Das Feuer im Kamin war im Erlöschen, und draußen wehte ein kalter Herbstwind; dennoch war mir glühend heiß, als der Major Fitz-David mich verließ. Ich nahm Hut und Mantel ab, zog die Handschuhe aus und öffnete ein wenig das Fenster. Die Aussicht aus demselben war wenig erquickend. Ein öder gepflasterter Hof, auf der andern Seite begrenzt von den Ställen des Majors. Wenige Minuten am offenen Fenster kühlten, meine brennende Stirn und erfrischten mich. Ich schloß es wieder und that meine ersten Schritte zu der Durchsuchung des Zimmers.
Ich war erstaunt über meine Gemüthsruhe. Ich fühlte einen Trost darin, mit mir allein zu sein.
Das Zimmer hatte die Gestalt eines Oblongums. Von den beiden kürzeren Wänden enthielt die eine jene bereits von mir erwähnte Thür mit der Spalte, welche die Verbindung mit dem vorderen Zimmer herstellte; die zweite kurze Wand wurde fast vollständig von einem breiten Fenster eingenommen, das nach dem Hof blickte.
Ich begann mit der Wand, in welche die Thür mit der Spalte eingelassen war. An jeder Seite derselben stand ein Kartentisch. Ueber jedem der beiden Tische befand sich auf einem kunstvoll geschnittenen Consol eine prachtvolle chinesische Vase vom feinsten Porzellan.
Die Schubläden der kleinen Tische enthielten nur Karten und Spielmarken. Mit Ausnahme eines einzigen Spiels waren die Karten sämmtlich neu, als wenn sie eben aus dem Laden gekommen wären. Ich blätterte das bereits benutzte Packet sorgfältig durch, ohne das geringste Verdächtige zu entdecken
Mit Hilfe einer kurzen Leiter, die zu den Repositorien gehörte, blickte ich in die chinesischen Vasen. Beide waren vollkommen leer. In den Ecken der kurzen Wand standen zwei kleine Stühle von eingelegtem Holz und lose Kissen auf den Sitzen. Ich hob sie aus, nichts war darunter.
Ich ging nun zu der entgegengesetzten Wand über, welche hauptsächlich von dem breiten Fenster eingenommen wurde. Der schmale Raum zu beiden Seiten war gerade groß genug für zwei Chiffonnièren von Polysander, deren jede eine Reihe kleiner Fächer sehen ließ.
Mit der Chiffonnière linker Hand beginnend, fand ich in den sechs Schiebläden nur eine Sammlung von Fossilien, welche der Major wahrscheinlich von seinen früheren Reisen mitgebracht.
Ich wandte mich also zu der Chiffonnière rechts, deren Durchsuchung mich längere Zeit kostete.
Die oberste Schieblade enthielt eine Menge Tischlerhandwerkszeug en miniature, jedenfalls aus der Knabenzeit des Majors herrührend. Die zweite Schieblade enthielt Geschenke von zarten Händen. Gestickte Serviettenbänder, Cigarrentaschen, Morgenschuhe, Börsen, und was der Dinge mehr waren. Der Inhalt der dritten Schieblade interessirte mich noch weniger. Er bestand aus alten Rechnungsbüchern, die ziemlich weit bis in frühere Jahre hinaufreichten. Ich schüttelte jedes dieser Hefte, um zu sehen, ob vielleicht ein loses Blatt herausfallen möchte; ganz vergebens. Im vierten Fach lagen quittirte Rechnungen, sauber mit rothen Bändchen zusammengebunden. Die fünfte Schieblade befand sich in trauriger Unordnung. Eine Menge Menüs längst verzehrter Diners, Visitenkarten, Einladungen, Theaterzettel, Textbücher, Pfropfenzieher, ramponirter Cigarretten, ein Bündel rostiger Schlüssel, zwei Cigarrentaschen und ein Plan von Rom. Ich kam nun zu der sechsten und letzten Schieblade, deren Inhalt mich gleichzeitig mit Staunen und Enttäuschung erfüllte: denn er bestand nur in den Fragmenten einer zerbrochenen Vase. Ich hatte mich auf einen niedrigen Stuhl der Chiffonnière gegenüber gesetzt und wollte eben, dem ersten Gefühl des Unwillens folgend, die Schieblade mit dem Fuße zustoßen, als die nach der Halle führende Thür sich öffnete und der Major Fitz-David vor mir stand.
