Statt des Zögerns, mit dem er eine Viertelstunde vorher den Cardinal angegangen hatte, konnte man nun in den Augen des jungen Königs jenen Willen lesen, gegen den man zu kämpfen vermag, den man vielleicht durch seine eigene Ohnmacht bricht, der aber wenigstens, wie eine Wunde in der Tiefe des Herzens, die Erinnerung an seine Niederlage behalten wird.
»Diesmal, Herr Cardinal, handelt es sich um etwas, was leichter zu finden ist, als eine Million.«
»Glaubt Ihr, Sire?« sagte Mazarin, indem er den König mit jenem schlauen Auge anschaute, das im tiefsten Grunde der Herzen las.«
»Ja, ich glaube es, und wenn Ihr den Gegenstand meiner Bitten kennen werdet.«
»Glaubt Ihr denn, ich kenne ihn nicht. Sire?«
»Ihr wißt, was mir zu sagen übrig ist?«
»Hört, Sire, die eigenen Worte von König Karl.«
»Oh! da bin ich begierig!«
»Höret also: »»Und wenn dieser Geizhals, dieser knauserige Italiener.«« hat er gesagt . . . «
»Herr Cardinal! . . . «
»Das ist der Sinn, wenn es auch nicht die Worte sind. Ei, mein Gott! ich grolle ihm deshalb nicht, Sire, Jeder sieht mit seinen Leidenschaften. Er hat also gesagt: »»Wenn dieser knauserige Italiener Euch die Million verweigert, die wir verlangen, Sire, wenn wir, in Ermangelung von Geld, auf die Diplomatie zu verzichten genöthigt sind, nun so verlangen wir von ihm fünfhundert Edelleute.««
Der König bebte, denn der Cardinal hatte sich nur in der Zahl getäuscht.
»Nicht wahr, Sire. so ist es?« rief der Minister mit triumphirendem Ausdruck; »dann hat er die schönen Worte beigefügt: »»Ich habe Freunde jenseits der Meerenge; diesen Freunden fehlt es nur an einem Anführer und an einem Banner. Wenn sie mich, wenn sie das Banner Frankreichs sehen, werden sie sich um mich sammeln, denn sie werden begreifen, daß ich Eurer Unterstützung theilhaftig bin. Die Farben der französischen Uniform sind bei mir soviel werth, als die Million, die uns Herr von Mazarin verweigern wird.«« (Denn er wußte wohl, daß ich diese Million verweigern würde.). »»Mit diesen fünfhundert Edelleuten werde ich siegen, Sire, und alle Ehre wird Euch zufallen.«« Das ist es, was er sagte, oder ungefähr sagte, nicht wahr? wobei er seine Worte mit glänzenden Metaphern, mit pomphaften Bildern umgeben hat, denn sie sind Schwätzer in der Familie! Der Vater hat noch auf dem Schaffot gesprochen.«
Der Schweiß der Scham floß Ludwig von der Stirne. Er fühlte, daß es nicht seiner Würde entsprach, so seinen Bruder beleidigen zu hören; aber er wußte noch nicht, wie man aufzutreten hatte, besonders demjenigen gegenüber, vor dem er Alles, sogar seine Mutter, sich hatte beugen sehen.
