»Ich war heute durch Deine Schuld in einer höchst ungeschickten Lage,« sagte ich an demselben Abende zu Fustoff, als wir zusammen nach Hause gingen.
»Du hast mir gesagt, daß diese . . . wie heißt sie doch wieder? Susanne – die Tochter des Herrn Ratsch ist, sie ist aber seine Stieftochter.«
»Freilich! Und ich habe Dir gesagt, daß sie eine Tochter von ihm ist? Uebrigens . . . ist es nicht einerlei?«
»Dieser Ratsch,« fuhr ich fort . . . – »Ach Alexander! Wie sehr hat er mir mißfallen! Hast Du bemerkt mit welch einem besonderen Hohne er heute von den Juden zu ihr sprach? Ist sie denn . . . Israelitin?«
Fustoff schritt vorwärts, die Arme hin und her schwingend; es war kalt, der Schnee knisterte wie Salz unter den Füßen.
»Ja, ich erinnere mich, so etwas gehört zu haben,« sagte er endlich . . . – »Ihre Mutter war, glaube ich, von hebräischer Abkunft.«
»Also hat Herr Ratsch zuerst eine Wittwe geheirathet?«
»Wahrscheinlich.«
»Hm! . . . Ist jener Fictor, der heute Abend nicht nach Hause gekommen war, auch sein Stiefsohn?«
»Nein . . . Der ist sein leiblicher Sohn. Uebrigens mische ich mich, wie Du weißt, nicht in fremde Angelegenheiten, und liebe nicht, die Leute auszuforschen. Ich bin nicht neugierig.«
Ich biß mir in die Zunge. Fustoff eilte vorwärts. Als wir zum Hause herankamen, holte ich ihn ein, und sah ihm in’s Gesicht.
»Sage mir doch,« fragte ich – »ist Susanne wirklich eine gute Klavierspielerin?«
Fustoff runzelte die Stirn.
»Ja, sie spielt gut das Klavier,« murmelte er zwischen den Zähnen. – »Aber sie ist sehr schüchtern, darauf bereite ich Dich vor!« setzte er mit einer kleinen Grimasse hinzu. Es war wirklich als wenn er es bereute, mich mit ihr bekannt gemacht zu haben.
Ich schwieg, und wir trennten uns. «
Am folgenden Morgen begab ich mich wieder zu Fustoff. Es war mir Bedürfniß geworden, des Morgens bei ihm zu sitzen. Er empfing mich eben so freundlich wie gewöhnlich; aber über unseren gestrigen Besuch – kein Wort. Stumm, als wenn er den Mund voll Wasser hätte! Ich nahm und durchblätterte die letzte Nummer des »Teleskop.«
Eine neue Persönlichkeit trat ins Zimmer. Er erwies sich als ein Sohn des Herrn Ratsch, und derselbe Fictor, über dessen Abwesenheit der Vater am Abend vorher so ungehalten gewesen war.
Das war ein junger Mensch von ungefähr 18 Jahren, aber schon dem Trunke ergeben und krank, mit einem süßlich-frechen Lächeln auf dem unreinen Gesichte und dem Ausdrucke der Ermüdung in den entzündeten, kleinen Augen. Er glich seinem Vater, doch waren seine Züge feiner und nicht ohne Annehmlichkeit; aber in dieser Annehmlichkeit selbst war etwas Häßliches. Seine Kleidung war unreinlich, am Uniformrock fehlte ein Knopf, der eine Stiefel war geplatzt und es wehte an ihm ein starker Tabaksgeruch.
»Guten Morgen,« sagte er mit heiserer Stimme und mit jenem eigenthümlichen Hinausziehen des Kopfes und der Schultern, welches ich stets an verzärtelten und selbstzufriedenen jungen Leuten bemerkt habe.
»Ich wollte in die Universität gehen, und gerieth hierher. Die Brust ist mir zugeschnürt. Geben Sie mir eine Cigarre.« – Er ging über das ganze Zimmer, die Füße welk nachschleppend, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu ziehen, und warf sich schwerfällig auf das Sopha.
