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George Sand
Teverino

I
Vogue la Galére!

Pünktlich beim Rendezvous, verließ Leonce vor Tagesanbruch das Hôtel des étrangers, und noch war die Sonne nicht aufgegangen, als er die schattige, in Bogenlinien sich hinziehende Allee der Villa betrat; die leichten Räder seines deutschen Wagens ließen kaum ihre Spur in dem feinen Sande zurück, in welchem gleicherweise das Getrappel seiner prächtigen Pferde erstarb. Er fürchtete indeß, zu früh gewesen zu sein, als er bemerkte, daß keine Wagenspur derselben Art der seinigen vorhergegangen war und in der Wohnung der eleganten Lady noch tiefes Schweigen herrschte.

Vor der mit Blumen geschmückten Freitreppe stieg er dann ab, befahl seinem Jockey, den Wagen in den Hof zu führen, und nachdem er sich versichert hatte, daß die Krystallglasthüren mit vergoldetem Simswerk im Erdgegeschosse noch geschlossen seien, trat er unter Sabinas Fenster und summte halblaut die Arie aus dem Barbier:

 
Ecco ridente il cielo,
Già spunta la bella aurora . . .
. . . . E Puoi dormir cosi? 1
 

Wenige Augenblicke nachher öffnete sich das Fenster, und in einen Burnus von weißem Caschemire gehüllt, hob Sabina den Vorhang etwas in die Höhe und sprach mit lieblich nachlässigem Wesen:

»Ich sehe, mein Freund, daß Sie mein Billet von gestern Abend nicht erhalten haben und folglich nicht wissen, was uns begegnet. Die Herzogin ist übler Laune und erlaubt ihren Liebhabern nicht, ohne sie zu spazieren. Die Marquise muß einen häuslichen Zwist gehabt haben, denn sie gibt sich für krank aus. Der Graf ist es wirklich; der Doktor hat Geschäfte, und so hält mir Niemand Wort und bittet man mich, unsern Plan einer Spazierfahrt auf die nächste Woche zu verschieben.«

»Und so komme ich denn, da Ihr Billet mir nicht zugestellt wurde, sehr ungelegen,« sagte Leonce, »und benehme mich wie ein Provinzbewohner, indem ich Ihren Schlaf störe? Ich schäme mich meiner Unartigkeit so sehr, daß ich keine Worte finde, um mir Verzeihung zu erbitten.«

»Lassen Sie sich das nicht anfechten, ich schlief schon lange nicht mehr. Die Laune aller dieser Damen hatte mich gestern Abend so verdrießlich gemacht, daß nachdem ich ihre dummen Billets ins Feuer geworfen, ich sehr zeitig zu Bette ging und dann vor Wuth einschlief. Ich bin sehr froh, Sie zu sehen, ich sehnte mich nach Jemand, mit dem ich die Vergnügungspläne und Landpartien, die Weltleute und die hübschen Weiber verwünschen könnte.«

»Nun! da müssen Sie dieselben allein verwünschen, denn in diesem Augenblick lobpreise ich sie von Grund der Seele.«

Und über das Fenstergesimse gelehnt, auf welches Sabina sich stützte, kam Leonce in Versuchung, eine ihrer schönen weißen Hände zu ergreifen, allein die ruhig spöttelnde Miene dieser edeln Person hinderte ihn daran und er begnügte sich, auf ihren prächtigen Arm, den der Burnus halb entblößt ließ, einen höchst bedeutungsvollen Blick zuwerfen.

