Читать бесплатно книгу «Soll und Haben, Bd. 1 (2)» Gustav Freytag полностью онлайн — MyBook

II

Schon welkte das frisch gemähete Wiesengras in der Mittagssonne, als Anton dem Nachbar aus Ostrau, der ihn bis zur letzten Station vor der Hauptstadt mitgenommen hatte, die Hand schüttelte und dann rüstig auf der Landstraße vorwärts schritt. Es war ein lachender Sommertag, auf den Wiesen klirrte die Sense des Schnitters am Wetzstein und oben in der Luft sang die unermüdliche Lerche. Vor dem Wanderer strich die Landschaft in hügelloser Ebene fort, am Horizont hinter ihm erhob sich der blaue Zug des Gebirges. Kleine Bäche von Erlen und Weidengruppen eingefaßt durchrannen lustig die Landschaft, jeder Bach bildete ein Wiesenthal, das auf beiden Seiten von üppigen Getreidefeldern begrenzt wurde. Von allen Seiten stiegen die hellen Glockenthürme der Kirchen aus dem Boden auf, jeder als Mittelpunkt einer Gruppe von braunen und rothen Dächern, die mit einem Kranz von Gehölz umgeben waren. Bei vielen Dörfern konnte man an der stattlichen Baumallee und dem Dach eines großen Gebäudes den Rittersitz erkennen, welcher neben den Dorfhäusern lag, wie der Schäferhund neben der wolligen Heerde.

Anton eilte vorwärts, wie auf Sprungfedern fortgeschnellt. Vor ihm lag die Zukunft, sonnig gleich der Flur, ein Leben voll strahlender Träume und grüner Hoffnungen. Nach langer Trauer in der engen Stube pochte heut sein Herz zum ersten Mal wieder in kräftigen Schlägen; in der Fülle der Jugendkraft strahlte sein Auge und lachte sein Mund. Alles um ihn glänzte, duftete, wogte wie in elektrischem Feuer, in langen Zügen trank er den berauschenden Wohlgeruch, der aus der blühenden Erde aufstieg. Wo er einen Schnitter im Felde traf, rief er ihm zu, daß heut ein guter Tag sei, und einen guten Tag rief jeder Mund dem schmucken Jüngling zurück. Im Getreidefelde neigten sich die Aehren am schwanken Stiel auf ihn zu, sie nickten und grüßten, und in ihrem Schatten schwirrten unzählige Grillen ihren Gesang: Lustig, lustig im Sonnenschein! Auf der Weide saß ein Volk Sperlinge, die kleinen Barone des Feldes flüchteten nicht, als er vor dem Stamm stehen blieb, ja sie beugten die Hälse herunter und schrieen ihn an: »Guten Tag, Wandersmann, wohin, wohin?« Und Anton sagte leise: »Nach der großen Stadt, in das Leben.« »Gutes Glück,« schrieen die Sperlinge, »frisch vorwärts!«