Seine Blicke, die erst den meinigen begegnet waren, glitten dann zu meinem Fuß herab. Als er das noch offene Fach bemerkte, sah ich seine Mienen sich verändern. Es war nur für einen Moment; aber in diesem Moment sprachen ans seinen Augen Verdacht und Staunen, als wenn ich bereits meine Hand auf den Schlüssel des Geheimnisses gelegt.
»Bitte, lassen Sie Sich nicht stören,« sagte Major Fitz-David. »Ich bin nur heruntergekommen, um eine Frage an Sie zu richten.«
»Und die wäre, Major?«
»Es sind Ihnen im Verlauf Ihrer Nachforschungen vielleicht Briefe von mir in die Hand gefallen?«
»Bis jetzt noch nicht. Sollte es aber in Zukunft der Fall sein, werde ich sie selbstverständlich ungelesen lassen.«
»Darum wollte ich Sie eben freundlichst gebeten haben; denn ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß keiner meiner Briefe Sie auch nur um Zollbreite Ihrem Ziele näher führen wird. Sind Sie noch nicht müde vom vielen Suchen? Fühlen Sie Sich noch nicht entmuthigt?«
»Nicht im mindesten, Major. Wenn Sie gütigst erlauben, werde ich meine Forschungen noch einige Zeit fortsetzen.«
Ich hatte das Fach der Chiffonnière noch nicht wieder hineingestoßen und blickte, während ich ihm Antwort gab, mit fingirter Gleichgültigkeit auf die Fragmente der zerbrochenen Vase. Der Major hatte jetzt seine Selbstbeherrschung vollständig wiedergewonnen. Denn er begleitete meinen Blick mit derselben Gleichgültigkeit, die ich zur Schau getragen.
»Das sieht allerdings nicht sehr ermuthigend aus,« sagte er mit mattem Lächeln, indem er auf die Scherben wies.
»Man kann dem Anschein nicht immer Glauben schenken,« entgegnete ich. »Das klügste was ich in meiner gegenwärtigen Lage thun kann, ist, allem zu mißtrauen, selbst einer zerbrochenen Vase.«
»Werden Sie auch nicht von der Musik dort oben gestört?« fragte er, zu einem andern Gegenstande übergehend.
»Nicht im mindesten, Major.«
»Es wird auch gleich vorüber sein. Der Gesanglehrer wird bald gehen und der italienische Professor ist eben gekommen. Ich spare weder Mühe noch Kosten, das Talent des Wunderkindes auszubilden. Nicht allein den Gesang, sie muß auch die Sprache lernen, welche hauptsächlich das Idiom des Gesanges ist. Kann ich noch etwas für Sie thun, ehe ich Sie wieder verlassen muß?«
Ich dankte ihm, er küßte meine Hand und wendete sich zum Gehen. Während er sich langsam der Thür zu bewegte, bemerkte ich, daß sein Blick sich auf eines der Repositorien heftete. Es war nur ein Moment, und im nächsten war er bereits aus dem Zimmer.
Als ich wieder mit mir allein war, schenkte ich diesem Repositorium zum ersten Mal eine große Aufmerksamkeit. Es war von geschnitztem Eichenholz lehnte sich an die Wand, welche das Zimmer von der Halle trennte, und nahm fast den ganzen Raum der ersteren ein. Auf dem obersten Brett standen Vasen, Kandelaber und Statuetten paarweise in eine Reihe gestellt. Diese entlang blickend, bemerkte ich einen leeren Platz am äußersten Ende derselben, zunächst dem Fenster. Die correspondirende Stelle in der Reihe, an dem andern äußersten Ende zunächst der Thür, war von einer schönen seltsam geformten Vase eingenommen. Wo mochte ihr Pendant geblieben sein? Ich kehrte zu der sechsten Schieblade der Chiffonnière zurück und prüfte abermals ihren Inhalt. Es war kein Zweifel mehr, die zerbrochene Vase hatte einst in der von mir bemerkten Lücke auf dem obersten Brett des Repositoriums gestanden.
Nachdem ich diese Entdeckung gemacht, nahm ich die Scherben bis auf den kleinsten Splitter heraus und betrachtete sie einen nach dem andern.
