»Und wer verlangt, daß er mir den ersten Schritt entgegen thun soll? Ich habe fünfzig ihm entgegen gethan. Er hat mir nie geantwortet. Nein,« fuhr Maurice den Kopf schüttelnd fort, »nein, es ist sicherlich nicht dieses.«
»N»n, was ist es denn?«
Maurice zog es vor, zu schweigen.
Am andern Tage, nachdem er diese Erklärung mit Geneviève gehabt hatte, kam er Nachmittags um zwei Uhr zu ihr; er fand sie in einer Ausgangstoilette.
»Ah! seien Sie willkommen,« sagte Geneviève, »Sie werden mir als Ritter dienen.«
»Und wohin gehen Sie?« fragte Maurice.
»Ich muß nach Auteuil. Das Wetter ist köstlich und ich wünschte ein wenig zu Fuß zu gehen; unser Wagen wird uns bis jenseits der Barrière führen, dann gehen wir zu Fuße nach Auteuil, und wenn ich beendigt habe, was mir in Auteuil zu besorgen obliegt, kehren wir zurück und nehmen wieder unsern Wagen, der bei der Barrière auf uns wartet.«
»Oh!« rief Maurice entzückt, »welch einen herrlichen Tag bieten Sie mir!«
Die zwei jungen Leute entfernten sich. Jenseits der Barrière stiegen sie aus, sprangen leicht auf den Rand des Weges und setzten ihre Promenade zu Fuß fort.
Als sie nach Auteuil kamen, blieb Geneviève stehen.
»Erwarten Sie mich am Saume des Parkes,« sagt sie, »wenn ich meine Angelegenheiten beendigt habe, hole ich Sie wieder ab.«
»Zu wem gehen Sie?«
»Zu einer Freundin.«
»Zu der ich Sie nicht begleiten kann?«
Geneviève schüttelte lächelnd den Kopf und erwiderte:
»Unmöglich,«
Maurice biß sich aus die Lippen.
»Es ist gut,« sagte er, »ich werde warten.«
»Was denn?« fragte Geneviève.
»Nichts,« antwortete Maurice. »Werden Sie lange ausbleiben?«
»Wenn ich Sie zu belästigen geglaubt hätte, wenn ich gewußt hätte, daß Ihr Tag in Anspruch genommen ist,« versetzte Geneviève, »so hätte ich Sie nicht um den kleinen Dienst, mit mir zu kommen, gebeten; ich hätte mich von . . . .«
»Von Herrn Morand begleiten lassen,« unterbrach sie Maurice lebhaft.
»Nein, Sie wissen, daß Herr Morand in der Fabrik von Rambouillet ist und erst diesen Abend zurückkommen soll.«
»Ah! diesem Umstande habe ich den Vorzug zu verdanken?«
»Maurice,« sprach Geneviève mit sanftem Tone, ich kann die Person, mit der ich mich zusammen beschieden, nicht warten lassen: wenn es Ihnen lästig wird, mich zu führen, so kehren Sie nach Paris zurück, nur schicken Sie mir meinen Wagen.«
»Nein, nein, Madame,« versetzte Maurice lebhaft.
Und er grüßte Geneviève; diese stieß einen schwachen Seufzer aus und ging nach Auteuil hinein,
Maurice begab sich zu der verabredeten Stelle, spazierte auf und ab und schlug mit seinem Stocke, wie Tarquinius, alle Köpfe von Gräsern, Blumen oder Disteln ab, die er auf seinem Wege fand. Dieser Weg war indessen auf einen kleinen Raum beschränkt; wie alle sehr unruhige Menschen, drehte sich Maurice immer nach wenigen Schritten wieder um.
Was Maurice so sehr beunruhigte war, daß er durchaus hätte wissen mögen, ob ihn Geneviève liebte oder nicht liebte: ihr ganzes Benehmen gegen den jungen war das einer Schwester und einer Freundin; doch er fühlte, daß dies nicht mehr genügte. Er liebte mit seiner vollen Liebe. Sie war der einzige Gedanke seiner Tage, der unablässig erneuerte Traum seiner Nächte geworden. Früher verlangte er nichts Anderes, als Geneviève wiederzusehen, jetzt war dies nicht mehr genug: Geneviève mußte ihn lieben.
Geneviève blieb eine Stunde abwesend, die ihm ein Jahrhundert dünkte; dann sah er sie mit einem Lächeln auf den, Lippen erscheinen. Maurice trat im Gegentheil mit gefalteter Stirne auf sie zu. Unser armes Herz ist so beschaffen, daß es den Schmerz gerade aus dem Schoß des Glückes zu schöpfen trachtet.
Geneviève nahm lächelnd den Arm von Maurice.
