Die Sonne beleuchtete kaum mit ihren ersten Strahlen die großen Baumgruppen des Parkes und die hohen Wetterfahnen des Schlosses, als der junge König, schon seit mehr als zwei Stunden wach und ganz der Schlaflosigkeit der Liebe unterthan, seinen Laden selbst öffnete und einen neugierigen Blick in die Höfe des entschlummerten Palastes warf.
Er sah, daß die verabredete Stunde gekommen war; die große Uhrentafel des Hofes bezeichnete sogar ein Viertel nach vier Uhr.
Er weckte seinen Kammerdiener nicht, der in einiger Entfernung in tiefem Schlaf lag; er kleidete sich selbst an, und als dieser Diener ganz erschrocken herbeikam und glaubte, er habe seinen Dienst versäumt, schickte ihn Ludwig in sein Zimmer und empfahl ihm völliges Stillschweigen. Dann stieg er die kleine Treppe hinab, ging durch eine Seitenpforte hinaus und erblickte längs der Parkmauer einen Reiter, der ein Pferd an der Hand hielt.
Dieser Retter war in seinem Mantel und unter seinem Hut unkenntlich.
Was das Pferd betrifft, welches wie das eines reichen Bürgers gesattelt war, so bot es dem geübtesten Auge nichts Bemerkenswerthes.
Ludwig nahm den Zaum dieses Pferdes; der Officier hielt ihm den Steigbügel, ohne selbst den Sattel zu verlassen, und fragte Seine Majestät mit bescheidener Stimme nach ihren Befehlen.
»Folgt mir,« antwortete Ludwig XIV.
Der Officier setzte sein Pferd hinter dem seines Gebieters in Trab und sie ritten so gegen die Brücke hinab.
Als sie jenseits der Loire waren, sprach der König:
»Mein Herr, Ihr werdet mir das Vergnügen machen, geradeaus zu reiten, bis Ihr einen Wagen erblickt; ich verweile hier.«
»Wird Eure Majestäten Gnade haben, mir den Wagen, den ich zu entdecken beauftragt bin, ein wenig zu bezeichnen?«
»Ein Wagen, in welchem Ihr zwei Damen, und wahrscheinlich auch ihre Zofen sehen werdet.«
»Sire, – ich will keinen Irrthum begehen: gibt es noch ein anderes Merkmal, an welchem ich diesen Wagen zu erkennen vermag?«
»Aller Wahrscheinlichkeit wird das Wappen des Herrn Cardinals daran sein.«
»Es ist gut, Sire,« erwiederte der Officier, völlig klar über den Gegenstand, den er erkennen sollte.
Er setzte sein Pferd in starken Trab und ritt nach der vom König bezeichneten Seite. Doch er hatte noch nicht fünfhundert Schritte gemacht, als er vier Maulthiere und dann einen Wagen hinter einem kleinen Hügel herauf kommen sah.
Hinter diesem Wagen kam ein anderer. Der Officier bedurfte nur eines Blickes, um sich zu versichern, daß dies die Equipagen waren, die er zu suchen hatte.
Er wandte auf der Stelle sein Pferd um, ritt zum König zurück und sagte:
»Sire, dort sind,die Carossen. Die erste enthält in der That zwei Damen mit ihren Kammerfrauen; die zweite enthält Bedienten, Mundvorräthe, Kleider.«
»Gut, gut,« erwiederte der König mit bewegter Stimme. »Ich bitte Euch, geht nun und sagt diesen Damen, ein Cavalier von Hofe wünsche ihnen allein seine Ehrfurcht zu bezeigen.«
Der Officier sprengte im Galopp fort.
»Mordioux!« sagte er während des Reitens, »das ist ein neues, und ich hoffe ehrenvolles Amt; ich beklagte mich, daß ich nichts sei; ich bin Vertrauter des Königs. Ein Musketier! das ist, um vor Stolz zu bersten!«
Er näherte sich dem Wagen und vollzog seinen Auftrag als galanter und geistreicher Bote.
Zwei Damen saßen in der That im Wagen, die eine von großer Schönheit, obgleich ein wenig mager, die andere minder von der Natur begünstigt, aber beweglich, anmuthig und in den leichten Falten ihrer Stirne alle Merkmale des Willens vereinigend.
Ihre lebhaften und durchdringenden Äugen besonders sprachen beredter als alle verliebten Phrasen, welche in jener Zeit der Galanterie guter Ton waren.
An diese wandte sich d’Artagnan, ohne sich zu täuschen, obgleich die andere vielleicht hübscher war.
»Meine Damen,« sagte er, »ich bin der Lieutenant der Musketiere, und es ist auf dem Wege ein Cavalier, der Euch erwartet und Euch seine Huldigung darzubringen wünscht.
Bei diesen Worten, deren Wirkung er neugierig verfolgte, stieß die Dame mit den schwarzen Äugen einen Freudenschrei aus, neigte sich aus dem Schlag, streckte, als sie den Reiter herbeisprengen sah, diesem die Arme entgegen und rief:
»Ah! mein theurer Sire!«
Und alsbald entstürzten Thränen ihren Augen.
