Читать бесплатно книгу «Das Bildnis des Dorian Gray» Оскара Уайльда полностью онлайн — MyBook

„Nein, jetzt empfinden Sie es nicht. Später einmal, wenn Sie alt, runzlig und häßlich sind, wenn das Denken Furchen in Ihre Stirne gegraben und die Leidenschaft Ihre Lippen mit ihrem schrecklichen Feuer verbrannt hat, dann werden Sie es empfinden, furchtbar empfinden. Jetzt können Sie hingehen, wo Sie wollen, und Sie berücken die ganze Welt! Wird das immer so sein?.. Sie haben ein wundervoll schönes Gesicht, Herr Gray. Runzeln Sie nicht die Stirn. Sie haben es. Und Schönheit ist eine Form des Genies – steht in Wahrheit noch höher als das Genie, da sie keinerlei Erklärung bedarf. Sie ist eine der großen Lebenstatsachen, wie das Sonnenlicht oder der Lenz oder wie in dunkeln Gewässern der Widerschein der Silbermuschel, die wir Mond nennen. Sie kann nicht bestritten werden. Sie hat ein göttliches, erhabenes Recht. Wer sie hat, den macht sie zu einem Prinzen. Sie lächeln? Oh, wenn Sie sie verloren haben, lächeln Sie nicht mehr… Die Leute sagen manchmal, Schönheit sei nur etwas Äußerliches. Mag sein. Aber zum mindesten ist sie nicht so äußerlich wie das Denken. Für mich ist Schönheit aller Wunder Wunder. Nur die Hohlköpfe urteilen nicht nach dem Äußeren. Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare… Ja, Herr Gray, die Götter haben es gut mit Ihnen gemeint. Aber was die Götter schenken, rauben sie bald wieder. Sie haben nur ein paar Jahre, wo Sie wahrhaftig vollkommen, restlos leben können. Indem Ihre Jugend verrauscht ist, nimmt sie die Schönheit mit, und dann werden Sie plötzlich entdecken, daß Ihrer keine Siege mehr warten, oder daß Sie sich mit jenen traurigen Siegen werden begnügen müssen, die Ihnen die Erinnerung an die Vergangenheit bitterer machen wird als Niederlagen. Jeder Monat, der dahingeht, bringt Sie näher einem schrecklichen Ziele. Die Zeit ist eifersüchtig auf Sie und kämpft gegen Ihre Lilien und Rosen. Sie werden fahl und hohlwangig, und Ihre Augen werden sich trüben. Sie werden unsäglich leiden… Ach! leben Sie Ihre Jugend, solange sie da ist. Vergeuden Sie das Gold Ihrer Tage nicht, leihen Sie Ihr Ohr nicht den Philistern, mühen Sie sich nicht, hoffnungslose Verhängnisse zu verbessern, geben Sie Ihr Leben nicht den Unwissenden, Niedrigen, den gemeinen Leuten hin! Das sind die kranken Ziele, die falschen Ideale unserer Zeit. Leben Sie! Leben Sie das wunderschöne Leben, das in Ihnen ist! Lassen Sie sich nichts verloren sein! Suchen Sie rastlos nach neuen Sinneseindrücken! Fürchten Sie nichts… Ein neuer Hedonismus – der täte unserem Jahrhundert not. Sie könnten sein sichtbares Symbol werden. Mit Ihrer Persönlichkeit können Sie alles wagen. Die Welt gehört Ihnen einen Sommer hindurch… Im Augenblick, da ich Sie sah, merkte ich, daß Sie keine Ahnung davon haben, was Sie wirklich sind, was Sie wirklich sein könnten. So viel in Ihnen entzückte mich, daß ich förmlich gezwungen war, Ihnen etwas über Ihre Natur zu sagen. Ich dachte mir, welche Tragik darin läge, wenn Sie vergebens lebten. Denn Ihre Jugend währt nur so kurze Zeit – so kurze Zeit. Die alltäglichen Wiesenblumen welken, aber sie blühen wieder. Der Goldregen wird im nächsten Juni genau so gelb sein wie heute. In einem Monat setzt die Klematis purpurne Sterne an, und Jahr für Jahr umhüllt die grüne Nacht ihrer Blätter solche Purpursterne. Aber wir Menschen bekommen unsere Jugend nie wieder. Die Freude, die den Puls des Zwanzigjährigen peitscht, läßt nach. Unsere Glieder versagen, die Sinne werden seicht. Wir verkommen und werden greuliche Verpuppungen, werden verfolgt von den Erinnerungen an die Leidenschaften, vor denen wir zurückgeschreckt sind, und an die reizenden Versuchungen, denen zu erliegen wir nicht den Mut hatten. Jugend! Jugend! Es gibt in der Welt nichts weiter als Jugend!“