»Haben Sie sich erkältet?« fragte Fustoff, indem er uns mit einander bekannt machte. «Wir waren Beide Studenten, aber in verschiedenen Facultäten.
»Nein . . . ah nein! Gestern, aufrichtig gesagt, . . . (Hier lachte Herr Ratsch junior über das ganze Gesicht, wieder nicht ohne Anmuth, zeigte aber dabei sehr schlechte Zähne) . . . hatte ich zu viel getrunken, hatte einen starken Rausch. Ja.« – Er rauchte seine Cigarre an und hustete. – »Wir haben Obichodoff das Geleit gegeben.«
»Wohin reist er?«
»In den Kaukasus, und schleppt seine Geliebte mit fort. Sie wissen, die Schwarzäugige, mit den Sommersprossen. Dummkopf!«
»Ihr Vater fragte gestern nach Ihnen,« bemerkte Fustoff.
Fictor spie auf die Seite.
»Ja, ich hebe es gehört. Sie haben sich gestern in unser Lager verirrt. Nun, wie war es? Wurde musicirt?«
»Wie gewöhnlich.«
»Und sie . . . hat wohl vor dein neuen Gaste (hier wies er mit dem Kopfe nach mir hin) grimassirt? Hat wohl nicht gespielt?«
»Von wem sprechen Sie?« fragte Fustoff.
»Von der verehrungswürdigen Susanne Ivanowna, natürlich!«
Fictor streckte sich noch bequemer aus, reckte seinen Arm in graciöser Rundung über seinen Kopf, sah in seine flache Hand und schnaubte dumpf.
Ich blickte auf Fustoff hin. Er zuckte nur mit den Achseln, als wollte er mir zu verstehen geben, daß man von solch’ einem Menschen Nichts erwarten könne.
Fictor sing an, langsam, näselnd und zur Decke hinaufsehend, vom Theater, von zwei ihm bekannten Schauspielern, von einer gewissen Serafine Serasimowna, die ihn »angeführt« hatte, von dem neuen Professor R. zu sprechen, den er ein Vieh nannte. »Stellen Sie sich vor, was das Ungeheuer sich ausgedacht hat? Er fängt jede Vorlesung mit einem Abrufen der Namen an! Und dieser Zählt sich noch zu den Liberalen! Sich endlich mit dem Gesicht und dem ganzen Körper zu Fustoff wendend, sagte er, mit halb klagender und halb spöttelnder Stimme:
»Ich wollte Sie um Etwas bitten, Alexander Daviditsch . . . Können Sie meinen Alten nicht irgend wie zur Vernunft bringen . . . Sie spielen ja Duo’s mit ihm . . . Er giebt mir fünf blaue Zettel monatlich . . . Was nützt mir das? Das reicht ja nicht einmal für den Tabak aus. Und da redet er noch: mache keine Schulden! Ich möchte ihn einmal an meine Stelle setzen, und dann zusehen! Ich erhalte ja gar keine Pensionen, nicht so wie Andere (Fictor hob dieses Wort mit besonderer Betonung hervor). Und er hat viel Geld, ich weiß es. Mir gegenüber den Lazarus spielen hilft Nichts; mich führt man nicht an! Possen! Hat sich schon die Finger verbrannt . . . nur gewandt!«
Fustoff warf einen Seitenblick auf Fictor.
»Wenn Sie wollen,« fing er an – ich will es Ihrem Vater sagen. Sonst kann ich auch – unterdessen . . . eine kleine Summe . . .«
»Nein, wozu? Erweichen Sie lieber den Alten . . . Uebrigens,« fügte Fictor hinzu, sich mit allen fünf Fingern die Nase kratzend – »geben Sie mir, wenn Sie können, 25 Rbl. Sbr. . . . Wie viel bin ich Ihnen eigentlich schuldig?«
»Sie haben 85 Rbl. Sbr. von mir geborgt.«
»Ja . . . Also macht das – in Allem 110 Rbl. Sbr. Ich werde Ihnen Alles zusammen abgeben.«
Fustoff trat in’s Nebenzimmer, brachte einen Zettel von 25 Rbl. Sbr. heraus und reichte ihn Fictor schweigend. Dieser nahm ihn, gähnte laut, ohne den Mund zu schließen und brummte ein »Danke«! Sich wie ein Igel zusammenrollend und wieder reckend, erhob er sich vom Sopha.
