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Iwan Gontscharow
Oblomow

Erster Theil

I

Auf der Gorochowajastraße, in einem der großen Häuser, dessen Bevölkerung für eine ganze Kreisstadt ausgereicht hätte, lag des Morgens Ilja Iljitsch Oblomow in seiner Wohnung auf dem Sofa. Das war ein etwa zweiunddreißigjähriger Mann von mittlerem Wuchs und angenehmen Äußern, mit dunkelgrauen Augen, die über die Wände und Zimmerdecke sorglos streiften und jenes unbestimmte Sinnen ausdrückten, welches darauf hinwies, daß ihn nichts beschäftigte und nichts beunruhigte. Die Sorglosigkeit gieng vom Gesicht auf die Stellung des ganzen Körpers und selbst auf die Schlafrockfalten über. Manchmal trübte sich sein Blick durch einen Anflug von Müdigkeit oder Langeweile. Aber weder die Müdigkeit noch die Langeweile konnten von seinem Gesicht auch nur für einen Augenblick die Weichheit vertreiben, die der herrschende und grundlegende Ausdruck nicht nur seines Gesichtes, sondern seiner ganzen Seele war. Diese Seele leuchtete so offen hell aus den Augen, dem Lächeln und einer jeden Kopf- und Handbewegung. Ein flüchtig beobachtender, theilnahmsloser Mensch würde Oblomow nur im Vorübergehen anblicken und sagen: »Das ist gewiß ein guter, einfacher Kerl!« Ein tieferer und sympathischerer Mensch würde sein Gesicht lange betrachten und dann lächelnd, in angenehmes Sinnen vertieft, fortgehen.

Ilja Iljitschs Gesichtsfarbe war weder roth, noch dunkel, noch ausgesprochen blaß, sondern unbestimmt, und sie erschien vielleicht deswegen so, weil Oblomow gar nicht im Verhältnis zu seinem Alter aufgedunsen war: sei es aus Mangel an Bewegung oder an Luft oder vielleicht an beidem. Überhaupt erschien sein Körper, nach der matten, zu weißen Färbung des Halses, den kleinen weichen Händen und den schlaffen Schultern zu urtheilen, für einen Mann zu sehr verzärtelt. Seine Bewegungen wurden, selbst wenn er erregt war, durch eine Sanftheit und eine der Grazie nicht entbehrende Trägheit gedämpft. Wenn ihm eine Sorgenwolke aus der Seele aufs Antlitz glitt, umzog sich sein Blick, auf der Stirn erschienen Falten, und es begann ein Spiel des Zweifels, der Trauer, des Schreckens; doch diese Unruhe erstarrte selten in der Form einer bestimmten Idee und verwandelte sich noch seltener in ein Vorhaben. Die ganze Erregung löste sich in einen Seufzer auf und erstarb in einer Apathie und einem Hindämmern.

Wie gut paßte Oblomows Hausanzug zu seinen ruhigen Gesichtszügen und seinem verzärtelten Körper! Er trug einen Schlafrock aus persischem Stoffe, einen echten morgenländischen Schlafrock – ohne die geringste Anlehnung an Europa, ohne Quasten, ohne Sammt, ohne Taille – der so weit war, daß Oblomow sich zweimal hineinwickeln konnte. Nach der unveränderlichen asiatischen Mode erweiterten sich die Ärmel von den Fingern zur Schulter immer mehr und mehr. Trotzdem dieser Schlafrock seine ursprüngliche Frische eingebüßt hatte und seinen früheren, natürlichen Glanz stellenweise durch einen erworbenen ersetzt hatte, behielt er doch noch die Lebhaftigkeit der morgenländischen Farbe und die Dauerhaftigkeit des Gewebes bei.

Der Schlafrock hatte in Oblomows Augen eine Menge unschätzbarer Eigenschaften: er war weich und schmiegsam; man fühlte ihn kaum auf sich; er paßte sich, gleich einem gehorsamen Sclaven, den geringsten Bewegungen des Körpers an.

Oblomow gieng zu Hause immer ohne Cravatte und ohne Weste herum, denn er liebte die Bequemlichkeit und Freiheit. Er trug lange, weiche und breite Pantoffel; wenn er seine Füße vom Bett auf den Fußboden herabgleiten ließ, schlüpfte er ohne hinzuschauen unfehlbar in beide Pantoffel auf einmal.

Das Liegen war für Ilja Iljitsch weder eine Nothwendigkeit, wie für einen Kranken oder einen Schläfrigen, noch eine Zufälligkeit, wie für einen Ermüdeten, noch ein Vergnügen, wie für einen Faulen: es war sein normaler Zustand. Wenn er zu Hause war – und er war fast immer zu Hause – lag er stets in dem Raum, in welchem wir ihn angetroffen haben, der ihm als Schlaf-, Arbeits- und Empfangszimmer diente. Er besaß noch drei Zimmer, doch er schaute selten hinein, höchstens des Morgens – aber auch nicht jeden Tag – wenn sein Diener das Arbeitszimmer fegte, was nicht täglich geschah. In jenen Zimmern steckte das Möbel in Überzügen und die Stores waren herabgelassen.

