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„Selbstverständlich!“ wie das klang! So weiblich demüthig, so mütterlich liebend und – verziehend. … Sie hatte ihm „selbstverständlich“ auch das schönste Zimmer im Hause ausgesucht, das Eckzimmer, an dessen östlich gelegenen Fenstern der Fluß vorbeirauschte. Ueber den breiten Wasserstreifen hinaus that sich eine der hübschesten Parkpartieen auf, und fern, hinter Lindenwipfeln, glänzte bläulich das Schieferdach der Villa. … Zwischen diesen Fenstern, an der sehr schmalen Spiegelwand stand der Schreibtisch; wenn der Doctor die Augen vom Papier hob, dann sah er dort die Fahnenstange in den Himmel hineinragen – in den Himmel! Käthe fühlte plötzlich ihre Wangen in heißer Scham brennen; hier bot zärtliche Fürsorge Alles auf, dem Mann verstohlen das Süßeste, das Geliebteste nahe zu rücken, und dort drüben sann ihre treulose Schwester Tag und Nacht darauf, ihn aus seinem Himmel zu stoßen. Mit dem frivolen: „Beglücke Du ihn doch!“ hatte sie vorhin ihre Anrechte verächtlich ausgeboten.

Ob die warmherzige, zartempfindende Frau, die da neben ihr stand, es wohl ahnte, oder vielleicht auch nur instinctmäßig fühlte, daß über kurz oder lang ein unabwendbares Leid, wie es ihn schwerer nicht treffen konnte, über ihren Liebling hereinbrechen werde? Sie hatte Käthe nicht aufgenommen, wie eine kaum in die Heimath Zurückgekehrte, den Familienverhältnissen Entfremdete, sondern als Bruck’s jüngste Schwägerin, die nothwendig mit allen Beziehungen so vertraut sein müsse, daß sie sich gar nicht erst als Tante vorzustellen brauche – demnach mußte ihr Verkehr in der Villa Baumgarten kein intimer sein, und es war in diesem Moment, als wolle sie die Annahme bestätigen, denn sie zeigte nach der leeren Spiegelwand über dem Schreibtisch und sagte unbefangen: „Ich bin noch nicht fertig mit der Einrichtung – da fehlt noch die Photographie der Braut und das Oelbild seiner Mutter, meiner lieben, verstorbenen Schwester.“

Sonst fehlte nichts mehr in dem unbeschreiblich anheimelnden Zimmer. Der Doctor, der heute mit dem Abendzug zurückkehren sollte, hatte keine Ahnung, daß er die Tante nicht mehr in der Stadt finden werde. Sie hatte ihm den Umzugstrubel ersparen wollen, und der Commerzienrath war, wie sie dankbar sagte, so sehr zuvorkommend gewesen, ihr zu dem Zweck das Haus sofort zu übergeben.

[109] Während dieser Mittheilungen glitt die Frau Diaconus immer noch ordnend, aber so geräuschlosen, behutsamen Trittes umher, als säße der Doctor bereits dort am Schreibtisch über seinem neuen Werke, zu dessen ungestörter Vollendung er sich eben „das Zimmer im Grünen“ vorbehalten hatte. Und dann schloß sie ein Wandschränkchen neben dem Büchergestell auf und nahm einen Teller mit Prophetenkuchen heraus. Mit einer anmuthigen Geberde hielt sie dem jungen Mädchen das einfache Gebäck hin. „Es ist ganz frisch – ich habe es heute, trotz aller Umzugsarbeit, gebacken. Der Doctor braucht immer dergleichen für kleine widerhaarige Patienten … Wein aber kann ich Ihnen nicht anbieten; die wenigen Flaschen, auf die wir halten, habe ich in der Stadt gelassen; sie gehören den Schwerkranken.“

Käthe dachte an die vielen Papiere in ihrem Geldschrank, die „bienenfleißig arbeiten“, um immer neue Geldströme aus der Welt herbeizuziehen, an den reichausgestatteten Weinkeller im Thurm, an ihre übermüthige cigarrenrauchende Schwester zwischen den purpurfarbenen Polstern des Ruhebettes – welch ein ungeheurer Contrast zu diesem einfachen Genügen und Entsagen! Und wie wurde sie hier an ihr Dresdner Heim erinnert! Das Herz ging ihr auf; sie erzählte von ihrer Pflegemutter und der weisen, festen und doch so wohlthuenden Art, wie sie wirke und Andere beeinflusse, wie sie die fleißigen Hände rege und von der Pflegetochter dasselbe verlange.