»Leonce,« antwortete sie, indem sie ihren Burnus mit einem anmuthsvollen Ausdruck und Verächtlichkeit zugleich, übereinanderschlug, »wenn Sie mir Fadheiten sagen, so schließe ich Ihnen mein Fenster vor der Nase zu und gehe wieder ins Bett. Nichts macht so schläfrig wie die Langeweile, ich fühle das seit einiger Zeit besonders und glaube, daß wenn es so fortgeht, ich nichts Anderes mehr zu thun habe, als mein Leben der Erhaltung meiner Frische und Wohlbeleibtheit zu widmen, wie es die Herzogin macht. Doch schauen Sie, seien Sie liebenswürdig und befleißen Sie sich Ihrerseits, Ihren gewohnten Geist und guten Geschmack zu erhalten. Wenn Sie mir versprechen wollen, unsrer Uebereinkunft getreu zu bleiben, so können wir den Vormittag angenehmer mit einander zubringen, als es in dieser glänzenden Gesellschaft geschehen wäre.«

»Wenn’s nur an dem fehlt! Verlassen Sie Ihr Heiligthum und kommen Sie, den Sonnenaufgang im Park zu schauen.«

»O! der Park! er ist hübsch, ich gebe es zu; allein er ist eine Hülfsquelle, die ich mir auf die Tage sparen will, wo ich langweilige Besuche zu erdulden habe. Ich führe sie spazieren und genieße die Schönheit dieses Wohnsitzes, statt dummem Geschwätze zu horchen, das ich doch anzuhören die Miene habe. Darum will ich mir die Annehmlichkeiten dieses Aufenthalts nicht schon verderben. Wissen Sie auch, daß es mich sehr reut, die Villa für drei Monate gemiethet zu haben?« Ich bin erst seit acht Tagen hier und langweile mich schon tödtlich an der Gegend und der Nachbarschaft.«

»Schönen Dank! Soll ich gehen?«

»Wozu sich so empfindlich stellen? Sie wissen wohl, daß ich Sie immer von meinem Anathema gegen das Menschengeschlecht ausschließe. Wir sind alte Freunde und werden es immer sein, wenn wir so klug sind, auf einer mäßigen Liebe zu beharren, wie Sie es mir versprochen haben.«

»Ja, nach dem alten Sprichwort:›Sich wenig auf’s Mal lieben, um sich lange zu lieben . . .‹ Doch wie, Sie versprechen mir einen guten Morgen und drohen mir, beim ersten mißbeliebigen Worte das Fenster zu schließen. Ich finde meine Lage nicht angenehm, das erkläre ich Ihnen, und ich kann erst fröhlich athmen, wenn Sie Ihre Festung verlassen haben werden.«

»Wohlan! Sie geben mir eine Stunde zum Ankleiden; während dieser Zeit wird man Ihnen in der Gartenlaube ein Frühstück auftragen. Ich komme dann, den Thee mit Ihnen zu trinken, und wir besinnen uns unterdeß, wie wir den Morgen angenehm zubringen können.«

»Wollen Sie auf mich hören, Sabina? Lassen Sie mich allein auf Etwas sinnen, denn wenn Sie sich drein mischen, so geht der Tag hin, indem ich Ihnen alle Arten von Ergötzungen vorschlage und Sie mir beweisen, daß sie alle eine dümmer und langweiliger als die andere sind. Glauben Sie mir, machen Sie Ihre Toilette in einer halben Stunde ab, frühstücken wir nicht hier, und überlassen Sie’s mir, Sie hinzuführen, wo ich will.«

»Aha! Sie berühren die magische Saite, das Unbekannte! Ich sehe, Leonce, daß Sie allein mich verstehen. Wohlan, ja, ich nehme es an; entführen Sie mich, und fort mit uns.«

Lady G*** sprach diese letzten Worte mit einem Lächeln und einem Blicke aus, die Leonce bis ins Innerste durchbebten.