Dorian Gray hörte zu, mit aufgerissenen Augen und staunend. Der Fliederzweig, den er in der Hand hielt, fiel auf den Kies. Eine Biene in ihrem Pelzkleid schoß her und umsummte ihn einen Augenblick. Dann krabbelte sie eifrig auf den kleinen Blumensternen herum. Er beobachtete sie mit dem seltsamen Interesse an gewöhnlichen Dingen, das wir in uns heranzubilden suchen, wenn wir uns vor entscheidenden Dingen fürchten, oder wenn uns ein neues Gefühl erschüttert, für das wir noch keine Formel haben, oder wenn ein schrecklicher Gedanke das Hirn umklammert und verlangt, daß wir uns ihm ausliefern sollen. Nach einer Weile schwirrte die Biene weg. Er sah sie in den bunten Trompetentrichter einer tyrischen Winde kriechen. Die Blume schien zusammenzuzucken und bewegte sich dann mit Grazie hin und her.

Plötzlich erschien der Maler unter der Tür des Ateliers und forderte sie mit kurzen wiederholten Zeichen auf, hereinzukommen. Sie sahen sich einander an und lächelten.

„Ich warte!“ rief er. „Kommt herein! Das Licht ist ganz prächtig, und ihr könnt eure Gläser mitbringen.“

Sie standen auf und schlenderten den Weg zurück. Zwei grünlichweiße Schmetterlinge flatterten an ihnen vorüber, und in dem Birnbaum an der Gartenecke begann eine Drossel zu flöten.

„Es freut Sie, mich kennengelernt zu haben, Herr Gray?“ fragte Lord Henry und blickte ihn an,

„Ja, jetzt bin ich erfreut darüber. Ich weiß nicht, ob ich's immer sein werde!“

„Immer! das ist ein schreckliches Wort. Ich schaudere, wenn ich es höre. Die Frauen haben es so gern. Sie zerstören sich jedes Abenteuer, indem sie ihm Ewigkeit verleihen wollen. Außerdem ist es ein sinnloses Wort. Der einzige Unterschied zwischen einer Laune und einer Leidenschaft, die ein Leben lang dauert, ist, daß die Laune ein bißchen länger dauert.“

Als sie ins Atelier traten, legte Dorian Gray seine Hand auf Lord Henrys Arm. „Lassen Sie also unsere Freundschaft eine Laune sein“, sagte er leise und errötete über seine eigene Kühnheit. Dann bestieg er das Podium und nahm wieder seine Stellung ein.

Lord Henry warf sich in einen bequemen Korbsessel und beobachtete ihn. Das Hin- und Herfahren des Pinsels auf der Leinwand war das einzige, die Stille unterbrechende Geräusch, nur manchmal hörte man den Schritt Hallwards, wenn er zurücktrat, um sein Werk aus der Entfernung zu prüfen. In den schrägen Sonnenstrahlen, die durch die offene Tür fluteten, tanzte der Staub in goldenen Schuppen. Über allem lagerte der schwere Duft der Rosen.

