»Wohl! ich hoffte es und vermuthete es beinahe; höre, Aloyse, in meinen kindischen Träumen sagte ich es einmal zu meiner kleinen Diana. Aber was machst Du denn da zu meinen Füßen, gute Aloyse? Stehe auf und komm in meine Arme, fromme Frau. Willst Du mich nicht mehr als Dein Kind anerkennen, weil ich der Erbe der Montgommery bin? Der Erbe der Montgommery!« wiederholte er unwillkührlich zitternd vor Stolz, während er seine gute Amme umarmte. »Der Erbe der Montgommery! ich führe nun einen der ältesten und glorreichsten Namen von Frankreich. Ja, Dom Jamet hat mich, Reich für Reich, Geschlecht für Geschlecht, die Geschichte meiner edlen Ahnen, – meiner Ahnen gelehrt. Umarme mich noch einmal, Aloyse! Was wird denn Diana zu Allem dem sagen? Der heilige Godegrand, Bischof von Suez, und die heilige Opportuna, seine Schwester, welche unter Karl dem Großen lebten, gehörten zu unserem Haus. Roger von Montgommery befehligte eines der Heere von Wilhelm dem Eroberer. Wilhelm von Montgommery machte einen Kreuzzug auf seine Kosten. Wir waren mehr als einmal verwandt mit den königlichen Häusern von Schottland und Frankreich, und die ersten Lords von London, die vornehmsten Edelleute von Paris werden mich: Mein Vetter, nennen; mein Vater endlich . . .«
Der junge Mann hielt inne, als ob er plötzlich traurig würde. Doch bald fuhr er fort:
»Ach! bei Allem dem bin ich allein in der Welt, Aloyse. Dieser hohe Herr ist eine arme Waise, dieser Abkömmling von so vielen königlichen Ahnen hat keinen Vater! Mein armer Vater! ich muß weinen, Aloyse. Und meine Mutter! Beide todt. O sprich mir von ihnen, damit ich erfahre, wie sie waren, nun, da ich weiß, daß ich ihr Sohn bin. Laß hören, fangen wir bei meinem Vater an: Wie ist er gestorben? Erzähle mir das.«
Aloyse schwieg. Gabriel schaute sie erstaunt an.
»Ich frage Dich, wie mein Vater gestorben sei,« wiederholte er.
»Gnädigster Herr, nur Gott allein weiß es,« antwortete sie. »Eines Tags verließ der Graf Jacques von Montgommery das Hotel, das er in der Rue des Jardins-Saint-Paul in Paris bewohnte . . . er ist nicht mehr dahin zurückgekehrt. Seine Freunde seine Vettern haben ihn seitdem vergebens gesucht. Verschwunden, gnädigster Herr! Der König Franz I. gab Befehl zu einer Nachforschung, welche ohne Erfolg blieb. Seine Feinde, wenn er als Opfer eines Verraths umgekommen ist, waren sehr geschickt oder sehr mächtig. Ihr habt keinen Vater mehr, gnädigster Herr, und dennoch fehlt das Grab von Jacques von Montgommery in der Kapelle Eures Schlosses; denn man hat ihn weder lebendig noch todt wiedergefunden.«
»Weil es nicht sein Sohn war, der ihn suchte!« rief Gabriel. »Ach, Amme! warum hast Du so lange stille geschwiegen? Verbargst Du mir meine Geburt, weil ich meinen Vater zu rächen oder zu retten hatte?«
»Nein, sondern weil ich Euch selbst retten mußte, gnädigster Herr. Wißt Ihr, was die letzten Worte meines Mannes, des braven Perrot Travigny, waren, der eine wahrhaft religiöse Verehrung für Euer Haus im Herzen trug? »Frau,« sagte er zu mir einige Minuten, ehe er den letzten Seufzer von sich gab, »Du wirst nicht warten, bis ich beerdigt bin, Du schließest mir nur die Augen und verlässest auf der Stelle Paris mit dem Kinde. Du gehst nach Montgommery, nicht in das Schloß, sondern in das Haus, das wir durch die Güte