Читать бесплатно книгу «Soll und Haben, Bd. 1 (2)» Gustav Freytag полностью онлайн — MyBook

»Weißt du, was du bist? Du bist ein kleines Ungethüm,« sagte der Vater und schlug lustig mit dem Schlägel auf die Reifen eines Fasses.

Seit der Zeit schenkte Karl dem neuen Lehrling seine Gunst. Wenn er am Morgen auf die Stiefelsohlen desselben Nr. 14 geschrieben hatte, so stellte er die Stiefeln mit besonderer Sorgfalt zur Seite; er nähete ihm abgerissene Knöpfe an die Kleider und war, so oft Anton an der Waage zu thun hatte, dienstbeflissen an seiner Seite, ihm etwas zuzureichen und die kleineren Gewichte auf die Waage zu heben. Anton vergalt diese Dienste durch freundliches Wesen gegen Vater und Sohn, er unterhielt sich gern mit dem aufgeweckten Burschen und wurde der Vertraute von manchen kleinen Liebhabereien des Praktikers. Und als die nächste Weihnacht herankam, veranstaltete er bei den Herren vom Comtoir eine Geldsammlung, kaufte einen großen Kasten mit gutem Handwerkszeug und machte dadurch Karl zu dem glücklichsten aller Sterblichen.

Aber auch mit allen gebietenden Herren der Handlung stand Anton auf gutem Fuß. Er hörte die verständigen Urtheile des Herrn Jordan mit großer Achtung an, bewies Herrn Pix einen aufrichtigen und unbedingten Diensteifer, ließ sich von Herrn Specht in politischen Combinationen unterrichten, las die Missionsberichte, welche ihm Herr Baumann anvertraute, erbat sich von Herrn Purzel niemals Vorschüsse, sondern wußte mit dem Wenigen auszukommen, was ihm sein Vormund senden konnte, und ermunterte oft durch seine lebhafte Beistimmung Herrn Liebold, irgend eine unzweifelhafte Wahrheit auszusprechen und dieselbe nicht durch sofortigen Widerruf zu vernichten. Mit sämmtlichen Herren der Handlung stand er auf gutem Fuß, nur mit einem einzigen wollte es ihm nicht glücken, und dieser eine war der Volontair des Geschäfts.

An einem Nachmittage sah das Comtoir in der Dämmerung grau und unheimlich aus, melancholisch tickte die alte Wanduhr und jeder Eintretende brachte eine Wolke feuchter Nebelluft in das Zimmer, welche den Raum nicht anmuthiger machte. Da gab Herr Jordan unserm Helden den Auftrag, in einer andern Handlung eine schleunige Besorgung auszurichten. Als Anton an das Pult des Procuristen trat, um den Brief in Empfang zu nehmen, sah Fink von seinem Platz auf und sagte zu Jordan: »Schicken Sie ihn doch gleich einmal zum Büchsenmacher, der Taugenichts soll ihm mein Gewehr mitgeben.«

Unserm Helden schoß das Blut in's Gesicht, er sagte eifrig zu Jordan: »Geben Sie mir den Auftrag nicht, ich werde ihn nicht ausrichten.«

»So?« frug Fink und sah verwundert auf: »und warum nicht, mein Hähnchen?«

»Ich bin nicht Ihr Diener,« antwortete Anton erbittert. »Hätten Sie mich gebeten, den Gang für Sie zu thun, so würde ich ihn vielleicht gemacht haben, aber einem Auftrage, der mit solcher Anmaßung gegeben ist, folge ich nicht.«

»Einfältiger Junge,« brummte Fink und schrieb weiter.

