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Фридрих Глаузер
Der Tee der drei alten Damen / Чаепитие трех старух. Книга для чтения на немецком языке

Friedrich Glauser

Der Tee der drei alten Damen

© КАРО, 2020

Erstes Kapitel

Um zwei Uhr nachts ist die Place du Molard leer. Eine Bogenlampe bescheint ein Tramhäuschen und einige Bäume, deren Blätter lackiert glänzen. Auch ist ein Polizist vorhanden, der diese Einsamkeit zu bewachen hat. Er langweilt sich, dieser Polizist, sehnt sich nach einem Glase Wein, denn er ist Waadtländer und der Wein für ihn der Inbegriff der Heimat. Dieser Polizist heißt Malan, er trägt einen kupferroten Schnurrbart und gähnt von Zeit zu Zeit.

Plötzlich steht vor dem Tramhäuschen ein junger Mensch – weiß Gott, von wo er plötzlich aufgetaucht ist. Dieser junge Mann – elegant gekleidet in einen grauen Anzug, nur seine Haare sind etwas wirr – benimmt sich merkwürdig. Er zieht zuerst den Rock aus, dann löst er den ledernen Gürtel, taumelt ein wenig, steht dann in kurzen Unterhosen da, seine Sockenhalter sind aus blauer Seide. Nun nestelt er an seinen Manschettenknöpfen, der eine Knopf klirrt aufs Pflaster – da rafft sich Polizist Malan auf, tritt näher und sagt:

»Aber mein Herr, was tun Sie da?«

Der junge Mann glotzt; die Pupillen seiner Augen sind sehr groß, so groß, dass die Farbe der Iris gar nicht zu erkennen ist. Außerdem sind die Züge des Gesichtes merkwürdig starr und unbewegt. Und während Polizist Malan noch überlegt, ob der Mann eigentlich besoffen ist, schwankt der Halbentkleidete stärker, greift mit den Händen in die Luft, findet keinen Halt und knallt mit dem Hinterkopf aufs Pflaster. Dann liegt er ruhig, nur die Gummiabsätze seiner braunen Halbschuhe trommeln einen leisen Marsch auf dem Asphalt. Malan beugt sich über den jungen Mann und murmelt:

»Der ist ja gar nicht betrunken, er riecht nicht nach Wein, nicht nach Schnaps.«

Dann schüttelt er den Kopf, hebt den Körper auf und trägt ihn auf die Bank, die den Kiosk im Halbkreis umgibt. Er sammelt die verstreuten Kleidungsstücke, faltet sie sorgfältig (schöner grauer Flanell, denkt er). Er liest die Adresse des Schneiders, murmelt. »Von London! Wohl einer von den fremden Diplomaten!« und seufzt dazu, denn der Völkerbund bringt doch nur Unannehmlichkeiten in die ruhige Stadt Genf. Und während er noch nicht recht weiß, was in einem solchen Fall zu tun ist, ob man zuerst ans Spital zu telefonieren hat oder an den Kommissär Pillevuit, kommen Schritte näher und im Schein der Bogenlampe taucht ein älterer Herr auf, der einen breitrandigen schwarzen Hut trägt; darunter schimmert ein kurzer weißer Bart.

»Was ist los, Brigadier?«  frägt der alte Herr. Er hat eine tiefe Stimme. »Ein Unglücksfall? Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Der alte Herr tritt zu dem Liegenden, hebt mit dem Daumen dessen Oberlid, und sagt:

»Merkwürdig!«

Dann fasst er nach dem Handgelenk, zählt laut die Pulsschläge, während er eine flache Uhr aus der Westentasche zieht. Malan steht daneben und weiß nicht recht, wie er sich benehmen soll. Der Herr, – vielleicht ist er ein Arzt, dann ist alles gut, – kommt möglicherweise von einem Krankenbesuch, sonst wäre seine Anwesenheit zu so nachtschlafender Zeit immerhin verdächtig. Man kann ja fragen, denkt Malan und räuspert sich; aber bevor er noch ein Wort gesagt hat, meldet sich der Herr:. »Sie möchten wissen, wer ich bin? Da…«

Er hat eine Brieftasche gezogen, ihr eine Visitenkarte entnommen. Darauf steht:

Louis Dominicé

Professeur de Psychologie

a l'Universite de Geneve

»Mein lieber Brigadier, dies ist eine Vergiftung. Das Beste, Sie telefonieren sofort ans Spital« , sagt der alte Herr. Er spricht die Worte sehr präzis aus und macht dazu belehrende Handbewegungen. »Haben Sie die Kleider schon durchsucht? Keine Papiere?«

Malan wird verlegen. Er hat seine Pflichten, scheint es, vergessen. Nun besinnt er sich auf sie, er kehrt die Taschen der Hosen, des Rockes um; sie sind leer.

