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lvan S. Turgenev
Der Oberst

I

Kennst du, Leser, jene kleinen Gutshöfe, an denen vor etwa fünf und zwanzig Jahren unsere Ukraina so reich war? Nur wenige von ihnen haben sich bis heute erhalten – und in zehn Jahren werden vielleicht auch die letzten spurlos verschwunden sein. – Ein durchfließender See, mit Schilf und Wasserpflanzen bewachsen, das Asyl unruhiger Enten, unter ihnen manchmal die wachsame Krickente, hinter dem See ein Garten mit Linden-Allem, diesem Schmucke und dieser Ehre unserer Bodenflächen, mit verwilderten Beeten »spanischer« Erdbeeren, mit diesem Dickicht von Stachel, Johannes- und Himbeeren, ans dessen Mitte zur Zeit der drückenden Mittagsschwüle das bunte Tuch einer Dorfmagd hervorschimmert, welche ihre scharfe Stimme hören läßt; nicht weit davon steht ein Kornspeicher auf leichtem Unterbau, eine kleine Orangerie, ein verwahrloster Küchengarten mit einem Schwarm Sperlinge auf den Stöcken; und der eingeschlummerten Katze beim verfallenen Brunnen; weiterhin buschige Apfelbäume, die sich über dem unten grünen, oben vergilbten Grase erheben, schwächliche Kirschbäume, Birnbäume, an denen nie Früchte zu sehen sind, dann Blumenbeete, Mohn, Päonien, Stiefmütterchen, Marienschuh; Gesträuch von Geisblatt, wildem Jasmin-Flieder und Acacien, mit dem unaufhörlichen Summen der Bienen und Hummeln in den dichten, wohlriechenden und klebrigen Blättern; endlich das Gutshaus, einstöckig, nur das Fundament aus Backstein, mit grünlichen Fensterscheiben in schwachen Rahmen; mit einem Balcon, aus dem die plumpen Geländerstäbe herausgefallen, oben mit einem zur Seite geneigten Halbgeschoß, unten mit dem stummen Hunde in der Grube unter dem Balcon; hinter dem Hause ein breiter Hofraum, in den Winkeln mit Disteln, Beifuß und Kletten bewachsen, mit Dienstgebäuden, deren sämmtliche Thüren weit offen stehen, mit Tauben und Dohlen auf den lückenhaften Strohdächern, ein Eiskeller mit verrosteter Windfahne, zwei oder drei Birken mit Nestern der Saatkrähe oben auf den trockenen Aesten – und dann kömmt der Weg mit kleinen Häuschen weißen Staubes in den Wagenfurchen – und das Feld und die langen Zäune der Hanfäcker und die grau aussehenden Hütten des Dorfes – und das Geschrei der Gänse auf den entfernten, berieselten Wiesen – . . . Lesers ist Dir dies Alles bekannt? Im Hause selbst hat sich Alles ein wenig verbogen, ist Alles ein wenig wackelig geworden – doch geht es noch! Es steht fest und hält warm! Oefen, wie Elephanten, Möbel, zu Hause gefertigt in jedem Geschmack; ausgetretene, abgeblaßte Gangspuren laufen von der Thüre über die gefärbte Diele hin ; im Vorzimmer Zeisige und Lerchen in kleinen Käfigen – in der Ecke des Eßzimmers eine ungeheure englische Uhr in Form eines Thurmes, – mit der Aufschrift: »Strike – silent!« Im Empfangszimmer die Bilder der Besitzer in Oel gemalt mit dem Ausdruck mürrischen Erstaunens auf den ziegelfarbigen Gesichtern – manchmal auch ein altes, verbogenes Bild, Blumen und Früchte oder einen mythologischen Gegenstand darstellend; überall riecht es nach Kwas,1 nach Aepfeln, Provence-Oel, Leder; Fliegen summen und brummen unter der Decke und an den Fenstern; ein tapferer Schwabe spielt zuweilen mit seinen Fühlhörnern am Spiegelrahmen. . . Das schadet nicht! Man kann da leben. . . und gar nicht übel kann man da leben!

