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so wird lim A = k . f(t). Es ergeben sich also hier als ein bestimmter Grenzfall alle sympathischen und antipathischen Beziehungen zwischen Menschen überhaupt (die aber mit den sozialen Beziehungen im engsten Sinne, als konstituierend für gesellschaftliche Rechtsordnung, nichts zu tun haben), soweit sie nicht durch unser Gesetz der sexuellen Affinität geregelt sind. Indem k mit der Stärke der verwandtschaftlichen Beziehungen im allgemeinen wächst, hat A unter Volksgenossen z. B. einen größeren Wert als unter Fremdnationalen. Wie f(t) hier seinen guten Sinn behält, kann man am Verhältnis zweier zusammenlebender Haustiere von ungleicher Spezies sehr wohl beobachten: die erste Regung ist oft erbitterte Feindschaft, oft Furcht vor einander (A bekommt ein negatives Vorzeichen), später tritt oft ein freundschaftliches Verhältnis an deren Stelle, sie suchen einander auf.

Setze ich ferner in   k = 0, so wird A = 0, d. h. zwischen zwei lebenden Individuen von allzu verschiedener Abstammung findet auch keinerlei merkliche Anziehung mehr statt.

Da der Sodomieparagraph in den Strafgesetzbüchern nicht für nichts und wieder nichts enthalten sein dürfte, da sexuelle Akte sogar zwischen Mensch und Henne schon zur Beobachtung gelangt sind, sieht man, daß k innerhalb sehr weiter Grenzen größer als Null bleibt. Wir dürfen also die beiden fraglichen Individuen nicht auf dieselbe Art, ja nicht einmal auf die gleiche Klasse beschränken.

Daß alles Zusammentreffen männlicher und weiblicher Organismen nicht Zufallssache ist, sondern unter der Herrschaft bestimmter Gesetze steht, ist eine neue Anschauung, und das Befremdliche in ihr – es wurde vorhin daran gerührt – zwingt zu einer Erörterung der tiefen Frage nach der geheimnisvollen Natur dieser sexuellen Anziehung.

Bekannte Versuche von Wilhelm Pfeffer haben gezeigt, daß die Spermatozoiden verschiedener Kryptogamen nicht bloß durch die weiblichen Archegonien in natura, sondern ebenso durch Stoffe angezogen werden, die entweder von diesen auch unter gewöhnlichen Verhältnissen wirklich ausgeschieden werden, oder künstlich hergestellt sind, und oft sogar durch solche Stoffe, die mit den Samenfäden sonst nie in Berührung zu treten Gelegenheit hätten, wenn nicht die eigentümliche Versuchsanlage dies vermittelte, weil sie in der Natur gar nicht vorkommen. So werden die Spermatozoiden der Farne durch die aus den Archegonien ausgeschiedene Äpfelsäure, aber auch durch synthetisch dargestellte Äpfelsäure, ja sogar durch Maleinsäure, die der Laubmoose durch Rohrzucker angezogen. Das Spermatozoon, das, wir wissen nicht wie, durch Unterschiede in der Konzentration der Lösung beeinflußt wird, bewegt sich nach der Richtung der stärkeren Konzentration hin. Pfeffer hat diese Bewegungen chemotaktische genannt und für jene ganzen Erscheinungen wie für andere Fälle asexueller Reizbewegungen den Begriff des Chemotropismus geschaffen. Vieles spräche nun dafür, daß die Anziehung, welche das Weibchen, beim Tiere vom Männchen durch die Sinnesorgane aus der Ferne perzipiert, auf das Männchen ausübt (und vice versa), als eine der chemotaktischen in gewissen Punkten analoge zu betrachten sei.

Sehr wahrscheinlich ist ein Chemotropismus die Ursache jener energischen und hartnäckigen Bewegung, welche die Samenfäden auch der Säugetiere, entgegen der Richtung der von innen nach außen, vom Körper gegen den Hals der Gebärmutter zu flimmernden Wimpern der Uterusschleimhaut, ganze Tage hindurch ohne jede äußere Unterstützung selbständig verfolgen. Mit unglaublicher, fast rätselhafter Sicherheit weiß allen mechanischen und sonstigen Hindernissen zum Trotz das Spermatozoon die Eizelle aufzufinden. Am eigentümlichsten berühren in dieser Hinsicht die ungeheuren Wanderungen so mancher Fische; die Lachse wandern viele Monate lang, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, aus dem Meere gegen die Wogen des Rheins stromaufwärts, um nahe seinem Ursprung an sicherer, nahrungsreicher Stätte zu laichen.