Das ganze Comtoir hatte die schmähenden Worte gehört, alle Federn hielten still, und alle Herren sahen auf Anton. Dieser war in der größten Aufregung, er rief mit etwas bebender Stimme, aber mit blitzenden Augen: »Sie haben mich beleidigt, ich dulde von Niemandem eine Beleidigung, am wenigsten von Ihnen. Sie werden mir heut Abend darüber eine Erklärung geben.«

»Ich prügele Niemanden gern,« sagte Fink friedfertig, »ich bin kein Schulmeister und führe keine Ruthe.«

»Es ist genug,« rief Anton todtenbleich, »Sie sollen mir Rede stehen,« ergriff seinen Hut und stürzte mit dem Briefe des Herrn Jordan hinaus.

Draußen rieselte ein kalter Regen herunter, Anton merkte es nicht. Er fühlte sich vernichtet, gehöhnt von einem Stärkeren, tödtlich gekränkt in seinem jungen, harmlosen Selbstgefühl. Sein ganzes Leben schien ihm zerstört, er kam sich hülflos vor auf seinen Wegen, allein in einer fremden Welt. Gegen Fink empfand er etwas, was halb glühender Haß war, und halb Bewunderung; der freche Mensch erschien ihm auch nach dieser Beleidigung so sicher und überlegen. Es wurde ihm schwer um's Herz, und seine Augen füllten sich mit Thränen. So kam er an das Haus, wo er seinen Auftrag auszurichten hatte. Vor der Thür hielt der Wagen seines Prinzipals, er huschte mit niedergeschlagenen Augen vorbei und hatte kaum Fassung genug, in dem fremden Comtoir sein Unglück zu verbergen. Als er wieder herauskam, traf er im Hausflur mit der Schwester seines Prinzipals zusammen, welche im Begriff war, in den Wagen zu steigen. Er grüßte und wollte neben ihr vorbeistürzen, Sabine blieb an dem Hausflur stehen und sah ihn an. Der Bediente war nicht zur Stelle, der Kutscher sprach vom Bock nach der andern Seite herab laut mit einem Bekannten. Anton trat herzu, rief den Kutscher an, öffnete den Schlag und hob das Fräulein in den Wagen. Sabine hielt den Schlag zurück, den er zuwerfen wollte, und blickte ihm fragend in das verstörte Gesicht. »Was fehlt Ihnen, Herr Wohlfart?« frug sie leise.

»Es wird vorübergehen,« erwiederte Anton mit zuckender Lippe und einer Verbeugung und schloß die Wagenthür. Sabine sah ihn noch einen Augenblick schweigend an, dann neigte sie sich gegen ihn und zog sich zurück, der Wagen fuhr davon.

So unbedeutend der Vorfall war, er gab doch den Gedanken Antons eine andere Richtung. Sabinens Frage und ihr Gruß waren in diesem Augenblick eine Beschwörung seiner Muthlosigkeit. In ihrer dankenden Verbeugung lag Achtung, und ein menschlicher Antheil in ihren Worten. Die Frage, der Gruß, der kleine Ritterdienst, den er der jungen Herrin des Hauses geleistet hatte, erinnerten ihn, daß er kein Kind sei, nicht hülflos, nicht schwach und nicht allein. Ja auch in seiner bescheidenen Stellung genoß er die Achtung Anderer, und er hatte ein Recht darauf, und er hatte die Pflicht, sich diese Achtung zu bewahren. Er erhob sein Haupt, und sein Entschluß stand fest, lieber das Aeußerste zu thun, als den Schimpf zu ertragen. Er hielt die Hand in die Höhe, wie zum Schwur.

Als er in das Comtoir zurückkam, richtete er mit entschiedenem Wesen seine Besorgung aus, ging schweigend und unbekümmert um die neugierigen Blicke der Herren an seinen Platz und arbeitete weiter.