Das Zimmer, in welchem Ilja Iljitsch lag, erschien auf den ersten Blick sehr schön eingerichtet. Es standen darin zwei mit Seide überzogene Sofas, ein Secretär aus Mahagoniholz und ein schöner Wandschirm mit gestickten, in der Natur niemals vorkommenden Vögeln und Früchten. Es gab darin auch seidene Vorhänge, Teppiche, ein paar Bilder, Bronzen, Porzellan und eine Menge hübscher Kleinigkeiten. Doch das erfahrene Auge eines Menschen von gutem Geschmack würde auf den ersten flüchtigen Blick aus allem, was da war, nur den Wunsch herauslesen, das Decorum der unvermeidlichen Anstandsregeln so gut es gieng zu wahren, um sie nur los zu werden. Oblomow war bei der Einrichtung seines Arbeitszimmers sicherlich nur von dieser Absicht geleitet worden. Ein verfeinerter Geschmack hätte sich nicht mit diesen schweren, ungraziösen Mahagonisesseln und den wackligen Etagéren begnügt. Die Lehne des einen Sofa hatte sich gesenkt und das aufgeklebte Holz hatte sich stellenweise gelöst.

Die Bilder, Vasen und Kleinigkeiten trugen denselben Charakter.

Doch der Eigenthümer selbst betrachtete die Einrichtung seines Arbeitszimmers so kalt und zerstreut, als fragte er mit den Augen: »Wer hat das alles hergeschleppt und hineingestellt?« Auf dieses kühle Verhalten Oblomows seinem Eigenthum gegenüber und vielleicht auch auf das noch kühlere Verhalten seines Dieners Sachar demselben Gegenstand gegenüber war es zurückzuführen, daß der Zustand des Arbeitszimmers bei genauerer Untersuchung durch die darin herrschende Nachlässigkeit und Verwahrlosung verblüffte. Auf den Wänden, bei den Bildern hieng staubiges Spinngewebe in Form von Gewinden; statt die Gegenstände wiederzugeben, konnten die Spiegel eher als Tafeln dienen, auf deren Staub man irgendwelche Notizen aufzeichnen konnte. Die Teppiche waren fleckig. Auf dem Sofa lag ein vergessenes Handtuch; es kam selten vor, daß auf dem Tische nicht ein Teller mit einem Salzfasse und einem abgenagten Knochen nach dem gestrigen Abendbrot zurückgeblieben war und keine Brotkrumen herumlagen. Wenn dieser Teller und die am Bett lehnende, soeben zu Ende gerauchte Pfeife, oder deren im Bett liegender Eigenthümer nicht wären, könnte man glauben, es wohne hier niemand – so verstaubt, verblichen und überhaupt so ohne jede lebendige Spur einer menschlichen Anwesenheit war alles. Auf den Etagéren lagen zwar zwei, drei aufgeschlagene Bücher und trieb sich eine Zeitung herum und auf dem Secretär stand auch ein Tintenfaß mit Federn, aber die aufgedeckten Seiten der Bücher waren staubig und vergilbt; man sah, daß man sie schon längst fortgeworfen hatte; die Zeitung wies ein vorjähriges Datum auf, und wenn man die Feder ins Tintenfaß stecken wollte, würden höchstens erschrockene, summende Fliegen herausschwirren.

Ilja Iljitsch wachte gegen seine Gewohnheit sehr früh, um acht Uhr, auf. Er war durch irgend etwas sehr in Anspruch genommen. Auf seinem Gesicht drückten sich abwechselnd bald Angst, bald Traurigkeit, bald Ärger aus. Man sah, daß in seinem Innern sich ein Kampf abspielte und daß der Verstand ihm noch nicht zu Hilfe gekommen war.

Oblomow hatte nämlich am vorhergehenden Tage einen unangenehmen Brief von seinem Dorfschulzen erhalten. Man kann sich denken, von was für Unannehmlichkeiten ein Dorfschulze schreiben kann: von Mißernte, Zahlungsrückständen, Verringerungen der Einnahmen etc. Trotzdem der Dorfschulze im vorigen und vorvorigen Jahre seinem Herrn genau ebensolche Briefe geschrieben hatte, wirkte dieser letzte Brief ebenso stark, wie jede unangenehme Überraschung.

