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Klabund
Kreidekreis

Spiel in 5 Akten
(Quelle unbekannt)

Figuren

TSCHANG

HAITANG

FRAU TSCHANG, ihre Mutter

TSCHANG LING, ihr Bruder

TONG, ein Kuppler

PAO, ein Prinz

MA, ein Mandarin

Yü PEI, seine Gattin ersten Ranges

TSCHAO, Sekretär beim Gericht

TSCHU

TSCHU, Oberrichter

Eine Hebamme / Zwei Kulis / Gerichtspersonen

Polizisten Soldaten / Ein Wirt / Blumenmädchen

Ein Dichter / Zeremonienmeister / Ein Kind

ERSTER AKT

Das Innere eines Teehauses. Hintergrund Mitte: schwarzer Papierparavent, hinter dem die handelnden Personen hervortreten. Links und rechts schwarze, mit weißen Emblemen, Blumen, Vögeln bestickte Vorhänge. Wenn der große Vorhang sich hebt, ertönt schwermütige Musik von Gong Flöte und Kin (einer Art Geige). Tong, der Besitzer des Teehauses, ein fetter Eunuch, watschelt hinter dem Paravent hervor.

TONG: Ich bitte untertänigst, mich vorstellen zu dürfen. Mein Name, der Name eines niedrigen und verachteten Geschlechtes, lautet Tong. Das klingt, wie wenn man leise ein mißgestimmtes Gong anschlägt. Ich bin der Besitzer dieses (runde Geste) zwar bescheiden anmutenden, aber erstklassigen Etablissements. Geschmack und feinere Lebensart, den adligsten Geschlechtern abgelauscht, verbieten mir aufdringliche Anpreisung oder robustere Reklame. Das Zeichen meines Hauses ist ein weißer Reiher auf schwarzem Grunde sonst nichts. Ich habe keine Schlepper an den Hauptplätzen der Stadt stehen, ich verteile keine Handzettel mit diskreten Hinweisen, und mit der Polizei bin ich im besten Einvernehmen. Der Herr Polizeipräsident läßt sich zuweilen herab, mich zu beehren. Wer von mir weiß, der weiß mich zu finden. Übrigens gewähre ich nur Damen von bestem Leumund und feinsten Manieren Unterkunft unter meinem Dach. Meiner erlauchten Kundschaft darf ich nur das Beste vom Besten bieten. Hören Sie die Musik? Ich hoffe nicht, daß sie Ihre Ohren beleidigt. Ich habe mein möglichstes getan, die Damen in der kunstvollen Handhabung der Instrumente zu unterweisen. Meine drei Damen spielen die Serenade des Frühlings. Yo bläst die Flöte, Yu streicht die Geige, Yau schlägt das Gong.

(Er zieht die Vorhänge im Hintergrund zurück. In drei Käfigen sitzen drei schöne Mädchen und spielen die Instrumente. Ein vierter Käfig ist leer. Die eine singt:)

 
Allen Männern zu gefallen
Bin in Taumel ich und Tand.
Wenn sie ihre Wünsche lallen,
Sitz ich in mich abgewandt.
Geben Gold und geben Speise,
Keiner gab ein gutes Wort.
Und so wein ich wild und leise
Meine süße Sehnsucht fort.
Gestern trieb nun das Gelüste
Einen Jüngling zu mir her,
Der mich auf die Stirne küßte
Ach, ich sehe ihn nicht mehr.
 

TONG (zieht die Vorhänge wieder zu):

Es ist eine eigne Kunst, seiner Schwermut den entsprechenden künstlerischen Ausdruck zu geben. Vor den großen Dichtern der Nation kann eine junge Dame mit ihren bescheidenen Reimübungen natürlich nicht bestehen. Aber sie muß gelernt haben, sich wenigstens einigermaßen zierlich in Versen auszudrücken. Denn Verse machen und Liebe machen: geht es nicht auf dasselbe seelische Grundgefühl zurück? Wissen Sie, woran das Gong mich immer erinnert? An eine Hinrichtung. Ich war in meinem früheren Beruf, Sie werden es mir kaum glauben, und dennoch ist es lautere Wahrheit, ich war früher Henker. Damals habe ich den Männern den Kopf abgeschlagen, jetzt verdrehe ich ihnen nur den Kopf mit Hilfe meiner Blumenmädchen. Um nicht selber in Versuchung zu fallen und mein Geschäft durch unschickliche Handlungen zu stören und zu beeinträchtigen, beispielsweise etwa die Eifersucht meiner Herren Klienten zu erregen, habe ich in meiner Selbstbescheidung freiwillig auf die Attribute der Männlichkeit verzichtet. Ich habe mich seinerzeit einer kleinen Operation unterzogen; so stehe ich zwischen Mann und Weib, keines von beiden, und also zur Mittlertätigkeit berufen und auserwählt. Meine Schwester naht, die Dämmerung, die gewiegte Kupplerin von altersher. Ich höre Schritte die Gasse herauf.

