Читать бесплатно книгу «Sämmtliche Werke 4: Mirgorod» Николая Гоголя полностью онлайн — MyBook
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Drittes Kapitel

Nun lebte Taraß Bulba bereits seit einer Woche mit seinen Söhnen in der Sjetsch. Ostap und Andrij beschäftigten sich nur wenig mit den militärischen Übungen. Die Sjetsch liebte es nicht, mit solch langweiligen Dingen ihre Zeit zu verlieren. Die jungen Leute wurden durch die Erfahrung erzogen und im Feuer der Schlachten ausgebildet, und daher mußten diese unaufhörlich erneuert werden. Die Kosaken fanden es langweilig, sich in den Ruhezeiten mit irgendwelchen Übungen abzugeben: sie versuchten sich höchstens mal im Scheibenschießen, oder veranstalteten große Ritte, oder jagten in der Steppe und auf den Wiesen nach wilden Tieren; die übrige Zeit war den Zechgelagen und ähnlichen Vergnügungen gewidmet – ein Zeichen der großen Leidenschaftlichkeit ihrer Seelen. Überhaupt war die ganze Sjetsch eine außerordentliche Erscheinung: hier herrschte eine nie endenwollende Feier, gleichsam ein Fest, das lärmvoll begonnen, ewig fortdauerte. Einige von den Bewohnern trieben ein Handwerk, andere hatten Kramläden und handelten mit allerlei Dingen – die meisten jedoch lungerten von früh bis spät herum, wenn ihre Taschen ihnen noch eine Möglichkeit dazu boten, und das erworbene Geld noch nicht in die Hände der Kaufleute und Gastwirte übergegangen war. Dieses allgemeine Zechen und Prassen hatte etwas geradezu Sinnbetörendes an sich. Das war kein Haufe von Zechern, die aus Verzweiflung und Elend tranken, das war eine völlig ursprüngliche und unbändige Fröhlichkeit. Wer hierher kam, vergaß alles und ließ alles liegen, was ihn bisher beschäftigt hatte. Man kann sagen: er pfiff auf seine Vergangenheit. Sorglos ergab er sich der Freiheit, dem geselligen Zusammensein mit gleichen Naturen und Abenteurern wie er selbst, die weder Angehörige, Familie, noch Haus und Hof besaßen, sondern nur den freien Himmel und ein ewiges Verlangen nach ewigen Festen und Feiertagen in ihrer Seele trugen. So entstand jene fessellose Fröhlichkeit, die aus keiner andern Quelle hätte kommen können. Die Erzählungen und Geschichten der mitten zwischen dem versammelten Volk faul auf den Boden Lagernden reizten so zum Lachen und atmeten solches Leben, daß es schon der ganzen Gelassenheit des Saporogers bedurfte, eine unbewegte Miene beizubehalten und nicht einmal mit den Mundwinkeln zu zucken – ein Charakterzug, der den Kleinrussen bis heut’ noch von seinen südrussischen Brüdern unterscheidet. Es war eine trunkene, lärmende Fröhlichkeit, aber nicht in einer verräucherten Schenke, wo der Mensch in einer finsteren, bizarren Ausgelassenheit Vergessenheit von seinem Schmerz sucht, dies war vielmehr ein enger Kreis von Freunden und Schulgenossen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die Menschen hier, statt hinter der Fibel zu sitzen und trockene Erklärungen des Lehrers über sich ergehen zu lassen, auf fünftausend Pferden ausritten und allerhand kühne Raubzüge unternahmen; statt der Wiese, wo Ball gespielt wurde, hatten sie die weite unbegrenzte Steppe, die keinem von ihnen Sorgen machte, die von niemandem bewacht wurde, und wo bloß hier und da der flinke Kopf eines Tataren auftauchte, oder ein Türke finster und unbeweglich unter dem grünen Turban