des gnädigen Herrn erhalten haben. Dort erziehst Du den Erben unserer Gebieter ohne Geheimniß, aber auch ohne Geräusch. Die guten Leute in unserem Lande werden ihn ehren und nicht verraten. Verbirg besonders ihm selbst seinen Ursprung; er würde sich zeigen und ins Verderben stürzen. Er soll nur erfahren, daß er Edelmann ist, das genügt für seine Würde und für das Gewissen. Hat ihn das Alter klug und ernst gemacht, wie ihn das Blut brav und rechtschaffen machen wird, hat er zum Beispiel achtzehn Jahre erreicht, so nenne ihm seinen Namen und seine Abstammung, Aloyse. Er wird dann selbst beurtheilen, was er thun soll und was er thun kann. Doch nimm Dich bis dahin in Acht, furchtbare Feindschaft, unüberwindlicher Haß würden ihn verfolgen, wenn er entdeckt wäre, und diejenigen, welche den Adler erreicht und berührt haben, würden seine Brut nicht verschonen.«
Er sagte mir das und starb, gnädigster Herr, und ich nahm, gehorsam seinen Befehlen, Euch, meine arme Waise, Euch, der Ihr kaum Euren Vater gesehen, und brachte Euch hierher. Man wußte bereits das Verschwinden des Grafen, und man vermuthete, daß furchtbare, unversöhnliche Feinde Jeden bedrohten, der seinen Namen führte. Man sah Euch, man erkannte Euch ohne Zweifel im Dorfe, doch in Folge eines stillschweigenden Vertrags befragte mich Niemand, erstaunte Niemand über mein Geheimhalten. Kurze Zeit nachher wurde mir mein einziger Sohn, Euer Milchbruder, mein armer Robert durch das Fieber entrissen. Gott wollte offenbar, daß ich ganz Euch gehöre. Der Wille Gottes sei gesegnet! Alle gaben sich den Anschein, als glaubten sie, mein Sohn wäre der Ueberlebende, und dennoch behandelten Euch Alle mit frommer Ehrfurcht, mit rührendem Gehorsam. Dies geschah, weil Ihr schon dem Gesichte und dem Herzen nach Eurem Vater glichet. Der Instinkt des Löwen enthüllte sich in Euch, und man sah wohl, daß Ihr als Herr und Meister geboren waret. Die Kinder der Umgegend nahmen schon die Gewohnheit an, sich unter Eurem Befehl in Truppen zu bilden. Bei allen ihren Spielen marschiertet Ihr an ihrer Spitze, und keiner hätte es gewagt, Euch seine Huldigung zu verweigern. Als den jungen König des Landes hat Euch das Land aufgezogen, und es bewunderte Euch, als es sah, wie Ihr stolz und schön heranwuchset. Die Güte der schönsten Früchte, der Zehnten der Ernte kamen in das Haus, ohne daß ich etwas verlangte. Das schönste Pferd der Weide ward immer Euch vorbehalten. Dom Jamet, Enguerrand und alle Knappen und Knechte des Schlosses leisteten Euch ihre Dienste als eine natürliche Schuld, und Ihr nahmt sie an als Euer Recht. Nichts an Euch, als Kühnes, Muthiges, Hochherziges. In den geringsten Dingen ließet Ihr sehen, von welchem Geschlecht Ihr abstammtet. Man erzählt sich noch in den Abendstunden, wie Ihr eines Tags an einen Edelknaben meine zwei Kühe gegen einen Falken vertauschtet. Doch diese Instinkte, diese Aufschwingungen verriethen Euch nur für die Getreuen, und Ihr bliebet verborgen und unbekannt für die Böswilligen. Der gewaltige Lärm der Kriege in Italien, Spanien und Flandern gegen Kaiser Karl V. trug, Gott sei Dank! nicht wenig zu Eurer Beschützung bei, und Ihr habt endlich gesund und wohlbehalten das Alter erlangt, wo mir Perrot mich Eurer Vernunft und Eurer Weisheit anzuvertrauen gestattete. Doch Ihr, der Ihr gewöhnlich so ernst und so klug, Ihr sprecht nun mit dem ersten Worte für die Verwegenheit und das Geräusch, für die Rache und den Lärmen.«
