– Bitte, bitte! hören Sie und urtheilen Sie selbst. Vergessen Sie nicht, ich will sie nicht verleumden, ich habe sie sogar lieb, das heißt, so lieb man ein Weib haben kann, es ist im ganzen Hause bei ihr kein Buch auszutreiben, den Kalender ausgenommen, und lesen kann sie nicht anders als laut – diese Anstrengung treibt ihr den Schweiß auf die Stirne und sie klagt dann, daß ihr die Augen aus dem Kopfe springen wollten . . . Mit einem Wort, eine vortreffliche Frau, und ihre Dienstmädchen sind gut genährt. Warum sollte ich sie also verleumden?
– Nun! warf Darja Michailowna hin: – unser Afrikan Semenitsch hat sein Steckenpferd bestiegen – vor dem Abend steigt er nicht wieder herunter.
– Mein Steckenpferd . . . Die Weiber haben deren drei und kommen niemals von demselben herunter – außer etwa, wenn sie schlafen.
– Welches sind denn diese drei?
– Sticheln, Anspielen, Anklagen.
– Aber, Afrikan Semenitsch, sagte Darja Michailowna, Sie müssen gewiß nicht ohne Grund so sehr gegen die Frauen erbittert sein. Es muß Sie durchaus irgend Eine . . .
– Beleidigt haben, wollen Sie sagen? unterbrach sie Pigassow.
Darja Michailowna wurde etwas verwirrt; es fiel ihr die unglückliche Ehe Pigassow’s ein . . . und sie nickte bloß mit dem Kopfe.
– Es ist wahr, mich hat ein Weib beleidigt, erwiederte Pigassow, – obgleich es eine gute, sehr gute Frau war . . .
– Wer war denn das?
– Meine Mutter, brachte Pigassow halblaut hervor.
– Ihre Mutter-? Wie konnte die Sie wohl kränken?
– Dadurch, daß sie mich zur Welt gebracht hat. Darja Michailowna zog die Brauen zusammen.
– Mich dünkt, sagte sie: – unsere Unterhaltung nimmt eine trübe Wendung . . . Constantin, spielen Sie uns doch die neue Etüde von Thalberg vor . . . Vielleicht werden die Töne der Musik Afrikan Semenitsch bezähmen. Hat es doch Orpheus über wilde Thiere vermocht.
Constantin Diomiditsch setzte sich an’s Clavier und trug die Etüde zu voller Befriedigung vor. Anfangs hörte Natalia mit Aufmerksamkeit zu, fuhr aber dann in ihrer Arbeit wieder fort.
– Merci, c’est charmant, äußerte Darja Michailowna: – ich liebe den Thalberg. Il est si distinguè, Worüber sinnen Sie, Afrikan Semenitsch?
– Ich dachte, begann langsam Pigassow: – es giebt drei Sorten von Egoisten, solche, welche selbst leben und Andere leben lassen; Egoisten, welche selbst leben und Andere nicht leben lassen, und endlich solche, welche weder selbst leben, noch Andere leben lassen . . . Die Weiber gehören größtentheils zu der dritten Gattung.
– Wie liebenswürdig! Was mich aber wundert, Afrikan Semenitsch, das ist die Zuversicht in Ihren Reden: Sie urtheilen, als könnten Sie niemals irren.
– Bewahre! auch ich kann mich irren; auch der Mann kann sich irren! aber, wissen Sie, worin der Unterschied besteht zwischen unserem Irren und dem eines Weibes? Sie wissen es nicht? Ich will es Ihnen sagen: ein Mann zum Beispiel kann sagen, zweimal zwei mache nicht vier, sondern fünf oder drei und einhalb; ein Weib aber wird sagen: zweimal zwei macht – ein Stearinlicht.
– Das habe ich, dünkt mich, schon einmal gehört . . . Erlauben Sie mir aber die Frage, in welcher Beziehung steht Ihre Idee von den drei Gattungen Egoisten zu der Musik, die wir soeben gehört haben?
– Durchaus in keiner; ich habe gar nicht auf die Musik gehört.
