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„Lächerlich! Trage ich hier vielleicht den Ehering?“ – Sie zeigte auf den elfenbeinweißen Goldfinger der Rechten. „Gott sei Dank, nein! … Uebrigens hast Du am allerwenigsten Ursache, Dich zu echauffiren und eine Lanze einzulegen – Du bist krank, armes Ding, und mehr als je auf Deinen Arzt angewiesen, aber er zieht es vor, eine Vergnügungsreise zu machen und auf die unmotivirteste Weise wochenlang fortzubleiben.“

Jetzt mischte sich auch der Commerzienrath in den Wortwechsel der erbitterten Schwestern. „Unmotivirt, Flora, weil er Dir den Grund seiner Reise nicht des Langen und Breiten mitgetheilt hat?“ rief er ärgerlich. „Bruck spricht nie über seinen Beruf und die damit verknüpften Vorkommnisse, das weißt Du. Er ist ohne Zweifel an ein Krankenbett gerufen worden –“

„Nach L.....g, wo man berühmte Universitätsprofessoren haben kann? Ha, ha, ha! Eine kostbare Idee! Mache Dich doch nicht lächerlich mit dergleichen Illusionen, Moritz! Uebrigens ist das ein Punkt, über den ich grundsätzlich nicht mehr mit Euch streite – basta!“ Sie streckte ihre Rechte nach der Kaffeetasse aus und schlürfte den köstlich duftenden Trank. Henriette aber schob grollend die gebotene Labung zurück; sie stand auf und trat an die Glasthür, die auf die anstoßende Ruine hinausführte. Das Mauerstück war der Rest einer Colonnade, die einst von dem ersten Stockwerk des Haupthauses in den Thurm geführt hatte; die zwei schön gewölbten, auf schlanken Säulchen ruhenden Bögen bildeten jetzt eine Art Söller mit prachtvoller Fernsicht.

[93] Henriette riß den Thürflügel auf, und die krampfhaft geballten Hände gegen die Brust drückend, sog sie angstvoll gierig die frische Luft ein, aber eine augenblickliche Erstickungsnoth machte sich doch geltend. Käthe und der Commerzienrath eilten, die Leidende zu unterstützen; auch Flora erhob sich. Sie warf unwillig die Cigarre in den Aschenbecher. „Nun werden wohl die harmlosen Dampfwölkchen schuld sein müssen an dem Anfall,“ sagte sie geärgert, „aber ich weiß es besser. Du gehörtest von Rechtswegen in’s Bett, Henriette, und nicht in die trockene Frühlingsluft hinaus, die für Leute Deines Schlages wahres Gift ist – ich habe Dich gleich gewarnt, aber Du hast ja nie Ohren für einen wohlgemeinten Rath und möchtest Einem am liebsten weißmachen, Du strotzest von Gesundheit wie Posaunenengel. Ebenso obstinat bist Du bezüglich der ärztlichen Hülfe –“

„Weil ich meine kranke Lunge nicht dem ersten besten Giftmischer anvertraue,“ ergänzte Henriette in mattem, aber sehr entschiedenem Tone.

„O weh, das geht meinem armen, alten Medicinalrathe an die Ehre,“ rief Flora lächelnd. Sie zog die Schultern empor. „Immerhin, Kind, wenn es Dir Vergnügen macht! Ich kann ja auch nicht wissen, wie er seine Mixturen mischt, soviel aber darf ich behaupten, daß er noch nie einem Patienten ungeschickter Weise nahezu – den Hals abgeschnitten hat.“

Der Commerzienrath fuhr mit bleichem Gesichte herum und hob unwillkürlich die Hand, als wolle er sie auf den impertinenten, lästernden Frauenmund pressen; er schien sprachlos – sein Blick streifte scheu Käthe’s Gesicht.

„Du Herzlose!“ stieß Henriette hervor.

„Herzlos bin ich nicht, aber unerschrocken genug, böse Dinge beim Namen zu nennen, selbst wenn die harten Worte auf eigene Wunden zurückschlagen sollten. Wo bliebe dann auch das Verdienst der strengen Wahrhaftigkeit? … Denke an jenen schlimmen Abend und frage Dich, wer Recht behalten hat! Ich wußte, daß ein tiefer Sturz aus den Höhen fälschlich erträumter Berühmtheit erfolgen mußte – er ist erfolgt, zermalmender, rettungsloser, als ich selbst gefürchtet, oder wollt Ihr auch die einstimmige Verurtheilung von Seiten des Publicums wegdisputiren? Daß ich aber nicht mit stürzen will, wird Jeder begreifen, der mich kennt. … Ich kann nicht beschönigen und vertuschen, wie es z. B. die Großmama aus dem Fundament versteht; ich will es auch gar nicht. Keine Rolle ist lächerlicher als die jener ahnungslosen Frauenseelen, die da noch öffentlich anbeten, wo, wie die Welt sich zuzischelt, längst nichts mehr zu verehren ist.“

