Scarlet freute sich wirklich über diese Zustimmung und fühlte sich langsam besser. So hatte sie das noch nicht gesehen. Sie glaubte, ihre eigene, beste Kritikerin zu sein. Je mehr sie darüber nachdachte, kam sie zu dem Entschluss, dass sie auf gewisse Weise Recht hatten. Vielleicht hätte Blake mehr Verständnis haben müssen; vielleicht hätte er ihr folgen sollen, sie fragen, wie sie sich fühlte; vielleicht hätte er nicht so schnell zu Vivian laufen sollen.
Aber hatte er das wirklich? Oder hatte Vivian das alles nur erfunden?
“Danke Leute”, sagte sie. “Ich freue mich wirklich darüber. Aber ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was danach passiert ist. Ich weiß nicht, ob er zurück zu Vivian gegangen ist oder ob sie das alles nur erfunden hat.”
“Also, ich denke, das bedeutet, dass Du nicht mit ihm zum Tanz gehst?” fragte Maria. “Also, mit wem gehst Du dann? Ich meine, oder willst Du nicht hin?” fragte sie, ihre Stimme stieg dabei an, als wäre es das Schlimmste der Welt.
Scarlet zuckte die Achseln. Der dumme Tanz – er könnte zu keiner schlimmeren Zeit kommen. Sie wusste wirklich nicht, was sie sagen sollte.
“Ich bezweifele, dass Blake mich mit hin nimmt”, sagte sie. “Vielleicht gehe ich allein….”
Für einen Moment musste Scarlet an Sage denken. Ihr fiel auf, wie gerne sie eigentlich mit ihm hingehen würde. Sie wusste kaum, warum. Sein Gesicht steckte einfach in ihrem Kopf.
Gleichzeitig dachte sie an Maria, was sie wohl denken würde – und der Gedanke, mit Sage hinzugehen, fühlte sich wie Verrat an. Sie versuchte ihn schnell aus dem Kopf zu bekommen.
“Wenn ich nicht hingehe, gehe ich halt nicht hin”, sagte sie schließlich. “Es ist okay. Vielleicht nächstes Jahr.”
“Es gibt eine riesige Aufwärmparty bei Jake Wilson. Seine Eltern sich nicht da. Wir gehen alle hin. Du musst mitkommen. Vielleicht findest Du dort ein Date.”
Scarlet schluckte. Los zu schleichen und sich ein Date für den Abend zu suchen, war das letzte, was sie tun wollte.
“Naja, egal, fühl Dich nicht schlecht”, sagte Maria. “Ich habe ja auch noch kein Date für den Abend.”
“Was ist mit Brian?” fragte Jasmin sie.
“Es ist vorbei, schon vergessen?” sagte sie.
“Aber er hat auch noch kein Date.”
Maria zuckte die Achseln. “Er hat mich nicht gefragt. Und eigentlich will ich auch wirklich nicht mit ihm hin. Sage ist derjenige, mit dem ich gehen möchte. Der neue Junge.”
Scarlet schluckte.
“Also, warum fragst Du ihn nicht?” fragte Becca.
“Ja, ständig sprichst Du von ihm, aber Du tust nichts dafür”, sagte Jasmin. “Hör auf, so ein Hühnchen zu sein.”
“Ich bin kein Hühnchen“, erwiderte Maria eingeschnappt.
“Hühnchen, Hühnchen!” zogen sie sie auf.
Marias Gesicht wurde tiefrot und Scarlet konnte sehen, wie sauer sie war.
“Ich bin kein Hühnchen. Tatsächlich habe ich eine Stunde mit ihm am Vormittag. Ich werde ihn dann fragen.”
“Nein, wirst Du nicht”, sagte Becca.
“Das würdest Du nie tun”, sagte Jasmin.
“Schaut mir nur zu”, sagte Maria.
“Aber ist das nicht peinlich?” sagte Becca. “Dass Du ihn fragst?”
Maria zuckte die Achseln. “Es könnte besser sein. Aber was soll ich sonst tun? Er ist neu. Wenn ich ihn nicht frage, macht es jemand anderes. Und wenn er nichts von mir wissen will, weiß ich es wenigstens direkt, oder?”
“Ich denke immer noch, dass Du nur redest”, sagte Jasmin.
Maria schaute sie an. “Überprüf das nochmal in einer Stunde und wir werden sehen, wer hier spricht.”