Als etwa eine Viertelstunde vergangen war, hörte Hallward zu malen auf, betrachtete Dorian lange Zeit, sah dann lange auf das Bildnis, nagte an dem Stiel eines seiner großen Pinsel und runzelte die Stirn. „Ganz fertig“, rief er endlich, bückte sich und schrieb in großen grellroten Lettern seinen Namen in die linke Ecke der Leinwand.

Lord Henry trat heran und betrachtete das Bild mit Kennerblick. Es war in der Tat ein wunderbares Kunstwerk und auch wunderbar ähnlich.

„Lieber Junge,“ sagte er, „ich wünsche dir herzlich Glück. Es ist das beste Porträt unserer ganzen Zeit. Herr Gray, kommen Sie und sehen Sie selbst!“

Der Jüngling schrak wie aus einem Traume auf. „Ist es wirklich fertig?“ murmelte er, als er vom Podium herabstieg.

„Ganz fertig“, antwortete der Maler. „Und du hast heute glänzend Modell gestanden. Ich bin dir sehr, sehr dankbar.“

„Das ist nur mein Verdienst“, warf Lord Henry ein. „Nicht wahr, Herr Gray?“

Dorian gab keine Antwort, sondern trat, ohne hinzuhören, vor sein Bild und wandte sich dem Werke zu. Als er es sah, zuckte er zusammen, und seine Wangen röteten sich einen Augenblick vor Vergnügen. Ein Ausdruck der Freude blitzte in seinen Augen, als erkenne er sich selbst jetzt zum ersten Male. Bewegungslos und in Staunen versunken, stand er da und merkte dumpf, daß Hallward zu ihm sprach, ohne daß er den Sinn der Worte erfaßte. Das Gefühl seiner eigenen Schönheit kam über ihn wie eine Offenbarung. Er hatte es nie vorher empfunden. Basil Hallwards Komplimente hatte er nur für liebenswürdige Übertreibungen der Freundschaft gehalten. Er hatte sie gehört, über sie gelacht und sie vergessen. Sein Wesen hatten sie niemals beeinflußt. Dann war Lord Henry Wotton gekommen mit seinem sonderbaren Hymnus auf die Jugend, seiner schrecklichen Warnung von ihrer Flüchtigkeit. Das hatte ihn rechtzeitig aufgerüttelt, und als er jetzt dastand und das Abbild der eigenen Schönheit betrachtete, durchdrang ihn die volle Wirklichkeit jener Schilderung. Ja, der Tag mußte kommen, da sein Gesicht verrunzelt und verwelkt, die Augen trüb und farblos, die Anmut seiner Gestalt geknickt und entstellt sein würde. Das Scharlachrot der Lippen würde verblassen, der Goldglanz des Haares sich wegstehlen. Das Leben, das von seiner Seele gebildet wurde, zerstörte seinen Körper. Er würde häßlich, abscheuerregend und formlos werden.

Als er daran dachte, durchfuhr ihn ein scharfer Schmerz wie ein Messerstich und ließ die feinsten Nerven seines Ichs erbeben. Seine Augen verdunkelten sich zu Amethysten, und ein Tränenflor umschleierte sie. Es war, als hätte sich ihm eine eiskalte Hand aufs Herz gelegt.

„Gefällt es dir nicht?“ rief endlich Hallward, ein wenig gereizt durch das Schweigen des Jünglings, dessen Grund er nicht begriff.

„Natürlich gefällt's ihm“, sagte Lord Henry. „Wem würde es nicht gefallen? Es gehört zu den größten Werken der modernen Kunst. Ich gebe dir jeden Betrag dafür, den du verlangst. Ich muß es haben.“

„Es gehört nicht mir, Harry.“

„Wem denn?“

„Dorian natürlich“, antwortete der Maler.