– Nun, mein Bester, ich sehe, »Sie sind unverbesserlich, ich ziehe mich zurück,« erwiderte Darja Michailowna, einen Vers aus Gribojedaw variirend. – Was lieben Sie denn, wenn selbst Musik Sie nicht anspricht? Literatur etwa?
– Die Literatur liebe ich, aber nicht die der Gegenwart.
– Weshalb.
– Das will ich Ihnen sagen. Vor Kurzem bei einer Ueberfahrt über die Oka traf ich mit einem Herrn zusammen. Die Fähre legte bei einer steilen Stelle an: die Equipage mußte durch Menschenhände hinaufgeschleppt werden. Jener Herr hatte eine außerordentlich schwere Calesche. Während die Fährleute sich bei dem Hinaufziehen des Fuhrwerks abarbeiteten, stand der Herr auf der Fähre und stöhnte, daß man ordentlich Mitleid mit ihm haben konnte . . . Da haben wir, fiel mir ein, eine neue Anwendung des Systems der getheilten Arbeit! So ist es auch mit der Literatur der Gegenwart: Andere ziehen und verrichten die Arbeit, und sie stöhnt.
Darja Michailowna lächelte.
– Und das nennt sich ein Spiegelbild des Lebens der Gegenwart, fuhr der unerbittliche Pigassow fort: – tiefe Sympathie für die socialen Fragen und wer weiß wie noch . . . Ach, über diese hochtönenden Worte!
– Die Frauen aber, die Sie so angreifen, sie wenigstens gebrauchen keine hochtönenden Worte.
Pigassow zuckte die Achseln.
– Sie gebrauchen sie nicht, weil sie sich darauf – nicht verstehen.
Darja Michailowna erröthete leicht.
– Sie werden etwas dreist, Afrikan Semenitsch! bemerkte sie mit erzwungenem Lächeln.
Alle im Zimmer wurden still.
– Wo liegt Solotonoscha? fragte auf einmal einer der Knaben Bassistow.
– Im Gouvernement Poltawa, mein Lieber, nahm Pigassow das Wort: – im Herzen des Schopflandes.3 (Er war froh, der Unterhaltung eine andere Wendung geben zu können.) – Wir sprachen von Literatur, fuhr er fort: – wenn ich Geld übrig hätte, so würde ich ohne Weiteres kleinrussischer Dichter werden.
– Was soll denn das noch? ein schöner Dichter! erwiederte Darja Michailowna: – kennen Sie denn die kleinrussische Sprache?
– Nicht im Mindesten; das ist aber auch nicht nöthig.
– Wie so nicht nöthig?
– Ganz einfach! Man nehme nur einen Bogen Papier . und schreibe oben darauf: »Duma«;4 dann stelle man eine Anzahl Worte ohne all und jeden Sinn zusammen, füge nur einige Kleinrussische Interjectionen, wie: graje, grase, woropaje, hopp, hopp! oder Etwas in dieser Art hinzu, und das Ding ist fertig. Dann schicke man es in die Druckerei und gebe es heraus. Der Kleinrusse wird es lesen, den Kopf auf die Hand fallen lassen und gewiß dabei Thränen vergießen. Das ist nun ein; mal so eine gefühlvolle Seele!
– Ich bitte Sie! rief Bassistow. – Was erzählen Sie da? Da hört aber Alles auf. Ich habe in Kleinrußland gelebt, liebe das Land und kenne die Sprache «graje, graje, woropaje« ist ein vollständiger Unsinn.
– Möglich, der Schopfkurt würde aber doch Thränen dabei vergießen. Sie sagen die Sprache . . . Giebt es aber denn eine kleinrussische Sprache? Ich bat einmal einen Kleinrussen, mir irgend eine Phrase zu übersetzen, und wie glauben Sie, daß er sie übersetzt hat? er wiederholte fast genau die von mir vorgesprochenen Worte, nur daß er durchgängig i in ü verwandelte. Ist das etwa nach Ihren Begriffen eine Sprache? eine selbstständige Sprache? Bevor ich Ihnen das zugebe, lasse ich meinen besten Freund in einem Mörser zerstoßen . . .
Bassistow wollte ihm etwas entgegnen.