Anderseits sei an die hübsche Schilderung erinnert, die P. Falkenberg von dem Befruchtungsvorgang bei einigen niederen Algen des mittelländischen Meeres entwirft. Wenn wir von den Linien der Kraft sprechen, die zwei ungleichnamige Magnetpole gegeneinander bewegt, so haben wir es hier nicht minder mit einer solchen Naturkraft zu tun, die mit unwiderstehlicher Gewalt das Spermatozoon gegen das Ei treibt. Der Unterschied wird hauptsächlich darin liegen, daß die Bewegungen der leblosen Materie Verschiebungen in den Spannungszuständen umgebender Medien voraussetzen, während die Kräfte der lebenden Materie in den Organismen selbst, als wahren Kraftzentren, lokalisiert sind. Nach Falkenbergs Beobachtungen überwanden die Spermatozoiden bei ihrer Bewegung nach der Eizelle hin selbst die Kraft, die sie sonst dem einfallenden Lichte entgegengeführt hätte. Stärker als die phototaktische wäre also die chemotaktische Wirkung, Geschlechtstrieb genannt.

Wenn zwei nach unseren Formeln schlecht zusammenpassende Individuen eine Verbindung eingehen und später das wirkliche Komplement des einen erscheint, so stellt sich die Neigung, den früheren notdürftigen Behelf zu verlassen, auf der Stelle mit naturgesetzlicher Notwendigkeit ein. Der Ehebruch ist da: als Elementarereignis, als Naturphänomen, wie wenn FeSO4 mit 2 KOH zusammengebracht wird und die SO4-Ionen nun sofort die Fe-Ionen verlassen und zu den K-Ionen übergehen. Wer moralisch billigen oder verwerfen wollte, wenn in der Natur ein Ausgleich von Potentialdifferenzen zu erfolgen droht, würde vielen eine lächerliche Figur zu spielen scheinen.

Dies ist ja auch der Grundgedanke der Goetheschen »Wahlverwandtschaften«, wie er dort als tändelndes Präludium, voll ungeahnter Zukunftsbedeutung, im vierten Kapitel des ersten Teiles von denen entwickelt wird, die seine tiefe schicksalsschwere Wahrheit nachher an sich selbst erfahren sollen; und diese Darlegung ist nicht wenig stolz darauf, die erste zu sein, welche jenen Gedanken wieder aufnimmt. Dennoch will sie, so wenig es Goethe wollte, den Ehebruch verteidigen, ihn vielmehr nur begreiflich machen. Es gibt im Menschen Motive, die dem Ehebruch erfolgreich entgegenwirken und ihn verhindern können. Hierüber wird im zweiten Teile noch zu handeln sein. Daß auch die niedere Sexualsphäre beim Menschen nicht so streng in den Kreis der Naturgesetzlichkeit gebannt ist wie die der übrigen Organismen, dafür ist immerhin schon dies ein Anzeichen, daß der Mensch in allen Jahreszeiten sexuell ist und bei ihm die Reste einer besonderen Brunstzeit im Frühjahr viel schwächer sind als selbst bei den Haustieren.