Endlich strengte er sich an und sprach: »Aber, Herr Cardinal, es handelt sich nicht um fünfhundert Edelleute, sondern um zweihundert.«
»Ihr seht wohl, daß ich errathen habe, was er forderte.«
»Mein Herr, es ist mir nicht eingefallen, zu leugnen, daß Ihr ein tiefes Auge habt, und deshalb dachte ich, Ihr würdet meinem Bruder Karl eine so einfache und so leicht zu bewilligende Sache wie die, welche ich , in seinem Namen oder vielmehr in dem meinigen von Euch verlange, nicht verweigern.«
»Sire,« erwiederte Mazarin, »ich treibe nun seit dreißig Jahren Politik. Ich habe sie Anfangs mit dem Herrn Cardinal von Richelieu, dann allein getrieben. Diese Politik ist nicht immer ehrlich gewesen, ich muß es gestehen, aber sie war nie ungeschickt. Diejenige aber, welche man in diesem Augenblick Eurer Majestät vorschlägt, ist zugleich unehrlich und ungeschickt.«
»Unehrlich, mein Herr!«
»Sire, Ihr habt einen Vertrag mit Herrn Cromwell geschlossen.«
»Ja; und in diesem Vertrag hat Herr Cromwell über mir unterzeichnet.«
»Warum habt Ihr Euren Namen so tief unten an geschrieben, Sire? Herr Cromwell fand einen guten Platz und nahm ihn; das war so ziemlich seine Gewohnheit. Ich komme also auf Herrn Cromwell zurück. Ihr habt einen Vertrag mit Ihm, nämlich mit England, da Herr Cromwell, als Ihr diesen Vertrag unterzeichnetet, England war.«
»Herr Cromwell ist todt.«
»Ihr glaubt das, Sire?«
»Allerdings, da ihm sein Sohn Richard in der Regierung gefolgt ist und selbst entsagt hat.«
»Wohl! das ist es gerade. Richard hat bei dem Tod von Cromwell geerbt, und England bei der Entsagung von Richard. Der Vertrag bildete einen Theil der Erbschaft, kam er nun in die Hände von Herrn Richard, oder in die von England. Der Vertrag ist also immer noch gut und so gültig als je. Warum solltet Ihr ihn vereiteln, Sire? Was hat sich verändert? Karl II. will heute, was wir vor zehn Jahren nicht wollten; doch das ist ein Fall, für den man vorhergesehen. Ihr seid der Verbündete von England, Sire, und nicht der von Karl II. Es war ohne Zweifel ungebührlich aus dem Gesichtspunkt der Familie betrachtet, daß man einen Vertrag mit einem Mann, der dem Schwager des Königs, Eures Vaters, den Kopf abschlagen ließ, unterzeichnet und ein Bündnis; mit einem Parlament geschlossen hat, das man dort ein Croupion-Parlament nennt; das war ungebührlich ich gestehe es zu, aber es war nicht ungeschickt aus dem Politischen Gesichtspunkte, da ich Eurer damals noch minderjährigen Majestät durch diesen Vertrag die Widerwärtigkeiten und Plackereien eines äußeren Krieges erspart habe, in den noch die Fronde . . . Ihr erinnert Tuch der Fronde, Sire (der junge König neigte das Haupt), in den noch die Freude eine unselige Verwirrung gebracht hätte. Und hierdurch beweise ich Eurer Majestät, daß jetzt einen andern Weg einschlagen, ohne unsere Verbündeten zu benachrichtigen. zugleich ungeschickt und unehrlich wäre. Wir würden den Krieg anfangen und das Unrecht auf unsere Seite stellen; wir würden den Krieg anfangen, während wir verdienten, daß man uns bekriegte, und wir hätten die Miene, als fürchteten wir ihn, während wir denselben hervorrufen würden; denn eine Erlaubniß fünfhundert Mann, zweihundert Mann, fünfzig Mann, zehn Mann ertheilt bleibt immer eine Erlaubnis). Ein Franzose, das ist die Nation, eine Uniform, das ist die Armee. Nehmt zum Beispiel an, Sire, Ihr habet früher oder später Krieg mit Holland, was früher oder später sicherlich der Fall sein wird, oder mit Spanien, was vielleicht geschieht, wenn Eure Heirath scheitert (Mazarin schaute den König mit einem tiefen Blick an), und es gibt tausend Ursachen, welche Eure Heirath scheitern machen können; nun wohl, würdet Ihr es billigen, wenn England den Vereinigten Provinzen oder der Infantin ein Regiment, eine Compagnie, oder sogar nur eine Corporalschaft von englischen Edelleuten schickte? Fändet Ihr, es halte sich streng in den Grenzen seines Allianzvertrags?«
Ludwig horchte; es kam ihm seltsam vor, daß Mazarin Treue und Glauben anrief, er, der Urheber von so vielen politischen Betrügereien und Ueberlistungen, die man Mazarinaden nannte.