»O, Sie kälteste der Frauen!« rief er in einer mit Bitterkeit gemischten Fröhlichkeit, »ich kenne Sie wohl, in der That, und ich weiß, daß Ihre einzige Leidenschaft die ist, den menschlichen Leidenschaften zu entfliehen. Wohlan denn, Ihre Kälte gewinnt mich, und ich will Alles vergessen, was mich von dem einzigen Ziele, das wir uns setzen können, von der Phantasie, abbringen kann.«

»Sie geben mir also die Versicherung, daß ich mich heute bei Ihnen nicht langweilen werde? O! Sie Bester der Männer. Sehn Sie, ich spüre schon die Wirkung Ihres Versprechens, wie die Kranken, die sich beim Anblick des Arztes erleichtert fühlen und die zum Voraus durch die Gewißheit, mit der er ihnen Heilung verspricht, geheilt sind. Gut, ich gehorche Ihnen, improvisirter Doktor, spitzfindiger Doktor, bewundrungswürdiger Doktor! Ich kleide mich eiligst an, wir reisen nüchtern ab und gehen . . . wohin Sie’s für gut finden. Welche Equipage soll ich verlangen?«

»Keine, Sie haben sich in Nichts zu mischen, Sie sollen Nichts wissen; ich bin es, der anordnet und befiehlt, weil ich auch der Erfinder bin.«

»Meinetwegen. Das ist köstlich!« rief sie, und ihr Fenster schließend, schellte sie ihren Kammerfrauen, die bald einen schweren Vorhang von blauem Damast zwischen ihr und Leonces Blicken niederließen.

Er ging, einige Befehle zu ertheilen, dann kam er wieder, setzte ich unweit von Sabinas Fenster auf das Fußgestell einer Statue und überließ sich seinen Träumereien.

»Ei!« rief Lady G*** nach Verfluß einer halben Stunde, indem sie ihm leicht auf die Schulter klopfte. »Sie sind mit unserer Reise nicht mehr beschäftigt, als so? Sie versprechen mir wundervolle Erfindungen, unerhörte Ueberraschungen, und nun sitzen Sie gleich einer Bildsäule da und sinnen nach, wie ein Mensch, der noch Nichts gefunden hat?«

»Alles ist bereit,« sagte Leonce aufstehend und Sabina’s Arm in den seinigen legend. »Mein Wagen erwartet Sie und ich habe bewundrungswürdige Dinge ersonnen.«

»Gehen wir so unter vier Augen mit einander?« bemerkte Lady G***.

»Das ist eine Regung von Koketterie, der ich Sie nicht fähig hielt,« dachte Leonce. »Nun, benützen will ich’s nicht . . . Wir nehmen die Negerin mit,« antwortete er.

»Warum die Negerin?« fragte Sabina.

»Weil sie meinem Jockey gefällt. In seinem Alter erscheinen alle Frauen weiß, und unsere Reisegefährten dürfen sich nicht langweilen, sonst würden sie uns langweilen.«

Wenige Augenblicke nachher hatte der Jockey die Befehle seines Herrn erhalten, ohne daß Sabina sie hörte. An seiner Seite auf dem breiten, niedern Sitz des Charabancs lächelte ihm die mit einem großen, weißen Sonnenschirm bewaffnete Negerin zu. Lady G*** lag, nachlässig ausgestreckt im Hintergrunde, und ihr gegenüber saß ehrerbietig Leonce, der die Landschaft betrachtete und schwieg; seine Pferde eilten wie der Wind dahin.

Es war das erste Mal, daß Sabina mit Leonce ein Zusammensein unter vier Augen wagte, das länger und traulicher sein konnte, als sie sich’s Anfangs vorgestellt hatte. Ungeachtet eine einfache Spazierfahrt im Plan lag und die beiden jungen Diener zugegen waren, die ihnen den Rücken wandten und viel zu lustig mit einander plauderten, um sich einfallen zu lassen, die Unterhaltung ihrer Gebieter zu behorchen, fühlte Sabina, daß sie doch zu jung sei, als daß diese Lage nicht einer Unbesonnenheit gliche; sie dachte daran, als sie das letzte Gitter des Parks hinter sich hatten.