Das Gesetz der sexuellen Affinität zeigt weiter, freilich neben radikalen Unterschieden, noch Analogien zu einem bekannten Gesetze der theoretischen Chemie. Zu den vom »Massenwirkungsgesetz« geregelten Vorgängen ist nämlich unsere Regel insofern analog, als z. B. eine stärkere Säure sich vornehmlich mit der stärkeren Base ebenso verbindet wie das männlichere mit dem weiblicheren Lebewesen. Doch besteht hier mehr als ein Novum gegenüber dem toten Chemismus. Der lebendige Organismus ist vor allem keine homogene und isotrope, in beliebig viele, qualitativ gleiche Teile spaltbare Substanz: das »principium individuationis«, die Tatsache, daß alles, was lebt, als Individuum lebt, ist identisch mit der Tatsache der Struktur. Es kann also hier nicht wie dort ein größerer Teil die eine, ein kleinerer die andere Verbindung eingehen und ein Nebenprodukt liefern. Der Chemotropismus kann ferner auch ein negativer sein. Von einer gewissen Größe der Differenz α – β an in der Formel II erhalten wir eine negative, d. h. entgegengesetzt gerichtete Anziehung, das Vorzeichen hat zu wechseln: sexuelle Abstoßung liegt vor. Zwar kann auch beim toten Chemismus dieselbe Reaktion mit verschiedener Geschwindigkeit erfolgen. Nie aber kann, nach den neuesten Anschauungen wenigstens, etwa durch einen Katalysator statt des absoluten Fehlens (in unserem Falle sozusagen des Gegenteils) einer Reaktion diese selbe Reaktion in längerer oder kürzerer Zeit bewirkt werden; sehr wohl dagegen eine Verbindung, die sich von einer gewissen Temperatur an bildet, bei einer höheren sich wieder zersetzt und umgekehrt. Ist hier die Richtung der Reaktion eine Funktion der Temperatur, so dort oft eine solche der Zeit.

In der Bedeutung des Faktors t, der »Reaktionszeit«, liegt nun aber wohl die letzte Analogie der sexuellen Anziehung zum Chemismus, wenn man solche Vergleiche zu ziehen nicht von vornherein allzu schroff ablehnt. Man könnte auch hier an eine Formel für die Reaktionsgeschwindigkeit, die verschiedenen Grade der Schnelligkeit, mit denen die sexuelle Reaktion zwischen zwei Individuen sich entwickelt, denken und etwa gar A nach t zu differenzieren versuchen. Doch soll die Eitelkeit auf das »mathematische Gepränge« (Kant) niemand verleiten, an so komplizierte und schwierige Verhältnisse, an Funktionen, deren Stetigkeit eben sehr fraglich ist, schon mit einem Differentialquotienten heranzurücken. Was gemeint ist, leuchtet wohl auch so ein: sinnliches Verlangen kann zwischen zwei Individuen, die längere Zeit beisammen, besser noch: miteinander eingesperrt sind, sich auch entwickeln, wo vorher keines oder gar Abstoßung vorlag, ähnlich einem chemischen Prozesse, der sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ehe merklich wird, daß er vor sich geht. Zum Teil hierauf beruht ja wohl auch der Trost, den man ohne Liebe Heiratenden mitzugeben pflegt: Das stelle sich »schon später« ein; es komme »mit der Zeit«.

Man sieht: viel Wert ist auf die Analogie mit der Affinität im toten Chemismus nicht zu legen. Es schien mir aber aufklärend, derartige Betrachtungen anzustellen. Selbst ob die sexuelle Anziehung unter die Tropismen zu subsumieren ist, bleibt noch unentschieden, und keineswegs ist, auch wenn es für die Sexualität feststände, damit auch schon implicite etwas über die Erotik ausgemacht. Das Phänomen der Liebe bedarf noch einer anderen Behandlung, die ihm der zweite Teil zu geben versuchen soll. Dennoch bestehen zwischen den Formen, in denen leidenschaftlichste Anziehung selbst unter Menschen auftritt, und jenen Chemotropismen noch unleugbare Analogien; ich verweise auf die Schilderung des Verhältnisses zwischen Eduard und Ottilie eben in den »Wahlverwandtschaften«.

Mit der Nennung dieses Romanes war bereits einmal ein kurzes Eingehen auf das Problem der Ehe gegeben, und einige Nutzanwendungen, welche aus dem Theoretischen dieses Kapitels für die Praxis folgen, sollen ebenfalls zunächst an das Problem der Ehe geknüpft werden. Das für die sexuelle Anziehung aufgestellte eine Gesetz, dem die anderen sehr ähnlich gebaut zu sein scheinen, lehrt nämlich, daß, weil unzählige sexuelle Zwischenstufen existieren, es auch immer zwei Wesen geben wird, die am besten zueinander passen. Insofern ist also die Ehe gerechtfertigt und »freie Liebe«, von diesem biologischen Standpunkte aus zu verwerfen. Freilich wird die Frage der Monogamie durch andere Verhältnisse, z. B. durch später zu erwähnende Periodizitäten wie auch durch die besprochene Veränderung des Geschmackes mit zunehmendem Alter, wieder bedeutend kompliziert und die Leichtigkeit einer Lösung vermindert.