Nach dem Schluß des Comtoirs eilte er auf Jordans Zimmer. Er fand bereits die Herren Pix und Specht daselbst vor, in dem gemüthlichen Eifer, welchen jede solche Scene bei Unbetheiligten zu erzeugen pflegt. Die drei Herren sahen ihn zweifelhaft an, wie man einen armen Teufel ansieht, der vom Schicksal mit Fäusten geschlagen ist, etwas verlegen, etwas mitleidig, ein wenig verächtlich. Anton sagte mit einer Haltung, die in Betracht seiner geringen Erfahrung in Ehrensachen anerkennenswerth war: »Ich bin von Herrn von Fink beleidigt worden und habe die Absicht, mir diese Beleidigung nicht gefallen zu lassen. Sie Beide, Herr Jordan und Herr Pix, sind im Geschäft meine Vorgesetzten, und ich habe große Achtung vor Ihrer Erfahrung. Von Ihnen wünsche ich vor Allem zu wissen, ob Sie in dem Streite selbst mir vollkommen Recht geben.«

Herr Jordan schwieg vorsichtig, aber Herr Pix zündete entschlossen eine Cigarre an, setzte sich auf den Holzkorb am Ofen und erklärte: »Sie sind ein guter Kerl, Wohlfart, und Fink hat Unrecht, das ist meine Meinung.«

»Meine Meinung ist es auch,« stimmte Herr Specht bei.

»Es ist gut, daß Sie sich an uns gewandt haben,« sagte Herr Jordan; »ich hoffe, der Streit wird sich beilegen lassen; Fink ist oft rauh und kurz angebunden, aber er ist nicht malitiös.«

»Ich sehe nicht ein, wie die Beleidigung ausgeglichen werden kann, wenn ich nicht die nöthigen Schritte thue,« rief Anton finster.

»Sie wollen den Streit doch nicht vor den Prinzipal bringen?« frug Herr Jordan mißbilligend, »das würde allen Herren unangenehm sein.«

»Mir am meisten,« erwiederte Anton; »ich weiß, was ich zu thun habe, und wünsche nur vorher noch von Ihnen die Erklärung, daß Fink mich unwürdig behandelt hat.«

»Er ist Volontair,« sagte Herr Jordan, »und hat kein Recht, Ihnen Aufträge zu geben, am wenigsten in seinen Privatgeschäften mit Hasen und Rebhühnern.«

»Das genügt mir,« sagte Anton, »und jetzt bitte ich Sie, Herr Jordan, mich einen Augenblick unter vier Augen anzuhören.« Er sagte das mit so viel Ernst, daß Herr Jordan stillschweigend die Thür seiner Schlafkammer aufmachte und mit ihm eintrat. Hier ergriff Anton die Hand des Procuristen, drückte sie kräftig und sprach: »Ich bitte Sie um einen großen Dienst, gehen Sie hinab zu Herrn von Fink und fordern Sie von ihm, daß er mir morgen, in Gegenwart der Herren vom Comtoir, das abbittet, was er von beschimpfenden Ausdrücken gegen mich gebraucht hat.«

»Das wird er schwerlich thun,« sagte Herr Jordan kopfschüttelnd.

»Wenn er es nicht thut,« sagte Anton heftig, »so fordern Sie ihn von mir auf Degen oder Pistolen.«

Wenn vor Herrn Jordan plötzlich aus seiner Tintenflasche ein schwarzer Rauch gestiegen wäre, wenn dieser Rauch sich zu einem fürchterlichen Geiste zusammengeballt hätte, wie in jenem alten Märchen, und wenn dieser Geist die Absicht ausgesprochen hätte, Herrn Jordan sofort zu erdrosseln, so hätte dieser Herr nicht bestürzter dastehen können, als er jetzt unserm Helden gegenüberstand. »Sie sind des Teufels, Wohlfart,« rief er endlich, »Sie wollen sich mit Herrn von Fink duelliren, und er ist ein toller Pistolenschütz, und Sie sind Lehrling und erst seit einem halben Jahr im Geschäft, das ist ja unmöglich!«

»Ich bin Primaner gewesen, und habe mein Abiturientenexamen gemacht, und wäre jetzt Student, wenn ich nicht vorgezogen hätte, Kaufmann zu werden! – Verwünscht sei das Geschäft, wenn es mich so erniedrigt, daß ich meinen Feind nicht mehr fordern darf. Ich gehe dann noch heut zu Herrn Schröter und erkläre ihm meinen Austritt,« rief Anton mit flammenden Augen.

