Ich schlief noch ganz wohlbehäglich, als es dem Himmel gefiel, Bulgaren in unser schönes Schloß Donnerstrunkshausen zu senden. Mein Vater und Bruder mußten über die Klinge springen, meine Mutter hieben sie in Krautstücken. Bei diesem gräßlichen Auftritt verlor ich alle Besinnung. Dies nutzte ein langer Bulgar von sechs Schuh, machte sich über mich her und begann, mich zu schänden. Hierdurch erwacht' ich von meiner Ohnmacht, bekam all' meine Sinne wieder, kreischte laut, zerrang und zerarbeitete mich, um loszukommen, biß um mich, kratzte, wollte dem großen Tölpel die Augen ausreißen. Hätt' ich gewußt, daß das alles Kriegsgebrauch wäre, ich hätte mich anders dabei benommen.
Der Unmensch gab mir mit seinem Degen einen Stich in die linke Seite, wovon ich noch die Narbe habe. Die ich doch wohl werde zu sehn bekommen? fragte Kandide ganz in seines Herzens Unschuld. Warum das nicht! sagte Kunegunde, allein jetzt lassen Sie mich nur weitererzählen. "Das tun Sie, gnädige Baroneß, das tun Sie!"
Sie knüpfte den Faden ihrer Geschichte folgendermaßen wieder an:
Ein bulgarischer Hauptmann trat in mein Schlafgemach, sähe wie mein Blut herabtropft, der Soldat blieb, wo er Posten gefaßt hatte. Der Hauptmann ward wild, daß dies Vieh so wenig Subordination bezeigte, und stach ihn auf meinem Leibe tot, er ließ mich hierauf verbinden und führte mich als Kriegsgefangne in sein Quartier. Ich wusch ihm sein paar Hemden und bestellte seine Küche.
Er fand – muß ich gestehen –, daß ich ein gar niedlich Ding sei, und er war – ich kann's gar nicht in Abrede sein – eine sehr wohlgebaute Mannsperson, hatte eine weiche, weiße Haut, aber herzlich wenig Kopf und noch weniger Philosophie: man merkt' es ihm gleich an, daß er kein Schüler des großen Panglos gewesen war. Binnen einem Vierteljahr war all' sein Geldchen fort und er meiner überdrüssig; er verkaufte mich an den Don Isaschar, einen Juden, der nach Holland und Portugal handelte und ein ungemeiner Liebhaber von Frauenzimmern war.
Wie der Mann an mir hing, wie er mit Bitten und Gewalt in mich drang, und doch konnt' er nicht siegen. Ich tat ihm tapfrern Widerstand als dem bulgarischen Soldaten. Ein rechtschaffnes Mädchen kann wohl einmal geschändet werden, aber dadurch wird sie um so mehr Lukrezia. Um mich zahmer zu machen, führte mich der Jude auf dies Landhaus hier. Ich hatte bisher geglaubt, es gäbe kein schöners Schloß als das unsrige, nunmehr wurd' ich eines Bessern belehrt.
Eines Tages ward mich der Großinquisitor in der Messe gewahr, er warf während des hohen Amts die lüsternsten, buhlendsten Blicke auf mich und ließ mir melden, er hätte mir etwas unter vier Augen zu sagen. Ich ward in seinen Palast gebracht, entdeckte ihm meine Herkunft; er stellte mir vor, wie weit es unter meinem Range wäre, einem Schuft von Juden anzugehören, und ließ dem Don Isaschar den Vorschlag tun, mich Ihro Hochwürden Gnaden abzutreten. Dazu wollte sich Don Isaschar nicht verstehn; der Mann ist Hof Wechsler und gilt viel. Der Inquisitor drohte ihm mit einem Autodafé.
Das wirkte; jagte meinen Juden ins Horn. Husch! schloß er einen Vergleich mit dem Pfaffen; vermöge dessen gehör' ich und Haus ihnen gemeinschaftlich; der Montag, Mittwoch und Schabbes ist dem Juden, die übrigen Tage in der Woche gehören dem Inquisitor.
Es ist nunmehr ein halb Jahr, daß dieser Kontrakt ist aufgesetzt worden. Unter der Zeit hat's manches Gezeter gegeben, denn sie konnten sehr oft nicht einig werden, ob die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag nach dem alten oder neuen Testament müsse berechnet werden. Noch hab' ich keinen von beiden erhört, und eben deshalb glaub' ich, werd' ich noch von beiden geliebt.