Der Kutscher hielt seine Pferde an, die Kammerfrauen standen verwirrt im Wagen auf, und die zweite Dame untermalte gleichsam nur eine Verbeugung, welche mit dem ironischsten Lächeln endigte, das je die Eifersucht auf Frauenlippen gezeichnet hat.
»Maria! theuere Maria!« rief der König, indem er in seine Hände die Hand der Dame mit den schwarzen Augen nahm.
Und er öffnete selbst den schweren Schlag und zog sie aus dem Wagen mit so viel Eifer, daß sie In seinen Armen lag, ehe sie die Erde berührte.
Auf der andern Seite des Wagens aufgepflanzt, sah und hörte der Lieutenant, ohne bemerkt zu werden.
Der König bot Fräulein von Mancini seinen Arm und hieß die Kutscher und Bedienten durch ein Zeichen weiter fahren.
Es mochte ungefähr sechs Uhr sein; der Weg war frisch und reizend; große Bäume mit Blättern, die noch in ihre goldenen Knospen gewickelt, ließen den wie flüssige Diamanten an ihren bebenden Zweigen hängenden Morgenthau herabträufeln; das Gras breitete sich duftend am Fuße der Hecken aus; seit einigen Tagen zurückgekehrt, beschrieben die Schwalben ihr ammuthigen krummen Linien zwischen dem Himmel und dem Wasser; ein Morgenwind, den die Waldungen in ihrer Blüthe mit Wohlgerüchen schwängerten, strich an dieser Straße hin und faltete die Wasserfläche des Stromes; alle diese Schönheiten des Tages, alle diese Düfte der Pflanzen, alle diese Ausathmungen der Erde gegen den Himmel berauschten die zwei Liebenden, welche auf einander gestützt, Auge in Auge, Hand in Hand, Seite an Seite einhergingen und, sich durch einen gemeinschaftlichen Wunsch hemmend, nicht zu sprechen wagten, so viele Dinge hatten sie sich zu sagen.
Der Officier sah, daß das verlassene Pferd hin und herschweifte und Fräulein von Mancini beunruhigte. Er benützte den Vorwand, um sich, das Pferd festhaltend, zu nähern, und ebenfalls zu Fuß zwischen den beiden Rossen, die er führte, verlor er weder ein Wort, noch eine Geberde der zwei Liebenden!
Fräulein von Mancini fing an und sprach:
»Ah! mein theurer Sire, Ihr verlaßt mich also nicht!«
»Nein,» erwiederte der König; »Ihr seht es wohl, Maria.«
»Man sagte mir doch so oft, kaum wären wir getrennt, so würdet Ihr nicht mehr an mich denken.«
»Theure Maria, bemerkt Ihr heute erst, daß wir von Leuten umgeben sind, die ein Interesse haben, uns zu täuschen?«
»Aber, Sire, diese Reise, diese Verbindung mit Spanien! Man verheirathet Euch!«
Ludwig neigte das Haupt.
Zu gleicher Zeit konnte der Officier in der Sonne die Blicke von Maria von Mancini, so funkelnd als einen Dolch, der aus der Scheide springt, glänzen sehen.
»Und Ihr habt nichts für unsere Liebe gethan?«
»Ah! mein Fräulein, wie könnt Ihr das glauben! Ich habe mich meiner Mutter zu Füßen geworfen, ich habe gebeten, ich habe gefleht! ich habe gesagt, all mein Glück sei in Euch; ich habe gedroht!«
»Nun?« fragte Maria lebhaft.
»Die Königin Mutter schrieb an den Hof nach Rom und man antwortete ihr, eine Heirath zwischen uns hätte keinen Werth und würde vom heiligen Vater für null und nichtig erklärt werden. Als ich endlich sah, daß es keine Hoffnung mehr für uns gab, bat ich, wenigstens meine Heirath mit der Infantin zu verzögern.«
»Dessen unerachtet seid Ihr auf dem Wege, um Ihr entgegenzureisen.«
»Was wollt Ihr! auf meine Bitten, auf mein Flehen, auf meine Thränen antwortete man mir mit der Staatsraison.«
»Nun?«
»Was soll ich machen, mein Fräulein, wenn sich der Wille von so Vielen gegen mich verbindet?«
Nun war die Reihe an Maria, das Haupt zu neigen.
»So werde ich für immer von Euch Abschied nehmen müssen.« sprach sie. »Ihr wißt, daß man mich verbannt, begräbt; Ihr wißt, daß man noch mehr thut, daß man mich auch verheirathet.
Ludwig wurde bleich und fuhr mit einer Hand an sein Herz.
»Hätte es sich nur um mein Leben gehandelt, denn auch ich wurde so heftig verfolgt, so wurde ich nachgegeben haben, aber ich glaubte, es handle sich um das Eurige, mein theurer Sire, und ich kämpfte, um Euch Euer Gut zu erhalten.«
»Oh! ja, mein Gut, meinen Schatz!« flüsterte der König, vielleicht mehr artig, als leidenschaftlich.