Herr Jordan sah mit größtem Erstaunen auf seinen gutmüthigen Schüler, der auf einmal als phantastischer Riese vor ihm umher flackerte. »Seien Sie nur nicht so heftig, lieber Wohlfart,« bat er begütigend, »ich werde zu Fink hinuntergehen, vielleicht läßt sich Alles im Guten ausgleichen.«

»Ich verlange Abbitte vor dem Comtoir,« rief Anton wieder, »Abbitte oder Satisfaction.«

Es war wohlthuend, unterdeß die beiden Herren in der Nebenstube zu beobachten. Pix hatte als kluger Feldherr mit einem Ruck seinen Holzkorb in die Nähe der Kammerthür geschoben und saß scheinbar gleichgültig da, nur mit seiner Cigarre beschäftigt, während Herr Specht sich nicht enthalten konnte, das Ohr an die Thüre zu legen. »Sie schießen sich,« flüsterte Herr Specht, entzückt über die großen Empfindungen, welche dieser Streit hervorzurufen versprach. »Passen Sie auf, Pix, es wird ein furchtbares Unglück; wir Alle müssen zum Begräbniß gehen, Keiner darf fehlen. Ich wirke die Erlaubniß aus, daß wir Junggesellen die Leiche tragen dürfen.«

»Wessen Leiche?« frug Herr Pix verwundert.

»Wohlfart muß daran glauben,« rief Herr Specht wieder in dumpfem Flüsterton.

»Unsinn,« sagte Herr Pix, »Sie sind ein Narr!«

»Ich bin kein Narr, und ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten,« rief Herr Specht wieder flüsternd und nach dem Beispiel Antons entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen.

»Schreien Sie mir nicht so in's Ohr,« sagte Herr Pix unbewegt, »man kann nichts verstehen.« In dem Augenblick öffnete sich die Thür, Herr Specht sprang an ein Fenster und starrte angelegentlich in die finstere Regennacht, während Pix unserm Anton die Hand schüttelte und ihm erklärte, er sei ein tüchtiger Mann und das Provinzialgeschäft sei ganz auf seiner Seite. – Herr Jordan ging zu Fink hinab und kam bald wieder herauf; Herr von Fink war nicht zu Hause. Wahrscheinlich saß der Jokei ahnungslos in irgend einer Weinstube. Anton sagte darauf: »Ich lasse die Sache nicht bis morgen ruhen, ich werde ihm schreiben und den Brief durch den Bedienten auf seinen Tisch legen lassen.«

»Thun Sie das nicht,« bat Herr Jordan, »Sie sind jetzt zu zornig.«

»Ich bin sehr ruhig,« erwiederte Anton mit heißen Wangen; »ich werde ihm nur das Nöthige schreiben. Sie, meine Herren, bitte ich, daß Sie über Alles, was Sie hier gehört haben, gegen die Andern schweigen.«

Das versprachen die Herren. Darauf ging er auf sein Zimmer und schrieb einen Brief, in dem er Herrn von Fink sein Unrecht vorhielt und ihm schließlich die Wahl ließ, ob er durch Schläger oder Pistolen das verletzte Selbstgefühl Antons ausbessern wollte. Der Brief war für einen jungen Gentleman gut genug geschrieben und wurde neben den Wachsstock des Herrn von Fink in dessen Stube niedergelegt, nachdem Herr Specht dem Bedienten noch auf der Treppe eingeschärft hatte, mit Kreide drei große Ausrufungszeichen auf den Tisch zu malen; wahrscheinlich sollten sie die Stelle der Späne vertreten, welche die Boten der heiligen Vehme aus dem Burgthor der Angeklagten zu hauen pflegten. Anton blieb den Rest des Abends auf seinem Zimmer, wo er unruhig auf und ab schritt, bald die Scene der Beleidigung, bald die zu erwartende Scene dramatisch auseinander legte und jede Art von Gefühlen durcharbeitete, welche bei einem armen Jungen vor dem ersten Duell unvermeidlich sind.