hervorschaute. Ferner kam hinzu, daß sie hier nicht ein fremder Wille zusammenführte, wie in der Schule, sondern eigner Entschluß: hatten sie doch selbst Väter und Mütter verlassen und waren dem elterlichen Hause heimlich entlaufen. Hier gab es Männer, deren Hals der Strick bereits berührt hatte, und die statt des blassen Todes noch mit Mühe das Leben erwischten, dies unbändige Leben voll herrlichen Genusses und Fröhlichkeit; hier hausten Menschen, die aus einer edlen Gewohnheit keine Kopeke in der Tasche behalten konnten, und wieder andere, die bisher einen Dukaten für einen großen Schatz gehalten hatten, und denen man dank den jüdischen Pächtern die Taschen umkehren konnte, ohne Gefahr zu laufen, daß etwas herausfiele. Hier befanden sich Seminaristen, die die akademischen Ruten nicht vertragen und in der Schule keinen Buchstaben gelernt hatten – zugleich aber auch solche, die ihren Horaz und Cicero kannten und über das Wesen der römischen Republik Bescheid wußten. Hier traf man viele jener Offiziere, die sich später in den königlichen Heeren auszeichneten, sowie jene erprobten Parteigänger, die die edle Überzeugung hegten, daß es gleichgültig sei, wo man kämpfe, wenn man nur überhaupt kämpfen konnte, denn es sei eines ritterlichen Mannes nicht würdig, ein Leben ohne Kämpfe und Schlachten zu führen. Endlich gab es auch eine Anzahl solcher, die nur in die Sjetsch gekommen waren, um sagen zu können: sie seien in der Sjetsch gewesen und seien folglich im Kampf gestählte Krieger. Aber was gab es hier nicht? Diese sonderbare Republik war durchaus ein Bedürfnis jener Zeit. Für Liebhaber des kriegerischen Lebens, goldener Becher, reicher Gewebe, Dukaten und Schaumünzen gab es hier jederzeit genug zu tun. Nur die Verehrer der Frauen kamen nicht auf ihre Rechnung: denn nicht einmal in der Vorstadt der Sjetsch durfte sich eine Frau zeigen … Ostap und Andrij fanden es sonderbar, daß niemand die zahlreichen Menschen, die mit ihnen in die Sjetsch gekommen waren, nach ihrer Herkunft und ihrem Namen fragte. Sie kamen hierher, als ob sie in ihr eigenes Haus zurückkehrten, das sie erst vor einer Stunde verlassen hatten. Der Ankömmling meldete sich bloß beim Hauptmann, der gewöhnlich fragte: „Grüß Gott. Glaubst du an Christus?“ „Ja, ich glaube,“ antwortete der Ankömmling. „Auch an die heilige Dreieinigkeit?“ „Auch das.“ „Besuchst du die Kirche?“ „Ja, ich besuche sie.“ „Gut, bekreuzige dich einmal.“ Der Ankömmling tat es. „Schön,“ sagte der Hauptmann, „geh und wähl dir selbst das Kosakendorf, das dir gefällt.“ Und damit war die Zeremonie beendet. Die ganze Sjetsch betete in derselben Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, trotzdem sie von Fasten und Enthaltsamkeit nichts wissen wollte. Nur die, nebenbei bemerkt, äußerst geldgierigen Juden, Armenier und Tataren wagten es, sich in der Vorstadt niederzulassen und hier ihre Kramläden aufzuschlagen, denn die Saporoger handelten nur ungern und zahlten gewöhnlich so viel Geld, als sie mit einem Griff aus der Tasche holten. Übrigens war das Los dieser habsüchtigen Händler sehr traurig; man konnte sie fast mit den armen Leuten vergleichen, die am Fuße des Vesuvs wohnten, denn sobald es den Saporogern an Geld fehlte, zertrümmerte die rohe Bande die Buden der Krämer und nahm sich alles, was sie brauchte, auch ohne Zahlung.