Endlich ließen der Hochwürdige Herr Inquisitor ein Autodafé anstellen, sowohl, um dem Erdbeben zu steuern, als auch um dem Juden einen kleinen Schreck in die Glieder zu jagen. Er war so galant, mich zu dieser Feierlichkeit einzuladen und mir einen sehr guten Platz anzuweisen. In der Zeit, da die Messe war und da der Büttel sein Amt verwaltete, wurden den Damen Erfrischungen vorgesetzt.
Wie kalt fuhr mir's über den Nacken; als ich die beiden Juden verbrennen sahe und den ehrlichen Biskajer, der seine Gevatterin geheiratet hatte. Das war aber nichts gegen den Schauer und Schreck, der mich ergriff, als ich unter einem Skapulier und einer Schandmütze eine Figur gewahr ward, die dem Panglos so ähnlich sähe. Ich rieb mir die Augen, sähe stier und starr nach dem Manne hin; es war und blieb Panglos. Ich sah' ihn aufhängen und fiel in Ohnmacht.
Kaum hatten sich meine Sinne wieder ein wenig gesammelt, so erblickt' ich Sie, Kandide, ganz splitterfadennackt da stehn. Nun war der Kelch meiner Leiden voll; ich war nunmehr ganz ein Raub des Entsetzens und der Verzweiflung.
Im Vorbeigehn gesagt, Kandide, und zur Steuer der Wahrheit, Ihre Haut ist viel weißer als meines bulgarischen Hauptmanns seine, hat ein weit höhers, feiners Rot. Oh! wie bei diesem Anblick mein Jammer und meine Verzweiflung stieg, die in meinem Innern aufs grausamste wüteten. Ich schrie, wollte sagen: Haltet ein, ihr Barbaren! Das vermochte aber meine Zunge nicht; und was hätt' es auch geholfen?
Nachdem Sie waren tüchtig gestäupt worden, sagt' ich bei mir selbst: Wie muß der liebenswürdige Kandide und der weise Panglos nach Lissabon gekommen sein, jener um hundert Rutenstreiche zu empfangen, dieser um aufgehängt zu werden auf Befehl des Hochwürdigsten Inquisitors, dessen Liebling ich bin? Wie grausam hat mich Panglos hintergangen, daß er mir vordemonstrierte, diese Welt sei die beste.
Ich taumelte halb ohnmächtig nach Hause. In dem Aufruhr, worin meine Sinne waren, stiegen mir alle meine bisher erlebten Begebenheiten zu Kopfe; schob mir meine Phantasie mit hellen Farben gemalt die Würgeszenen vors Auge, die sich auf dem Schloß zugetragen.
Ich sahe deutlich, wie man meinen Vater schlachtete und meine Mutter und meinen Bruder, sahe, wie der garstge bulgarische Soldat so frech über mich herfiel und mich mit dem Säbel verwundete, wie ich Magd ward, aschenbrödeln mußte; sahe meinen bulgarischen Hauptmann, meinen häßlichen Don Isaschar, meinen abscheulichen Inquisitor und den guten Panglos, wie er aufgehängt wurde: noch immer gellte die widrige Musik in mein Ohr, während welcher Sie den Staupbesen bekamen, noch immer brannte der Kuß auf meinen Lippen, den Sie am Tage unsrer Trennung mir hinter der spanischen Wand gaben. Alles das umschwebte mich aufs lebhafteste. Ich pries nun Gott, der Sie nach so vielen Prüfungen mir wieder geschenkt hatte.
Ich hatte meiner Alten gleich während der Feierlichkeit anbefohlen, Ihrer aufs beste zu warten, Sie zu pflegen und bei schicklicher Gelegenheit herzubringen. Sie hat ihren Auftrag redlich erfüllt, und mich jetzt in ein Meer von Wonne versenkt.
Ich habe dich nun wieder, lieber Herzensjunge, höre dich, spreche dich, sitze neben dir. Doch dich muß hungern, armer Schelm, gewaltig hungern! Komm, laß uns essen. Es ist schon spät, und an Appetit fehlt mir's gar nicht.