»Aber,« sagte der König, »ohne ihnen eine offene Vollmacht zu geben, kann ich doch wenigstens Edelleute meines Staates nicht abhalten, nach England zu gehen, wenn es ihnen beliebt.«
»Ihr müßt sie zwingen, zurückzukehren, Sire, oder wenigstens gegen ihre Anwesenheit als Feinde in einem verbündeten Land protestiren.«
»Doch sprecht, Herr Cardinal, Ihr, ein so tiefes Genie, laßt uns ein Mittel suchen, diesen armen König zu unterstützen, ohne daß wir uns compromittiren.«
»Das ist es gerade, was ich nicht will, mein lieber Sire,« sagte Mazarin. »Wenn England nach meinen Wünschen handelte, so könnte es nicht besser handeln; wenn ich von hier aus die Politik Englands leitete, ich würde sie nicht anders leiten. So regiert, wie man es regiert, ist England ein ewiges Nest für Prozesse. Holland begünstigt Karl II. Laßt Holland machen; sie werden sich ärgern, sie werden sich schlagen; das sind die einzigen Seemächte; laßt sie einander ihre Marinen zerstören; wir werden die unsrige mit den Trümmern ihm Schisse bauen, und zwar nur, wenn wir Geld haben, um die Nägel zu kaufen.«
»Oh! wie’ armselig und schmutzig ist Alles, was Ihr mir da sagt, Herr Cardinal!«
»Ja, aber wie wahr ist es, Sire, das müßt Ihr gestehen. Mehr noch: ich nehme einen Augenblick die Möglichkeit an, daß Ihr Euer Wort brechen und den Vertrag vereiteln oder umgehen würdet; man sieht oft, daß man sein Wort bricht und einen Vertrag vereitelt; doch dies geschieht, wenn man ein großes Interesse hat, es zu thun, oder wenn man sich durch den Vertrag zu sehr belästigt und beengt fühlt, Wohl, Ihr werdet die Erlaubniß zu der Anwerbung geben, die man von Euch verlangt; Frankreich, sein Banner, was dasselbe ist, wird über die Meerenge ziehen und kämpfen, Frankreich wird besiegt werden.«
»Warum dies?«
»Meiner Treue, Seine Majestät König Karl II. ist ein geschickter General, und Worcester gibt uns schöne Garantien!«
»Er hat es nicht mehr mit Cromwell zu thun, mein Herr.«
»Ja, aber er wird es mit Monk zu thun haben, der noch viel gefährlicher ist. Dieser brave Bierwirth, von dem wir sprachen, war ein Erleuchteter, er hatte Augenblicke der Entzückung, der Ausdehnung, der Anschwellung, während welcher er sich spaltete, wie ein zu volles Faß; durch diese Spalten kamen dann immer einige Tropfen seines Gedankens hervor, und am Muster erkannte man den ganzen Gedanken. Cromwell ließ uns so mehr als zehnmal in seine Seele eindringen, während man diese Seele mit dreifachem Erz. wie Horaz sagt, umhüllt glaubte. Aber Monk! Ah! Sire, Gott behüte Euch, daß Ihr je Politik mit Herrn Monk zu treiben habt! Er hat mir seit einem Jahr alle die grauen Haare gemacht, die ich auf dem Kopfe habe! Monk ist leider kein Erleuchteter mehr, er ist ein Politiker; er spaltet sich nicht, er zieht sich zusammen. Seit zehn Jahren hat er die Augen auf ein Ziel gerichtet, und noch hat Niemand errathen, auf welches. Wie es Ludwig XI. rieth, verbrennt er jeden Morgen seine Nachtmütze. An dem Tag, wo dieser langsame und in der Stille gereifte Plan hervortreten wird, wird er auch mit allen Bedingungen des Erfolgs, welche stets das Unvorhergesehene begleiten, hervortreten.