»Fu! Allein . . . ich langweile mich,« murmelte er, »ich sollte eigentlich nach Italien.«
Er begab sich zur Thür.
Fustoff sah ihm nach. Es war, als wenn er mit sich kämpfte.
»Welcher Pension erwähnten Sie so eben, Fictor Ivanovitsch?« fragte er endlich.
Viktor blieb auf der Schwelle stehen und setzte seine Mütze auf.
»Sie wissen das nicht? Von Susanna Ivanowna’s Pension sprach ich . . . Sie empfängt dieselbe. Eine äußerst merkwürdige Anecdote, das kann ich Ihnen sagen! Ich will Ihnen das einmal erzählen. Geschäfte, mein Herr, Geschäfte!l – Aber meinen Alten! vergessen Sie meinen Alten nicht, ich bitte. Er hat freilich eine dicke, deutsche Haut, noch dazu mit russischer Bearbeitung; allein, man kann dennoch durchdringen. Aber, – daß Eleonorchen, meine Stiefmutter, nur nicht dabei ist! Papachen fürchte sich vor ihr, sie wiederholt immer das Ihre Nun! Sie sind ja selbst Diplomat! Leben Sie wohl!«
»Ist das aber ein elender Knabe!« rief Fustoff, sobald er die Thüre hinter sich zugeschlagen hatte.
Sein Gesicht brannte wie Feuer, und er wandte sich von mir ab. Ich mochte keine weiteren Fragen stellen und entfernte mich bald.
Ich brachte jenen ganzen Tag in Gedanken über Fustoff, Susanne und ihre Verwandten zu. Mir schwebte dunkel etwas wie ein Familiendrama vor. So viel ich urtheilen konnte, war Susanne meinem Freunde nicht gleichgültig. Aber sie? Liebte sie ihn? Warum war sie so unglücklich? Was war sie überhaupt für ein Geschöpf? Diese Fragen kamen mir immer wieder in den Sinn. Ein dunkles aber deutliches Gefühl sagte mir, daß ich mich nicht an Fustoff zu wenden habe, um ihre Lösung zu erlangen. Das Ende davon war, daß ich mich am folgenden Tage in das Haus des Herrn Ratsch begab.
Sobald ich mich in dem kleinen dunklen Vorzimmer befand, schlug mir mein Gewissen und ich war verlegen. Sie wird sich am Ende nicht einmal zeigen, blitzte es mir durch den Kopf, und ich werde mit jenem abscheulichen »Veteranen« und seiner Frau – Köchin sitzen müssen . . ., und endlich, selbst wenn sie erscheint . . . was dann? Sie wird sich nicht einmal mit mir unterhalten . . . Sie hat mich neulich zu unfreundlich behandelt! Warum bin ich hergekommen? Während ich Alles dieses dachte, war der kleine Kosake hineingelaufen, um mich anzumelden, und, nach einigen fragenden »Wer da? Wer, sagst Du?« wurden schwere, schlurrende Pantoffel hörbar, die Thür wurde ein wenig geöffnet, und in der Spalte, zwischen den beiden Flügeln derselben, erschien das Gesicht Ivan Demjanitsch’s, ein verzerrtes, finsteres Gesicht.
Er sah mich unverwandt an, und veränderte seinen Ausdruck nicht sogleich . . . Herr Ratsch hatte mich offenbar nicht gleich erkannt; aber plötzlich rundeten sich seine Wangen, die Augen verengten sich, und aus dem geöffneten Munde platzte, mit einem Gelächter zugleich, der Ausruf: »Ach, mein verehrter Herr! Sie sind es? Seien Sie mir willkommen!«
Ich folgte ihm um so weniger gerne, als es mir vorkam, daß der heitere, zuvorkommende Herr Ratsch mich in seinem Innern zum Teufel sandte. Allein jetzt war nichts mehr zu ändern. Er führte mich in’s Gastzimmer, und dort – im Gastzimmer saß Susanne an einem Tische vor dem Einnahme- und Ausgabebuch. Sie sah mich mit ihren dämmerigen Augen an, und biß ein ganz klein wenig die Nägel ihrer linken Hand . . . dies war ihre Gewohnheit, die Gewohnheit vieler nervöser Menschen, wie ich bemerkt habe. Außer ihr war Niemand im Zimmer.