Scarlet war erleichtert, dass die Unterhaltung von ihr wegführte. Sie fühlte sich langsam hoffnungsvoll, als wenn die negative Aufmerksamkeit vielleicht doch schnell an ihr vorüber ziehen würde und es nicht so schlimm wäre, wie sie dachte. Immerhin wandten sich Jugendliche sehr schnell neuen Themen zu, über die man lästern konnte. Aber als sie an die nächste Stunde mit Sage und Maria dachte, sank ihr Magen wieder vor Angst.
Als sie um die Ecke bogen, sank Scarlets Magen noch weiter, denn dort, gegen die Wand gelegt, stand Vivian mit ihren Freundinnen. Sie stießen sich gegenseitig mit den Ellbogen an, schauten in ihre Richtung und dann kicherten und flüsterten sie.
Vivian drehte sich um und sah sie direkt an, mit einem siegesgewissen Lächeln. Sie konnte die Gemeinheit in ihrem perfekten Gesicht sehen, die kleine Siegesgewissheit, da sie es geschafft hatte, sie online zu mobben. Für einen Moment war Scarlet so wütend, dass sie sie angreifen wollte. Sie fühlte, dass ein enormer Wutansturm in ihr aufkam, der sie erzittern lies und von Ihren Zehen bis in die Fingerspitzen reichte. Sie verstand nicht, was passierte: es war wie ein Flash. Ihr Körper fühlte sich plötzlich stärker an, zu Gewalttätigkeiten bereit, und schwerer zu kontrollieren. Sie wollte schnell hier raus, bevor etwas schlimmes passierte.
“Schön, schön, schön”, sagte Vivian laut, als sie vorbeigingen. Die Spannung in der Luft war so dick, dass man sie mit einem Messer schneiden konnte.
“Schaut mal, wer da ist. Wenn das nicht Blakes Abgelehnte ist.”
“Das ist schon eine Aussage, besonders, wenn sie von der kommt, die Blake nie wollte”, zickte Jasmin sie an.
“Hattest Du zu viel Angst, es ihr ins Gesicht zu sagen, so dass Du hingehen musstest und es online posten musstest?” stichelte Maria.
Vivians Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an, so wie das ihrer Freunde. Scarlet fand es unangenehm. Sie wollte nur, dass dies alles vorbei ging. Sie freute sich über die Loyalität ihrer Freunde, aber sie wollte nicht, dass sich das in einen vollwertigen Krieg entwickelte
“Und das kommt von dem Mädchen, die noch nicht einmal ein Date für den Ball hat”, entgegnete Vivian, als sie sich nun auf Maria einschoss. “Loser”, sagte sie.
“Ich habe lieber kein Date, als eins mit dem Abgelegten von jemand anderem zu haben”, schoss Maria zurück.
“Bitte, Maria”, sagte Scarlet leise. “Lass uns einfach weitergehen.”
Für einen Moment schien es, als wollten sich die beiden Gruppen von Mädchen aufeinander stürzen wollen, und als würde ein richtiger Kampf entstehen. Obwohl Scarlet diesen Wutschub im Körper fühlte, wollte sie doch keine weiteren Konfrontationen.
Sie stupste ihre Freunde sanft an und ihre Gruppe ging weiter den Flur hinunter. Scarlet wollte sich nicht auf Vivians Niveau herunterlassen.
Als die beiden Gruppen mehr Distanz zwischen einander gewannen, fühlte Scarlet plötzlich etwas. Es war ein seltsames Gefühl, eines, das sie nie zuvor gefühlt hatte. Wie aus dem Nichts heraus waren ihre Sinne in höchster Alarmbereitschaft: sie fühlte, mehr als dass sie es sah, eine dunkle Energie, die sich von hinten näherte. Sie wusste nicht, warum, aber sie tat es. Und dann wurde ihr Gehör so viel genauer: sie hörte jede winzige Bewegung in den Fluren. Sie hörte die Bewegung von den Schritten eines Mädchens, die von hinten näherte.
Mit Lichtgeschwindigkeit reagierend, fühlte Scarlet plötzlich, wie ihr Körper sich um sich selbst drehte, ihre eigene Hand schoss nach oben und umfasste etwas, und sah sich selbst dabei zu, wie sie die Hand von jemand anderem griff, die auf ihren Hinterkopf herunterfuhr.
Scarlet sah hinauf und war erstaunt zu sehen, dass sie Vivians Handgelenk umklammerte. Sie sah darauf und erkannte einen großen Batzen Kaugummi in ihrer Handfläche und sah ihren geschockten Ausdruck. Dann verstand sie, was passiert war: Vivian hatte sich von hinten angeschlichen und wollte ihr das Gummi in die Haare schmieren. Irgendwie, hatte Scarlet es gespürt und hatte sie gerade noch aufgehalten, in der letzten Sekunde, nur Zentimeter entfernt.
