»›O Sie Erznarr!‹« rief Henry. »›Sehen Sie denn nicht, daß das Ihre Schuld ist? Lavinia, wünschte diese Zusammenkunft nicht im mindesten – dessen bin ich sicher. Denn als ich mit ihr von Ihnen sprach, als ich sie fragte, ob nicht auf dem Wege von Saint-Sauveur nach Bagnères beim Nahen einer Gruppe von Cavalieren, unter denen auch Sie sich befinden könnten, ihr Herz zuweilen schneller schlüge, antwortete sie mir mit schläfriger Miene: »Wahrhaftig! mein Herz pochte vielleicht, begegnete ich ihm« – – und ein reizendes Gähnen modulirte das letzte Wort ihrer Phrase. Beißen Sie sich nicht auf die Lippen, Lionel, es war ein so zartes, so frisches Gähnen aus schönem Frauenmund, so harmonisch, daß es artig und schmeichelhaft schien, so lang gezogen, daß es die tiefste Apathie, die herzlichste Gleichgültigkeit ausdrückte. – Sie aber, anstatt aus dieser guten Stimmung Nutzen zu ziehen, Sie können der Neigung zum Phrasenmachen nicht widerstehen. Treu dem ewigen Pathos der in Ungnade gefallenen Liebhaber, affectiren Sie, obgleich über diese Ungnade entzückt, den elegischen Ton, das tragische Genre; Sie scheinen die Unmöglichkeit, sie wiederzusehen, zu beklagen, anstatt ihr offen und ehrlich zu sagen, daß Sie ihr eben deshalb außerordentlich dankbar seien.‹«
»Dergleichen Ungezogenheiten kann man sich nicht zu Schulden kommen lassen. Wie konnte ich ahnen, daß sie einige müßige Worte, die in diesem Falle die Schicklichkeit mir abnöthigte, im Ernst nehmen würde?«
»›O, ich kenne Lavinia. Das ist eine Bosheit in ihrer Manier.‹«
»Unsterbliche Frauenbosheit! Doch nein! Lavinia war die sanfteste und am wenigsten spottsüchtige von allen. Ich weiß, sie hat nicht mehr Lust zu dieser Zusammenkunft als ich. Halt, lieber Henry, retten Sie uns beide vor dieser Strafe: nehmen Sie das Paquet, eilen Sie nach Saint-Sauveur, bemühen Sie sich, alles zu ordnen, geben Sie ihr zu verstehen, daß ich unmöglich« – –
»›Miß Ellis am Vorabende Ihrer Hochzeit verlassen darf, nicht wahr? – Ein netter Grund, den man einer Nebenbuhlerin angeben könnte! Unmöglich, mein Lieber! Sie haben die Suppe eingebrockt, nun müssen Sie sie auslöffeln. Wenn man die Dummheit begeht, zehn Jahre lang die Briefe und das Portrait einer Frau aufzubewahren, wenn man unbesonnen genug ist, sich gegen einen Schwätzer wie mich damit zu rühmen, wenn man die Tollheit besitzt, mit kaltem Blute einem Scheidebrief Geist und Empfindung einzuhauchen, so muß man auch die Folgen über sich ergehen lassen. So lange die Briefe in Ihren Händen sind, können Sie Lady Lavinia nichts verweigern, und welche Art des Verkehrs Sie Ihnen auch vorschreibt, Sie sind ihr unterworfen, bis der feierliche Schritt gethan ist. Auf, Lionel, lassen Sie Ihren Pony satteln und gehen wir! Denn ich begleite Sie. Ich bin ein wenig schuld an alle dem, Sie sehen, daß ich nicht lache, nun es sich um's Wiedergutmachen handelt. Vorwärts!‹«
Lionel hatte gehofft, Henry würde ein anderes Mittel finden, um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen. Mit der geheimen Empfindung unwillkürlichen Widerstandes gegen den Rathschluß der Notwendigkeit blieb er bestürzt, unbeweglich an seinem Platze. Am Ende jedoch erhob er sich mit über der Brust gekreuzten Armen, traurig und in sein Schicksal ergeben. Im Punkte der Liebe war Sir Lionel ein vollkommener Held. War auch sein Herz in mehr als einem Falle eidvergessen gewesen, nie war sein äußeres Benehmen vom Codex der seinen Lebensart abgewichen, nie hatte ihm eine Frau ein Abirren von jener zartsinnigen, großherzigen Willfährigkeit, dem besten Zeichen, das ein wohl erzogener Mann einer zürnenden Frau für das Erblassen seiner Leidenschaft geben kann, zum Vorwurf machen können. Mit dem Bewußtsein einer peinlichen Treue gegen diese Regeln beruhigte der schöne Sir Lionel sein Gewissen über die Leiden, die für andere mit seinen Triumphen verbunden waren.