»Sehen Sie hier,« fing Herr Ratsch an, und gab sich einen Schlag auf den Schenkel, – bei welcher Beschäftigung Sie Susanna Ivanowna und mich finden: Wir sehen Rechnungen durch. Meine Frau ist nicht sehr stark in der »Arithmetik«, und ich, aufrichtig gestanden, schone meine Augen. Ohne Brille kann ich gar Nichts sehen, was wollen Sie machen? So mag denn die Jugend arbeiten. Ha – ha! Die Ordnung verlangt es. Uebrigens-, die Arbeit hat keine Eile . . .«
Susanne machte das Buch zu und wollte sich entfernen. – »Warte doch, warte,« sagte Herr Ratsch. – »Was thut es denn, daß Du nicht in Toilette bist» . . . « (Susanne hatte ein sehr altes Kleidchen, fast ein Kinderkleid mit kurzen Aermelchen, an.) »Unser theurer Gast wird es uns nicht übel nehmen, und, wenn ich nur die Rechnung für die Verflossene Woche aufräumen könnte . . . Sie erlauben?« wandte er sich zu mir. – »Wir stehen ja nicht auf so ceremoniellem Fuße miteinander!«
»Seien Sie so gut, beunruhigen Sie sich deßhalb nicht,« rief ich aus.
»Also! verehrtester Herr; Sie wissen selbst: der in Gott ruhende Kaiser Alexis Michailowitsch . Romanow pflegte zu sagen: »Der Arbeit – die Zeit; dem Vergnügen – der Augenblick!« Wir aber wollen der Arbeit selbst blos eine Minute weihen . . .Ha – ha! Was sind denn dies für 13 Rubel 30 Kopeken Silber?« fügte er halblaut hinzu, indem er mir den Rücken zuwandte.
»Fictor hat dieselben von Eleonore Karpowna genommen; er sagt, Sie hätten sie ihm bewilligt,« antwortete Susanna ebenfalls halblaut.
»Er hat gesagt . . . gesagt . . . bewilligt . . .« murmelte Ivan Demjanitsch – »Mir scheint, ich bin persönlich hier zugegen. Hättet mich fragen sollen. Aber wer hat denn diese 17 Rubel Silber erhalten?«
»Der Möbelhändler.«
»Der Möbelhändler . . . Wofür denn?«
»Auf Abrechnung.«
»Auf Abrechnung Zeige her!« – Er riß Susannen das Buch aus der Hand, setzte eine runde Brille in silberner Fassung auf die Nase und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. – »Dein Möbelhändler . . . dem Möbelhändler . . . Wenn Ihr nur das Geld aus dem Hause bringen könnt! Dann seid ihr glücklich! . . . Wie die Croaten! Aqubrechnung! Uebrigens,« fügte er laut hinzu, die Brille von der Nase ziehend und sich mir wieder zuwendend – »was thue ich denn eigentlich da? Dieses langweilige Zeug kann auch später vorgenommen werden. Susanna Ivanowna, schleppen Sie diese Buchhalterei an ihren Platz zurück, und kommen Sie dann wieder her, ich bitte, und entzücken Sie das Ohr dieses unseres liebenswürdigen Gastes durch Ihr musikalisches Werkzeug, nämlich durch Ihr Clavierspiel . . . Eh?« –
Susanne wandte den Kopf ab.
»Ich wäre sehr glücklich,« sagte ich schnell, – »es wäre mir außerordentlich angenehm, Susanne Ivanowna spielen zu hören. Aber ich möchte Sie für Nichts in der Welt belästigen.«
»Was, belästigen! Wie das? Nun Susanne Ivanowna, eins, zwei, drei!«
Susanne antwortete nicht, und ging hinaus.
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