»Für die Rache, ja; für den Lärmen, nein, Aloyse! Du glaubst also, daß die Feinde meines armen Vaters noch leben?«
»Ich weiß es nicht, gnädigster Herr; nur wäre es sicherer, dies anzunehmen, und gesetzt, Ihr kämet an den Hof, noch unbekannt, doch mit Eurem glänzenden Namen, der die Blicke auf Euch ziehen wird, brav, aber unerfahren, stark durch Euer gutes Verlangen und die Gerechtigkeit Eurer Sache, doch ohne Freunde, ohne Verbündete, sogar ohne persönlichen Ruf, was wird dann geschehen? Diejenigen, welche Euch hassen, werden Euch kommen sehen und Ihr werdet sie nicht sehen; sie werden Euch schlagen und Ihr werdet nicht wissen, von wo der Schlag ausgeht; und Euer Vater wird nicht nur nicht gerächt sein, sondern Ihr habt Euch ins Verderben gestürzt.«
»Gerade deshalb, Aloyse, bedaure ich es, daß ich nicht Zeit hatte, mir Freunde und ein wenig Ruhm zu verschaffen. Ah! wenn ich zum Beispiel vor zwei Jahren Mittheilung erhalten hätte! . . . Gleichviel! das ist nur eine Verzögerung und ich werde die verlorenen Tage wieder einbringen. Auch aus anderen Gründen wünsche ich mir Glück, daß ich die letzten zwei Jahre in Montgommery geblieben bin. Ich gleiche es dadurch aus, daß ich nun den Schritt verdopple. Ich gehe nach Paris, Aloyse, und zwar ohne zu verbergen, daß ich ein Montgommery bin. Ich kann wohl nicht sagen, daß ich der Sohn des Grafen Jacques bin; die Lehen und Titel fehlen eben so wenig in unserem Hause, als im Hause Frankreich, und unsere Verwandtschaft in Frankreich und England ist zahlreich genug, daß ein Gleichgültiger sich nicht auszukennen vermag. Ich kann den Namen eines Vicomte d’Ermès annehmen, Aloyse, und dadurch verberge ich mich weder, noch zeige ich mich. Dann suche ich . . . wen suche ich am Hofe auf? Wende ich mich an den Connetable von Montmorency, an diesen grausamen Paternostersprecher? nein, ich, bin derselben Meinung wie Deine Grimasse, Aloyse . . . An den Marschall von Saint-André? er ist nicht jung und unternehmend genug . . . Eher an Franz von Guise? Ja, das ist es. Montmorency, Saint-Dizir, Bologna haben schon bewiesen, daß er etwas zu thun vermag. Zu ihm werde ich gehen, unter seinen Befehlen werde ich meine Sporen verdienen. Im Schatten seines Namens werde ich den meinigen erobern.«
»Der gnädige Herr wird mir die Bemerkung erlauben, daß der ehrliche und rechtschaffene Elyot Zeit gehabt hat, beträchtliche Summen für den Erben seiner Gebieter zurückzulegen. Ihr könnt ein königliches Feldgeräth führen, und die jungen Männer, Eure Grundholden, sind verpflichtet und werden sich eine Freude daraus machen, Euch in den Krieg zu folgen. Es ist Euer Recht, sie in Eure Nähe zu berufen, wie Ihr wißt, gnädigster Herr.«
»Und wir werden von diesem Rechte Gebrauch machen, Aloyse.«
»Will der gnädigste Herr alle Diener, Knechte und Leute seiner Lehen und Baronien, welche vor Verlangen, ihn zu begrüßen, glühen, nunmehr empfangen?«
»Noch nicht, meine gute Aloyse; doch sage Martin-Guerre, er möge ein Pferd satteln, um mich zu begleiten, habe vor Allem einen Ritt in der Gegend zu machen.«
»Vielleicht gegen Vimoutiers,« sagte die gute Aloyse, mit einer gewissen Bosheit lächelnd.
