Sie nahmen den Weg durch eine finstere Seitenallee. Wieder stockte das Gespräch. Endlich begann Heinrich: »Fräulein Else hat mir auf dem Auhof ein paar von Ihren Liedern vorgesungen. Einige hatte ich übrigens schon gehört, von der Bellini, glaub' ich.«
»Ja, die Bellini hat sie vorigen Winter in einem Konzert gesungen.«
»Nun, diese Lieder und einige andre von Ihnen sang Fräulein Else.«
»Wer hat sie denn begleitet?«
»Ich selbst, so gut ich eben konnte. Ich muß Ihnen übrigens sagen, lieber Baron, die Lieder haben eigentlich noch einen stärkern Eindruck auf mich gemacht, als das erstemal im Konzert, trotzdem Fräulein Else ja beträchtlich weniger Stimme und Kunstfertigkeit besitzt, als Fräulein Bellini. Andererseits muß man freilich bedenken, daß es ein prachtvoller Sommernachmittag war, an dem Fräulein Else Ihre Lieder sang. Das Fenster stand offen, man sah drüben die Berge und den tiefblauen Himmel… aber es bleibt noch immer genug für Sie übrig.«
»Sehr schmeichelhaft«, sagte Georg, von Heinrichs spöttelndem Ton peinlich berührt.
»Wissen Sie«, fuhr Heinrich fort und sprach, wie er es manchmal tat, mit zusammengepreßten Zähnen und unnötig heftiger Betonung, »wissen Sie, es ist im allgemeinen nicht meine Gewohnheit, Leute, die ich zufällig auf der Straße sehe, auf den Omnibus heraufzubitten, und ich will es ihnen lieber gleich gestehen, daß ich es… wie sagt man nur… als einen Wink des Schicksals betrachtet habe, wie ich Sie plötzlich auf dem Stephansplatz erblickte.«
Georg hörte ihn verwundert an.
»Sie erinnern sich vielleicht nicht mehr so gut als ich«, fuhr Heinrich fort, »an unser letztes Gespräch auf jener Ringstraßenbank.«
Nun erst fiel es Georg ein, daß Heinrich damals ganz flüchtig von einem Opernstoff gesprochen, der ihn beschäftigte, worauf Georg ebenso beiläufig, und eher scherzhaft, sich als Komponisten angeboten hatte. Und absichtlich kühl entgegnete er: »Ach ja, ich erinnere mich.«
»Nun, das verpflichtet Sie zu nichts«, erwiderte Heinrich noch kühler als der andere, »um so weniger, als ich, die Wahrheit zu sagen, an meinen Opernstoff überhaupt nicht mehr gedacht hatte, bis zu jenem schönen Sommernachmittag, an dem Fräulein Else Ihre Lieder sang. Wie wär's übrigens, wenn wir uns hier niederließen?«
Der Gasthausgarten, in den sie eintraten, war ziemlich leer. Heinrich und Georg nahmen in einer kleinen Laube, nächst dem grünen Staketgitter, Platz und bestellten ihr Nachtmahl.
Heinrich lehnte sich zurück, streckte seine Beine aus, betrachtete Georg, der beharrlich schwieg, mit prüfenden, fast spöttischen Augen und sagte plötzlich: »Ich glaube mich übrigens nicht zu irren, wenn ich annehme, daß Ihnen die Sachen, die ich bisher gemacht habe, nicht gerade ans Herz gewachsen sind.«
»O«, erwiderte Georg und errötete ein wenig, »wie kommen Sie zu dieser Ansicht?«
»Nun ich kenne meine Stücke… und kenne Sie.«
»Mich?« fragte Georg beinahe verletzt.