Eine zweite Folgerung ergibt sich, wenn wir uns der Heterostylie erinnern, insbesondere der Tatsache, daß aus der »illegitimen Befruchtung« fast lauter entwicklungsunfähige Keime hervorgehen. Dies legt bereits den Gedanken nahe, daß auch bei den anderen Lebewesen die stärkste und gesündeste Nachkommenschaft aus Verbindungen hervorgehen werde, in denen wechselseitige geschlechtliche Anziehung in hohem Ausmaße besteht. So spricht auch das Volk längst von den »Kindern der Liebe« in ganz besonderer Weise, und glaubt, daß diese schönere, bessere, prächtigere Menschen werden. Aus diesem Grunde wird, selbst wer keinen speziellen Beruf zum Menschenzüchter in sich fühlt, schon um der Hygiene willen die bloße Geldheirat, die sich von Verstandesehe noch erheblich unterscheiden kann, mißbilligen.

Ferner dürfte auf die Tierzucht, wie ich nebenbei bemerken will, die Beachtung der Gesetze sexueller Anziehung vielleicht einen ziemlichen Einfluß gewinnen. Man wird zunächst den sekundären Geschlechtscharakteren, und dem Grade ihrer Ausbildung in den beiden zu kopulierenden Individuen mehr Aufmerksamkeit als bisher schenken. Die künstlichen Prozeduren, die man vornimmt, um Weibchen durch männliche Zuchttiere auch dann belegen zu lassen, wenn diese an jenen wenig Gefallen gefunden haben, verfehlen gewiß im einzelnen ihren Zweck keineswegs, sie sind aber im allgemeinen stets von irgend welchen üblen Folgen begleitet; die ungeheuere Nervosität beispielsweise der durch Unterschiebung falscher Stuten gezeugten Hengste, die man, trotz jedem modernen jungen Mann, mit Brom und anderen Medikamenten füttern muß, geht sicherlich in letzter Linie hierauf zurück, ähnlich wie an der körperlichen Degeneration des modernen Judentums nicht zum wenigsten der Umstand beteiligt sein mag, daß bei den Juden viel häufiger als irgend sonstwo auf der Welt die Ehen der Heiratsvermittler und nicht die Liebe zustande bringt.

Darwin hat in seinen auch hierfür grundlegenden Arbeiten durch sehr ausgedehnte Experimente und Beobachtungen festgestellt, was seither allgemein bestätigt worden ist: daß sowohl ganz nahe verwandte Individuen als auch anderseits solche von allzu ungleichem Artcharakter einander sexuell weniger anziehen als gewisse »unbedeutend verschiedene«, und daß, wenn es trotzdem dort zur Befruchtung kommt, der Keim entweder in den Vorstadien der Entwicklung abstirbt oder ein schwächliches, selbst meist nicht mehr reproduktionsfähiges Produkt entsteht, wie eben auch bei den heterostylen Pflanzen »legitime Befruchtung« mehr und besseren Samen liefert als alle anderen Kombinationen.

Es gedeihen also stets am besten diejenigen Keime, deren Eltern die größte sexuelle Affinität gezeigt haben.

Aus dieser Regel, die wohl als allgemein gültig zu betrachten ist, folgt die Richtigkeit des bereits aus dem Früheren gezogenen Schlusses: Wenn schon geheiratet wird und Kinder gezeugt werden, dann sollen diese wenigstens nicht aus der Überwindung einer sexuellen Abstoßung hervorgegangen sein, die nicht ohne eine Versündigung an der körperlichen und geistigen Konstitution des Kindes geschehen könnte. Sicherlich bilden einen großen Teil der unfruchtbaren Ehen die Ehen ohne Liebe. Die alte Erfahrung, nach der beiderseitige sexuelle Erregung beim Geschlechtsakte die Aussichten der Konzeption erhöhen soll, gehört wohl auch teilweise in diese Sphäre und wird aus der von Anfang an größeren Intensität des Sexualtriebes zwischen zwei einander wohl ergänzenden Individuen leichter verständlich.

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