»Ja vielleicht. Bin ich nicht meinem alten Enguerrand einen Besuch und meinen Dank schuldig?«
»Und der gnädigste Herr wird sehr erfreut sein, mit den Glückwünschen von Enguerrand die eines hübschen kleinen Mädchens Namens Diana zu empfangen; nicht wahr?«
»Dieses hübsche kleine Mädchens« erwiderte Gabriel lachend, »ist meine Frau, und ich bin ihr Mann seit drei Jahren, das heißt seit meinem fünfzehnten und ihrem neunten Jahr.«
Aloyse wurde träumerisch.
»Gnädiger Herr,« sprach sie, »wenn ich nicht wüßte, wie gesetzt und aufrichtig Ihr trotz Eurer Jugend seid, wie ernst und tief jedes Gefühl bei Euch ist, so würde ich mich wohl vor den Worten hüten, die ich Euch zu sagen habe. Doch was für Andere ein Spiel ist, wird für Euch oft eine ernste Sache. Bedenkt wohl, gnädigster Herr, daß man nicht weiß, wessen Tochter Diana ist. Die Frau von Enguerrand, welcher damals seinem Herrn, dem Grafen von Vimoutiers, nach Fontainebleau gefolgt war, fand, nach Hause zurückkehrend, ein Kind in einer Wiege und eine schwere Goldbörse auf einem Tische; in der Börse war nebst einer sehr beträchtlichen Summe die Hälfte eines gravierten Ringes und ein Papier mit dem einzigen Worte: Diana. Bertha, die Frau von Enguerrand hatte kein Kind aus ihrer Ehe und nahm mit Freuden diese andere Mutterschaft an, welche man von ihr verlangte. Als sie jedoch wieder nach Vimoutiers kam, starb sie, wie mein Mann gestorben ist, dem sein Gebieter Euch anvertraut hatte, gnädigster Herr, und eine Frau erzog den verwaisten Knaben, während ein Mann das verwaiste Mädchen aufzog. Doch Beide mit einer ähnlichen Aufgabe betraut, tauschten wir unsere Fürsorge aus, und ich suchte Diana gut und fromm zu machen, wie Enguerrand Euch geschickt und gelehrt gemacht hat. Ihr habt natürlich Diana kennen lernen und seid natürlich an sie anhänglich geworden. Doch Ihr seid der Graf von Montgommery, durch authentische Papiere und öffentliche, unumstößliche Zeugschaft anerkannt, während man Diana noch nicht mit der andern Hälfte des goldenen Ringes zurückgefordert hat. Nehmt Euch in Acht, gnädigster Herr, ich weiß wohl, daß Diana ein Kind von kaum zwölf Jahren ist; doch sie wird größer werden, sie wird von einer reizenden Schönheit sein, und ich wiederhole, bei einer Natur, wie die Eurige ist, wird Alles ernst. Nehmt Euch in Acht; es ist möglich, daß sie stets bleibt, was sie noch ist, ein Findelkind, und Ihr seid ein zu vornehmer Herr, um sie zu heirathen, und zu sehr Edelmann, um sie zu verführen.«
»Aber meine liebe Amme, da ich abreisen, Dich verlassen und Diana verlassen werde . . .« sagte Gabriel nachdenkend.
»Gerade das ist es; verzeiht Eurer alten Aloyse ihre zu ängstliche Vorsicht und besucht, wenn es Euch beliebt, das sanfte, niedliche Kind, das Ihr Eure kleine Frau nennt. Doch bedenkt, daß man Euch ungeduldig hier erwartet. Auf baldiges Wiedersehen, nicht wahr, gnädiger Herr Graf.«
»Auf baldiges Wiedersehen und umarme mich noch einmal, Aloyse; nenne mich immerhin Dein Kind, und sei tausendmal bedankt, meine gute Amme.«
»Seid tausendmal gesegnet, mein Kind und mein Herr.«
Meister Martin-Guerre erwartete Gabriel vor der Thüre und Beide stiegen zu Pferde.
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