»Hier bin ich,« sagte sie; »verzeihen Sie, mein Freund daß ich Sie habe warten lassen.«
Maurice antwortete durch eine Bewegung des Kopfes und Beide wählten den Weg durch eine weiche, reizende schattige, buschige Allee, welche sie auf einem Umweg nach der Landstraße zurückführen sollte.
Es war einer von den köstlichen Frühlingsabende wo jede Pflanze dem Himmel ihre Ausströmung zusendet, wo jeder Vogel, unbeweglich auf dem Zweige oder durch das Gesträuch hüpfend, Gott seine Liebeshymne zuwirft, einer von jenen Abenden endlich, welche in der Erinnerung zu leben bestimmt scheinen.
Maurice war stumm; Geneviève war nachdenkend, sie entblätterte mit einer Hand die Blumen eines Straußes, den sie mit ihrer andern Hand hielt, welche aus den Arm von Maurice gestützt war.
»Was haben Sie?« fragte plötzlich Maurice, »und was macht Sie heute so traurig?«
Geneviève hatte ihm antworten können: Mein Glück!
Sie schaute ihn mit ihrem sanften, poetischen Blick an und, sprach:
»Aber Sie selbst, sind Sie nicht trauriger als gewöhnlich?«
»Ich,« versetzte Maurice, »ich habe ein Recht, traurig zu sein, ich bin unglücklich; doch Sie . . .«
»Sie, unglücklich?«
»Allerdings; bemerken Sie nicht zuweilen am Zittern, meiner Stimme, daß ich leide? Begegnet es mir nicht, wenn ich mit Ihnen oder Ihrem Gatten spreche, daß ich plötzlich aufstehe und genöthigt bin, vom Himmel Luft zu verlangen, weil es mir vorkommt, als zerspränge mein Brust?«
»Welchem Umstande schreiben Sie dieses Leiden zu? fragte Geneviève verlegen
»Wenn ich ein geziertes Mädchen wäre,« sagte Maurice mit einem schmerzlichen Gelächter, »so würde ich Ihnen antworten, ich leide an den Nerven.«
»Und in diesem Augenblick leiden Sie?«
»Sehr.«
»Dann lassen Sie uns nach Hause zurückkehren.«
»Schon, Madame?«
.Allerdings.«
»Ah! es ist wahr,« murmelte der junge Mann, »ich vergaß, daß Herr Morand mit Einbruch der Nacht von Rambouillet zurückkommen soll, und daß die Nacht eben anbricht.«
Geneviève schaute ihn mit einem Ausdruck des Vorwurfes an.
»Ei! abermals,« sagte sie.
»Warum haben Sie neulich Herrn Morand ein so pomphaftes Lob gespendet?« versetzte Maurice. »Es ist Ihr Fehler.«
»Seit wann darf man in Gegenwart von Leuten, die man achtet, nicht sagen, was man von einem achtbaren Manne denkt?«
»Es ist eine sehr lebhafte Achtung, welche die Schritte so sehr beschleunigen macht, wie Sie es in diesem Augenblicke thun, aus Furcht, einige Minuten zu spät zu kommen.«
»Sie sind heute unendlich ungerecht, Maurice; habe ich nicht einen Theil des Tages mit Ihnen zugebracht?«
»Sie haben Recht, und ich bin in der That zu anspruchsvoll,« versetzte Maurice, der sich dem Ungestüm seines Charakters hingab. »Wir wollen Herrn Morand wiedersehen, vorwärts.«
Geneviève fühlte den Aerger von ihrem Geiste in ihr Herz übergehen.
»Ja,« sagte sie, »wir wollen Herrn Morand wiedersehen. Dieser ist wenigstens ein Freund, der mir nie eine
Pein bereitet.
»Solche Leute sind kostbare Freunde,« sagte Maurice, vor Eifersucht erstickend, »und ich weiß, daß ich meines Theils ähnliche kennen zu lernen wünschte«
Sie waren in diesem Augenblick aus der Landstraße. Der Horizont röthete sich; die Sonne fing an zu verschwinden und ließ ihre letzten Strahlen auf den, vergoldeten Simswerk des Doms der Invaliden funkeln. Ein Stern, der erste, derjenige, welcher schon an einem anderen, Abend die Blicke von Geneviève auf sich gezogen hat, glänzte im flüssigen Azur des Himmels.
Geneviève verließ den Arm von Maurice mit duldender Traurigkeit und sprach:
»Was haben Sie mich denn leiden zu machen?«
»Ah!« versetzte Maurice, »das geschieht, weil ich minder geschickt bin, als gewisse Menschen, die ich kenne, ich nicht weiß, wie man sich Liebe erringt.«
» Maurice! . . .« rief Geneviève.