»Gewiß«, erwiderte Heinrich überlegen. »Übrigens habe ich den meisten Menschen gegenüber diese Empfindung und halte diese Fähigkeit sogar für meine einzige absolute, unzweifelhafte. Alle übrigen sind ziemlich problematisch, find' ich. Insbesondere ist meine sogenannte Künstlerschaft etwas durchaus mäßiges, und auch gegen meine Charaktereigenschaften wäre manches einzuwenden. Das einzige, was mir eine gewisse Sicherheit gibt, ist eigentlich nur das Bewußtsein, in menschliche Seelen hineinschauen zu können… tief hinein, in alle, in die von Schurken und ehrlichen Leuten, in die von Frauen und Männern und Kindern, in die von Heiden, Juden, Protestanten, ja selbst in die von Katholiken, Adeligen und Deutschen, obwohl ich gehört habe, daß gerade das für unsereinen so unendlich schwer, oder sogar unmöglich sein soll.«
Georg zuckte leicht zusammen. Er wußte, daß Heinrich insbesondere bei Gelegenheit seines letzten Stückes von konservativen und klerikalen Blättern persönlich aufs heftigste angegriffen worden war. Aber was geht das mich an, dachte Georg. Schon wieder einer, den man beleidigt hat! Es war wirklich absolut ausgeschlossen, mit diesen Leuten harmlos zu verkehren. Höflich, fremd, in einer ihm selbst kaum bewußten Erinnerung an die Erwiderung des alten Herrn Rosner gegenüber dem jungen Doktor Stauber, äußerte er: »Eigentlich dachte ich mir, daß Menschen wie Sie – über Angriffe von jener Art, auf die Sie offenbar anspielen, erhaben wären.«
»So… dachten Sie das?« fragte Heinrich in dem kalten, beinahe abstoßenden Ton, der ihm manchmal eigen war. »Nun«, fuhr er milder fort, »zuweilen stimmt es ja. Aber leider nicht immer. Es braucht nicht viel dazu, um die Selbstverachtung aufzuwecken, die stets in uns schlummert; und wenn das einmal geschehen ist, gibt es keinen Tropf und keinen Schurken, mit dem wir uns nicht innerlich gegen uns selbst verbünden. Entschuldigen Sie, wenn ich ›wir‹ sage… «
»O, ich habe schon ganz ähnliches empfunden. Freilich hatte ich noch nicht Gelegenheit, der Öffentlichkeit so oft und so exportiert gegenüberzustehen, wie Sie.«
»Nun wenn auch… ganz das Gleiche wie ich werden Sie doch niemals durchzumachen haben.«
»Warum denn?« fragte Georg ein wenig gekränkt.
Heinrich sah ihm scharf ins Auge. »Sie sind der Freiherr von Wergenthin-Recco.«
»O darum! Ich bitte Sie, es gibt heutzutage eine ganze Menge Leute, die gerade deswegen gegen einen voreingenommen sind – und es einem gelegentlich vorzuhalten wissen, daß man Baron ist.«
»Ja, ja, aber es liegt doch ein anderer Ton darin, das werden Sie mir zugeben, und auch ein anderer Sinn, wenn man einem den Freiherrn, als wenn man einem den Juden ins Gesicht schleudert, obzwar das letztere bisweilen… Sie verzeihen schon… der bessere Adel sein mag. Nun, Sie brauchen mich nicht so mitleidig anzuschauen«, setzte er plötzlich grob hinzu. »Ich bin nicht immer so empfindlich. Es gibt auch andre Stimmungen, in denen mir überhaupt nichts und niemand etwas anhaben kann. Da hab ich nur dieses eine Gefühl: was wißt Ihr denn alle, was wißt Ihr denn von mir… «
Er schwieg, stolz, mit einem höhnischen Blick, der sich durch das Blätterwerk der Laube ins Dunkle bohrte. Dann wandte er den Kopf, sah ringsumher und sagte einfach, in einem neuen Ton, zu Georg: »Sehen Sie doch, wir sind bald die einzigen.«
»Es wird auch recht kühl«, sagte Georg.
»Ich denke, wir bummeln noch ein wenig durch den Prater.«
»Gern.«
Sie erhoben sich und gingen. Auf einer Wiese, an der sie vorüberkamen, lag feiner, grauer Nebel.
»Bis in die Nacht hält die Sommerlüge doch nicht mehr an. Nun wird es bald endgültig vorbei sein«, sagte Heinrich mit unverhältnismäßiger Bedrücktheit, und wie zum eigenen Trost fügte er hinzu: »Nun, man wird arbeiten.«
Sie kamen in den Wurstelprater. Aus den Gasthäusern tönte Musik, und Georg teilte sich sofort etwas von der fröhlich-lauten Stimmung mit, in die er nun mit einem Male aus den Traurigkeiten eines herbstlichen Wirtshausgartens und einer etwas gequälten Unterhaltung geraten war.