Unterdeß wurde im Zimmer des Herrn Jordan große Sitzung des gesammten Geschäfts gehalten. Da Herr Pix und Herr Specht versprochen hatten, zu schweigen, beschränkten sie sich auf so mysteriöse und finstere Andeutungen, daß bei einem Theil der Herren die Ansicht entstand, ein Mord sei entweder schon vollbracht, oder doch jeden Augenblick zu fürchten, bis endlich Herr Jordan das Wort ergriff: »Da die Differenz doch kein Geheimniß ist, und die Sache uns Alle angeht, so ist es am besten, wenn wir sie unter einander besprechen und uns sämmtlich Mühe geben, die nachtheiligen Folgen zu verhüten. Ich werde aufbleiben, bis Fink zurückkommt, und sogleich mit ihm reden. Unterdeß muß ich Wohlfart das Zeugniß geben, daß er sich so gewandt benommen hat, wie bei einem jungen Mann ohne Erfahrung nur möglich ist.« Alle stimmten eifrig bei. Darauf geriethen der Zollcommis Herr Birnbaum und Herr Specht in eine lebhafte Erörterung über die verschiedenen Arten der Duelle, und Herr Specht behauptete, beim Schießen über das Schnupftuch würden den Duellanten mit einem seidenen Taschentuch die Augen verbunden, und dieselben auf ihren Standorten so lange im Kreise herumgedreht, bis der Kampfrichter mit seinem Stock aufklopfe, worauf ihnen frei stehe, hinzuschießen, wohin sie wollten. Herr Baumann stahl sich zuerst aus der Gesellschaft fort und ging zu Anton, drückte diesem herzlich die Hand und bat ihn dringend, nicht um rauher Worte willen zwei Menschenleben auf das Spiel zu setzen. Nachdem er Abschied genommen hatte, fand Anton auf seinem Tisch ein kleines Exemplar des Neuen Testaments aufgeschlagen und darin durch ein großes Ohr den heiligen Spruch bezeichnet: »Segnet, die euch fluchen.« Anton war gerade nicht in der Stimmung, den Sinn dieser Worte zu befolgen. Aber er setzte sich doch vor das Buch und las darin die Sprüche, welche er als Kind seiner guten Mutter so oft aufgesagt hatte. Er wurde weicher und ruhiger und ging in dieser Stimmung zu Bette.

Unterdeß drang das Gerücht von einem furchtbaren Ereigniß durch alle Schlüssellöcher, Ritze und Kammern des alten Hauses.

Sabine war in ihrer Schatzkammer. Dies war ein Raum, unwohnlich für einen Gast, aber für jede Hausfrau ein heimliches, herzerhebendes Zimmer. An den Wänden standen mächtige Schränke von Eichen- und Nußbaumholz mit schöner eingelegter Arbeit, in der Mitte ein großer Tisch mit geschnörkelten Beinen, darum einige alte Lehnstühle. Aus den geöffneten Schränken glänzten im Lampenlicht unzählige Gedecke von Damast, hohe Terrassen von Wäsche, Linnen und bunten Stoffen, Krystallgläser, silberne Pocale, Porcellan und Fayence im Geschmack von mehr als drei Generationen. Die Luft war mit einem kräftigen Duft erfüllt, der aus uraltem Lavendel, Eau de Cologne und frischer Wäsche aufstieg. Hier herrschte Sabine allein. Nur ungern sah sie einen fremden Fuß eintreten; was aus den Schränken genommen wurde und wieder hineinkam, hob sie mit eigenen Händen; nur der treue Diener hatte das Vorrecht, ihr an schweren Tagen zu helfen, und zuweilen Karl Sturm, sein Adjutant, der gewisse rosafarbene Pappkarten zum Zeichnen der Wäsche anfertigte und prachtvolle Zahlen darauf schrieb.