Die Sjetsch bestand aus mehr als sechzig Niederlassungen, die ebenso viele völlig voneinander unabhängige Republiken darstellten. Sie glichen Schulen oder Seminaren, deren Zöglinge in der Anstalt gekleidet und beköstigt werden. Niemand besaß etwas, oder legte sich Vorräte an, alles befand sich in den Händen des Kosakenhauptmanns, den man deshalb auch gewöhnlich „Väterchen“ nannte. Er verwaltete das Geld, die Kleidung, den gesamten Speisevorrat, den Roggen- und Weizenteig, die Grütze und sogar das Heizmaterial: auch das Barvermögen wurde ihm zur Aufbewahrung gegeben. Zwischen den einzelnen Niederlassungen brachen des öfteren Streitigkeiten aus, die sogleich in Schlägereien ausarteten. Der Marktplatz füllte sich mit den Bewohnern der Dörfer, und man bearbeitete sich so lange mit den Fäusten, bis irgend eine Partei niedergekämpft war, und dann begann ein Zechgelage und ein großer Jubel. Das war die Sjetsch, die eine so starke Anziehungskraft auf die jungen Leute ausübte.

Ostap und Andrij stürzten sich mit der ganzen Leidenschaft der Jugend in dieses Freudenmeer, vergaßen schnell das väterliche Haus, das Seminar und alles, was ihre Seele bisher bewegt hatte, und gaben sich ganz dem neuen Leben hin. Alles fesselte sie hier: die wilden Sitten der Sjetsch, ihr einfaches Gerichtswesen und ihre Gesetze, die ihnen freilich manchmal für eine freie Republik gar zu streng erschienen. Wurde ein Kosak beim Diebstahl irgend einer Kleinigkeit ertappt, so galt dies für eine dem gesamten Kosakentum zugefügte Beleidigung: er wurde für ehrlos erklärt, an den Schandpfahl gebunden, und es wurde eine Holzkeule neben ihn gelegt, mit der jeder Vorübergehende ihm einen Schlag versetzen mußte, bis man ihn zu Tode gemartert hatte. Den säumigen Schuldner schmiedete man mit einer Kette an eine Kanone, wo er so lange gefesselt blieb, bis einer seiner Kameraden ihn auslöste und seine Schuld beglich. Den stärksten Eindruck aber übte die unerhört grausame Strafe, mit der der Mord bestraft wurde, auf Andrij aus: vor den Augen des Verurteilten wurde eine Grube gegraben, in die er lebendig hinabgestürzt wurde, dann senkte man den Sarg mit dem Leichnam des Ermordeten in die Grube hinab und schüttete Erde darüber. Noch lange nachher mußte Andrij an diesen entsetzlichen Brauch zurückdenken, und fortwährend stand der mitsamt dem grauenhaften Sarge lebendig begrabene Mensch vor seinen Augen.

Die beiden jungen Kosaken wurden schnell beliebt bei ihren Kameraden. Oft begaben sie sich mit ihren Lagergenossen und zuweilen auch mit dem ganzen Bezirk oder auch mit benachbarten Niederlassungen in die Steppe zur Jagd auf unabsehbare Scharen von Vögeln, Hirschen und Ziegen, oder sie zogen bis an die Seen, Bäche und Ströme, die jedem Dorf durch das Los zugeteilt wurden, um zu angeln, ihre Netze auszuwerfen und reiche Beute für ihr Lager mitzubringen. Obgleich es keine Wissenschaften gab, in der der Kosak geprüft wurde, machten sie sich doch unter den andern jungen Leuten durch ihre ehrliche Kühnheit und ihre Erfolge bemerkbar. Gewandt und sicher schossen sie ins Ziel und durchschwammen den Dnjepr selbst gegen die Strömung: eine Tat, für die der Neuling feierlich in den Kreis der Kosaken aufgenommen wurde.

Jedoch der alte Taraß sah sich nach einer anderen Tätigkeit für sie um. Das müßige Leben seiner Söhne war nicht nach seinem Wunsch: er verlangte ernstere Aufgaben für sie. Oft dachte er nach, wie er die Sjetsch zu einem kühnen Zuge bewegen könne, bei dem es eine einem Ritter geziemende Betätigung gab. Endlich aber ging Taraß eines Tages zum Hauptmann und sagte ohne Umschweife zu ihm: „Hauptmann, es wär’ Zeit, daß die Saporoger sich wieder einmal tüchtig austobten.“

„Es ist keine Gelegenheit dazu vorhanden,“ antwortete der Hauptmann, indem er seine kleine Pfeife aus dem Munde nahm und ausspuckte.