„Was aber sagt die Frau Präsidentin zu diesem Erziehungssystem?“ fragte die Tante fein lächelnd, während ihr Blick in geheimem Wohlgefallen an der blühenden Jugendgestalt hing.

„Ich weiß es nicht,“ versetzte Käthe achselzuckend, mit muthwillig aufblitzenden Augen, „aber ich glaube, meine Bewegungen sind ihr zu rasch, meine Stimme klingt ihr zu laut, ich bin ihr zu robust und nicht blaß genug. Gott mag wissen, wie viel Noth man mit mir hat! – Ist dies das Portrait Ihrer Frau Schwester?“ fragte sie plötzlich ablenkend und zeigte nach dem Oelbild einer hübschen Frau, das an der Wand lehnte.

Die alte Dame bejahte die Frage. „Es macht mir Angst, bis ich es wieder an seinem sicheren Platze sehe; der Rahmen ist ein wenig hinfällig,“ sagte sie. „Aber ich leide an Schwindel und darf mich nicht auf die Leiter wagen … Vor einigen Wochen habe ich das Dienstmädchen abgeschafft,“ – eine zarte Röthe stieg ihr in das Gesicht – „und nun muß ich warten, bis die Aufwärterin kommt und mir die letzten Bilder und meine Bettgardinen aufhängt.“

Schon bei den ersten Worten dieser Auseinandersetzung war Käthe an den Schreibtisch getreten; sie legte den Sonnenschirm auf die Platte desselben und steckte unbedenklich den kleinen Strauß von Weidenkätzchen und Leberblümchen in ein zierliches milchweißes Trinkglas, das neben dem Schreibzeuge stand. Dann zog sie mit einem kräftigen Rucke den Arbeitstisch tiefer in das Zimmer und stellte einen Rohrstuhl an die Wand. „Darf ich?“ fragte sie zutraulich und griff nach Hammer und Nägeln, die auf dem Fenstersimse bereit lagen.

Dankbar lächelnd brachte die Tante das Bild herbei, und nach wenigen Augenblicken hing es an der Wand. Käthe bebte unwillkürlich zurück, als ihr die alte Dame nun auch Flora’s Photographie hinhielt. Sie sollte mit eigener Hand dem verrathenen Manne das Bild vor die Augen führen, das schon nicht mehr sein Eigenthum war – binnen Kurzem wurde es zurückgefordert, so gut wie der Ring, den er noch am Finger trug. Welche peinvolle Lage! Und jetzt ließ die Tante auch noch liebkosend die Hand über das Portrait hingleiten. „Sie ist so wunderschön,“ sagte sie zärtlich. „Ich kenne sie im Grunde wenig; sie besucht mich sehr selten; wie könnte ich alte Frau denn auch verlangen, daß sie sich bei mir langweilen soll, aber ich habe sie doch von Herzen lieb; sie liebt ihn ja und wird ihn glücklich machen.“

Diese unbegreifliche Ahnungslosigkeit! Dem jungen Mädchen war es, als brenne der Stuhl unter ihren Füßen – sie hatte zu kopflos gehandelt. Nach Allem, was sie eben noch drüben im Thurme mit angehört, durfte sie hier nicht eintreten. Sie kam sich falsch und heuchlerisch vor, weil sie nicht der Frau sofort das Bild aus der Hand stieß und ihr die Schlange enthüllte, die nach ihrem Herzen zischte. Und doch durfte ihr kein Wort entschlüpfen. Sie schlug so heftig auf den Nagel, daß die Wand dröhnte, dann hing sie mit spitzen Fingern die Photographie hin und sprang vom Stuhle. Wie ein schöner, böser, triumphirender Dämon lächelte das verführerische Gesicht der Schwester auf den Schreibtisch nieder.

Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme, um schleunigst das Zimmer zu verlassen. Ueber die Schwelle schreitend, sah sie durch die nächste, weitoffene Thür direct auf das Bett der alten Dame – die Treppenleiter stand daneben. „Das hätte ich fast vergessen,“ rief sie entschuldigend; sie huschte hinüber, und den buntgeblümten Vorhang vom Bette nehmend, stieg sie die Leiter hinauf. Seitwärts in der dunklen Fensterecke stand sie so hoch oben, daß sie die herabhängenden Füßchen der Engelsgestalten in der Deckenverzierung berühren konnte. Mit fliegender Hast[110] reihte sie die Ringe der Gardine auf das Eisengestell, während die Tante an dem mitten in ihrem Zimmer befindlichen Tische stand und ein Glas Wasser mit Himbeersaft „für ihre gütige Gehülfin“ mischte.