– Lassen Sie ihn, sagte Darja Michailowna, – Sie wissen ja, daß man von ihm außer Paradoxen nichts zu hören bekommt.
Pigassow lächelte boshaft. Ein Diener erschien und meldete die Ankunft Alexandra Pawlowna’s und ihres Bruders.
Darja Michailowna erhob sich, um ihre Gäste zu empfangen.
– Guten Tag, Alexandrine! sagte sie, ihr entgegengehend: – wie schön von Ihnen, daß Sie gekommen sind . . . Guten Tag, Sergei Pawlowitsch!
Wolinzow drückte Darja Michailowna die Hand und trat aus Natalia zu.
– Nun, und der Baron, Ihr neuer Bekannter, wird er heute kommen? fragte Pigassow.
– Ja, er wird kommen.
– Es soll ja ein großer Philosoph sein: wirft mit Hegel um sich.
Darja Michailowna antwortete nichts, ließ Alexandra Pawlowna auf der Couchette Platz nehmen und setzte sich selbst neben sie.
– Die Philosophie, fuhr Pigassow fort: – der höhere Gesichtspunkt! Sind sie mir zum Ekel geworden, diese höheren Gesichtspunkte! Und was kann man aus der Höhe sehen? Ich denke, kauft Jemand ein Pferd, so wird er nicht erst einen Thurm besteigen, um es zu beschauen!
– Dieser Baron wollte Ihnen einen Aufsatz bringen? fragte Alexandra Pawlowna.
– Ja, einen Aufsatz, erwiederte Darin Michailowna mit übertriebener Gleichgültigkeit: – über die Beziehungen des Handels zu der Industrie in Rußland . . . Erschrecken Sie aber nicht: wir werden das jetzt nicht lesen . . . Ich habe Sie nicht deshalb eingeladen. Le baron est aussi aimable que savant. Und spricht sehr gut russisch! C’est un vrai torrent . . . il vous entraiane.
– Er spricht so gut russisch, brummte Pigassow: – daß er verdient hat, französisch gelobt zu werden.
– Brummen Sie nur, Afrikan Semenitsch, brummen Sie nur immer zu . . . das paßt sehr gut zu Ihrem verwühlten Haar . . . Warum kommt er aber nicht? Wissen Sie aber, mossieurs at mesdames, setzte Darja Michailowna, sich im Kreise umsehend, hinzu: – wir wollen in den Garten gehen. Bis zum Essen ist es noch eine Stunde und das Wetter ist so herrlich . . .
Die ganze Gesellschaft erhob sich und begab sich in den Garten.
Der Garten Darja Michailowna’s reichte bis an den Fluß. Es waren in demselben viele dunkle und duftige Alleen alter Lindenbäume, die in smaragdgrüne Lichtungen mit vielen Lauben aus Akazien und Fliederbäumen ausliefen.
Wolinzow in Begleitung von Natalia und Mlle. Boncourt hatten sich in das Dickicht des Gartens vertieft. Wolinzow ging neben Natalia her und schwieg. Mlle. Boncourt folgte in einiger Entfernung.
– Womit haben Sie sich heute beschäftigt? fragte endlich Wolinzow und streichelte dabei die Spitze seines schönen, dunkelblonden Schnurrbartes.
Er war seiner Schwester sehr ähnlich, doch zeigten seine Gesichtszüge weniger Beweglichkeit und Leben und seine Augen, hübsch und sanft, hatten einen etwas schwermüthigen Ausdruck.
– Mit Wenigem, erwiederte Natalia: – ich habe das Schelten Pigassow’s mit angehört, habe am Stickrahmen genäht und habe gelesen.
– Und was haben Sie gelesen?
– Ich habe . . . die Geschichte der Kreuzzüge gelesen, brachte Natalia mit einigem Stocken hervor.
Wolinzow blickte sie an.
– Oh, sagte er endlich: – das muß interessant sein.
Er riß einen Zweig ab und fächelte damit in der Luft. Sie gingen noch etwa zwanzig Schritte weiter.
– Was für ein Baron ist das, dessen Bekanntschaft Ihre Mama gemacht hat? fragte dann wieder Wolinzow.
– Ein Kammerjunker, seit Kurzem angekommen; Mama lobt ihn sehr.