»Das ist Monk, Sire, von dem Ihr vielleicht nie hattet sprechen hören, dessen Namen Ihr vielleicht nicht einmal kanntet, ehe Euer Bruder Karl II. ihn vor Euch aussprach: nämlich ein Wunder an Tiefe und Starrsinn, die zwei einzigen Dinge, an denen sich der Geist und der Eifer abstumpfen. Sire, ich habe Eifer gehabt, als ich noch jung war, Sire, ich habe stets Geist gehabt, ich kann mich dessen rühmen, da man es mir vorwirft. Ich habe einen schönen Weg gemacht mit diesen zwei Eigenschaften, da ich vom Sohn eines Fischers von Piscina erster Minister von Frankreich geworden bin, und als solcher, Eure Majestät hat wohl die Güte, es anzuerkennen, habe ich dem Throne Eurer Majestät einige Dienste geleistet. Wohl! Sire, hätte ich auf meinem Wege Monk getroffen, statt Herrn von Beaufort, Herrn von Retz oder den Herrn Prinzen zu finden, so wären wir verloren gewesen. Laßt Euch leichtsinnig ein, Sire, und Ihr werdet in die Klauen dieser politischen Soldaten fallen. Der Helm von Monk, Sire, ist eine eiserne Kiste, in deren Tiefe er seine Gedanken verschließt und wozu Niemand einen Schlüssel hat. Bei ihm, oder vielmehr vor ihm verbeuge ich mich, Sire, ich, der ich nur ein Sammelbaret habe.«
»Was glaubt Ihr denn, daß Monk will?«
»Ei! wenn ich das wüßte, Sire, so würde ich Euch nicht sagen, Ihr sollet ihm mißtrauen, denn ich wäre stärker als er: aber bei ihm habe ich Furcht, zu errathen; zu errathen! Ihr begreift mein Wort? Denn wenn ich errathen zu haben glaube, so werde ich bei einer Idee stehen bleiben und diese Idee unwillkührlich verfolgen. Seitdem dieser Mensch dort die Gewalt in Händen hat, bin ich wie jene Verdammten von Dante, denen Satan den Hals umgedreht: sie gehen vorwärts und schauen rückwärts; ich gehe Spanien zu, verliere aber London nicht aus den Augen. Errathen heißt bei diesem Teufel von Menschen sich täuschen, und sich täuschen heißt sich zu Grunde richten. Gott behüte mich, daß ich je zu errathen suche, was er wünscht; ich begnüge mich damit, und das ist schon genug, zu bespähen, was er thut; ich glaube aber, – Ihr begreift das Gewicht des Wortes: ich glaube? ich glaube in Beziehung auf Monk macht zu nichts verbindlich? . . . ich glaube, daß er ganz einfach Lust hat, Cromwell in der Regierung zu folgen. Euer Karl II. hat ihm schon durch zehn Personen Vorschläge machen lassen; er beschränkte sich darauf, daß er die zehn Vermittler fortjagte, ohne ihnen etwas Anderes zu sagen, als: »»Geht, oder ich lasse Euch hängen!«« Dieser Mensch ist ein Grab! In diesem Augenblick spielt Monk den Ergebenen gegen das Croupion-Parlament! von dieser Ergebenheit laß ich mich nicht bethören: Monk will nicht ermordet werden. Ein Mord würde ihn mitten in seinem Werke aufhalten, und sein Werk muß in Erfüllung gehen; ich glaube auch, doch glaubt nicht, was ich glaube, Sire; ich sage, ich glaube aus Gewohnheit; ich glaube, daß Monk das Parlament schont bis zu dem Tag, wo er es zermalmen wird. Man verlangt Schwerter von Euch, doch dies geschieht, um sich gegen Monk zu schlagen; Gott behüte uns, daß wir uns gegen Monk schlagen, Sire, denn Monk wird uns schlagen, und von Monk geschlagen, werde ich mich in meinem ganzen Leben nicht mehr trösten! Ich würde sagen, Monk habe diesen Sieg seit zehn Jahren vorhergesehen. Um Gotteswillen, Sire! aus Freundschaft für Euch, wenn nicht aus Rücksicht für sich selbst, halte sich Karl II. ruhig; Eure Majestät wird ihm eine kleine Rente zufließen lassen, sie wird ihm eines ihrer Schlösser geben. Ei! ei! wartet doch! Da fällt mir der Vertrag, der bekannte Vertrag ein, von dem wir so eben sprachen! Eure Majestät hat nicht einmal das Recht, ihm ein Schloß zu geben!«
»Wie so?«