»›Halt! ein Mittel!‹« rief endlich Henry und sprang ebenfalls auf. »›Die Klatschgesellschaft unserer schönen Landsmänninnen ist hier maßgebend. Miß Ellis und ihre Schwester Anna sind die bedeutendsten Mächte im Rathe der Amazonen. Man muß es von Margaret erlangen, daß der auf morgen festgesetzte Ausflug um einen Tag verschoben wird. Ein Tag hier zu Lande, das ist viel, ich weiß es, aber man muß es durchsetzen, ein ernstes Hinderniß zum Vorwand nehmen und noch in dieser Nacht nach Saint-Sauveur aufbrechen. Wir kommen dort am Nachmittag an, ruhen uns bis zum Abend aus, um 9 Uhr, während des Rendezvous, lasse ich die Pferde satteln, und um 10 Uhr (ich glaube, daß zum Austausch zweier Briefpackete nicht mehr als eine Stunde nöthig) sitzen wir wieder auf; wir reiten die ganze Nacht durch, kommen mit Sonnenaufgang hier an, treffen die schöne Margaret auf ihrem edeln Rosse paradirend, meine hübsche, kleine Madame Bernos meinen Yorkshire tummelnd, wechseln die Stiefeln und die Pferde, und staubbedeckt, marschermüdet, liebeskrank, bleich und interessant folgen wir unsern Dulcineen durch Berg und Thal. Wenn solcher Eifer nicht belohnt wird, verdienen alle Frauen zum warnenden Exempel gehangen zu werden. Vorwärts, bist du fertig?‹«
Dankdurchdrungen warf sich Lionel in Henry's Arme. – Nach einer Viertelstunde kehrte dieser zurück. »›Laß uns aufbrechen,‹« sagte er, »›es ist alles abgemacht, die Fahrt nach Luchon wird bis zum 16. verschoben. Aber es hat Mühe gekostet. Miß Ellis war argwöhnisch. Sie weiß, daß meine Cousine in Saint-Sauveur ist und hegt eine schreckliche Abneigung gegen sie, weil sie die Tollheiten kennt, die du früher Lavinia's wegen angestellt hast. Doch ich habe geschickt den Argwohn abgelenkt. Ich sagte, du wärest entsetzlich krank, und ich hätte dich soeben gezwungen, dich zu Bett zu legen‹« – –
»Gerechter Gott! eine neue Thorheit, um mich in's Unglück zu stürzen!«
»›Nein, nein, keineswegs! Dick wird deinem Kopfkissen eine Nachtmütze aufstülpen, es der Länge lang in dein Bett legen und beim Hausmädchen drei Terrinen Krankensuppe bestellen. Vor allen Dingen aber wird er den Zimmerschlüssel in die Tasche stecken und sich mit verdrießlichem Gesicht und wildem Blick an die Thür postiren. Und dann hab' ich ihm auf die Seele gebunden, niemand eintreten zu lassen und jeden durchzuprügeln, der es versuchen sollte, mit Gewalt den Eintritt zu erzwingen – und wäre es Miß Margaret selbst. Ah sieh, da ist er ja und wärmt dein Bett mit der Wärmflasche. Famos! er hat ein ausgezeichnetes Gesicht – traurig will er aussehen und sieht dumm aus. Laß uns durch die Thür hinausschlüpfen, die zur Schlucht führt. Jack wird unsere Pferde an den Ausgang des Thales führen, als ob er sie ausritte; an der Lonniobrücke treffen wir mit ihm zusammen. Marsch, auf den Weg! und der Gott der Liebe mag uns schützen!‹« –
Eilig durchsprengten sie den Raum, der die beiden Bergketten trennt, und mäßigten die Gangart erst in dem engen, dunkeln Hohlweg, der sich zwischen Pierrefitte und Luz hinzieht. Unstreitig ist dies eine der wild-romantischsten, charakteristischsten Partien in den Pyrenäen. Alles nimmt dort ein düsteres Aussehen an. Die Berge drängen sich eng aneinander, dazwischen zwängt sich der Gave hindurch und grollt dumpf unter den von wildem Wein und Felsklippen gebildeten Bogengängen dahin. Die schwarzen Felshänge sind mit Schlingpflanzen bedeckt, deren kräftiges Grün auf den entferntern Flächen in bläuliche Tinten und gegen die Gipfel zu in einen grauweißen Ton übergeht. Das Wasser des Bergstroms erhält dadurch einen bald hellgrünen, bald mattblauen, schieferfarbenen Glanz, wie man ihn am Meerwasser bemerkt.