„Was, keine Gelegenheit? Man könnte doch gegen die Türken oder gegen die Tataren losgehen!“

„Nein, das kann man nicht. Weder gegen die Türken noch gegen die Tataren,“ antwortete der Hauptmann und steckte kaltblütig seine Pfeife zwischen die Zähne.

„Und warum nicht?“

„Weil wir dem Sultan versprochen haben, Frieden zu halten.“

„Aber er ist doch ein Mohammedaner, und Gott und die heilige Schrift befehlen, die Heiden auszurotten!“

„Wir haben kein Recht dazu. Ja, wenn wir nicht bei unserm Glauben geschworen hätten, dann ginge es vielleicht, so aber ist es unmöglich.“

„Warum unmöglich? Wie kannst du sagen, wir hätten kein Recht dazu? Sieh mal, ich habe zwei Söhne, beide sind junge Burschen. Weder der eine noch der andere war ein einziges Mal in der Schlacht, und da behauptest du, wir hätten kein Recht dazu, und sagst, die Saporoger dürften nicht in den Kampf ziehen!“

„Nein, es geht nicht.“

„Wie es scheint, soll wohl die ganze Kosakenkraft unnütz vergeudet werden, der Mensch soll wohl tatenlos faulen wie ein Hund, und weder das Vaterland noch die ganze Christenheit soll einen Nutzen von ihm haben? Wozu leben wir denn da – warum zum Teufel leben wir denn überhaupt? Bitte, erkläre mir das! Du bist ein kluger Mensch, sie haben dich nicht umsonst zum Hauptmann gewählt; also sprich: wozu leben wir?“

Der Hauptmann antwortete nicht auf diese Frage. Er war ein starrköpfiger Kosak. Er schwieg eine Weile still und meinte dann: „Einen Krieg gibt es dennoch nicht!“

„Es gibt also keinen Krieg?“ fragte Taraß wiederum.

„Nein.“

„Es ist also garnicht daran zu denken?“

„Nein, es ist garnicht daran zu denken.“

„Warte nur, verdammter Teufel!“ murmelte Bulba vor sich hin, „du sollst mich kennen lernen.“ Und er beschloß, sich an dem Hauptmann zu rächen.

Er besprach die Sache mit dem einen und dem andern und veranstaltete ein großes Gelage; eine Anzahl angeheiterter Kosaken stürzte auf den Marktplatz, wo sich die Pauken befanden, die an einem Pfahl hingen und gewöhnlich zum Zeichen einer beabsichtigten Ratsversammlung geschlagen wurden. Da sie die Schlegel nicht fanden, die meist beim Paukenschläger verwahrt zu werden pflegten, nahm jeder ein Holzscheit in die Hand und hieb damit auf die Pauken los. Auf diesen Lärm kam zuerst der Paukenschläger herbeigelaufen, ein langer Kerl mit einem einzigen Auge, das trotzdem recht verschlafen aussah.

„Wer wagt es, die Pauken zu schlagen?“ schrie er.

„Schweig! Nimm deine Schlegel und schlag drauf los, wenn man dir’s befiehlt!“ antworteten die angeheiterten Hauptleute.

Der Paukenschläger holte sofort die Schlegel, die er mitgenommen hatte, aus seiner Tasche, da er schon mit dem Ausgang solcher Vorgänge vertraut war. Die Pauken erdröhnten – und bald versammelten sich die schwarzen Scharen der Saporoger wie Hummeln auf dem Platz. Alle scharten sich zu einem kleinen Kreise zusammen, und nach dem dritten Schlage erschienen endlich auch die Ältesten: der Hauptmann mit der Keule, dem Zeichen der Würde, in der Hand, der Richter mit dem Heeressiegel, der Schreiber mit dem Tintenfaß und der Kosakenfähnrich mit dem Stabe. Der Hauptmann und die Ältesten nahmen ihre Mützen ab und verbeugten sich nach allen Seiten gegen die Kosaken, die, die Arme in die Seiten gestemmt, stolz dastanden.