Vor einem Ringelspiel, aus dem ein riesiger Leierkasten phantastisch-orgelhaft ein Potpourri aus dem »Troubadour« ins Freie sandte und an dessen Eingang ein Ausrufer zur Reise nach London, Atzgersdorf und Australien aufforderte, erinnerte sich Georg wieder der Frühjahrspartie mit der Ehrenbergschen Gesellschaft. Auf dieser schmalen Bank, im Innern des Raumes, war Frau Oberberger gesessen, den Kavalier des Abends, Demeter Stanzides, zur Seite und hatte ihm wahrscheinlich eine ihrer unglaublichen Geschichten erzählt: daß ihre Mutter die Geliebte eines russischen Großfürsten gewesen; daß sie selbst mit einem Anbeter eine Nacht auf dem Hallstädter Friedhof verbracht, natürlich ohne daß etwas geschehen war; oder daß ihr Gatte, der berühmte Reisende, in einem Harem zu Smyrna in einer Woche siebzehn Frauen erobert hatte. In diesem rotsamtgepolsterten Wägelchen, mit Hofrat Wilt als Gegenüber, hatte Else gelehnt, damenhaft anmutig, ungefähr wie in einem Fiaker am Derbytag und hatte doch verstanden, durch Haltung und Miene zum Ausdruck zu bringen, daß sie, wenn es darauf ankäme, gerade so kindlich sein konnte wie andre einfältige, glücklichere Menschen. Anna Rosner, lässig die Zügel in der Hand, würdig, aber mit einem etwas verschmitzten Gesicht, ritt einen weißen Araber; Sissy wiegte sich auf einem Rappen, der sich nicht nur im Kreise mit den andern Tieren und Wagen drehte, sondern außerdem hin und herschaukelte. Unter der kühnen Frisur mit dem riesigen, schwarzen Federhut blitzten und lachten die frechsten Augen, über den ausgeschnittenen Lackschuhen und durchbrochenen Strümpfen flatterte und flog der weiße Rock. Auf zwei fremde Herren hatte Sissys Erscheinung so seltsam gewirkt, daß sie ihr eine unzweideutige Einladung zuriefen, worauf eine kurze, geheimnisvolle Unterhaltung zwischen Willy, der sofort zur Stelle war, und den zwei ziemlich betretenen Herren erfolgte, die anfangs durch das nonchalante Anzünden neuer Zigaretten ihre Position zu retten versuchten, aber dann plötzlich in der Menge verschwunden waren.
Auch die Bude mit den »Illusionen« und Lichtbildern hatte für Georg ihre besondere Erinnerung. Hier, während Daphne sich in einen Baum verwandelte, hatte ihm Sissy ein leises »remember« ins Ohr geflüstert und ihm damit den Maskenball bei Ehrenbergs ins Gedächtnis gerufen, an dem sie, wohl nicht für ihn allein, den Spitzenschleier zu einem flüchtigen Kuß gelüftet hatte. Dann kam die Hütte, wo die ganze Gesellschaft sich hatte photographieren lassen: die drei jungen Mädchen, Anna, Else und Sissy in genienhafter Pose, die Herren mit himmelnden Augen ihnen zu Füßen, so daß das Ganze etwa ausgesehen hatte, wie die Apotheose aus einer Zauberposse. Und während Georg sich jener kleinen Erlebnisse entsann, schwebte ihm immer der heutige Abschied von Anna durch die Erinnerung und schien ihm von den angenehmsten Verheißungen erfüllt.
Vor einer offenen Schießbude standen auffallend viel Leute. Bald war der Trommler ins Herz getroffen und wirbelte mit flinken Schlägen auf dem Fell, bald zersprang leise klirrend eine Glaskugel, die auf einem Wasserstrahl hin und her getanzt war, bald führte eine Marketenderin eiligst die Trompete zum Mund und blies drohend Appell, bald donnerte aus aufgesprungenem Tor eine kleine Eisenbahn, sauste über eine fliegende Brücke und wurde von einem andern Tor verschlungen. Da einige Zuschauer sich allmählich entfernten, rückten Georg und Heinrich vor und erkannten in den sichern Schützen Oskar Ehrenberg und seine Dame. Eben richtete Oskar das Gewehr auf einen Adler, der sich nahe der Decke mit ausgebreiteten Flügeln auf und ab bewegte, und fehlte zum erstenmal. Indigniert legte er die Waffe nieder, sah sich um, erblickte die beiden Herren hinter sich und begrüßte sie.
Die junge Dame, das Gewehr an der Wange, warf einen flüchtigen Blick auf die Neuangekommenen, visierte gleich wieder angelegentlich und drückte ab. Der Adler ließ den getroffenen Flügel sinken und bewegte sich nicht mehr.
»Bravo«, rief Oskar.
Die Dame legte das Gewehr vor sich auf den Tisch hin.
»Is genug«, sagte sie zu dem Jungen, der von neuem laden wollte, »g'wonnen hab ich eh.«
»Wie viel Schuß warens?« fragte Oskar.