(Hinter dem Paravent hervor treten Frau Tschang und Haitang, ihre Tochter; beide in Trauer. Die Musik verstummt.)

HAITANG: Mein Name ist Haitang. Ich bin die Tochter dieser ehrwürdigen Dame, Frau Tschang geheißen. Ich bin sechzehn Jahre alt. Sechzehn Jahre jung. Ich habe viel erlitten, Ich werde noch mehr erleiden. Viel Schmerz. Ein wenig Glück. Rote Abendwolken nach einem düsteren Gewittertag. Es ist das Leben.

TONG: Ich bin der demütige Diener der hochachtbaren Damen. Darf ich, ohne vorlaut zu erscheinen, meine Verwunderung und zugleich auch mein tiefes Bedauern bezeugen, die Damen in Trauerkleidung dies Haus der Freude betreten zu sehen? Ist kürzlich ein Todesfall in Ihrer nächsten Verwandtschaft vorgefallen, so bitte ich, mein innigstes Beileid nachsichtig entgegennehmen zu wollen. Das nicht geheuchelte, sondern ehrlich empfundene, und ehrlich mitgeteilte Mitgefühl eines Mitmenschen träufelt Balsam auf Qual und Verzweiflung.

HAITANG: Es ist kaum eine Stunde her, daß wir den ehrwürdigen Herrn Tschang, Seidenraupenzüchter und Gemüsegärtner seines Zeichens, den Gatten dieser Dame und meinen Vater, in die Erde senkten. Ich habe mit meinen eigenen Händen die Erde für den Grabhügel aufgerissen und über dem Sarge wieder zugeworfen. Denn wir hatten kein Geld, den Totengräber zu bezahlen.

(Frau Tschang schluchzt.)

Ich habe ihn geliebt. Und liebe ihn nur um so inniger, da er nun bei den Ahnen weilt, und seinem teuren Gedächtnis ich morgens und abends Räucherkerzen entzünden werde. Auf Blumenblättern brachte er mir die Früchte des Gartens. Er träumte den stolzen Traum meiner Erhebung aus niederer Kaste in hohen Stand. Der Traum ist ausgeträumt. Der Hochzeitskuchen bröckelt. Der Baum steht entlaubt. Durch Todesherbstlaub am Boden raschelt mein Fuß. Im Frühling war ich eine Eidechse, die lustig zwischen den Gräsern hin und herschoß.

TONG: Ist das Segelboot auch auf eine Sandbank geraten, die Winde des Schicksals werden sich erheben und es wieder auf die offene See treiben, wer weiß, wie bald. Gestatten Sie mir aber die etwas dreiste Frage: wie ist der Tod Ihres geehrten Herrn Vaters so plötzlich eingetreten? Ich erinnere mich seiner sehr wohl. Ich sah ihn vorgestern früh noch mit Melonen zum Markt eilen.

(Hailtang senkt das Haupt.)

FRAU TSCHANG: Das Rad des Unglücks ist über uns dahingerollt. Mein treuergebener Gatte, ein ehrlicher, nüchterner, in seinem Berufe geschickter Mann, hat seinem armseligen Leben, das nur wie ein altes Kleid noch an ihm hing, selbstherrlich ein Ende gemacht.

(Haitang verbirgt ihr Haupt in den Fallen ihres Ärmels.)

TONG: Die Dämonen der Unterwelt mögen ihm gewogen sein, und der Herr der ewigen Nacht ihm ein mildes Urteil sprechen. Darf man sich nach dem Grund seiner plötzlichen Abreise in die unteren Bezirke erkundigen?

HAITANG: Der Mandarin und Steuerpächter Ma hat uns um Hof, Haus, Geld und Gut gebracht. Es gab eine Mißernte. Viele Menschen hungerten. Herr Tschang, mein Vater, konnte seine Abgaben nicht bezahlen. Vorgestern war die Steuer fällig. Wir hatten an Wert nichts zu eigen als einen Sarg, der schon seit Jahren dem ersten Mitgliede unserer Familie, das sterben würde, bestimmt war. Herr Ma schämte sich nicht, diesen Sarg durch den Gerichtsvollzieher beschlagnahmen zu lassen. Da ging mein Vater vor das Haus des Mandarinen und erhängte sich an dem Türpfosten.