»Ja, ja. Seine Majestät hat sich verbindlich gemacht, König Karl keine Gastfreundschaft zu gewähren, ihn sogar aus Frankreich wegzuschicken, deshalb haben wir ihn weggeschickt, und nun ist er zurückgekommen! Sire, ich hoffe, Ihr werdet Eurem Bruder begreiflich machen, daß er nicht bei uns bleiben kann, daß dies unmöglich ist, daß er uns compromittirt, oder ich selbst . . . «
»Genug, mein Herr!« sprach Ludwig XIV. aufstehend. »Wenn Ihr mir eine Million verweigert, so seid Ihr berechtigt dazu: Eure Millionen gehören Euch; wenn Ihr mir zweihundert Edelleute verweigert, so seid Ihr abermals in Eurem Recht, denn Ihr seid erster Minister und habt in den Augen von Frankreich die Verantwortlichkeit in Beziehung auf Krieg und Frieden; maßt Ihr Euch aber an, mich, den König, zu verhindern, dem Enkel Heinrich IV., meinem Vetter, dem Gefährten meiner Kindheit, Gastfreundschaft zu gewähren, so sage ich Euch, daß hier Eure Macht ein Ende hat, daß hier mein Wille anfängt.«
»Sire,« sprach Mazarin, entzückt so wohlfeilen Kaufes loszukommen, da er überdies nur so hitzig gekämpft hatte, um es dahin zu bringen, »Sire, ich werde mich stets vor dem Willen meines Königs beugen; mein König behalte also bei sich oder in einem seiner Schlösser den König von England, Mazarin wisse es, aber der Minister soll es nicht wissen.«
»Gute Nacht, mein Herr,« sprach Ludwig XIV., »trostlos gehe ich von hinnen.« —
»Aber überzeugt, und mehr brauche ich nicht.«
Der König antwortete nicht; er entfernte sich ganz nachdenkend, überzeugt, nicht von dem, was Mazarin gesagt, sondern von etwas, was er zu sagen sich wohl gehütet hatte, von der Nothwendigkeit, alles Ernstes seine Angelegenheiten und die von Europa zu studieren, denn er sah, daß sie schwierig und dunkel waren.
Ludwig fand den König von England auf demselben Platze sitzend, wo er ihn gelassen hatte.
Als ihn der englische Prinz sah, gewahrte er mit dem ersten Blick die Entmuthigung in düsteren Buchstaben auf die Stirne seines Vetters geschrieben.
Er nahm zuerst das Wort, als wollte er Ludwig das schmerzliche Geständniß, das er ihm zu machen hatte, erleichtern, und sprach:
»Wie es auch sein mag, nie werde ich die Güte, die Freundschaft vergessen, von der Ihr mir einen Beweis gegeben habt.«
»Ah!« erwiederte Ludwig XIV. mit dumpfem Tone, »der gute Wille ist unfruchtbar, mein Bruder!«
Karl II. wurde furchtbar bleich, fuhr mit einer kalten Hand über seine Stirne und kämpfte einige Augenblicke gegen eine Blendung, die ihn wanken machte.
Ich begreife,« sagte er, »keine Hoffnung mehr!« Ludwig faßte die Hand von Karl II. und sprach:
»Wartet, mein Bruder, und übereilt nichts, Alles kann sich ändern; es sind die äußersten Entschlüsse, die die Sachen zu Grunde richten; ich flehe Euch an, fügt noch ein Jahr der Prüfung mehr den Jahren bei, die Ihr schon ausgestanden habt. Es bietet sich in diesem Augenblick, um Euch zum Handeln zu bestimmen, nicht mehr günstige Gelegenheit, als in irgend einem andern; kommt mit mir, mein Bruder, ich gebe Euch eine meiner Residenzen, diejenige, welche Euch zu bewohnen beliebt; ich werde das Auge mit Euch auf die Ereignisse geheftet halten, wir bereiten sie mit einander vor; auf, mein Bruder, Muth gefaßt!«
Karl II. machte seine Hand von der des Königs los und wich zurück, um mit mehr Ceremonie zu grüßen. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, Sire,« sprach er, »doch ich habe ohne Erfolg den größten König der Erde gebeten; nun will ich Gott um ein Wunder bitten.«
Und er ging hinaus, ohne mehr hören zu wollen, die Stirne hoch, die Hand zitternd, mit einer schmerzhaften Zusammenziehung seines edlen Gesichtes und mit jener düsteren Tiefe des Blicks, der, keine Hoffnung mehr in der Welt der Menschen findend, nach Jenseits zu gehen scheint, um von anderen Welten zu verlangen.