Da sah Käthe draußen am Fenster einen Mann rasch vorübergehen, einen Mann von strenger Haltung und auffallend stattlicher Gestalt. Sie erkannte ihn sofort und erschrak; ehe sie sich aber klar wurde, ob sie bleiben oder schleunigst herabsteigen sollte, hatte er schon den Flur durchschritten und öffnete die Thür im Zimmer der Tante. Die alte Dame drehte sich um, und mit dem Ausrufe: „Ach, Leo, da bist Du ja schon!“ eilte sie auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. Vergessen war die Himbeerlimonade, vergessen „die gütige Gehülfin“, welche sie trinken sollte, und die sich nun in namenloser Verlegenheit halb und halb hinter dem Kattunvorhange zu verbergen suchte – jetzt mußte sie sich still verhalten, wenn sie nicht plump störend zwischen die Wiedersehensscene treten wollte.

Sie sah, wie sich das schöne, bärtige Gesicht des Doctors liebevoll über die treue, mütterliche Pflegerin neigte, wie er sie fest an sich zog und ihre Hand von seiner Schulter nahm, um sie ehrerbietig zu küssen. Und nun überblickten seine Augen das Zimmer.

Nun, Leo, was sagst Du, daß ich ohne Dein Vorwissen ausgeflogen bin?“ fragte die alte Dame, den Blick auffangend.

„Ich sollte das eigentlich nicht billigen. Du hast Dir in den wenigen Tagen zu viel zugemuthet, und wir wissen, daß Dir häusliche Unruhe und Ueberstürzung stets feindlich sind; übrigens siehst Du wohl und frisch aus.“

„Du aber nicht, Leo,“ unterbrach ihn die Tante bekümmert. „Du hast nicht die kräftige Farbe wie sonst, und hier“ – sie strich leicht mit der Hand über seine Stirn – „liegt etwas Fremdes, etwas wie ein finsterer, quälender Gedanke. Hast Du Verdruß gehabt auf Deiner Berufsreise?“

„Nein, Tante!“ Das klang aufrichtig und beruhigend, aber auch kurz abbrechend – der Commerzienrath hatte es ja gesagt, Bruck sprach nie über seinen Beruf und dessen Vorkommnisse. „Wie mich dieses Zimmer anheimelt, trotz seiner verdunkelten Wände!“ sagte er, und die Hände auf dem Rücken gekreuzt, wandelte er mit musterndem Blicke langsam nur den Tisch. „Der Friede der selbstlosen Frauenseele weht Einen an – das ist’s auch, weshalb ich so gern heimgehe in unser Stillleben mit den einfachen Möbeln und Deinem geräuschlosen Walten, Tante. Ich werde viel hier sein –“

Die alte Frau lachte. „Ja, ja, bis zu einem gewissen Junitage,“ versetzte sie schelmisch. „Zu Pfingsten wird Deine Hochzeit sein.“

„Am zweiten Pfingsttage.“ Wie seltsam er das aussprach, so kalt und fest, so unerbittlich – der ließ sich nicht eine Secunde von der festgesetzten Stunde abdingen. Käthe fühlte etwas, wie einen Angstschauer. Sie hielt den Athem zurück; nun durfte sie sich gar nicht sehen lassen. Von Minute zu Minute hoffte sie, daß der Doctor in sein Zimmer gehen werde, dann konnte sie leicht ihren hohen Standpunkt verlassen und hinausschlüpfen, ohne ihm begegnen zu müssen. Ihre ganze Natur empörte sich gegen dieses unfreiwillige Lauschen. Aber statt zu gehen, blieb er plötzlich am Tische stehen und nahm einen Brief zur Hand, der zwischen verschiedenen, noch nicht geordneten Bücherstößen lag.