»Von welcher Seite ist der Mann gekommen?«  frägt der Professor weiter.

Auch diese Frage kann Malan nicht beantworten.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag« , sagt Professor Dominicé. »Ich werde an das Spital telefonieren, ich habe dort noch Bekannte, meinem Rufe wird man schneller Folge leisten als dem Ihren. Und während ich telefoniere, können Sie die Toilette untersuchen, die unter diesem Kiosk liegt. Vielleicht finden Sie dort etwas.«

Der Herr weiß mehr als ich, denkt Polizist Malan, aber er wagt nicht, seine Gedanken laut werden zu lassen. Er ist noch nicht lange bei der Polizei, und außerdem imponiert ein Professor einem einfachen Manne beträchtlich. Darum geht Malan auch gehorsam um das Tramhäuschen, steigt Treppen hinab und gelangt in einen weiß gekachelten Raum.

Es ist sehr still hier, Fliegen summen um eine einsame Glühbirne, die rötlich leuchtet. Geschlossene Türen mit der Aufschrift. »Öffnet sich nur nach Einwurf eines 20-Centimes-Stücks.« Alle Türen, an denen Malan vorbeischreitet, tragen noch ein anderes bewegliches Täfelchen, das anzeigt, dass die Kabine »frei«  ist. Nur die letzte Tür ist angelehnt, das Schild verschoben, ein Spalt klafft. Malan lauscht. Nur Fliegen summen. Kein Atemzug. Er will die Tür vorsichtig aufstoßen, da wird sie von innen aufgerissen, Malan will zugreifen, ein harter spitzer Schädel bohrt sich in seine Magengrube – später, viel später, als im Samariterkurs der. »Plexus solaris«  durchgenommen wird, denkt er still Aha! sonst nichts – und er setzt sich auf die Fliesen. Seine aufgesperrten Augen nehmen dennoch ein Bild auf: zwei Beine, die über die Stiegen verschwinden.

Sie stecken in weißen Tennishosen.

Malan geht die Stufen hinauf, sieht sich oben um, der Platz ist leer. Auch der Professor scheint verschwunden zu sein. Auf der Bank liegt der junge Mann, mit halbgeschlossenen Augen, sein Atem geht pfeifend.

Doch da ist der Professor! Deutlich ist er in der Telefonkabine zu sehen, er gestikuliert und spricht aufgeregt in den Trichter. Dann hängt er den Hörer an und kommt heraus.

»Haben Sie niemanden gesehen?«  frägt Malan. Der Professor schüttelt den Kopf. Er hat seinen breitrandigen Hut auf den Hinterkopf geschoben, seine weißen Haare schimmern feucht. Die Nacht ist sehr schwül.

»Es ist mir nämlich jemand begegnet, dort unten« , sagt Malan. Dabei presst er die Fäuste in die Magengrube.

»Sind Sie verletzt?«  erkundigt sich der Professor besorgt.

Malan schüttelt den Kopf. Dann öffnet er die geballten Fäuste. Aus der Rechten fällt etwas zu Boden, das im Lichte metallisch schimmert. Malan bückt sich, er erinnert sich, dass er beim Hinfallen etwas unter seiner Handfläche gespürt hat, – und seine Finger haben sich unbewusst um dieses Ding geschlossen. Nun betrachtet er es und ist erstaunt, denn etwas Ähnliches hat er noch nie gesehen. Es sind, gebündelt, etwa 20 sehr feine Drähte, die nicht länger sind als ein kleiner Finger. Hilflos streckt er das Bündel dem Professor hin. Professor Dominicé nickt.

»Kenn ich« , sagt er trocken. Er zieht einen der feinen Drähte aus dem Bündel, hält ihn hoch und erklärt:

»Den braucht man, um jene Hohlnadeln zu reinigen, sofern sie nämlich verstopft sind, deren sich Morphinisten bedienen, um sich vermittelst einer sogenannten Pravazschen Spritze das aufgelöste Gift in den Körper einzuverleiben.«

Der Polizist Malan ist doch nicht ganz dumm. Die geschraubte, sicher verlegene Ausdrucksweise des Professors scheint ihm irgendwie bedenklich. Aber was soll man machen? Man ist schwerfällig. Wie soll man seinen Verdacht äußern, den Verdacht nämlich, dass mit diesem alten Herrn etwas nicht stimmt? Übrigens lässt Dominicé auch keine Frage aufkommen.