II

Solch’ einen Gutshof hatte ich nun vor dreißig Jahren besucht – Dinge längst verflossener Tage – wie Sie sehen. Das kleine Besitzthum zu dem ein solcher Gutshof gehörte, war Eigenthum meines Universitäts-Freundes und ihm erst unlängst nach dem Tode eines Onkels im dritten Grade zugefallen; er selbst wohnte nie dort. . . Nicht weit davon befanden sich große Steppen-Moräste, in denen zur Zeit des Sommerfluges große Massen von Schnepfen sich aufhielten; mein Freund und ich, wir waren leidenschaftliche Jäger – und deshalb waren wir übereingekommen – er von Moskau aus, ich von meinem Landgute – zum Petritage in seinem Gutshäuschen zusammenzutreffen. Mein Freund wurde indessen in Moskau aufgehalten und verspätete sich um zwei Tage; ohne ihn wollte ich aber die Jagd nicht beginnen.

Mich hatte Narkiß Semenoff, ein alter Diener, der von meinem Kommen unterrichtet war, empfangen; mein Freund nannte ihn scherzend »Markiß«. Er hatte etwas Selbstvertrauendes, sogar etwas Verfeinertes an sich und hielt sich nicht ohne Würde; er blickte auf uns junge Leute von oben herab – doch zeigte er auch den übrigen Besitzern keine besondere Verehrung; seines verstorbenen Herrn erwähnte er nachlässig, seines Gleichen aber – verachtete er einfach. Er konnte lesen und schreiben, drückte sich richtig und verständlich aus. In die Kirche ging er nur selten, so daß man ihn für einen Schismatiker hielt. Seine Gestalt war lang und hager, sein ebenfalls längliches Gesicht wohlgefällig; er hatte eine spitze Nase und überhängende Augenbrauen, die er bald zusammen – bald in die Höhe zog; er trug einen reinlichen, weiten, schwarzen Rock und Stiefel bis zu den Knieen, deren Schäfte herzförmig ausgeschnitten waren.

III

Am Tage meiner Ankunft selbst blieb Narkiß, nachdem er mir ein Frühstück aufgetragen und wieder abgedeckt hatte, an der Thüre stehen, sah mich scharf an und sagte, nachdem er seine Augenbrauen in Bewegung gesetzt:

»Was werden Sie, gnädiger Herr, beginnen?«

»Ich weiß es wirklich nicht. Hätte Nikolai Petrowitsch (so hieß mein Freund) Wort gehalten und wäre gekommen, so könnten wir zusammen auf die Jagd gehen.«

»Sie haben also, gnädiger Herr, erwartet, daß er zu der versprochenen Stunde auch kommen würde ?«

»Freilich habe ich’s erwartet.«

»Hm!«

Narkiß sah mich wiederum an – und schüttelte wie mitleidig den Kopf. – »Wenn Sie sich mit Lesen die Zeit vertreiben wollen,« fuhr er fort, »so hat der verstorbene Herr Bücher hinterlassen, wenn Sie wünschen, bringe ich sie – doch werden Sie dieselben schwerlich lesen wollen, wenn ich mich nicht sehr irre.«

»Weßhalb denn?«

»Es sind dumme Bücher – nicht für die jetzigen Herren geschrieben!«

»Hast Du sie gelesen ?«

»Hätte ich sie nicht gelesen, so könnte ich darüber nicht sprechen; ein Traumbuch zum Beispiel – was ist das für ein Buch? Es sind allerdings noch andere da . . . doch auch diese werden Sie nicht lesen wollen.«

»Warum nicht?«

»Sie handeln über Gottesgelahrtheit.«

Ich schwieg. – Narkiß ebenfalls.

»Namentlich darüber bin ich ärgerlich,« fing ich an, »daß ich bei solchem Wetter zu Hause sitzen muß.«

»Gehen Sie in den Garten spazieren, oder nach dem Wäldchen, es liegt gerade hinter der Tenne. Angeln Sie gerne ?«

»Giebt es denn hier Fische?«

»Ja wohl, im See. Man findet da Schmerlen, Gründlinge, Barsche. Allerdings ist jetzt die rechte Zeit vorüber, wir haben ja bald Juli – doch versuchen kann man es immer noch. Soll ich Ihnen eine Angel zurecht machen ?«

»Sei so gut.«

»Ich will Ihnen einen Jungen mitgeben, die Würmer aufzustecken. Oder soll ich lieber selbst mitgehen?« – Narkiß zweifelte augenscheinlich, daß ich allein fertig werden könnte.