Die Tante machte eine unwillkürliche Bewegung, als wolle sie ihn verhindern, zu lesen; ihr zartes Gesicht war sehr roth geworden. „Ach Gott, wie vergeßlich wird doch so ein alter Kopf!“ klagte sie. „Der Brief wurde vor einigen Stunden aus der Stadt mitgebracht. Er ist vom Kaufmanne Lenz; heute sollte er gar nicht in Deine Hände kommen, und nun habe ich ihn doch liegen lassen. Ich glaube, er enthält das Honorar – zu so ungewöhnlicher Zeit, Leo – ich fürchte –“

Der Doctor hatte das Couvert bereits erbrochen und überflog die Zeilen. „Ja, auch er lohnt mich ab,“ sagte er ruhig und warf den Brief und etwas Papiergeld auf den Tisch. „Grämst Du Dich darüber, Tante?“

„Ich? Nicht einen Augenblick, Leo, wenn ich weiß, daß Du Dir die Undankbarkeit dieser urtheilslosen Menschen nicht zu Herzen nimmst. … Ich glaube unerschütterlich an Dich und Deine Kunst und – an Deinen Stern,“ sagte die sanfte Frauenstimme warm und überzeugungsfroh. „Die Steine, die Mißgeschick und Uebelwollen Dir zeitweilig unter die Füße werfen, beirren mich nicht – Du machst Deinen Weg.“ Sie zeigte in die offene Thür des Eckzimmers. „Sieh’ Dir Dein Stübchen an! Wie ungestört und unbehelligt wirst Du hier denken und arbeiten können! Ach, und wie freue ich mich der Zeit, die wir noch traulich zusammenleben werden, wo ich noch für Dich sorgen darf –“

„Ja, Tante – aber die Einschränkungen, die Du in Folge des mißlichen Umschwungs meiner Verhältnisse während der letzten Monate allmählich eingeführt hast, müssen aufhören. Ich leide nicht mehr, daß Du stundenlang auf dem kalten Steinfußboden der Küche stehst. Wenn möglich, rufst Du noch heute unsere alte Köchin zurück. Du kannst das unbesorgt.“ Er griff in die Brusttasche, nahm eine schwere Börse heraus – sie strotzte von Goldstücken – und schüttete ihren Inhalt auf den Tisch.

Die alte Frau schlug stumm und in freudiger Ueberraschung die Hände zusammen über das rollende Gold auf ihrer einfachen Tischdecke.

„Es ist ein einziges Honorar, Tante,“ sagte er mit hörbarer Genugthuung. „Die schwere Zeit ist vorüber.“ Bei diesen Worten wandte er sich ab und trat auf die Schwelle des Eckzimmers.

Man sah, die Tante hatte Manches auf dem Herzen, aber sie fragte mit keiner Silbe, welcher Cur und welchem Patienten er diese große Geldsumme verdanke.

Käthe benutzte den günstigen Moment, um die Leiter hinabzugleiten. Wie schlug ihr das Herz, wie brannten ihre Wangen vor Beschämung darüber, daß sie diese intimen Erörterungen mit angehört hatte! Dort die Thür führte direct in den Flur. Da hinaus konnte sie unbemerkt entkommen; selbst die Tante Diaconus sollte glauben, sie habe längst das Schlafzimmer verlassen und kein Wort von Allem gehört, was gesprochen worden. Verstohlen flog ihr Blick hinüber in das Eckzimmer, wo die Beiden eben an den Schreibtisch traten. In diesem Augenblicke hörte sie den Doctor sagen: „Sieh da, die ersten Frühlingsblumen! Hast Du gewußt, daß ich die hübschen blauen Blümchen so gern habe?“

Ein Ausruf des Staunens unterbrach ihn. „Ich nicht, Leo – Käthchen, Deine junge Schwägerin, hat die Blumen in das Glas gestellt. … Nein, bin ich zerstreut und vergeßlich!“ Die alte Dame eilte herüber, aber schon drückte Käthe draußen die Thür hinter sich zu und schlüpfte durch den Flur in’s Freie.

Nun ging sie langsam und beruhigt unter den Fenstern hin. Durch die nächsten schimmerten schwach die bunten Bouquets der schief und unvollendet herabhängenden Bettgardine; dann kam sie zu den zwei Fenstern mit den hübschen Filetvorhängen im Zimmer der Tante. Ein Fensterflügel stand offen, und der Hyacinthen- und Narcissenduft wehte heraus. Plötzlich schob eine schöne kräftige Männerhand ein weißes Glas mit blauen Blumen auf den Sims, zwischen die Töpfe; es war ihr kleiner Frühlingsstrauß, den der Doctor von seinem Schreibtische entfernte und hierher brachte.

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