»Das Sanitätsauto« , sagt er. »wird in kürzester Frist den Patienten abholen. Ich bin müde. Sie wissen ja, wo ich zu finden bin. Falls man mich braucht, werde ich immer zu erreichen sein. Gute Nacht.«

Merkwürdig, wie die Finger des Professors zittern, während er sich aus grobem französischem Tabak eine Zigarette dreht. Er zündet sie an, entfernt sich. Hinter ihm bleibt der Rauch in der stickigen Luft reglos stehen.

»Und ich habe den Herrn nicht einmal gefragt, ob er den Mann da kennt« , murmelt Malan verdrießlich. »Na, der Alte soll sich selber um die Sache kümmern!« Er sagt nicht Sache, sondern gebraucht ein gröberes Wort. Unter dem. »Alten«  aber versteht er den Kommissär Pillevuit, einen Mann mit blondem Fahnenbart, der mit dem Polizisten Malan immerhin eine Eigenschaft gemeinsam hat: der Kommissär liebt auch Waadtländer Weine.

Nun ist Malan wieder allein, denn der Kranke auf der Bank zählt nicht. Der große Platz ist trotz des scharfen Lichtes der Bogenlampe unheimlich. Die leeren Fenster der Geschäftshäuser glotzen bösartig und Malan räuspert sich, um sich dieses furchterregende Gebaren zu verbieten. Aber die Häuser glotzen weiter. Endlich kommt ein Surren näher, ein Auto hält mit einem Ruck. Es ist ein grüner geschlossener Kasten mit spärlichen Milchglasscheiben. Ein Mann steigt aus, der Chauffeur springt von seinem Sitz.

Eine Bahre gleitet aus dem Kasten, der Kranke wird darauf gepackt, eine Tür knallt zu, der Chauffeur sitzt schon wieder auf seinem Platz, ein böses Surren des Anlassers, und Malan kommt sich verhöhnt vor von dem roten Auge des Schlusslichts.

»Deliriert er viel?«  fragte Dr. Thévenoz. Er zog zwei Hartgummipfropfen aus den Ohren, die durch rote, zusammenlaufende Kautschukschläuche mit einem schwarzen Zylinder verbunden waren, der auf der nackten Brust des Patienten lag.

Schwester Annette schüttelte den Kopf.

»Eigentlich nicht« , sagte sie. »Er murmelt nur von Zeit zu Zeit unverständliche Worte. Ich glaube fast, es ist englisch.«

»So, englisch…«

Dr. Thévenoz, ein etwa 35-jähriger Mann, mit spärlichem blondem Haar, blickte zum Fenster hinaus. Das ging auf grüne Laubbäume. Im Zimmer stand nur ein Bett. An der Wand war ein weißes Becken angebracht, mit zwei weißen Hähnen darüber.

Der Patient warf sich unruhig in seinem Bett herum.

»Don’t sting« , stöhnte er. »Go to hell.«

»Hallo, Rosenstock, sprachenkundiger Ahasver, was heißt ›sting‹?«

Doktor Wladimir Rosenstock, Assistenzarzt, klein, leicht verfettet trotz seines jugendlichen Aussehens, schien sich beim Gehen immer im Schlittschuhlauf zu üben. So glitt er ins Zimmer.

»Sting?«  wiederholte Rosenstock fragend. »ein ungebräuchliches Wort, heißt stechen, wenn es sich um eine Biene handelt, oder um eine Wespe, oder sonst um ein Insekt.«

»Hallo!« Dr. Thévenoz schnalzte mit den Fingern. »Stimmt auffallend. Sehen Sie sich diesen Arm an. Nun? Der Flecken da am Ellbogengelenk?… Sieht der nicht wie eine Injektion aus? Eine intravenöse Einspritzung?. Vergiftet? Aber welches Gift? Was meinten Sie, mein blonder Engel?«  Die letzten Worte galten Schwester Annette, die sich Mühe gab, zu erröten.