Sie schlug auch den andern Thürflügel zurück und trat hinaus auf den Söller. Sie hatte in leidenschaftlicher Steigerung gesprochen; der bleiche Marmorton ihres vom blauen Frühlingshimmel sich scharf abhebenden Römergesichts belebte sich unheimlich; mit den flimmernden Augen voll abweisender Verachtung, mit den nervös bebenden Nasenflügeln war sie die personificirte brennende Ungeduld.

„Uebrigens hat es ja in seiner Hand gelegen, mich zu bekehren – wie hätte ich ihn dann vertheidigen wollen mit Mund und Feder!“ fuhr sie fort, während sich ihre feinen Finger in das rasselnde Geflecht verdorrter Schlingpflanzen verstrickten. „Aber er hat es vorgezogen, auf meine erste und einzige dahinzielende Frage stolz wie ein Spanier mit einem Eisesblicke zu antworten –“

„Diese Antwort sollte Dir genug sein –“

„Ganz und gar nicht, mein lieber Moritz; ich finde sie sehr bequem und wohlfeil, und in Bezug auf sprechende Blicke und Gesten bin ich skeptisch – ich verlange mehr. … Aber ich will Dir zeigen, daß mir der gute Wille nicht fehlt, indem ich Dir hiermit noch einmal wiederhole, was ich gleich zu Anfang verlangt habe: Beweise mir und der Welt, daß er seine Schuldigkeit gethan hat, denn Du warst Zeuge!“

Er trat rasch von der Thürschwelle zurück und legte die Hand schützend über die Augen – das Sonnenlicht, das den Balkon grell überströmte, belästigte ihn unerträglich. „Du weißt allzu gut, daß ich das nicht in der Weise kann, wie Du es forderst – ich bin kein Mediciner,“ versetzte er mit tief herabgedrückter Stimme; sie verlor sich fast in einer Art von Murmeln.

„Kein Wort mehr, Moritz!“ rief Henriette. An ihrem Körper bebte jede Fiber. „Mit jedem Vertheidigungsversuch giebst Du zu, daß diese edle Braut einen Anschein von Berechtigung für sich hat, feig und wankelmüthig zu sein.“ Ihre großen Augen, in denen das innere Fieber aufglühte, richteten sich haßerfüllt auf das schöne Gesicht der Schwester. „Im Grunde kann man nur wünschen, daß Deine grausamen Manöver möglichst rasch zum Ziele führen möchten, das heißt – sei es endlich einmal in dürren Worten ausgesprochen – daß er in Folge Deiner sichtlichen Entfremdung freiwillig das[94] Verhältniß lösen hilft; denn er verliert wahrlich nichts an Deiner kalten Seele, die sich nur an äußere Erfolge klammert, aber er liebt Dich und wird weit eher mit vollem Bewußtsein in eine unglückliche Ehe gehen, als sich von Dir trennen – das beweist sein ganzes Verhalten –“

„Leider,“ warf Flora über die Schulter herüber ein.

„Und aus dem Grunde werde ich zu ihm stehen und Deine Machinationen vereiteln, wo ich kann,“ vollendete Henriette mit zuckenden Lippen und gesteigerter Stimme.

Der mitleidige Seitenblick, mit welchem Flora das tieferregte gebrechliche Mädchen langsam maß, funkelte förmlich in grausamem Spott, aber es war auch, als käme ihr bei dieser Musterung eine überraschende Erkenntniß; sie legte plötzlich den rechten Arm um Henriettens Schultern, zog die Widerstrebende an sich heran und flüsterte ihr mit einem sardonischen Lächeln in’s Ohr: „Beglücke Du ihn doch, Kleine! Ich werde ganz gewiß keinen Einspruch erheben – davor bist Du sicher.“

Bis zu welchem frevelhaften Uebermuthe konnte sich doch solch eine eitle Frauenseele versteigen, die sich gefeiert und heiß begehrt wußte! Käthe stand nahe genug, um das Gezischel zu verstehen, und so passiv sie sich auch bisher verhalten, jetzt sprühte ein ehrlicher Zorn aus ihren Augen.