Anton durchschritt auf dem Fußpfad einen Wiesengrund, ging über eine Brücke und sah sich in einem Wäldchen mit gut erhaltenen Kieswegen. Immer mehr nahm das Gebüsch den Charakter eines gepflegten Gartens an, der Wandrer bog um einige alte Bäume und stand vor einem großen Rasenplatz. Hinter diesem erhob sich ein Herrenhaus mit zwei Thürmchen in den Ecken und einem Balcon. Wer auf dem Balcon stand, konnte über den Grasplatz hinüber durch eine Oeffnung in den Baumgruppen die schönsten Umrisse des fernen Gebirges sehn. An den Thürmchen liefen Kletterrosen und wilder Wein in die Höhe, und unter dem Balcon öffnete sich gastlich eine Halle, welche mit blühenden Sträuchern ausgeschmückt war. Es war kein prunkender Landsitz, und es gab viele größere und schönere in der Umgegend, aber es war doch ein stattlicher Anblick, sehr imponirend für Anton, der, in einer kleinen Stadt aufgewachsen, nur selten den behaglichen Wohlstand eines Gutsbesitzers in der Nähe gesehen hatte. Alles erschien ihm sehr prächtig und großartig! Die zierlich geformten Blumenbeete in dem geschorenen Sammt des Rasens, die bunten Gruppen der Glashauspflanzen, der fröhliche Schmuck, den die Hand des Gärtners um das Herrenhaus herum angebracht hatte, das alles sah ihm in dem reinen Lichte und der Ruhe des Sonnentages aus, wie ein Bild aus fernem Lande. Der glückliche Jüngling gerieth in ein so träumerisches Entzücken, daß er sich in den Schatten eines großen Fliederstrauches am Wege setzte und hinter dem Busch verborgen lange Zeit auf das anmuthige Bild hinstarrte. Wie glücklich mußten die Menschen sein, welche hier wohnten, wie vornehm und wie edel! Auf dieser Seite schöne Blüthen und große Bäume, auf der andern Seite wahrscheinlich ein weiter Hofraum mit Scheuern und Ställen, viele Pferde darin, große Rinder und unzählige feinwollige Schafe. Denn schon vor dem Eintritt in den Park hatte Anton auf eingehegtem Wiesenraum eine Anzahl Füllen gesehn und ihre lustigen Sprünge beobachtet. Der Respect vor Allem, was stattlich, sicher und mit Selbstgefühl in der Welt auftritt, war ihm, dem armen Sohn des Calculators, angeboren, und wenn er jetzt in der reinen Freude über die Pracht, welche ihn umgab, an sich selbst dachte, erschien er sich als höchst unbedeutend, als gar nicht der Rede werth, als eine Art gesellschaftlicher Däumling, winzig, kaum sichtbar im Grase. Unwillkürlich fuhr er in die Rocktasche, seine Handschuhe herauszuholen. Sie waren von gelbem Zwirn, und noch seine gute Mutter hatte gesagt, sie sähen ganz aus wie seidene, und seidene Handschuhe galten in Ostrau für den höchsten Luxus. Der arme Junge zog mit ihnen die Ueberzeugung an, daß er durch sie seiner jetzigen Umgebung doch um einige Gran würdiger werde.

Lange saß er in tiefer Einsamkeit, endlich kam Bewegung in das stille Bild. Auf den Balcon des Hauses trat durch die geöffnete Thür eine zierliche Frauengestalt im hellen Sommerkleide mit weiten Spitzenärmeln und einer liebenswürdigen Frisur, wie sie Anton von alten Rococobildern her kannte; er konnte deutlich die feinen Züge ihres Gesichts erkennen und den klaren Blick des Auges, welcher auf dem Rasenplatz unter ihren Füßen ruhte. Die Dame stand auf das Geländer gestützt bewegungslos wie eine Statue und Anton sah ehrerbietig zu ihr hinauf. Endlich flog aus der offenen Thür hinter der Dame ein bunter Papagei, setzte sich auf ihre Hand und ließ sich von ihr liebkosen. Dies glänzende Thier steigerte Antons Bewunderung. Und als dem Papagei ein fast erwachsenes Mädchen folgte, welches schmeichelnd den Hals der schönen Frau umschlang, und als die Dame zärtlich die Wange des Mädchens an die ihre drückte, und als der Papagei auf die Köpfe der beiden Damen flog und laut schreiend von einer Schulter zur andern sprang, da wurde das Gefühl der Verehrung in Anton so lebhaft, daß er vor innerer Aufregung erröthete und sich tiefer in den Schatten des Gebüsches zurückzog.