Leonce schien indeß so wenig geneigt, aus seiner Rolle Vortheil zu ziehen, er war so ernst und so ganz in das Schauspiel des Sonnenaufgangs vertieft, der ein Lichtmeer über die Landschaft auszuströmen begann, daß sie ihre Verlegenheit nicht an den Tag zu legen wagte, und im Gegentheil sie überwinden zu müssen glaubte, um so ruhig, wie er, zu scheinen.

Sie fuhren einen steilen Weg hinan, von welchem aus man den ganzen Umkreis des grünenden Thales, den Lauf der Waldströme und die mit ewigem Schnee bedeckten Berge übersah, welche die ersten Sonnenstralen in Purpur und Gold tauchten.

»Das ist herrlich!« sagte endlich Sabina, einen Ausruf Leonce’s beantwortend; »aber wissen Sie, daß bei Gelegenheit dieses Sonnenaufgangs ich wider Willen an meinen Mann denke?«

»Wirklich, bei dieser Gelegenheit!« sagte Leonce, »wo ist er?«

»Ach, er ist ja auf der Villa; er schläft.«

»Und erwacht er zeitig?«

»Je nachdem Lord G*** ist, je nach dem Quantum Wein, das er beim Nachtessen getrunken, mehr oder weniger früh. Und wie kann ich es wissen, weil ich mich jener englischen Regel unterworfen habe, die eine so prächtige Erfindung ist, um die Frauen zu hindern, die Unmäßigkeit der Männer in Schranken zu halten?«

»Aber im Mittelpunkt des Tages?«

»Zu Mittag. Da werden wir wieder bei Hause sein?«

»Ich weiß nicht, Madame, das hängt nicht von Ihrem Willen, ab.«

»Ist’s wahr? Ich höre Sie gern so scherzen; das schmeichelt meinem Verlangen nach dem Unbekannten, Neuen. Doch im Ernste, Leonce? . . .«

»Im vollen Ernste, Sabina, ich weiß nicht, um wie viel Uhr Sie heimkommen. Sie haben mich ermächtigt, die Anwendung Ihres Tages zu bestimmen.«

»Nicht doch! Nur die meines Morgens.«

»Um Verzeihung! Sie haben die Dauer Ihrer Spazierfahrt nicht beschränkt, und bei meinen Plänen bin ich nicht von dem Recht abgestanden, nach Maßgabe meiner Phantasie zu erfinden. Wenn Sie meinem Genie Zügel anlegen, so stehe ich für Nichts mehr.«

»Was soll das heißen?«

»Daß ich Sie Ihrem Todfeinde, der Langeweile überlassen werde.«

»Welche Tyrannei! Wenn aber am Ende durch einen seltsamen Zufall Lord G*** gestern Abend nüchtern geblieben wäre? . . .«

»Mit wem hat er zu Nacht gegessen?«

»Mit Lord H***, mit Herrn D***, mit Sir I***, kurz mit einem Halbdutzend seiner lieben Landsleute.«

»In diesem Fall seien Sie ruhig, er wird vorerst die Sonnenuhr ihre Runde machen lassen.«

»Wenn Sie sich aber täuschen?«

»Ach, Madame, wenn Sie schon an der Vorsehung, das heißt, an mir zweifeln, der ich heute an Gottes Stelle über ihr Schicksal wache, wenn der Glaube Ihnen mangelt, wenn Sie vor- und rückwärts schauen, so entwischt uns der gegenwärtige Augenblick und mit ihm meine Allmacht.«

»Sie haben Recht, Leonce, ich lasse durch diese Erinnerungen an das wirkliche Leben meine Einbildungskraft erlöschen. Meinethalben! erwache Lord G*** wenn er wolle; frage er mir nach, erfahre er, daß ich mit Ihnen im Land umherkutschire, was thuts?«

»Erstens ist er ja nicht eifersüchtig auf mich.«

»Er ist auf Niemand eifersüchtig, aber der Anstand, aber die britische Prüderie!«

»Was wird er im schlimmsten Falle thun?«

...
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