»Komme mit, bitte, wir wollen zusammen gehen.«

Narkiß lächelte, schweigend mit dem ganzen Munde, zog dann die Augenbrauen, zusammen und verließ das Zimmer.

IV

Eine halbe Stunde darauf gingen wir angeln. Narkiß hatte eine sonderbare Mütze mit Ohrenklappen ausgesetzt – das machte ihn noch würdevoller. Er ging voran, mit gleichmäßigem, ruhigem Schritte; auf seiner Schulter wiegten sich zwei Angelruthen im Gleichgewicht; ein baarfüßiger Junge trug ihm eine Wasserkanne und einen Topf mit Würmern nach.

»Hier am Wehr, beim Fluß, ist eine Bank zur größeren Bequemlichkeit aufgestellt,« fing Narkiß mir zu erklären an, blickte vor sich und rief aus: »Ehe? Unsere Schwachsinnigen sind schon wieder hier! Die kommen mir zu häufig!«

Ich erhob den Kopf und sah auf der Bank bei dem Wehr, auf der Bank, von der er eben gesprochen, zwei Menschen sitzen, deren Rücken uns zugekehrt waren, sie angelten ganz gemächlich.

»Wer sind die?« fragte ich.

»Nachbarn,« antwortete Narkiß unzufrieden. »Zu Hause haben sie nichts zu essen, da kommen sie auf Besuch zu uns.«

»Und erlaubt man ihnen zu angeln?«

»Der frühere Herr erlaubte es – . . . ob Nicolai Petrowitsch es ebenfalls gestatten wird, weiß ich nicht. Der Lange da – ein weggejagter Küster – ist ein ganz nichtiger Mensch ; – der Andere, der Dicke, ist ein Oberst.«

»Wie, Oberst?« Wiederholte ich erstaunt. Die Kleidung dieses Obersten war wohl noch schlechter als die des Küsters.

»Ja, wie ich es Ihnen sage, ein Oberst. Früher im Besitz eines ansehnlichen Vermögens, hat man ihm jetzt aus Gnade ein Plätzchen angewiesen – da lebt er auch von dem, was der liebe Herrgott ihm sendet. Doch was soll man thun? Sie haben den besten Platz sich ausgesucht . . . man wird diese lieben Gäste verscheuchen müssen.«

»Nein, Narkiß; bitte beunruhige sie nicht. Wir wollen uns hier beiseite niedersetzen; sie werden uns nicht stören. Ich möchte mit dem Obersten bekannt werden!«

»Wie Sie es wünschen – was aber die Bekanntschaft betrifft, so hoffen Sie nicht, gnädiger Herr, daß Sie davon viel Vergnügen haben werden; er ist sehr schwer von Begriffen geworden, stumpf im Gespräch wie ein kleines Kind. Es ist auch nicht anders möglich, er hat ja seine achtzig Jahre hinter sich.«

»Wie heißt er?«

»Wassilij Thomitsch. Sein Familienname ist Guskoff.«

»Und der Küster ?«

»Der Küster? Der hat den Spitznamen: Gurke, so nennen ihn hier auch Alle, wie aber sein eigentlicher Name lautet, weiß der liebe Gott allein. Ein leerer Mensch! Ein Schmarotzer!«

»Sie leben zusammen?«

»Nein, nicht zusammen – doch hat sie der Teufel wohl, wie man so sagt, mit einem Strick zusammen gebunden!«

V

Wir kamen zum Floß. Der Oberst richtete die Augen auf uns, und ließ sie dann sofort wieder auf das Schwimmholz fallen. Gurke aber sprang auf, zog seine Angel aus dem Wasser, nahm seine abgetragene Mütze ab, fuhr mit zitternder Hand über die hatten, gelben Haare, verbeugte sich tief und lachte mit gebrochener Stimme. Sein aufgeschwollenes Gesicht verkündete ihn als argen Säufer; die zusammengekniffenen, klein gewordenen Augen blinzelten demüthig. Er stieß seinen Nachbar in die Seite, als ob er ihm andeuten wollte, daß man weggehen müsse . . . Der Oberst bewegte sich auf der Bank.