TONG: Der Mandarin Ma, ein mir wohlbekannter und in Liebesangelegenheiten freigebiger Herr, wird von der Anklage, die Ihr sehr zu schätzender Vater durch seinen Tod und noch im Tod gegen ihn erhob, nicht sehr erbaut gewesen sein.

FRAU TSCHANG: Das Volk hat ihm mit Steinen die Fenster eingeworfen. Die Rache der Geister wird ihn treffen. Durch alle seine Träume wird der Erhängte wandeln, bleich, die blaue Zunge wird ihm aus dem Munde hängen. Füchse und Füchsinnen werden über seinen Weg laufen, ein Wolf wird sein Blut trinken. In seinem Hirn werden tausend Fliegen schwirren. Tausend Wespen werden seine Augen stechen, daß er erblindet.

TONG: Die Dämonen des Südens mögen mich vor den Anschlägen der Dämonen des Nordens bewahren.

(Leise Musik ertönt wieder.)

HAITANG: Wer ist die Ursache dieser schönen Musik? Es klingt, als spiele die Göttin des Morgenrotes Harfe, und als gäbe ein Hirte mit seiner Flöte ihr Antwort: Meine Trauer beginnt in diesen Tönen zu schweben wie ein Schmetterling in der Luft.

TONG: Es sind die Bewohnerinnen dieses Hauses, die Töchter der Freude, die diese einfachen, aber edlen Melodien auf ihren Instrumenten hervorlocken wie Grillen aus ihren Löchern.

FRAU TSCHANG: Darum kam ich her, hochwohlgeborener Herr Tong, Sie zu bitten, meine Tochter Haitang als Tochter der Freude in Ihr achtbares und geachtetes Haus aufzunehmen.

TONG: Ich bin auf das höchste überrascht und bitte Sie, mich fassen zu dürfen, ehe ich zu einem Entschluß komme.

HAITANG: Ich habe mancherlei Fähigkeiten, ich weiß, sie sind noch gering; aber sie werden unter Ihrer Leitung wachsen, reifen und Früchte tragen.

FRAU TSCHANG: Herr Tong, wir sind völlig ruiniert. Wovon sollen wir leben? Wir müßten verhungern. Ich bin gezwungen, meine Tochter zu verkaufen. Auf ihre Schönheit brauche ich Sie nicht besonders hinzuweisen. Sie sind ein Frauenkenner, Herr Tong.

TONG: Sie schmeicheln und übertreiben, Frau Tschang.

FRAU TSCHANG: Ich muß meine kluge, schöne und sittsame Tochter verkaufen, Herr Tong. Und wem sollte ich sie wohl lieber anvertrauen als Ihnen, der ungeachtet seines oft angezweifelten Berufes in der Stadt im besten Leumund steht?

TONG: Ich fühle mich geehrt, daß Sie zuerst an mich denken, Frau Tschang. In der Tat ist mir die außerordentliche Schönheit Ihrer Fräulein Tochter nicht entgangen. Bei der Frühlingsfeier oder beim Laternenfest pflegen sich alle jungen Männer nach ihr umzudrehen, und niemand ist, dem ihr Anblick nicht einen wollüstig schmerzhaften Pfeil ins Herz jage.

HAITANG: Ich spiele die Laute, die Flöte und das Instrument Kin. Das Schachspiel ist mir nicht fremd, und ich habe die Kalligraphie studiert. Ich vermag die zierlichsten Glückwunschkarten zum Neujahr und zum Geburtstag zu malen. Ich tanze und singe. Soll ich Ihnen vortanzen?

FRAU TSCHANG: Tanze, mein Kind, damit Herr Tong deine Talente schätzen lernt.

(Haitang tanzt nach der Musik, die wieder auftönt, ein Paar Takte und bricht zusammen. Sie bleibt am Boden liegen.)

TONG: Vortrefflich, ausgezeichnet, eine seltene Begabung, ein fast dramatisches Talent. Was ist der Preis, den Sie für das Fräulein fordern?

FRAU TSCHANG: Hundert Taels in Gold.

TONG: Hm, hm, das ist eine immerhin bedeutende Summe, auch für ein so wohlsituiertes Unternehmen wie das meinige, verehrte Frau Tschang. Das Fräulein ist schön, daran ist kein Zweifel, aber wenn meine alten Augen mich nicht täuschen, so hat sie im Nacken einen kleinen, störenden Leberfleck. junge, verliebte Herren pflegen auf einen untadeligen Nacken viel Wert zu legen.