„Da hat er Glück…“

„Wie traurig!“ flüsterte Dorian und hielt die Augen noch immer fest auf das Bild gerichtet. „Wie traurig! Ich werde alt werden und häßlich und widerlich. Aber dies Bild wird immer jung bleiben. Es wird nie über den heutigen Junitag hinaus altern… Wenn es nur umgekehrt sein könnte! Wenn ich ewig jung bliebe und dafür das Bild altern könnte! Dafür – dafür – gäbe ich alles! Ja, nichts in aller Welt wäre mir dafür zuviel! Ich gäbe meine Seele dafür!“

„Dieser Tausch würde dir schwerlich passen, Basil“, rief Lord Henry lachend. „Das wäre schlimm für dein Bild.“

„Ich würde mich ernstlich dagegen wehren, Harry“, sagte Hallward.

Dorian Gray wandte sich zu ihm und sah ihn an. „Ich bin davon überzeugt, Basil. Die Kunst ist dir mehr als deine Freunde. Ich bedeute für dich nicht mehr als eine grüne Bronzefigur. Vielleicht kaum so viel, müßte ich sagen.“

Der Maler war starr vor Erstaunen. So zu sprechen sah Dorian gar nicht ähnlich. Was war geschehen? Er schien ganz erregt. Sein Gesicht war gerötet, und die Wangen brannten.

„Ja,“ fuhr er fort, „ich bin dir weniger als dieser Hermes aus Elfenbein oder der silberne Faun da. Die wirst du immer liebbehalten. Wie lange wirst du mich liebhaben? Vermutlich bis die erste Runzel mein Gesicht entstellt. Ich weiß jetzt, wenn man erst seine Schönheit verliert, hat man alles verloren. Dein Bild hat mich dies gelehrt. Lord Henry Wotton hat ganz recht. Jugend ist das einzige, was Wert hat auf der Welt. Sowie ich entdecke, daß ich alt werde, bringe ich mich um.“

Hallward wurde bleich und faßte ihn bei der Hand. „Dorian, Dorian!“ rief er, „sage so etwas nicht. Ich habe nie einen Freund gehabt wie dich und werde nie wieder so einen haben. Du bist doch nicht auf leblose Dinge eifersüchtig? Du, der schöner ist als irgendeines von ihnen.“

„Ich bin eifersüchtig auf jedes Ding, dessen Schönheit nicht stirbt. Ich bin eifersüchtig auf das Bild, das du von mir gemalt hast. Warum darf es behalten, was ich verlieren muß? Jeder Augenblick, der verfliegt, raubt mir etwas und schenkt ihm etwas. Oh, wenn es doch umgekehrt wäre! Wenn sich das Bild verändern und ich immer bleiben könnte, wie ich jetzt bin! Warum hast du es gemalt? Es wird mich dereinst verhöhnen – furchtbar verhöhnen!“ Die heißen Tränen traten ihm in die Augen, er zog seine Hand weg, warf sich auf den Diwan und vergrub sein Gesicht in den Kissen, als betete er.

„Das ist dein Werk, Harry“, sagte der Maler bitter.

Lord Henry zuckte die Achseln. „Es ist der wahre Dorian Gray – sonst nichts.“

„Das ist er nicht.“

„Wenn er es nicht ist, was habe ich damit zu schaffen?“

„Du hättest weggehen sollen, als ich dich darum bat“, grollte er.

„Ich blieb, als du mich darum batest“, war Lord Henrys Erwiderung.

„Harry, ich kann nicht auf einmal mit meinen beiden besten Freunden Streit anfangen, aber ihr beide habt schuld, daß ich das beste Stück, das mir je gelungen ist, hassen muß, und ich werde es vernichten. Ist es schließlich mehr als Leinwand und Farbe? Ich will es nicht eingreifen lassen in drei Leben und sie zerstören.“

Dorian Gray hob seinen goldschimmernden Kopf von dem Kissen und blickte ihn mit bleichem Gesicht und tränenfeuchten Augen an, als er zu dem Maltische aus Kiefernholz trat, der unter dem hohen verhängten Fenster stand. Was wollte Basil beginnen? Seine Finger wühlten zwischen dem Wust von Blechtuben und trockenen Pinseln herum, als suchten sie etwas. Ja, sie suchten das lange Schabmesser mit der schmalen Klinge aus schmiegsamem Stahl. Endlich hatte er es gefunden. Er wollte die Leinwand zerschlitzen.