»Bleiben Sie sitzen, beunruhigen Sie sich nicht,« rief ich schnell. »Sie stören uns nicht im Geringsten. Wir werden uns daneben setzen. Bleiben Sie ruhig sitzen!«

Gurke zuckte, seinen durchlöcherten, langen Kittel zusammenschlagend, mit den Achseln, mit den Lippen, mit dem kleinen Barte ; unsere Gegenwart war ihm sichtlich unbequem— er wäre gern davon gelaufen – doch der Oberst hatte sich bereits wieder in die Beobachtung seines Schwimmholzes vertieft. Der »Schmarotzer« hustete ein paar Male, setzte sich auf das äußerste Ende der Bank, legte seine Mütze auf die Knie und warf, die nackten Füße unter der Bank verbergend, bescheiden seine Angel aus.

»Beißen sie an?« fragte mit Würde Narkiß, langsam die Schnur vom Stocke wickelnd.

»Wohl an sechs Gründlinge haben wir erwischt,« antwortete Gurte mit klangloser und heiserer Stimme »und der Herr hier hat einen anständigen Barsch geangelt!«

»Ja, einen Barsch,« wiederholte meckernd der Oberst.

VI

Ich fing aufmerksam nicht ihn, sondern sein umgekehrtes Bild im Wasser zu betrachten an. Es erschien mir klar wie im Spiegel, nur etwas dunkler, wie mit Silber überzogen. Der breite See wehte uns Frische zu, Frische kam auch vom feuchten, abschüssigen Ufer und sie war um so angenehmer, als von dort oben her, über uns, vom goldenen, dunklen Himmelsblau, von den Gipfeln der Bäume, die Schwüle wie eine schwere Last auf uns drückte. Beim Flosse bewegte sich das Wasser nicht. Im Schattetn der von den üppigen Büschen am Ufer auf dasselbe fiel, glänzten wie kleine, blanke Knöpfchen die Wasserspinnen, ihre ewigen Kreise beschreibend; nur selten zogen sich um die Kiele der Angeln kaum zu bemerkende Wasserringe, wenn die Fische an den Haken spielten. Sie bissen sehr schlecht an – während zwei voller Stunden zogen wir nur zwei Gründlinge und eine Schmerle heraus. Ich könnte nicht sagen, warum der Oberst meine Neugierde so anstachelte. Sein Rang konnte auf mich keinen Eindruck machen; ruinirte Adelige gehörten selbst zu jener Zeit nicht mehr zu den Seltenheiten – und auch selbst sein Aeußeres bot nichts Außergewöhnliches dar. Unter der warmen Mütze, die den ganzen oberen Theil seines Kopfes bedeckte, erblickte man ein rothes, glatt rasirtes, rundes Gesicht, mit kleiner Nase, kleinen Lippen und eben solchen hellgrauen Augen. Einfalt, Seelenschwäche und einen alten, hilflosen Gram drückte dieses demüthige, kindliche Gesicht aus. In den weichen, weißen, kleinen Händen mit kurzen Fingern lag ebenfalls etwas Hilfloses, Unvermögendes. . . . Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie dieser schwachsinnige Greis je ein Mann von militärischem Schlage habe sein können, wie er befehlen, anordnen konnte – und namentlich in jener strengen Zeit Katharinas! Ich blickte ihn an: bald blies er feine Backen auf und pustete still, wie ein Kind, bald drückte er seine Augen mit schmerzhafter Anstrengung zusammen, wie alle alterschwachen Leute. Einmal öffnete er die Augen weit und richtete sie in die Höhe . . . sie glotzten mich aus der Wassertiefe an . . . und eigenthümlich rührend und selbst vielsagend kam mir dieser gramvolle Blick vor.

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