»Vierzig«, antwortete der Junge, »macht achtzig Kreuzer. Oskar griff in die Westentasche, warf einen Silbergulden hin und nahm den Dank des Ladenjungen mit Herablassung entgegen. »Erlaube«, sagte er dann, indem er beide Hände in die Seiten stützte, den Oberkörper leicht nach vorn bewegte und den linken Fuß vorwärts setzte, »erlaube Amy, daß ich dir die Herren vorstelle, welche Zeugen deiner Triumphe waren. Baron Wergenthin, Herr von Bermann… Fräulein Amelie Reiter.«
Die Herren lüfteten ihre Hüte, Amelie nickte zum Gegengruß ein paarmal hintereinander mit dem Kopf. Sie trug ein einfaches, weiß gemustertes Foulardkleid, darüber eine leichte Mantille von hellem Gelb mit Spitzen umsäumt und einen schwarzen, aber sehr vergnügten Hut. »Den Herrn von Bermann kenn ich ja«, sagte sie. Sie wandte sich an ihn: »Bei der Premiere von Ihrem Stück im vorigen Winter hab ich Sie gesehen, wie Sie herausgekommen sind sich verbeugen. Ich habe mich sehr gut unterhalten. Nicht, daß ich Ihnen das vielleicht aus Höflichkeit sag.«
Heinrich dankte ernst.
Sie spazierten weiter zwischen Buden, vor denen es stiller wurde, an Wirtshausgärten vorbei, die sich allmählich leerten.
Oskar schob seinen rechten Arm in den linken seiner Begleiterin, dann wandte er sich an Georg: »Warum sind Sie denn heuer nicht auf dem Auhof gewesen? Wir haben alle sehr bedauert.«
»Ich war leider in wenig geselliger Stimmung.«
»Natürlich, kann ich mir denken«, sagte Oskar mit dem gebotenen Ernst. »Ich war übrigens auch nur ein paar Wochen dort. Im August hab ich meine müden Glieder in den Wogen der Nordsee gestärkt, ich war nämlich auf der Isle of Wight.«
»Dort soll es ja sehr schön sein«, sagte Georg, »wer geht denn nur immer hin?«
»Die Wyners, meinen Sie«, erwiderte Oskar. »Wenigstens wie sie noch in London gelebt haben, sind sie regelmäßig dort gewesen. Jetzt nur mehr alle zwei, drei Jahre.«
»Aber das Ypsilon haben sie auch für Österreich beibehalten«, sagte Georg lächelnd.
Oskar blieb ernst. »Der alte Herr Wyner«, erwiderte er »hat sich sein Recht auf das Ypsilon ehrlich erworben. Er ist schon in seinem dreizehnten Jahr nach England gekommen, hat sich dort naturalisieren lassen und als ganz junger Mensch ist er Kompagnon der großen Stahlfabrik geworden, die jetzt noch immer Black und Wyner heißt.«
»Aber seine Frau hat er sich doch aus Wien geholt?«
»Ja. Und wie er vor sieben oder acht Jahren gestorben ist, ist sie mit den zwei Kindern hierher übersiedelt. Aber James wird sich hier nie eingewöhnen… der Lord Antinous, Sie wissen ja, daß Frau Oberberger ihn so nennt. Jetzt ist er wieder in Cambridge, wo er seltsamerweise griechische Philologie studiert. Im übrigen ist auch Demeter ein paar Tage in Ventnor gewesen.«
»Stanzides?« ergänzte Georg.
»Kennen Sie den Herrn von Stanzides, Herr Baron?« fragte Amy.
»Jawohl.«
»Also existiert er richtig«, rief sie aus.
»Ja aber hörst du«, sagte Oskar. »Heuer im Frühjahr hat sie in der Freudenau auf ihn gesetzt und hat eine Masse Geld gewonnen, und jetzt fragt sie, ob er existiert.«
»Warum zweifeln Sie denn an der Existenz von Stanzides, Fräulein?« fragte Georg.
»Ja wissen Sie, alleweil, wenn ich nicht weiß, wo er is, der Oskar, heißts: ich hab ein Rendezvous mit'n Stanzides, oder: ich reit mit'n Stanzides in' Prater. Stanzides hin, Stanzides her, es klingt mehr wie eine Ausred, als wie ein Nam.«
»Jetzt schweig aber endlich einmal still«, sagte Oskar mild.
»Stanzides existiert nicht nur«, erklärte Georg, »sondern er hat den schönsten, schwarzen Schnurrbart und die glühendsten schwarzen Augen, die es überhaupt gibt.«
»Das is schon möglich, aber wie ich ihn g'sehn hab, hat er ausg'schaut wie ein Wurstel. Gelber Janker, grünes Kappel, violette Schleifen.«
»Und sie hat vierzig Gulden auf ihn gewonnen«, ergänzte Oskar humoristisch.