»Oh! Madame, wenn er beständig gut, beständig gleich ist, so ist dies nur der Fall, weil er nicht leidet.
Geneviève stützte abermals ihre weiße Hand auf den mächtigen Arm von Maurice.
»Ich bitte Sie,« sagte sie mit bebender Stimme, »sprechen Sie nicht mehr, sprechen Sie nicht mehr.«
»Und warum?«
»Weil mir Ihre Stimme weh thut.«
»Also mißfällt Ihnen Alles an mir, sogar meine Stimme?«
»Schweigen Sie, ich beschwöre Sie.«
»Ich werde gehorchen, Madame.«
Und der ungestüme junge Mann fuhr mit der Hand über seine von Schweiß befeuchtete Stirne.
Geneviève sah, daß er wirklich litt. Die Natur von der Art von Maurice haben unbekannte Schmerzen.
»Sie sind mein Freund, Maurice,« sagte Geneviève, indem sie ihn mit einem himmlischen Ausdruck anschaute ein kostbarer Freund für mich: Maurice, machen Sie, daß ich meinen Freund nicht verliere.«
»Oh! Sie würden seinen Verlust nicht lange bedauern.«
«Sie täuschen sich, ich würde ihn lange bedauern, immer!«
»Geneviève! Geneviève!« rief Maurice, »haben Sie Mitleid mit mir!«
Geneviève schauerte.
Es war das erste Mal, daß Maurice ihren Namen mit so tiefen Ausdruck sprach,
»Nun wohl,« fuhr Maurice fort, »da Sie mich errathen haben, so lassen Sie mich Alles sagen, Geneviève; und sollten Sie mich auch mit einem Blicke tödten. . . ich schweige zu lange; ich werde sprechen, Geneviève.«
»Mein Herr,« rief die junge Frau, »ich habe Sie im Namen unserer Freundschaft angefleht, zu schweigen; mein Herr, ich flehe Sie abermals an, daß Sie meinetwegen schweigen, wenn Sie es nicht Ihretwegen thun wollen, kein Wort mehr, im Namen des Himmels, kein Wort mehr!«
»Die Freundschaft, die Freundschaft. Ah! wenn Sie eine Freundschaft der ähnlich, welche Sie für mich hegen, auch für Herrn Morand haben, so leiste ich Verzicht auf Ihre Freundschaft, Geneviève: ich brauche mehr als Andere.«
»Genug,« versetzte Madame Dirmer mit einer königlichen Geberde, »genug, Herr, Lindey; hier ist unser Wagen, wollen Sie mich zu meinem Gatten zurückführen.«
Maurice zitterte vor Fieber und Aufregung; als Geneviève, um zum Wagen zurückzukehren, der nur ein paar schritte entfernt stand, ihre Hand auf den Arm von Maurice legte, kam es dem jungen Mann vor, als wäre diese Hand von Flammen. Beide stiegen in den Wagen, fuhr durch ganz Paris, ohne daß Eines oder das Andere ein Wort gesprochen hätte. Nur hielt Geneviève auf der ganzen Fahrt ihr Sacktuch vor die Augen.
Als sie nach der Fabrik zurückkamen, war Dirmer in seinem Arbeitscabinet beschäftigt; Morand kehrte von Rambouillet nach Hause und wechselte eben die Kleider. Geneviève reichte Maurice in ihr Zimmer tretend die Hand und sagte zu ihm:
»Leben Sie wohl, Maurice, Sie haben es gewollt!
Maurice antwortete nicht, er ging gerade auf Kamin zu, wo ein Miniaturbild Geneviève vorstellt hing: er küßte es glühend, drückte es an sein Herz, brachte es wieder an seinen Platz und verließ das Zimmer.
Maurice kehrte in seine Wohnung zurück, ohne wissen wie; er durchschritt Paris, ohne etwas zu sehen ohne etwas zu hören; die Dinge waren vor ihm vorgefallen wie in einem Traum, und er konnte sich weder von seinen Handlungen, noch von seinen Worten, noch von dem Gefühl, das ihm dieselben eingeflößt, Rechenschaft ablegen. Es gibt Augenblicke, wo die heiterste, die kräftigste Seele sich zu Heftigkeiten hinreißen läßt, welche die untergeordneten Gewalten der Einbildungskraft fehlen.
Maurice ging nicht nach Hause, er lief: er entkleidete sich ohne die Hilfe seines Kammerdieners; er antwortete seiner Köchin nicht, die ihm ein bereitstehendes Abendbrot zeigte, nahm, die Briefe des Tages vom Tische, las sie alle, einen nach dem andern, oh ein einziges Wort zu verstehen. Der Nebel der Eifersucht, der Rausch der Vernunft waren noch nicht verschwunden.
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