– Ihre Mama giebt sich leicht dem ersten Eindrucke hin.
– Ein Beweis, daß ihr Herz noch jugendlich fühlt, bemerkte Natalia.
– Gewiß. Ich werde Ihnen bald Ihr Pferd zuschicken. Es ist schon fast ganz zugeritten. Es soll mir gleich im Galopp vom Platz, dazu muß ich es bringen.
– Merci . . . Es macht mich aber wirklich verlegen. Sie reiten es selbst zu . . . das soll ja sehr angreifend sein.
– Um Ihnen das geringste Vergnügen zu bereiten, Sie wissen es, Natalia Alexejewna, bin ich bereit . . . würde ich . . . nicht solche Kleinigkeiten . . .
Wolinzow stockte.
Natalia blickte ihn freundlich an und sagte nochmals: merci.
– Sie wissen, fuhr Sergei Pawlitsch nach längerem Schweigen fort: – es giebt Nichts . . . Doch warum « sage ich dass Sie wissen ja Alles.
In diesem Augenblicke erschallte die Glocke im Hause.
– Ah! la cloche du diner! rief Mlle. Boncourt: – rentons.
»Quel dommage,« dachte bei sich die alte Französin, als sie hinter Natalia und Wolinzow die Stufen zur Terrasse hinaufstieg: – »quel dommage que ce charmant garcon ait peu de ressources dans la conversation. . . was man etwa so wiedergeben könnte: du bist ganz nett, mein Lieber, aber etwas beschränkt.
Der Baron kam nicht zum Mittage. Man wartete eine halbe Stunde auf ihn. Bei Tische wollte es mit der Unterhaltung nicht recht fort. Sergei Pawlitsch blickte fortwährend Natalia an, neben welcher er saß, und schenkte ihr eifrig Wasser in’s Glas. Pandalewski bemühete sich vergeblich, seine Nachbarin, Alexandra Pawlowna, zu unterhalten: er zerfloß in Liebenswürdigkeiten, während es ihr Mühe kostete, das Gähnen zu unterdrücken.
Bassistow machte Brodkügelchen und dachte an Nichts; selbst Pigassow war verstummt, und als Darja Michailowna ihm bemerkte, daß er heute nicht liebenswürdig sei, antwortete er mürrisch: – Wenn bin ich denn liebenswürdig? Es ist nicht meine Art . . . und setzte mit bitterem Lächeln hinzu: – haben Sie nur Geduld; ich bin ja nur Kwas, ordinairer russischer Kwas; wenn aber Ihr Kammerjunker . . .
– Bravo! rief Darja Michailowna. – Pigassow wird eifersüchtig, zum Voraus eifersüchtig!
Pigassow jedoch erwiederte nichts darauf, sondern schaute finster vor sich hin.
Es schlug sieben Uhr und Alle versammelten sich wieder im Gastzimmer.
– Es scheint, er wird nicht kommen, sagte Darja Michailowna . . . Doch plötzlich ließ sich das Rollen eines Wagens vernehmen, ein mittelgroßer Tarantaß lenkte in den Hof und nach einigen Minuten erschien ein Diener im Gastzimmer und reichte Darja Michailowna einen Brief auf einem kleinen silbernen Präsentirteller. Sie durchlief denselben bis zum Ende und fragte dann, zum Diener gewendet:
– Und wo ist der Herr, der diesen Brief gebracht hat?
– Er ist im Wagen sitzen geblieben. Befehlen Sie, ihn herein zu nöthigen?
– Bitte ihn her.
Der Diener verschwand.
– Ist das nicht ärgerlich, denken Sie doch, fuhr Darja Michailowna fort: – der Baron hat die Weisung bekommen, sogleich nach Petersburg zurückzukehren. Er schickt mir feinen Aufsatz durch einen Herrn Rudin, seinen Freund. Der Baron wollte mir denselben vorstellen – er sagt von ihm viel Gutes. Doch wie das störend ist! ich hatte darauf gerechnet, der Baron werde hier einige Zeit zubringen . . .
– Dimitri Nikolaitsch Rudin, meldete der Diener.
О проекте
О подписке