Mit einem erstickten Schluchzen sprang der Jüngling vom Diwan auf, schoß auf Hallward zu, riß ihm das Messer aus der Hand und schleuderte es in den äußersten Winkel des Ateliers. „Tu es nicht, Basil, tu es nicht“, schrie er. „Es wäre Mord.“

„Ich freue mich, daß dir meine Arbeit endlich doch gefällt, Dorian“, sagte der Maler kühl, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte. „Ich hätte es gar nicht geglaubt.“

„Gefällt? Ich bin verliebt in dies Bild, Basil. Es ist ja ein Teil von mir selbst. Ich fühle es.“

„Schön, sobald du trocken bist, sollst du gefirnißt, gerahmt und zu dir hingeschickt werden. Dann kannst du mit dir anfangen, was dir beliebt.“ Er schritt durch den Raum und klingelte nach Tee. „Du trinkst doch Tee, Dorian? Du auch, Harry? Oder machst du dir nichts aus so einfachen Genüssen?“

„Ich bete einfache Genüsse an“, sagte Lord Henry. „Sie sind die letzte Zuflucht komplizierter Naturen. Aber für Szenen schwärme ich nicht, außer auf der Bühne. Was für tolle Burschen seid ihr doch, ihr beide! Wer war es doch gleich, der den Menschen als ein vernünftiges Tier definiert hat? Das war eine der voreiligsten Definitionen, die je aufgestellt wurden. Der Mensch hat eine ganze Menge Eigenschaften, aber gewiß keine Vernunft. Alles in allem übrigens: Gott sei Dank, obwohl mir's eigentlich lieber wäre, ihr beiden Wirbelköpfe zanktet euch nicht um das Bild. Du solltest es lieber mir gegeben haben, Basil. Dieses törichte Knäblein braucht es eigentlich gar nicht, und ich brauche es sehr.“

„Wenn du es einem anderen geben willst als mir, Basil, verzeihe ich es dir nie“, rief Dorian Gray; „und ich erlaube niemand, mich ein törichtes Knäblein zu nennen.“

„Du weißt, Dorian, das Bild gehört dir. Ich hab' es dir geschenkt, noch ehe es vorhanden war.“

„Und Sie wissen, Herr Gray, daß Sie ein wenig töricht waren und daß Sie ernstlich gar nichts dagegen haben können, an Ihre große Jugend erinnert zu werden.“

„Heute früh hätte ich sehr viel dagegen gehabt, Lord Henry.“

„Ah! heute früh. Seitdem haben Sie einiges erlebt.“

Es klopfte an die Tür, und der Diener trat mit einem besetzten Teebrett ein und servierte auf einem kleinen japanischen Tisch den Tee. Die Tassen und Löffel klapperten, und ein georgischer Samowar begann zu summen. Zwei gewölbte chinesische Porzellanschüsseln wurden von einem jungen Diener hereingebracht. Dorian Gray ging hin und goß den Tee ein. Die beiden Männer schlenderten zum Tische und sahen nach, was unter den Deckeln der Schüsseln war.