Sie setzten sich zu Tische, und nach dem Abendbrot lagerten sie sich auf das besagte schöne Sofa. Noch lagen sie da in größter Behaglichkeit, als Signor Don Isaschar, einer von den Eignern des Hauses und des Mädchens, hereintrat, sowohl um seine Gerechtsame nicht verjähren zu lassen als auch um bei Kunegunden den zärtlichen Amoroso zu machen.
Ein gallevollers Geschöpf als diesen Hebräer hatte man seit der babylonischen Gefangenschaft in Israel nicht gefunden. Ha! schrie er, du bist mit dem Großinquisitor und mit mir nicht zufrieden? Mußt noch einen Schlafgesellen haben, du Galiläische Petze! Wart du! und auch du, du Hurenschelm!
Mit diesen Worten zuckte er ein Stilett, das er stets bei sich trug, und fiel auf seinen Gegner ein, den er wehrlos glaubte. Allein dieser wackre Westfale hatte von der Alten samt dem vollständigsten Anzuge einen schönen Degen bekommen. Den zog er, so kindfromm er auch war, und mausetot lag der Israelit zu den Füßen der schönen Kunegunde.
Jesus Maria! rief sie. Nun ist alles aus. Ein Toter bei mir im Hause! Wenn nun die Wache kommt! Oh, wir sind verloren! Was fangen wir an! Hinge der gute Panglos nur nicht, sagte Kandide, er sollte alles in's reine bringen, denn er war ein großer Philosoph. In Ermanglung seiner müssen wir schon die Alte um Rat fragen.
Sie war ein gar kluges Weib, und eben begann sie ihre Meinung zu sagen, als sich ein andres Türlein öffnete. Es war eine Stunde nach Mitternacht, der Sonntag brach an. Dieser Tag gehörte dem Herrn Inquisitor. Ihro Hochwürden Gnaden traten herein, sahen den gestäupten Kandide mit dem Degen in der Hand, den toten Hebräer auf der Erde liegen, Kunegunden totenblaß und bebend und die Alte mit ihrem guten Rat herausrückend; und blieben starr angewurzelt stehn an der Türschwelle, ohne alle Besinnung; um so mehr Besonnenheit und Überlegungskraft hatte Kandide.
Ha! dacht' er, ruft der heilige Mann Hilfe, so werd' ich ganz unfehlbar verbrannt und auch Kunegunde. Er hat mich unbarmherzig geißeln lassen, ist mein Nebenbuhler; im Morden bin ich einmal, und jetzt gilt's.
Wie beschlossen, so getan. Der Inquisitor lag, den Degen bis ans Heft in der Brust, neben dem Juden, eh' er sich hatte besinnen können. Immer besser, rief Kunegunde. Nun sind wir unwiederbringlich verloren! Bannfluch und Tod schweben über uns. Kandide, wie haben Sie, die Sanftmut selbst, in zwei Minuten einen Juden und einen Prälaten umbringen können? Lieb' und Eifersucht und die Rutenstreiche der Inquisition können das Lamm wohl zum Tiger machen, erwiderte Kandide.
Wissen Sie was? sagte die Alte. Wir haben drei tüchtige andalusische Gäule im Stall und auch Sattel und Zeug. Unser tapfrer Herr Kandide zäumt sie auf und sattelt sie; derweile stecken die gnädge Baroneß ihre Dublonen und ihre Diamanten zu sich, und dann husch! auf und davon und nach Cadix. Ich kann zwar nur meinen halben Hintern brauchen, das tut aber weiter nichts. Es ist ganz allerliebst Wetter, und in der Kühle beim Mondenschein läßt sich's des Nachts ganz scharmant reisen. Kandide sattelte sogleich die Pferde und machte mit Kunegunden und der Alten einen Ritt von fünfzehn Meilen in einem Striche. Indes daß die fortjagten, kam die heilige Brüderschaft ins Haus. Der Herr Inquisitor ward in der Domkirche mit allem Gepränge beigesetzt, Isaschar aber auf den Schindanger geworfen.
Kandide, Kunegunde und die Alte befanden sich nunmehr in einem Wirtshause in dem Städtchen Avacena, das mitten in der Sierra Morena lag. Hieselbst hielten sie folgendes Gespräch.
Бесплатно
Установите приложение, чтобы читать эту книгу бесплатно
О проекте
О подписке