Der Grund war von einem matten Gelb und die Verzierungen bestanden in Blumenzweigen und kleinen Cupidos, welche zwei Medaillons auf jeder Seite der Vase umrankten. Auf einem dieser Medaillons war mit unendlich feinen Zügen ein Frauenkopf dargestellt; das Haupt einer Nymphe, einer Gottheit oder irgend einer berühmten Person. Ich war nicht gelehrt genug, um das unterscheiden zu können. Das andere Medaillon zeigte den Kopf eines Mannes, ebenfalls im klassischen Styl. Freundliche Schäfer und Schäferinnen im Watteau-Kostüm mit ihren Hunden und Schafen bildeten die Zierrathe des Piedestals. So hatte die Vase ausgesehen, als sie noch auf ihrem Platz auf dem obersten Brett des Repositoriums stand. Durch welchen Zufall war sie zertrümmert worden? Und weshalb vor allen Dingen hatte sich die Miene des Major Fitz-David verändert, als er bemerkte, daß ich das zerstörte Kunstwerk entdeckt? Die Trümmer ließen jene wichtigen Fragen unbeantwortet. Und dennoch hegte ich die festeste Ueberzeugung, daß ich in jenen Scherben den Schlüssel zu meinem Geheimniß direkt oder indirekt gefunden habe.
Da ferneres Verbleiben bei dem zerbrochenen Porzellan sich als nutzlos erwies, kehrte ich zum Repositorium zurück, auf das der Blick des Majors mich aufmerksam gemacht.
Ich blickte über die langen Reihen der Bücher hinweg; ich las deren Titel auf dem Rücken. Da stand Voltaire in rothem Maroquin, Shakespeare in Blau, Walter Scott in Grün, die Geschichte von England in Braun. Ich stieß einen Seufzer aus bei dem Gedanken, daß ich alle diese Bücher durchblättern sollte.
Major Fitz-David hatte von einem entsetzlichen Unglück gesprochen, das meines Gatten Vergangenheit getroffen. In welcher Beziehung konnte dieses Unglück mit einem der Bände Shakespeare's oder Voltaire's stehen? Ich war der Ansicht, daß ein bloßer Versuch, alle diese Bücher einer genauen Prüfung zu unterwerfen, eine Thorheit sein würde.
Und dennoch hatte der Major einen verstohlenen Blick nach dem Repositorium geworfen. Und dennoch hatte er sich entfärbt, als er meinen Blick auf die zerbrochene Vase geheftet sah. Diese beiden Dinge mußten also unter allen Umständen in Verbindung mit einander stehen.
Ich stellte mich auf die Zehen und blickte nach den höheren Brettern empor.
Hier herrschte nicht die Sauberkeit wie in den unteren Regionen, die Bände waren nicht so sorgfältig arrangirt und so schön gebunden. Ihr Aeußeres war unscheinbar, sie standen loser an einander gereiht, einige waren vor- oder zurückgewichen, andere umgefallen. Auch zeigten sich leere Raume, aus denen Bände herausgenommen und nicht wieder hineingestellt worden waren. Ich kam zu dem Entschluß, die Prüfung des Repositoriums von oben zu beginnen.
Ich blickte mich nach der Leiter um, deren ich mich vorher bedient hatte, um in die chinesischen Vasen auf den Consolen zu gucken. Indem ich meinen Kopf rückwärts wandte, hörte ich ein Geräusch in dem anstoßenden Zimmer, das auf die Straße ging. Ein heller schmaler Lichtstrahl, der durch die schon öfter erwähnte Spalte fiel, brachte mich auf den Gedanken, daß ich bei meiner Arbeit belauscht werden könnte. Leise schlich ich auf den Zehen durch das Zimmer nach der Thür und drückte sie schnell nach der andern Seite hin auf. Ich stand dem Major gegenüber. Er hatte mich augenscheinlich belauschen wollen.
Der Hut in seiner Hand zeigte an, daß er im Begriff war, ausgehen zu wollen, und er benutzte sofort diesen Umstand zu seiner Entschuldigung.
»Ich habe Sie doch hoffentlich nicht erschreckt?« sagte er.