„Wir wollen heute abend ins Theater gehen“, meinte Lord Henry. „Irgendwo wird sicher was los sein. Ich habe zwar zugesagt, im White-Klub zu soupieren, aber mich erwartet nur ein alter Freund; ich kann ihm also ein Telegramm schicken, daß ich nicht wohl sei oder infolge einer späteren Verabredung nicht kommen könne. Das würde ich für eine reizende Entschuldigung halten. Sie hat einen förmlich überraschenden Duft von Aufrichtigkeit.“

„Es ist so lästig, sich den Frack anzuzerren“, murmelte Hallward. „Und wenn man ihn anhat, sieht man so gräßlich aus.“

„Ja,“ antwortete Lord Henry träumerisch, „die Kleidung des neunzehnten Jahrhunderts ist abscheulich. Sie ist so düster, so deprimierend. Die Sünde ist noch das einzig Farbenfreudige, das im modernen Leben übriggeblieben ist.“

„Du solltest wirklich nicht solche Dinge vor Dorian sagen, Harry!“

„Vor welchem Dorian? Vor dem, der uns den Tee einschenkt, oder dem anderen auf dem Bilde?“

„Vor keinem.“

„Ich ginge gerne mit Ihnen ins Theater, Lord Henry“, sagte der Jüngling.

„Dann kommen Sie doch. Und du auch, Basil, nicht wahr?“

„Ich kann nicht, wirklich nicht. Es ist mir lieber so. Ich habe eine Unmenge zu tun.“

„Schön also. Dann müssen wir zwei allein gehen, Herr Gray.“

„Ich freue mich riesig darauf.“

Der Maler biß sich auf die Lippe und schritt, die Teetasse in der Hand, zum Bilde. „Ich bleibe hier bei dem wirklichen Dorian“, sagte er traurig.

„Ist das der wirkliche?“ rief das Original und ging gleichfalls langsam zu ihm hin. „Bin ich wirklich so?“

„Ja, genau so bist du.“

„Wie wundervoll, Basil!“

„Du siehst wenigstens jetzt so aus. Aber das Bild wird sich nie ändern“, seufzte Hallward. „Das ist schon etwas.“

„Was man heute für ein großes Wesen aus der Treue macht!“ rief Lord Henry aus. „Und doch ist sie selbst in der Liebe eine rein physiologische Frage. Sie hat auch nicht das mindeste mit unserem eigenen Willen zu tun. Junge Männer wären gerne treu und sind es nicht; alte würden gerne untreu sein und können es nicht: das ist alles, was sich darüber sagen läßt.“

„Geh heute abend nicht ins Theater, Dorian“, bat Hallward. „Bleibe hier und speise mit mir.“

„Ich kann nicht, Basil.“

„Warum?“

„Weil ich Lord Henry Wotton zugesagt habe, ihn zu begleiten.“

„Er wird dir darum nicht mehr zugetan sein, wenn du so treu deine Versprechungen hältst. Er bricht seine immer. Ich bitte dich, nicht zu gehen.“

Dorian Gray schüttelte lachend den Kopf.

„Ich beschwöre dich.“

Der junge Mann schwankte und blickte zu Lord Henry hinüber, der die beiden mit einem belustigten Lächeln vom Teetische aus beobachtete.

„Ich muß mit, Basil“, antwortete er.

„Schön“, sagte Hallward und ging zum Tische hinüber, wo er seine Tasse hinstellte. „Es ist ziemlich spät, und da ihr euch noch umziehen müßt, habt ihr keine Zeit mehr zu verlieren. Adieu, Harry! Adieu, Dorian! Komm bald wieder. Komm morgen.“

„Bestimmt.“

„Aber nicht vergessen!“

„Nein, natürlich nicht!“ rief Dorian.

„Und… Harry!“

„Ja, Basil?“

„Vergiß nicht, was ich dir sagte, als wir am Vormittag im Garten saßen.“

„Ich habe es vergessen.“

„Ich vertraue dir.“

„Ich wünschte, ich könnte mir selbst vertrauen“, sagte Lord Henry lachend. „Kommen Sie, Herr Gray, mein Wagen steht unten, und ich kann Sie an Ihrer Wohnung absetzen. Adieu, Basil! Es war ein sehr unterhaltender Nachmittag.“

Als sich die Tür hinter ihnen schloß, warf sich der Maler auf den Diwan, und in sein Gesicht trat ein schmerzlicher Ausdruck.

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