»Rosenstock, geliebtester meiner Schüler, welche Diagnose wird Ihrem Hirn entsteigen, weisheitsgepanzert, wie seinerzeit eine griechische Göttin dem Schädel ihres Vaters – was übrigens eine merkwürdige Art vegetativer Vermehrung war, verzeihen Sie den schlechten Witz! -. Woran krankt der junge Mann? Welches Gift tobt in seinen Adern, um mich jener Ausdrucksweise zu bedienen, die geldverdienenden Schreibern eigen ist? Reden Sie, Rosenstock! Vergessen Sie Ihre Abstammung! Vergessen Sie das Sprichwort, welches das Schweigen mit dem Goldstandard in Verbindung bringt. Bekehren Sie sich zum Bimetallismus, lassen Sie das Silber Ihrer Rede erklingen, ich lausche.«

Schwester Annette kicherte ein Backfischlachen, auch Rosenstock lächelte, er liebte es, gehänselt zu werden. Doch als er antworten wollte, unterbrach ihn Doktor Thévenoz wieder.

»Wie, Rosenstock, Sie wollen ein Gutachten abgeben? Ohne den Patienten untersucht zu haben? Sie wollen sprechen und noch wissen Sie nichts von der Anamnese des Falles? Rosenstöcklein, bedenken Sie, Sie sind noch kein Professor, der mit nachtwandlerischer Sicherheit Kohl verzapfen darf – intuitiv – verstehen Sie? Sie sind erst Assistent, und als solcher zu höchster, zu strengster Gewissenhaftigkeit verpflichtet. Ich will Ihnen helfen. Der junge Mann hier – ruhig, junger Mann! Ich bin daran, Ihren Fall zu explizieren, ich muss Sie dringendst bitten, mich nicht zu unterbrechen« – der Patient stöhnte nämlich leise, warf sich herum, murmelte auch. »was sagen Sie, junger Mann?«

»Er hat Durst« , bemerkte Rosenstock.

»Glaub' ich, wir könnten ihm vielleicht…«

Schwester Annette hatte schon ein Glas in der Hand und stützte den Patienten, um ihm das Trinken zu erleichtern.

Doktor Thévenoz seufzte tief:

»Ich möchte auch einmal krank sein und mich von Ihnen pflegen lassen, Sie sind so sanft, mein blonder Engel, und ich muss mich die ganze Zeit mit einer energischen Frau herumschlagen, die gar kein Gefühl hat für meine Zartheit.«

Es war bekannt im Spital, dass Dr. Thévenoz mit einer Kollegin verlobt war, die in der Irrenanstalt Bel-Air als Assistentin Dienst tat. Und auch an die Klagen des Arztes war man gewöhnt; die Dame – sie hieß Madge Lemoyne, war in Amerika geboren und auch dort aufgewachsen – musste sehr energisch sein.

»Ja, Rosenstock, das Leben ist schwer. Denken Sie, Madge hat mir heute Morgen angeläutet, sie müsse mich unbedingt sprechen. Dabei haben wir uns gestern Abend noch gezankt. Was will sie nur?«

Thévenoz versank in Nachdenken, während Rosenstock den Körper des Patienten abklopfte. Es war ein sauberer Körper, braun gebrannt, sehnig, die Haut roch schwach nach Lavendel. Störend war einzig der große rote Fleck in der Ellbogenbeuge, der aussah, wie ein beginnender Ausschlag.

Dr. Thévenoz war ans Fenster getreten, um seinem Assistenten Platz zu machen. Von dorther kam seine Stimme, sachlich referierend. »Heute Nacht hatte ich Dienst. Um 2.15 wurde ich angerufen. Professor Dominicé, einer meiner Lehrer, teilte mir mit, er habe an der Place du Molard einen jungen Mann gefunden, der offenbar an einer Vergiftung erkrankt sei. Er bat mich, das Sanitätsauto zu schicken, der Fall scheine schwer, es wäre gut, wenn der Patient bald in fachgemäße Behandlung käme. Auf meine Frage, ob er den Patienten kenne, hängte der Professor ab. Er sprach sonderbar unfrei am Telefon, er wiederholte sich oft. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Nun, hier ist der junge Mann, was haben Sie gefunden?. »Ja« , sagte Rosenstock und schwieg.

»Nun, los, los, Rosenstock! Sie werden mich doch nicht blamieren wollen!«

»Also, mir scheint« , begann Rosenstock. »es könnte sein, dass der Einstich in der Ellbogenbeuge in ursächlichem Zusammenhang mit der Vergiftung stünde.«

Er schwieg wieder und kratzte an seiner Nase, die dick war und knollig.

»Ein merkwürdiger Einstich!«

Er tippte mit dem Finger, der die Nase verlassen hatte, auf die entzündete Stelle.

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