Große Marmorbrücken wölben sich in einem einzigen Bogen über Abstürze hinweg von einer Seite der Bergkette zur andern. Nichts ist imposanter, als die Bauart und die Lage dieser Brücken, die in der Luft schweben und sich in der klaren, feuchten Atmosphäre baden, welche nur widerwillig in's Thal zu sinken scheint. Auf einen Raum von vier Meilen1 läuft die Straße sieben Mal von einer Seite der Schlucht zur andern. Als unsere beiden Reisenden die siebente Brücke passirten, erblickten sie im Grunde des Schlundes, der sich allmählich vor ihnen erweiterte, das entzückende Luzer Thal, das die Glutpfeile der aufgehenden Sonne überfluteten. Die Höhe der Berge gestattete den Strahlen der Morgensonne nicht, bis zu ihnen zu dringen. In den Stauden am Bache ließ die Wasseramsel ihren leisen Klageruf ertönen. Das schäumende, kalte Wasser zerriß mühsam den Nebelschleier, der auf ihm lagerte. An den Gipfeln blitzten nur spärlich einige Lichtstrahlen über die Zacken der Felsen und das hangende Astwerk der Waldreben hin. Aber mitten in dieser wild-düstern Umgebung, hinter den gewaltigen Felsmassen, die, hart und starr, den beliebten Gemälden Salvators glichen, schwamm das schöne Thal, vom strahlenden Morgenroth übergossen, in einem Meer von Licht und glich einer goldenen Platte in einem Rahmen aus schwarzem Marmor.
»›Wie schön ist das!‹« rief Henry, »›und wie bedaure ich Sie, Lionel, daß Sie verliebt sind. Sie sind unempfindlich gegen all diese Schönheit und meinen, der herrlichste Sonnenstrahl wiege ein Lächeln Miß Margaret Ellis nicht auf.‹«
»Gestehen Sie, Henry, daß Miß Margaret die schönste Person der drei Königreiche ist.«
»›Gewiß, theoretisch betrachtet, ist sie eine Schönheit sonder Tadel. Aber gerade das mache ich ihr zum Vorwurf: ich wollte, sie wäre weniger vollkommen, weniger majestätisch, weniger klassisch. Hundert Mal lieber nähme ich meine Cousine, ließe mir Gott zwischen beiden die Wahl!‹«
»Gehen Sie doch, Henry, Sie denken nicht daran,« sagte Lionel lächelnd. »Der Familienstolz macht Sie blind. Nach dem Urtheil aller, die Augen im Kopfe haben, ist Lady Lavinia von mehr als problematischer Schönheit. Und ich, der ich sie in der ganzen Frische der Jugend gekannt habe, ich kann Sie versichern, daß zwischen beiden ein Vergleich nie thunlich« – –
»›Schon gut! Aber wieviel Anmuth und Lieblichkeit bei Lavinia! Diese feurigen Augen, dies schöne Haar, diese kleinen Füße!‹«
Lionel unterhielt sich ewige Zeit damit, die Bewunderung Henry's für seine Cousine zu bekämpfen. Aber während er sich ein Vergnügen daraus machte, die Schönheit zu rühmen, die er liebte, schmeichelte es einer versteckten Empfindung seiner Eitelkeit, auch jene wieder zu Ehren bringen zu hören, die er geliebt hatte. Es war das freilich nur eine Anwandlung der Selbstgefälligkeit, denn in Wirklichkeit hatte die arme Lavinia dies Herz, das die Erfolge frühzeitig verdorben hatten, nie besessen. Es ist vielleicht ein großes Unglück für einen Mann, sich zu früh zu einer glänzenden Stellung berufen zu finden. Die blinde Vorliebe der Frauen, die blöde Eifersucht gewöhnlicher Rivalen genügt, um dem Urtheil eines Neulings eine falsche Richtung zu geben und einen ungeübten Geist zu verderben.
Weil Lionel das Glück des Geliebtwerdens zu wohl kennen gelernt, hatte er die Kraft seines Gemüths durch Zersplitterung erschöpft; weil er die Leidenschaften zu früh genossen, hatte er sich zu einer innigen Neigung unfähig gemacht. Unter schönen, männlichen Zügen, unter dem Ausdruck einer jugendlich kräftigen Gesichtsbildung verbarg er das kalte, verbrauchte Herz eines Greises.
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