Flora fing den Blick auf. „Schau, was das Mädchen für ein Paar Augen machen kann! Verstehst Du denn keinen Spaß, Käthe?“ sagte sie halb amüsirt, halb betroffen. „Ich thue Deinem verhätschelten Pflegling nichts, obschon ich das gute Recht hätte, Henriettens kleine Bosheiten endlich einmal derb abzufertigen. … Diese zwei Menschen,“ sie zeigte auf den Commerzienrath und Henriette, bilden sich ein, über meine Sitten wachen zu müssen, und Du Jüngstes, eben aus dem Pensionsnest geschlüpft, Häkel- und Stricktouren und ein paar französische Brocken im Kopfe, hältst sofort zu ihnen und machst Fronte gegen mich – Närrchen, meinst Du wirklich ein Urtheil über Deine Schwester Flora zu haben?“ Sie lachte belustigt auf und streckte die Hand gegen einen der Nußbäume aus, von welchem eben eine Taube emporflog; der blendendweiße Vogel stieg hoch in den flimmernden Himmel hinein. „Siehst Du, Kleine, eben noch hockte sie neben den Anderen auf dem Aste dort, und die Anderen waren Ihresgleichen – und jetzt werfen ihre ausgebreiteten Flügel förmlich Silberfunken, und in der einsamen blauen Höhe wird sie eine selbstständige stolze Erscheinung für die Menschenaugen drunten. Vielleicht lernst Du dermaleinst verstehen, auf welche feurige, dürstende Menschenseele das Bild paßt. Apropos, Moritz,“ unterbrach sie sich lebhaft und winkte den Commerzienrath zu sich heraus auf den Söller, „dort hinter dem Gehölze muß ja wohl Bruck’s Acquisition, das alte Wirthschaftsgebäude, liegen – ich sehe starken Rauch über den Bäumen –“

„Aus dem einfachen Grunde, weil Feuer auf dem Herde brennt,“ versetzte lächelnd der Commerzienrath; „die Tante Diakonus zieht seit gestern ein.“

„In das verwahrloste Nest, wie es ist?“

„Wie es ist. Uebrigens war der Schloßmüller ein viel zu guter Wirth, um seine Gebäulichkeiten verfallen zu lassen; in dem Hause fehlt kein Nagel, kein Ziegel auf dem Dache.“

„Nun, Glück zu! Im Grunde ist die Sache so übel nicht. Die vorweltlichen Ausstattungsmöbel der Tante und das Bild des seligen Diakonus passen an die Wände. Platz genug für die Einmachbüchsen und das Backobst wird ja auch da sein, und das Scheuerwasser fließt direct und unerschöpflich am Hause vorbei.“ Sie affectirte einen leichten Nervenschauer und nahm wie unwillkürlich den reichgarnirten Kleidersaum auf, als fühle sie sich plötzlich auf einen frischgescheuerten Dielenboden versetzt. „Es wird gut sein, die Thüren zu schließen,“ sagte sie rasch in das Zimmer zurücktretend; „der Wind trägt den Rauch und Dampf herüber. Puh –“ ihre feinen Nasenflügel vibrirten; sie fuhr mit dem Taschentuche durch die Luft – „ich glaube wahrhaftig, die gute Frau bäckt ihre unvermeidlichen Pfannenkuchen, noch ehe sie einen Stuhl zum Niedersitzen im Hause hat – sie kann nun einmal das Schmoren und Backen nicht lassen.“ Damit schlug sie die Thürflügel zusammen.

Währenddem hatte Henriette still das Zimmer verlassen. Bei Flora’s Geflüster war sie in jähem Aufschrecken emporgefahren wie Jemand, der sich, plötzlich erwachend, vor einem tiefen Abgrunde findet. Seitdem hatte sie kein Wort mehr gesprochen, und nun war sie hinaufgestiegen in das oberste Gelaß des Thurmes, wo die Tauben und Dohlen nisteten. Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme – sie wußte, daß die Kranke stets allein sein wollte, wenn sie sich stillschweigend aus dem Kreise der Anderen entfernte – das Thurmzimmer aber mit den dicken Wänden, der erdrückenden Pracht und der gebieterisch auf- und abrauschenden, capriciösen Schwester erschien ihr beklemmend unheimlich; war es doch, als fliege der Zündstoff zu Streit und Reibereien unausgesetzt durch die Luft, in der Flora athmete. Das junge Mädchen beschloß deshalb, rasch einen Gang zu Suse zu machen.