»Ein wenig allerdings, Major.«
»O, das thut mir so leid und ich fühle mich so beschämt! Ich war eben im Begriff, die Thür zu öffnen, um Ihnen zu erzählen, daß ich einen kleinen Gang thun müsse. Ich habe einen pressirenden Auftrag von einer Dame erhalten Ein reizendes Wesen – ich wünschte wohl, daß ich sie Ihnen vorstellen könnte! Die Arme befindet sich in augenblicklicher Verlegenheit. Kleine Rechnungen – unverschämte Lieferanten, die ihr Geld haben wollen – und ein Gemahl, der ihrer ganz unwürdig ist. Ein höchst interessantes Geschöpf. Sie erinnern mich etwas an sie – namentlich im Blick und in der Haltung des Kopfes. Ich bleibe höchstens eine halbe Stunde fort. Kann ich noch etwas für Sie thun, ehe ich gehe? Nein? Dann versprechen Sie mir zu klingeln, wenn Sie etwas bedürfen sollten. Auf Wiedersehen, meine schöne Freundin, auf Wiedersehen!«
Als er fort war, überließ ich mich erst meinen Reflexionen. Es stand fest, er hatte mich beim Repositorium beobachtet. Der Mann, der meines Gatten Vertrauen besaß, der Mann, welcher wußte, wo der Schlüssel meines Geheimnisses lag, hatte mich bei seinen Büchern beobachtet! Ohne es zu wollen, hatte er mir das Versteck gezeigt, in dem sich das Gespenst meines Lebens verborgen hielt. Von diesem Augenblick an hatten die übrigen in dem Zimmer befindlichen Dinge wenig oder gar kein Interesse mehr für mich. Selbst den Portraits an den Wänden, größtentheils Frauenköpfe und Gegenstände früherer Verehrung des Majors, schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Ich erhob mich von neuem zur Arbeit und ging nach der Leiter, um sie an das Repositorium zu stellen.
Auf dem kurzen Wege, den ich machen mußte, um sie zu holen, sah ich die Schlüssel auf dem Tisch liegen, welche der Major zu meiner Verfügung gestellt hatte. Der Verdacht, den man gewöhnlich gegen verschlossene Raume hegt, brachte mich zu dem Entschluß, erst diese zu prüfen, ehe ich mich wiederum zu den Büchern wandte.
Die Schranke, welche unter dem Repositorium angebracht waren, hatten drei Thüren. Als ich die erste derselben öffnete, hörte der Gesang oben auf. Es lag für mich etwas Schauerliches in dem plötzlichen Uebergang von dem laut tönenden Clavierspiel zur absoluten Stille. Ich stand einen Augenblick wie festgebannt. Das nächste Geräusch, das ich vernahm, waren die knarrenden Stiefel, wahrscheinlich des Gesanglehrers, der die Treppe hinabging. Gleich darauf fiel die schwere Hausthür hinter ihm ins Schloß; dann herrschte tiefes Schweigen wie zuvor. Ich machte eine gewaltsame Anstrengung, meine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen und kehrte zu dem ersten Schrank unter dem Repositorium zurück.
Er war in zwei Hälften getheilt.
Die obere Hälfte enthielt nichts als Cigarrenkisten, während in der unteren sich eine Muschelsammlung befand. Sonst war in dem ersten Schrank nichts Verdächtiges zu entdecken.
Als ich den zweiten Schrank öffnete, fiel es mir plötzlich auf, daß es dunkel geworden war.
Ich sah nach dem Fenster. Es war mittlerweile Abend geworden. Die plötzliche Verfinsterung war durch Wolken hervorgebracht worden, die sich am Himmel zusammengezogen hatten. Schwere Regentropfen schlugen gegen die Fensterscheiben; der Herbstwind pfiff traurig durch die Raume des öden Hofes. Ich schürte das Feuer ein wenig an, ehe ich meine Nachforschungen erneuerte.
Trotz des wieder auflodernden Feuers war mir eiskalt, als ich zu dem Repositorium zurückkehrte. Meine Hände zitterten, ich wußte mir die Ursache dieser plötzlichen Nervenverstimmung nicht zu erklären.
Das zweite Spind enthielt in seiner oberen Hälfte einige sehr schöne, aber nicht geschnittene Kameen. In einer Ecke bemerkte ich ein sauber geschriebenes Manuscript. Ich griff schnell danach, aber nur um einer neuen Enttäuschung zu begegnen. Das Manuseript enthielt nichts als einen Katalog über die Kameen.
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