Wie Scarlet da so stand, merkte sie, dass sie Vivians Handgelenk mit einer unglaublichen Kraft umklammerte; Vivian fiel auf die Knie und schrie vor Schmerzen auf.
Jeder im Flur stoppte und es bildete sich eine große Menge um die Beiden.
“Du tust mir weh!” schrie Vivian. “Lass los!”
“KÄMPFT! KÄMPFT!” schrie die Menge, die plötzlich um sie herum versammelt hatte.
Scarlet fühlte eine überwältigende Wut, die durch sie durch raste, eine Wut, die sie kaum kontrollieren konnte. Etwas in ihrem Körper hatte sie davor geschützt, verletzt zu werden und jetzt war es willens, Rache zu nehmen – das Handgelenk dieses Mädchens zu brechen.
“Warum sollte sie?” rief Maria. “Du warst dabei, Ihr Kaugummi in die Haare zu schmieren.”
“Bitte!” wimmerte Vivian. “Es tut mir leid!”
Scarlet verstand nicht, was über sie gekommen war und es machte sie wahnsinnig. Irgendwie, in der letzten Sekunde, konnte sie sich selbst dazu bringen, aufzuhören. Schließlich ließ sie los.
Vivians Handgelenk klappte zur Seite weg, als sie auf ihre Füße krabbelte und zurück zu ihren Freunden rannte.
Scarlet drehte sich mit klopfendem Herzen um und ging mit ihren Freunden weiter den Flur runter. Langsam normalisierten sich die Flure wieder, jeder flüsterte miteinander, als sie sich verteilten. Scarlets Freunde umringten sie.
“OMG, wie hast Du das gemacht?” fragte Maria mit Ehrfurcht.
“Das war total super!”, sagte Jasmin. “Du hast sie wirklich auf ihren Platz verwiesen.”
“Ich kann nicht glauben, dass sie Dir Kaugummi in die Haare schmieren wollte”, sagte Becca.
“Sie hat bekommen, was sie verdient”, sagte Maria. “Gut gemacht, Mädchen. Ich denke, beim nächsten Mal überlegt sie zweimal, bevor sie sich noch einmal mit Dir anlegt.”
Aber Scarlet fühlte sich nicht gut. Sie fühlte sich leer, ausgebrannt. Und noch verwirrter über das, was mit ihr passierte. Auf der einen Seite war sie natürlich begeistert darüber, dass sie Vivian noch in letzter Sekunde bekommen hatte, dass sie sich gewehrt hatte und für sich eingestanden war. Aber gleichzeitig konnte sie nicht verstehen, wie sie so hatte reagieren können.
Ihre Augen taten mehr weh als zuvor und ihre Kopfschmerzen wurden auch immer schlimmer, und so verrückt wie es auch klang, sie musste einfach daran denken, dass sie sich irgendwie veränderte. Und das machte ihr mehr Angst, als alles andere.
Die Glocke klingelte und bevor sie in die Klasse gingen, sah Scarlet über ihre Schulter und sah, dass Blake dort stand. Er stand dort mit ein paar seiner Freunde und einer von ihnen stieß ihn an, woraufhin er sich umdrehte und sie ansah. Für einen Moment hatten sie Blickkontakt. Scarlet versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Sie hoffte mehr als alles andere, dass er sich umdrehen und zu ihr hinüber laufen würde, ihr noch eine Chance geben würde.
Aber er drehte sich plötzlich um und ging mit seinen Freunden in die andere Richtung.
Scarlets Herz brach. Das war es also. Er wollte sie nicht mehr. Nicht nur das, er sprach auch nicht mehr mit ihr. Er würde sie nicht einmal mehr grüßen. Das tat ihr mehr weh, als alles andere. Sie hatte gedacht, das zwischen ihnen sei etwas Richtiges gewesen und konnte nicht verstehen, wie es so schnell hatte verschwinden können, wie er einfach weglaufen konnte. Warum konnte er nicht etwas mehr Verständnis für sie haben – er hätte ihr zumindest die Chance geben müssen, es ihm zu erklären. Es war gerade erst die erste Stunde des Tages und Scarlet fühlte sich schon erschlagen. Sie hatte einen Wirbelwind der Emotionen erwartet und fragte sich, wie sie es nur durch den Tag schaffen sollte.
“Komm schon, Du brauchst ihn nicht”, sagte Maria und legte ihren Arm um Scarlet und führte sie in die Klasse. Scarlet schluckte, in dem Wissen, dass hinter der Tür Sage warten würde.
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