Als ihn der Officier der Musketiere so leichenbleich vorüberkommen sah, verbeugte er sich beinahe bis auf die Kniee, um ihn zu grüßen.
Er nahm sodann eine Kerze, rief zwei Musketieren und stieg mit dem unglücklichen König die öde Treppe hinab, wobei er in der linken Hand seinen Hut hielt, dessen Feder die Stufen fegte.
Als sie vor der Thüre waren, fragte der Officier den König, nach welcher Seite er sich wenden würde, damit er die Musketiere dahin schicken könnte.
»Mein Herr,« erwiederte Karl II. mit halber Stimme, »Ihr, der Ihr meinen Vater gekannt habt, wie Ihr sagt, Ihr habt vielleicht für ihn gebetet? Wenn dies so ist, so vergeßt auch mich nicht in Euren Gebeten. Ich gehe nun allein und bitte Euch, mich nicht zu begleiten und mich auch nicht ferner begleiten zu lassen.«
Der Officier verbeugte sich und schickte seine Musketiere in das Innere des Palastes zurück.
Er aber blieb einen Augenblick unter dem Thorweg, um Karl II. sich entfernen und im Schatten der sich drehenden Straße verlieren zu sehen.
»Zu diesem, wie einst zu seinem Vater,« murmelte er, »würde Athos, wenn er da wäre, mit Recht sagen«
»Heil der gefallenen Majestät!«
Als er sodann die Treppe hinaufstieg, sprach er auf jeder Stufe:
»Ah! wie gemein ist der Dienst, den ich zu thun habe? Ah! der klägliche Herr! Ein Leben so zugebracht ist nicht mehr erträglich, und es ist Zeit, daß ich meinen Entschluß fasse! Kein Edelmuth, keine Energie mehr,« fuhr er fort; »dem Meister ist es gelungen, der Zögling leidet für immer an der Schwindsucht. Mordioux! ich werde dem nicht widerstehen. Vorwärts, Ihr Leute,« rief er, in das Vorzimmer eintretend, »was schaut Ihr mich so an? Löscht die Lichter aus und kehrt auf Eure Posten zurück! Ah! Ihr bewacht mich? Ah, Ihr hütet mich, nicht wahr, Ihr guten Leute? Brave Dummköpfe! ich bin nicht der Herzog von Guise, und man wird mich nicht in diesem kleinen Gang ermorden. Ueberdies,« fügte er ganz leise bei, »überdies wäre das ein Entschluß, und man faßt keine Entschlüsse mehr, seitdem der Herr Cardinal von Richelieu todt ist. Ah! das lasse ich mir gefallen, das war ein Mann! Es ist entschieden, schon morgen werfe ich die Kasake in die Nesseln!«
Dann sich eines Andern besinnend, sagte er:
»Nein, noch nicht! ich habe noch eine äußerste Probe durchzumachen, und ich werde sie durchmachen; doch diese, das schwöre ich, ist die letzte, Mordioux!«
Er hatte noch nicht vollendet, als eine Stimme aus dem Zimmer des Königs ertönte.
»Herr Lieutenant?« sprach diese Stimme.
»Hier bin ich,« antwortete er.
»Der König verlangt Euch zu sprechen.«
»Ah!« sagte der Lieutenant, »vielleicht über das, was ich denke.«
Und er trat beim König ein.
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