein strammer Mensch. Und siehe: in diesen beiden Gefäßen gärte der bittere Trank, den wir trinken mußten.

VIERTES KAPITEL

Die Brücke, die wir auf sieben Granitjochen bauten, war schon weit über das Wasser hinausgewachsen, und im Sommer des vierten Jahres begannen wir die eisernen Ketten über die Pfeiler zu spannen. Da wurden wir aber in unserer Arbeit etwas aufgehalten: als wir die Kettenglieder nach ihrer Größe aneinander paßten und mit stählernen Nieten zusammenfügten, zeigte es sich, daß viele Bolzen zu lang waren und daß man sie abschneiden mußte. Aber jeder dieser Bolzen war eine englische Stahlstange und in England hergestellt, aus härtestem Stahl gegossen und stark wie der Arm eines erwachsenen Mannes. Man konnte diese Bolzen nicht glühen, weil der Stahl darunter gelitten hätte, und kein Instrument griff den Stahl an. Da fand plötzlich unser Schmied Maroi ein Mittel: er verklebte den Bolzen, an der Stelle, wo man ihn abschneiden mußte, mit dickem Wagenteer, den er mit Sand bedeckte, steckte dann das ganze Stück in den Schnee, streute Salz herum und drehte und wendete es. Dann zog er es mit einem Ruck heraus, glühte es, und wenn er dann mit dem Hammer draufschlug, sprang es auseinander, wie man eine Wachskerze mit der Schere durchschneidet. Alle die Engländer und Deutschen kamen, um die schlaue Erfindung unseres Marois zu sehen; sie schauen und schauen, plötzlich lachen sie, sprechen zuerst untereinander in ihrer Sprache und sagen dann in unserer Sprache:

»So, Ruß; bist ein tüchtiger Kerl. Verstehst gut Physik.«

Aber was für eine »Physik« konnte unser Maroi kennen! Er hatte ja von der Wissenschaft keine Ahnung und tat nur, wie ihn Gott erleuchtete. Aber unser Pimen Iwanow brüstete sich damit. So war es nach beiden Seiten schlecht: die einen glaubten an die Wissenschaft, von der unser Maroi nicht das geringste wußte, und die anderen sagten, daß Gottes Segen über uns sichtbar Wunder wirke, von denen wir niemals etwas sahen. Und das letzte war für uns schlimmer als das erste. Ich erklärte Ihnen eben, daß Pimen Iwanow ein schwacher Mensch und ein Prahler war, und jetzt muß ich erklären, weshalb wir ihn doch in unserer Gesellschaft duldeten. Er fuhr für uns in die Stadt, um Lebensmittel zu holen, und besorgte die notwendigen Einkäufe; wir schickten ihn auf die Post, um Geld und die Pässe heimzuschicken und die neuen Pässe wieder abzuholen. Er erledigte alle solche Angelegenheiten und war uns, die Wahrheit zu sagen, in dieser Beziehung sogar sehr nützlich. Ein wirklich würdiger Altgläubiger meidet natürlich diese Eitelkeiten und flieht den Verkehr mit den Beamten, von denen wir außer Ärger nichts hatten; Pimen aber freute sich über diese Eitelkeiten und hatte in der Stadt auf dem anderen Ufer eine sehr ausgebreitete Bekanntschaft. Händler, Herrschaften, mit denen er in unseren Geschäften in Berührung kam, alle kannten ihn und hielten ihn für den Ersten bei uns. Natürlich lachten wir darüber, aber er liebte es sehr, mit den Herrschaften Tee zu trinken und groß daherzureden. Sie nennen ihn unseren Ältesten, und er lächelt nur, und in seinem Innersten schmeichelt es ihm. Mit einem Wort: Hohlheit! So kam unser Pimen auch zu einer nicht unwichtigen Persönlichkeit, die eine Frau aus unserer Gegend hatte. Sie war ebenfalls redselig und hatte irgendwelche neue Bücher über uns gelesen, in denen, wir wissen nicht was alles über uns geschrieben stand. Auf einmal erklärte sie, ich weiß nicht, wie es ihr in den Sinn kam, daß sie die Altgläubigen sehr liebe. Das war eine ganz wundersame Sache. Nun sie liebt uns halt, und so oft Pimen wegen irgendetwas zu ihrem Manne kommt, läßt sie ihn sofort sich niedersetzen, traktiert ihn mit Tee, und er freut sich darüber und setzt ihr seine Geschichten vor.