„Was bedeutet diese Versammlung? Was wollt ihr, Herren?“ fragte der Hauptmann, aber lautes Fluchen und Schreien ließen ihn nicht zu Ende sprechen.

„Leg die Keule nieder! Leg sie sofort nieder, du Teufelssohn! Wir wollen dich nicht mehr!“ schrien einige Kosaken aus der Menge heraus. Andere, aus Lagern, die noch nüchtern waren, widersprachen, und es dauerte nicht lange, so begann zwischen Nüchternen und Trunkenen ein regelrechter Faustkampf. Alles schrie und lärmte durcheinander.

Der Hauptmann wollte sprechen, aber da er wußte, daß die wütende und eigensinnige Menge ihn, wie das in solchen Fällen ja immer geschieht, dafür zu Tode prügeln würde, verbeugte er sich tief, legte die Keule nieder und verschwand in der Menge.

„Befehlt ihr, Herren, daß auch wir die Zeichen unserer Würde niederlegen?“ fragten der Richter, der Schreiber und der Kosakenfähnrich. Sie machten sich schon bereit, Tintenfaß, Stab und Heeressiegel niederzulegen.

„Nein, ihr sollt bleiben,“ schrie man aus der Menge, „wir wollen nur den Hauptmann los sein. Was ist das für ein Weib! Wir brauchen einen Mann zum Hauptmann!“

„Wen wollt ihr denn aber zum Hauptmann wählen?“ fragten die Ältesten. „Wählt Kukubjenko,“ schrie ein Teil. „Nein, wir wollen Kukubjenko nicht,“ schrie ein anderer. „Er ist noch zu jung, er hat ja kaum die Kinderschuhe abgelegt.“

„Schilo soll unser Hauptmann sein,“ schrien verschiedene, „Schilo soll Hauptmann sein!“

„Daß euch der Schilo in den Leib fahre!“ schrien andere wieder durcheinander. „Was ist denn das für ein Kosak? dieser Hundsfott stiehlt ja wie ein Tatar! Der Teufel soll ihn holen, steckt ihn in den Sack, den Säufer!“

„Borodaty, wählen wir doch Borodaty zum Hauptmann!“

„Wir wollen Borodaty nicht! Zum Teufel mit Borodaty!“

„Ruft Kirdiaga,“ flüsterte Taraß Bulba einigen zu.

„Kirdiaga, Kirdiaga,“ schrie die Menge. „Borodaty, Borodaty! Kirdiaga, Kirdiaga! Schilo! Zum Teufel mit Schilo! Kirdiaga!“

Die Genannten traten sofort aus der Menge heraus, damit man nicht glauben sollte, sie suchten ihre Wahl durch persönliche Anteilnahme zu befördern.

„Kirdiaga! Kirdiaga!“ Dieser Name erklang öfter als die andern. „Borodaty!“ Endlich wurde die Sache durch die Fäuste ausgefochten, und Kirdiaga trug den Sieg davon.

„Schnell, holt den Kirdiaga,“ riefen viele Stimmen, und sogleich sonderten sich zehn Kosaken von der Menge ab. Einige von ihnen waren so bezecht, daß sie sich kaum aufrecht halten konnten. Sie begaben sich direkt zu Kirdiaga, um ihn von der Wahl zu unterrichten.

Kirdiaga war zwar ein schon recht bejahrter, aber kluger Kosak, der schon lange in seine Strohhütte zurückgekehrt war und so tat, als ob er nichts von dem Vorgefallenen wüßte. „Nun, meine Herren, was wünscht ihr?“ fragte er.