FRAU TSCHANG: Neunzig Taels.

TONG: Sie ist zwar klug und wohlgebildet, versteht zu tanzen, aber ihr Tanz war mir zu melancholisch es fehlt die leicht schwebende Lustigkeit, die die Männer fortreißt.

FRAU TSCHANG: Sie ist noch unberührt, Herr Tong.

TONG: Noch unberührt? Nun, sagen wir achtzig Taels. Soll der Handel gelten?

FRAU TSCHANG: Er gilt.

TONG (abgehend):

Ich werde mir gestatten, Ihnen sofort die Summe auszuzahlen.

TSCHANG LING (stürzt herein):

Ich habe dich, Schwester, gesucht von Straße zu Straße. Abgefallene Blütenblätter einer weißen Chrysantheme haben mir den Weg gewiesen. Hier muß ich die Blüte völlig entblättert finden.

HAITANG: Die Blüte, die ich im Gürtel trage, hat noch kein Blütenblatt verloren.

TSCHAN LING: Ehe die Nacht um ist, wird sie welk sein.

HAITANG: Meine Pflicht als Tochter gebietet mir, für meine Mutter zu sorgen.

TSCHANG LING: Unsere Ahnen zurück bis ins siebente Glied sind durch literarische Erfolge bis zu den höchsten Ämtern emporgestiegen.

HAITANG: Ach, bis zu dem Amt eines Gemüsegärtners und Seidenraupenzüchters. Aber dieser Gemüsegärtner war gebildeter und ein besserer Mensch als alle Gelehrten und Literaten und Mandarine erster Klasse.

TSCHANG LING: Wie kann dein mütterliches Herz, Mutter, damit einverstanden sein, daß deine Tochter den entwürdigenden Beruf eines Teehausmädchens ergreift? Ist sie nicht auch meine Schwester, der ich doch gedenke, den Doktorgrad zu erwerben?

FRAU TSCHANG: Warum sorgst du, ein Mann, so wenig für deine Mutter und deine Schwester und trägst nicht einen Kesch zu unserm Lebensunterhalt bei?

HAITANG: Hast du das Buch der Sitten und Gebräuche, das Liki, vergessen? Hast du nicht in der Schule auswendig gelernt: Die Pflicht des Sohnes ist es, dafür Sorge zu tragen, daß Winters und Sommers die Eltern sich jeder Bequemlichkeit des Lebens erfreuen? jeden Abend soll der Sohn selbst das Lager betten, auf dem sie ruhen, jeden Morgen beim ersten Hahnenschrei sich auf das liebevollste nach ihrem Befinden erkundigen. Er soll sie oftmals im Laufe des Tages fragen, ob sie Kälte leiden, ob die Hitze sie quäle . . .

FRAU TSCHANG: Es ist die Pflicht des Sohnes, die Mutter zu stützen und ihr Schirm und Schutz zu sein. Es ist seine Pflicht, die zu lieben, die von ihr geliebt, die zu ehren, die von ihr geehrt werden.

HAITANG: Sohn und Tochter sollen selbst die Hunde, Vögel und Pferde lieben, die ihre Eltern lieben.

FRAU TSCHANG: Solange die Mutter lebt, soll ohne ihre Einwilligung der Sohn sich nicht aus dem Hause entfernen.

TSCHANG LING: Ich lächle und lache eurer Predigt. Ihr kennt die kleinen Pflichten des Sohnes und habt sie auswendig gelernt, wie Papageien die Stimme ihres Herrn. Aber es gibt noch größere Pflichten, die ein Sohn zu erfüllen hat. Sagt nicht das Buch Haiking: Der höchste Grad der kindlichen Liebe besteht darin, nach hohen Würden zu trachten und mit dem Ruhm seines Namens die kommenden Jahrhunderte zu erschüttern, wie der Sturm die Bäume erschüttert?

FRAU TSCHANG: Strebst du vielleicht in den Schenken und Garküchen, in denen du herumlungerst, nach hohen Würden? Verluderst du nicht die paar Kesch, die du dir durch Abschreiben verdienst? Bringst du sie nicht in niedern Teehäusern unter die Mädchen? Du verkehrst mit Teehausmädchen und wagst, wenn deine Schwester den gleichen Beruf ergreift, Schmutz auf sie zu werfen?

HAITANG: Bruder, ich will versuchen, auch für deinen Lebensunterhalt mitzusorgen. Das Haus des Herrn Tong ist ein angesehenes Haus. Es beherbergt stets wohlhabende und wohlmeinende Gäste.

 







 













 











 




 














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