Heute stand Sabine noch spät vor dem Tisch, der mit weißer Wäsche belastet war; sie suchte die Nummern des feinen Damasts zusammen, zählte und sortirte Tischdecken und Servietten, band große Bündel mit rosa Bändern zusammen und hing die Nummerkarten daran. Zuweilen hielt sie ein Stück näher an das Licht und sah mit Behagen auf die weißen Arabesken, welche die Kunst des Webers hineingewirkt hatte. Da flog ein dunkler Schatten über ihr Antlitz und traurig sah sie auf einige wunderfeine Servietten, in welche zahlreiche kleine Löcher gestochen waren, je drei oder vier in einer Reihe. Endlich rief sie den Bedienten. »Es ist nicht mehr auszuhalten, Franz, auch in No. 24 sind wieder drei Servietten mit der Gabel durchstochen. Einer der Herren sticht in das Tischzeug! Das ist bei uns doch nicht nöthig.«

»Nein,« sagte der Vertraute kummervoll; »ich selbst habe ja das Silberzeug unter mir, ich weiß am besten, daß es nicht nöthig ist.«

»Wer von den Herren ist so rücksichtslos?« frug Sabine streng. »Es muß einer der Neuen sein.«

»Herr von Fink ist es,« klagte der Diener, »er sticht vor jedem Essen zweimal mit der Gabel durch die Serviette; es giebt mir jedesmal einen Stich durch's Herz, Fräulein Sabine. Aber Herrn von Fink kann ich doch nichts sagen.«

Sabine hing den Kopf über die zerstochenen Servietten. »Ich wußte, daß er es war,« seufzte sie. – »Aber das darf nicht so fortgehen. Ich werde Ihnen für Herrn von Fink eine besondere Nummer herausgeben, die müssen wir opfern, bis sich eine Gelegenheit findet, ihn zu bitten, daß er von seinen Angriffen abläßt.« Sie trat zu dem Schrank und suchte lange. Es war eine schwere Wahl. Zwar von den groben konnte sie ohne Schmerz einige Dutzend missen, von den feinen aber war ihr jedes Gedeck an's Herz gewachsen. Eines freilich mehr als das andere. – »Dieses mag hingehen,« sagte sie endlich betrübt, »hier fehlt ohnedies eine Serviette.« Sie sah noch einmal auf das Muster, kleine Pfauen, welche kunstvoll durch Blumengewinde schritten, und legte die Nummer auf den Arm des Dieners. »Herr von Fink bekommt keine andern Servietten, als diese,« befahl sie.

Franz zögerte zu gehen. »Er hat auch in seiner Schlafstube eine Gardine angebrannt,« sagte er unruhig. »Der Flügel wird nicht mehr zu brauchen sein.«

»Und sie war ganz neu,« klagte Sabine. »Morgen früh nehmen Sie die Gardine ab. – Was haben Sie noch, Franz? Ist etwas vorgefallen?« —

»Ach, Fräulein,« erwiederte der Diener geheimnißvoll, »drüben bei den Herren geht Alles durcheinander. Herr von Fink hat Herrn Wohlfart sehr beleidigt, Herr Wohlfart ist wüthend, es wird ein Duell geben, sagt Herr Specht, die Herren fürchten ein großes Unglück.«

»Ein Duell,« rief Sabine, »zwischen Fink und Wohlfart?« – Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben wohl Herrn Specht mißverstanden,« fügte sie lächelnd hinzu.

»Nein, Fräulein Sabine, diesmal ist es ernsthaft. – Es wird ein Unglück geben, Herr Wohlfart ging im größten Zorn an mir vorüber, und er hat seinen Thee nicht angerührt.«

»Ist mein Bruder noch nicht zurück?«

»Er kommt heut spät nach Hause, er ist im Comité.«

»Es ist gut,« schloß Sabine. »Sie schweigen gegen Jedermann, Franz, hören Sie?«

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