„Komm, du bist zum Hauptmann gewählt worden.“

„Aber ich bitte euch, ihr Herren,“ sagte Kirdiaga, „wie komme ich zu einer solchen Ehre? Wie kann ich euer Hauptmann sein? Ich bin ja gar nicht klug genug, um eine solche Würde zu tragen! Als ob ihr im ganzen Heere keinen Besseren finden könntet, als mich!“

„Komm schnell, hörst du!“ schrien die Saporoger. Zwei von ihnen packten ihn bei den Armen, und so sehr er sich auch mit den Füßen gegen den Boden stemmte, er wurde doch schließlich unter andauernden Schimpfworten, Rippenstößen und aufmunternden Zurufen auf den Platz gebracht. „Sträube dich doch nicht, du Satan! Nimm doch das Ehrenamt an, wenn man es dir anbietet!“ Auf diese Weise wurde Kirdiaga in den Kreis der Kosaken geschleppt.

„Nun Herrschaften!“ riefen die, die ihn hergebracht hatten, laut aus, „seid ihr einverstanden, daß dieser Kosak unser Hauptmann wird?“

„Ja, wir sind alle einverstanden,“ schrie die Menge, und das ganze Feld hallte wider von ihrem Geschrei.

Einer von den Ältesten hob die Keule auf und überreichte sie dem neuerwählten Hauptmann. Der Sitte gemäß weigerte sich Kirdiaga zunächst, sie anzunehmen. Der Älteste bot sie ihm darauf zum zweiten Male an, und Kirdiaga wies sie zum zweiten Male zurück. Erst beim dritten Mal nahm er die Keule an. Nunmehr brach die Menge in ein lautes Beifallsgebrüll aus und wiederum hallte das Feld vom Geschrei der Kosaken wider. Darauf traten vier von den ältesten Kosaken mit grauen Köpfen und Bärten aus der Mitte des Volkes heraus. (Ganz Alte gab es in der Sjetsch nicht, denn kein Saporoger starb eines natürlichen Todes.) Jeder von ihnen nahm eine Handvoll Erde, die um jene Zeit durch den Regen in Kot verwandelt war, und legte sie Kirdiaga aufs Haupt. Die nasse Erde rann ihm vom Kopf herunter, floß ihm über den Schnurrbart und über die Wangen, und beschmutzte ihm das ganze Gesicht. Aber Kirdiaga blieb stehen, rührte sich nicht von der Stelle und dankte den Kosaken für die ihm erwiesene Ehre.

So endete diese höchst geräuschvolle Wahl, über die sich vielleicht niemand so innig freute, wie Bulba. Zunächst, weil er sich an dem früheren Hauptmann gerächt hatte, und dann war Kirdiaga sein alter Kamerad, der mit ihm die gleichen Kriegszüge zu Wasser und zu Lande gemacht, und mit dem er die Mühen und Gefahren des Kriegslebens geteilt hatte. Die Menge zerstreute sich, um die Wahl sofort zu feiern, und nun erhob sich ein Jubel, wie ihn Ostap und Andrij bisher noch nicht erlebt hatten. Die Schnapsläden wurden verwüstet, Met, Branntwein und Bier wurden heruntergegossen, ohne daß jemand an Bezahlung dachte, und die Gastwirte waren schon zufrieden, daß sie selbst verschont blieben. Die ganze Nacht hindurch brüllte und sang man Lieder, in denen die Heldentaten gefeiert wurden, und der aufgehende Mond beleuchtete noch lange die Haufen von Musikanten, die mit Banduren, Teorben und runden Balaleiken durch die Straßen zogen, sowie die Kirchensänger, die man sich in der Sjetsch zur Abhaltung des Gottesdienstes und zur Lobpreisung der Taten der Saporoger hielt. Endlich begann sich der Rausch und die Müdigkeit auch der starken Köpfe zu bemächtigen. Bald da, bald dort sank ein Kosak zur Erde, ein Kamerad umarmte den andern, und wurde rührselig – ja mancher begann sogar zu weinen und taumelte dann zusammen mit dem andern zu Boden. Dort wälzte sich ein ganzer Haufen herum; ein Kosak suchte sich einen möglichst bequemen Ruheplatz und legte sich dabei gerade auf einen Holzklotz. Ein einziger, der stärker war als die übrigen, hielt noch allerhand unzusammenhängende Reden, aber endlich tat es auch diesem der Rausch an – er fiel nieder – und die ganze Sjetsch versank in Schlummer …

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