„Nun meinetwegen, da gehe in Deine Mühle,“ rief der Commerzienrath ärgerlich, nachdem er vergeblich versucht hatte, sie zurückzuhalten, „aber erst sieh’ hierher!“ Er zog seitwärts an einem schweren Gobelinbehange – dahinter, in einer tiefen Mauernische, stand ein neuer Geldschrank. „Der gehört Dir, Du Gebenedeite; das ist Dein ‚Bäumlein rüttle Dich, wirf Gold und Silber über mich!‘“ sagte er, und seine Hand glitt förmlich liebkosend über das kalte Metall. „Alles, was Dein Großvater an Haus und Hof, an Wald und Feld besessen hat, da drin liegt es, in Papier verwandelt. Diese Papiere arbeiten bienenfleißig Tag und Nacht für Dich. Sie ziehen unglaubliche Geldströme aus der Welt in diesen stillen Winkel. … Der Schloßmüller hat seine Zeit wohl begriffen – das beweist sein Testament; aber wie fabelhaft seine Hinterlassenschaft in der Form anwachsen wird, das hat er schwerlich geahnt.“

„Sonach bist Du auf dem besten Wege, die erste Partie im Lande zu werden, Käthe – kannst wie im Märchen zu Deinem Hochzeitsmahl den Speisesaal mit harten Thalern pflastern lassen,“ rief Flora herüber; sie lehnte wieder zwischen den Polstern des Ruhebettes und hatte ein Buch in die Hand genommen. „Schade um das Geld! Schau, Du mußt nicht böse sein, Kind, aber ich fürchte, Du bist moralisch allzu viel gedrillt worden, um mit Geist Deinen Goldregen vor der Welt funkeln zu lassen.“

„Das wollen wir abwarten,“ lachte das junge Mädchen. Einstweilen habe ich noch kein Recht, eigenmächtig auch nur einen Thaler da herauszunehmen,“ sie zeigte auf den Schrank; „aber in Bezug auf die Schloßmühle möchte ich, wenn auch nur für einen Tag, majorenn sein, Moritz.“

„Ist sie Dir unbequem, schöne Müllerin?“

„Meine Mühle? So wenig unbequem wie mein junges Leben, Moritz. Aber ich war gestern im Mühlengarten – er ist so groß, daß Franz die an die Chaussee stoßende Hälfte aus Mangel an Zeit und pflegenden Händen vernachlässigen muß. Er will Dir den Vorschlag machen, das Stück zu verkaufen; es gäbe prächtige Bauplätze zu Villen und würde gut bezahlt werden, meint er, ich aber finde, daß die Landhäuser ganz gut auch wo anders stehen können, und möchte das Grundstück lieber Deinen Leuten geben, die gern in der Nähe der Spinnerei bauen wollen.“

„Ach – verschenken, Käthe?“

„Fällt mir nicht ein. Du brauchst gar nicht so spöttisch mitleidig zu lächeln, Moritz. Ich werde mich wohl in der Villa Baumgarten mit ‚Sentimentalität und Ueberspanntheit‘ blamiren! … Uebrigens wollen ja die Leute auch gar kein Geschenk oder Almosen, wie Doctor Bruck sagt –“

„Ei, ‚wie Doctor Bruck sagt‘? Ist der auch schon Dein Orakel?“ rief Flora, aus den Kissen emporschnellend – sie fixirte über das Buch hinweg scharf, mit einem räthselhaft wechselnden Ausdrucke das Gesicht der Schwester; es erröthete allerdings für einen Augenblick tiefer, aber die Augen erwiderten den blinzelnden Blick fest, mit kaltem Ernste. „Ich weiß auch, welchen Werth das Selbsterworbene hat – was ich mir selbst erringen kann, ziehe ich dem bestgemeinten Geschenke weit vor,“ fuhr sie fort, ohne auf Flora’s Einwurf zu antworten; „und schon aus dem Grunde sollen die Leute zahlen, genau das zahlen, was sie für Deinen Grund und Boden geben wollten.“

„Da machst Du ja brillante Geschäfte, Käthe,“ lachte der Commerzienrath. „Mein steriles Stück Uferland wäre schon mit der Summe, die darauf geboten worden ist, schlecht genug bezahlt gewesen – nun gar der prächtige Gartenboden neben der Mühle! … Nein, Kind, so gern ich auch möchte –[95] mein vormundschaftliches Gewissen gestattet mir nicht, Dich auch nur für eine Stunde majorenn sein zu lassen.“

„Nun, da mögen sich die Baulustigen einstweilen behelfen, wie sie können,“ sagte sie weder überrascht, noch ärgerlich. „Ich weiß, ich werde in drei Jahren darüber noch genau so denken, wie heute, dann aber kann es sich schon ereignen, daß ich auch noch den dummen Streich mache, den Leuten das Baugeld ohne Procente vorzustrecken.“

Sie grüßte ruhig lächelnd und ging hinaus.

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