Er dachte an die beiden schönen Frauengestalten auf dem Balcon und ging mit elastischem Schritt wie Einer, dem etwas Fröhliches begegnet ist, den breiten Weg zurück, um einen Ausgang aus dem Garten zu finden. Da hörte er hinter sich das Schnauben eines Pferdes. Auf einem schwarzen Pony kam die jüngere der beiden Damen in seinem Wege geritten, die schlanke Gestalt saß sicher auf dem Pferde und gebrauchte einen Sonnenschirm als Reitgerte. Die Damenwelt von Ostrau hatte nicht die Gewohnheit, auf kleinen Pferden umherzureiten. Nur einmal hatte Anton eine Kunstreiterin gesehen mit sehr rothen Wangen und einem langen rothen Kleide, welche, begleitet von einem großen schwarzbärtigen Herrn, hinter dem lustigen Bajazzo durch die Straßen ritt und an jeder Straßenecke anhielt, wo ihr Pferd einen Sprung machte, und Bajazzo unerhört lächerliche Worte zu der versammelten Jugend sprach. Schon damals hatte er mit unsäglicher Bewunderung die schöne Reiterin betrachtet, und jetzt war er ganz der Mann, dasselbe Gefühl wo möglich in stärkerem Grade zu empfinden. Er blieb stehen und machte der Reiterin eine ehrfurchtsvolle Verbeugung. Diese erwiederte die Huldigung mit graziösem Kopfnicken, worauf sie plötzlich ihr Pferd anhielt und freundlich frug: »Suchen Sie Jemand hier? Vielleicht wünschen Sie meinen Vater zu sprechen.«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Anton mit tiefster Ehrerbietung. »Wahrscheinlich bin ich auf einem Wege, der Fremden nicht erlaubt ist. Ich kam den Fußsteig über die Wiesen und sah kein Thor und keinen Zaun.«

»Das Thor ist auf der Brücke, es steht am Tage offen,« belehrte das Fräulein gnädig auf Anton sehend; denn da Ehrfurcht nicht gerade das gewöhnliche Gefühl ist, welches vierzehnjährige Fräulein einflößen, so war ihr die massenhafte Anhäufung dieser Empfindung bei Anton außerordentlich wohlthuend.

»Da Sie im Garten sind, wollen Sie sich nicht darin umsehen? Es wird uns freuen, wenn er Ihnen gefällt,« fügte sie mit Würde hinzu.

»Ich habe mir die Freiheit genommen,« erwiederte Anton wieder mit einer Verbeugung, »ich war bis dort oben am Rasenplatz vor dem Schloß. Er ist prächtig!« rief der ehrliche Junge begeistert aus.

»Ja,« sagte die Dame, immer noch den Pony anhaltend, »Mama hat selbst dem Gärtner Alles angegeben.«

»Also die gnädige Frau, welche vorhin auf dem Balcon stand, ist Ihre Frau Mutter?« frug Anton schüchtern.

»Ah! Sie haben uns belauscht,« rief die Kleine und sah ihn vornehm an. »Wissen Sie, daß das nicht hübsch war?«

»Seien Sie mir deßhalb nicht böse,« bat Anton demüthig, »ich trat sogleich zurück, aber es sah wunderschön aus. Die beiden Damen neben einander, die Büschel blühender Rosen und das zackige Weinlaub um Sie herum. Ich werde das nicht vergessen,« fügte er ernsthaft hinzu.

»Er ist allerliebst!« dachte das Fräulein. »Da Sie so viel von unserm Garten gesehen haben,« sagte sie herablassend, »so müssen Sie auch auf die Punkte gehen, wo Aussichten sind. Ich reite dahin – wenn Sie mir folgen wollen.«

Anton folgte in der glücklichsten Stimmung. Das Fräulein redete ihrem Pferde zu, im Schritt zu gehen, und machte den Erklärer. Sie zeigte ihm große Baumgruppen und freundliche Aussichten auf die Landschaft, legte dabei einen Theil ihrer Majestät ab und wurde gesprächig. Bald plauderten Beide so ungezwungen, wie alte Bekannte. Endlich stieg das Fräulein ab, als ihr einige Stufen eine schickliche Veranlassung gaben, und führte das Pferd am Zügel; darauf wagte Anton den Hals des Schwarzen zu streicheln, was der Pony wohlwollend aufnahm und seinerseits dem Fremdling die Rocktaschen beroch.

»Er hat Zutrauen zu Ihnen,« sagte das Fräulein, »er ist ein kluges Thier.« Sie warf ihm die Zügel über den Kopf und gab ihm einen Schlag, worauf der Pony in kurzen Sprüngen davonrannte. »Wir kommen in den Blumengarten, da darf er nicht hinein; er läuft zum Stall zurück, er ist's gewöhnt.«

»Dieser Pony ist ein Wunder von einem Pferde,« rief ihm Anton nach.

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