»Wo sind die vierzig Gulden«, seufzte Fräulein Amelie… Plötzlich blieb sie stehen und rief: »Da bin ich aber noch nie mitgefahren.«
»Das kann ja nachgeholt werden«, sagte Oskar einfach.
Es war das Riesenrad, das sich vor ihnen mit seinen beleuchteten Wagen langsam, majestätisch drehte. Die jungen Leute passierten das Tourniquet, stiegen in ein leeres Kupee und schwebten empor.
»Wissen Sie, Georg, wen ich heuer im Sommer kennen gelernt habe?« sagte Oskar, »den Prinzen von Guastalla.
»Welchen?« fragte Georg.
»Den jüngsten natürlich, Karl Friedrich. Er ist inkognito dort gewesen. Er ist sehr gut mit dem Stanzides, ein merkwürdiger Mensch. Ich kann Sie versichern«, setzte er leise hinzu, »wenn unsereins den hundertsten Teil von den Sachen reden möcht wie der Prinz, wir kämen unser Lebtag aus dem schweren Kerker nicht heraus.«
»Schau Oskar«, rief Amy, »die Tische und die Leut da unten! Wie aus einem Schachterl, nicht wahr? Und die Masse Lichter dort, ganz weit, da gehts sicher nach Prag. Glauben S' nicht, Herr Bermann?«
»Möglich«, erwiderte Heinrich und starrte mit gefalteter Stirn durch die gläserne Wand in die Nacht hinaus.
Als sie das Kupee verließen und ins Freie traten, war der Sonntagslärm im Verrauschen.
»Die Kleine«, sagte Oskar Ehrenberg zu Georg, während Amy mit Heinrich vorausging, »die ahnt auch nicht, daß wir heute das letztemal zusammen im Prater spazieren gehen.«
»Warum denn das letztemal?« fragte Georg ohne tieferes Interesse.
»Es muß sein«, erwiderte Oskar. »Solche Sachen dürfen nicht länger dauern als höchstens ein Jahr. Sie können sich übrigens vom Dezember an bei ihr Ihre Handschuhe kaufen«, fügte er heiter, aber nicht ohne Wehmut hinzu. »Ich richte ihr nämlich ein kleines Geschäft ein. Das bin ich ihr gewissermaßen schuldig, denn ich hab sie aus einer ziemlich sichern Situation herausgerissen.«
»Aus einer sichern?«
»Ja, sie war verlobt. Mit einem Etuimacher. Haben Sie gewußt, daß es das gibt?«
Indessen war Amy und Heinrich vor einer Wendeltreppe stehen geblieben, die eng und kühn zu einem Plateau hinaufführte, und erwarteten die andern. Alle waren darüber einig, daß man den Prater nicht verlassen durfte, ohne auf der Rutschbahn gefahren zu sein.
Sie sausten durchs Dunkel, hinab und wieder hinauf, im dröhnenden Wagen, unter schwarzen Wipfeln; und dem dumpf rhythmischen Lärm entklang für Georg allmählich ein groteskes Motiv im Dreivierteltakt. Während er mit den andern die Wendeltreppe hinabstieg, wußte er auch schon, daß die Melodie von Oboe und Klarinette gebracht und von Cello und Kontrabaß begleitet werden müsse. Offenbar war es ein Scherzo, vielleicht für eine Symphonie.
»Wenn ich ein Unternehmer wäre«, erklärte Heinrich mit Entschiedenheit, »so ließ ich eine Rutschbahn bauen, viele Meilen lang, die ginge über Wiesen, Abhänge, durch Wälder, Tanzsäle; auch für Überraschungen auf dem Weg wäre gesorgt.« Jedenfalls, so fand er weiter, wäre nun die Zeit gekommen, das phantastische Element im Wurstelprater zu höherer Entfaltung zu bringen. Er selbst hätte vorläufig die Idee für ein Ringelspiel, das sich hoch und durch einen merkwürdigen Mechanismus, spiralig immer höher über den Erdboden drehen müsse, um endlich in einer Art von Turmspitze anzulangen. Leider mangelten ihm die notwendigen technischen Vorkenntnisse zur näheren Erklärung. Im Weitergehen erfand er burleske Figuren und Gruppen für die Schießbuden und sprach endlich die dringende Forderung nach einem großartigen Kasperltheater aus, für das originelle Dichter tiefsinnig-heitere Stücke entwerfen müßten.
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