Bei solchem Weibergeschwätz erzählt er ihr, was wir Altgläubige für Menschen wären; wir seien wie die Heiligen, rechtschaffen und gesegnet, und unser Großsprecher schlägt die Augen nieder, legt den Kopf auf die Seite, streicht sich den Bart und sagt süßlich:

»Ja, Gnädige, wir halten eben das väterliche Gesetz und sind so, daß wir das Herkommen beobachten und einer für den anderen über die Reinheit der Sitten wacht.« Mit einem Wort, er sagt ihr lauter Dinge, die durchaus nicht zum Gespräch mit einer weltlichen Frau gehören. Aber denken Sie sich nur: sie interessiert sich dafür.

»Ich habe gehört,« sagt sie, »daß sich Gottes Segen sichtbar bei euch offenbart.«

Und er bestätigt es ihr sofort:

»Nun ja, Mütterchen,« antwortet er, »er offenbart sich; ganz sichtlich offenbart er sich.«

»Sichtlich?«

»Sichtlich,« sagt er, »Gnädige, sichtlich. Gerade dieser Tage hat einer unserer Leute den mächtigen Stahl wie ein Spinngewebe durchschnitten.«

Die Gnädige klatscht vor Überraschung in die Hände.

»Ach,« sagt sie, »wie interessant! Ich glaube an Wunder und liebe sie schrecklich! Wissen Sie, sagen Sie bitte Ihren Altgläubigen, sie möchten beten, daß Gott mir eine Tochter schenke. Ich habe zwei Söhne und möchte unbedingt eine Tochter. Ist das möglich?«

»Ja, das ist möglich,« antwortet Pimen, »warum nicht? Es ist sehr wohl möglich! Nur ist es in solchen Fällen notwendig, daß Sie für die Öllämpchen opfern.«

Zu seiner großen Befriedigung gibt sie ihm zehn Rubel für Öl, er steckt das Geld in die Tasche und sagt:

»Schön, seien Sie guten Mutes, ich werde es ausrichten.«

Pimen erzählte uns natürlich davon nichts, aber der Gnädigen wurde eine Tochter geboren.

Nun war sie vor Freude außer sich und ließ gleich nach der Geburt unseren Hohlkopf rufen; sie feiert ihn, als ob er selbst der Wundertäter wäre, und er nimmt das alles hin. So leichtfertig wird ein Mensch, sein Verstand verdunkelt sich, und sein Gefühl erstarrt. Nach einem Jahr hat die Herrin wieder eine Bitte an unseren Gott, daß nämlich ihr Mann ihr ein Landhaus mieten solle, – und wieder geht es nach ihrem Wunsch, und Pimen verwendet das Geld, das sie für Kerzen und Öl spendete, wie er es für zweckmäßig hält; zu uns gelangte aber nichts. Und tatsächlich ereigneten sich unerklärliche Wunder. Der älteste Sohn der Gnädigen war in der Schule der größte Taugenichts und ein fauler Schlingel, der nichts lernen wollte; als es zum Examen kam, ging sie zu Pimen und beauftragte ihn, zu beten, daß ihr Sohn in die andere Klasse versetzt werde. Pimen sagte:

»Das ist eine schwere Sache. Ich muß alle meine Leute die ganze Nacht beim Gebet zusammenhalten, damit sie bei Kerzen bis zum Morgen flehen.«

Aber sie besteht auf ihren Willen und händigt ihm dreißig Rubel ein: »Betet nur!« Und was denken Sie? Ihr nichtsnutziger Sohn hat solches Glück, daß man ihn in die nächste Klasse versetzt. Die Gnädige kommt fast von Sinnen darüber, daß Gott ihr solche Gefälligkeiten erweist. Sie gibt Pimen Auftrag auf Auftrag, und er hat schon bei Gott für sie Gesundheit erwirkt, eine Erbschaft, einen hohen Rang für ihren Mann und so viele Orden, daß sie auf seiner Brust keinen Platz mehr finden und er einen, wie man sagt, in der Tasche trägt. Es war einfach ein Wunder, aber wir erfuhren nichts davon. Es kam jedoch die Zeit, wo alles offenbar wurde und ein Wunder die anderen ablöste.

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