»Der Cardinal würde nachgegeben haben,« sprach Maria, »wenn Ihr Euch an ihn gewendet hättet, wenn Ihr in ihn gedrungen wäret. Der Cardinal den König von Frankreich seinen Neffen nennen! begreift Ihr das, Sire! Er hätte Alles hierfür gethan, er hätte sogar den Krieg unternommen; sicher, allein zu regieren unter dem doppelten Vorwand, er habe den König erzogen und er habe ihm seine Nichte gegeben, hätte der Cardinal jeden Willen bekämpft, jedes Hinderniß niedergeworfen. Oh! Sire, Sire, dafür flehe ich Euch. Ich bin eine Frau und sehe klar in Allem, was Liebe ist.«
Diese Worte brachten auf den König einen seltsamen Eindruck hervor. Es war, als kühlten sie seine Leidenschaft ab, statt sie zu exaltiren. Er ging langsamer und sprach hastig:
»Was wollt Ihr, mein Fräulein, Alles ist gescheitert.«
»Nur Euer Wille nicht, nicht wahr, mein lieber Sire?«
»Ah!« versetzte der König erröthend, »habe ich einen Willen?«
Ein schmerzliches: Oh! entschlüpfte Fräulein von Mancini, welche dieses Wort tief verwundete.
»Der König hat keinen andern Willen, als den, welchen ihm die Politik dictirt, welchen ihm die Staatsraison auferlegt.«
»Oh! Ihr habt keine Liebe!« rief Maria, »wenn Ihr mich liebtet, Sire, hättet Ihr einen Willen.«
Während Maria diese Worte sprach, schlug sie ihre Augen gegen ihren Geliebten auf, der bleicher und entstellter aussah, als ein Verbannter, wenn er auf immer sein Vaterland verlassen soll.
»Klagt mich an,« murmelte der König, »doch sagt nicht, ich liebe Euch nicht.«
Ein langes Stillschweigen folgte auf diese Worte, die der junge König mit einem sehr wahren und sehr tiefen Gefühl ausgesprochen hatte.
»Ich kann nicht denken, Sire, daß ich Euch morgen, übermorgen nicht mehr sehen soll ,« fuhr Maria mit einer letzten Anstrengung fort; »ich kann nicht denken, ich werde meine Tage fern von Paris beschließen, die Lippen eines Greises, eines Unbekannten werden diese Hand berühren, die Ihr in der Eurigen haltet; nein, in der That, ich kann nicht an dies Alles denken, mein theurer Sire, ohne daß mein armes Herz vor Verzweiflung zerspringt.«
Und Maria von Mancini zerfloß wirklich in Thränen.
Gerührt drückte der König seinerseits sein Sacktuch an seine Lippen und erstickte ein Schluchzen,
»Seht, die Wagen halten an,« sprach sie; »meine Schwester erwartet mich, die äußerste Stunde ist da: was Ihr entscheidet, ist für das ganze Leben entschieden! Oh! Sire, Ihr wollt also, daß ich Euch verliere? Ihr wollt, Ludwig, daß diejenige, zu der Ihr gesagt habt: »»Ich liebe Euch,«« einem Andern gehöre, als ihrem König, ihrem Herrn, ihrem Geliebten? Oh! Muth, ein Wort, ein einziges Wort! Specht: Ich will! und mein ganzes Leben ist mit dem Eurigen verkettet, und mein ganzes Herz gehört auf immer Euch.
Der König antwortete nicht.
Maria schaute ihn nun an, wie Dido Aeneas in den elysäischen Feldern anschaute, wild und verächtlich.
»Fahre hin also,« sprach sie, »fahre hin Leben, fahre hin Liebe, fahre hin Himmel!«
Und sie machte einen Schritt, um sich zu entfernen, doch der König hielt sie zurück, ergriff ihre Hand und drückte seine Lippen darauf; die Verzweiflung trug den Sieg über den Entschluß davon, den er innerlich gefaßt zu haben schien; er ließ auf diese schöne Hand eine von Bedauern brennende Thräne fallen, welche Maria beben machte, als ob diese Thräne wirklich gebrannt hätte.
Sie sah die feuchten Augen des Königs, seine bleiche Stirne, seine krampfhaften Lippen, und rief mit einem Ausdruck, den nichts wiederzugeben vermöchte:
»Oh! Sire, Ihr seid König, Ihr weint und ich gehe!«
Der König verbarg statt jeder Antwort sein Gesicht in seinem Sacktuch.
Der Officier stieß etwas wie ein Geschrei aus, das die beiden Pferde erschreckte.
Fräulein von Mancini verließ entrüstet den König, stieg hastig in den Wagen und rief dem Kutscher zu:
»Vorwärts, rasch vorwärts!«
Der Kutscher gehorchte, peitschte seine Pferde und der schwere Wagen erschütterte sich auf seinen kreischenden Achsen, während der König von Frankreich, allein, niedergeschlagen, vernichtet, weder vor sich, noch hinter sich zu schauen wagte.
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