War es denn etwas Leichtes? Es stand ja bevor, über die Wege zur Anwendung irgendwelcher Maßregeln nachzudenken. Übrigens muß man der Sorgsamkeit Ilja Iljitschs seinen Geschäften gegenüber Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er hatte gleich nach dem ersten unangenehmen Brief seines Dorfschulzen vor ein paar Jahren damit begonnen, im Geiste den Plan verschiedener Änderungen und Verbesserungen in der Verwaltung seines Gutes auszuarbeiten. In diesem Plane wurden verschiedene neue ökonomische, polizeiliche und noch andere Maßregeln in Aussicht gestellt. Doch der Plan war noch lange nicht ganz ausgearbeitet, und die unangenehmen Briefe des Dorfschulzen wiederholten sich alljährlich, trieben ihn zur Thätigkeit an und störten folglich seine Ruhe. Oblomow erkannte die Nothwendigkeit, etwas Entscheidendes zu beginnen.

Er hatte sich gleich beim Erwachen vorgenommen, aufzustehen, sich zu waschen und nachdem er Thee getrunken hatte, gründlich nachzudenken, manches in Erwägung zu ziehen, zu notieren und sich überhaupt der Sache ganz zu widmen. Er lag eine halbe Stunde lang da und quälte sich mit diesem Vorsatze ab; doch dann überlegte er sich, daß er das alles auch nach dem Frühstück thun konnte, daß er den Thee wie immer liegend trinken würde, umsomehr, als diese Stellung zum Nachdenken ebensogut geeignet war. Das that er auch. Nach dem Thee hatte er sich schon auf seinem Lager aufgerichtet und wäre beinahe aufgestanden; er hatte sogar begonnen, auf die Pantoffel blickend, den einen Fuß vom Bette zu ihnen herabgleiten zu lassen, doch dann zog er ihn gleich wieder hinauf.

Es schlug halb Zehn, Ilja Iljitsch raffte sich auf.

»Was soll denn das, wirklich?« sagte er laut und ärgerlich. »Man muß ja ein Gewissen haben; es ist Zeit, mit der Arbeit zu beginnen! Wenn man sich gehen läßt, dann . . .«

– Sachar! – schrie er.

Im Zimmer, das nur durch einen kleinen Corridor von Ilja Iljitschs Arbeitszimmer getrennt war, hörte man zuerst etwas, wie das Brummen eines Kettenhundes und dann das Geräusch von irgendwo herabspringenden Füße. Das war Sachar, der von der Ofenbank herabsprang, auf welcher er gewöhnlich seine Zeit vor sich hindröselnd verbrachte.

Ins Zimmer trat ein älterer Mann in einem grauen Rock mit einem Loch unter dem Arm und einem daraus hervorschauenden Hemdzipfel, in einer grauen Weste mit Messingknöpfen, mit einem Schädel, der nackt wie ein Knie war, und einem breiten, dichten, dunkelblond und grau melierten Backenbart, dessen jede Hälfte für drei Bärte ausreichen würde.

Sachar machte keine Versuche, nicht nur das ihm von Gott verliehene Äußere, sondern auch die von ihm im Dorf getragene Kleidung zu ändern. Seine Anzüge wurden ihm nach dem Modell, das er sich aus dem Dorfe mitgebracht hatte, genäht. Der graue Rock und die Weste gefielen ihm auch darum, weil er in dieser halbmilitärischen Kleidung eine schwache Erinnerung an die Livrée sah, die er einst trug, als er die verstorbenen Herrschaften in die Kirche oder bei Visiten begleitete; die Livrée war aber in seiner Erinnerung das einzige Symbol der Würde des Hauses Oblomow. Nichts erinnerte den Alten mehr an das wohlige, ruhige, herrschaftliche Leben im entlegenen Dorfe. Die alten Herrschaften waren gestorben, die Familienporträts waren zu Hause geblieben und lagen wohl irgendwo auf dem Dachboden herum; die Überlieferung von der alten Lebensweise und der Vornehmheit der Familie verschwand mit der Zeit oder lebte nur in der Erinnerung weniger im Dorfe zurückgebliebener Greise. Darum war der graue Rock Sachar so theuer; darin, wie auch in einigen sich im Gesichte und in den Manieren des Herrn erhaltenen Merkmalen, die an seine Eltern erinnerten, und in seinen Launen, über die er zwar im Geiste und laut brummte, die er aber in seinem Innern als die Äußerung des herrschaftlichen Willens und Rechtes achtete, sah er schwache Überreste der dahingeschwundenen Majestät. Ohne diese Launen fühlte er keinen Herrn über sich; ohne sie machte nichts seine Jugend, das Dorf, das sie längst verlassen hatten, und die Erzählungen über diese alte Familie auferstehen. Das Haus Oblomow war einst reich und in seiner Heimat berühmt gewesen, doch dann verarmte es, Gott weiß weshalb, verkümmerte und verlor sich endlich unmerklich unter den jüngeren Adelsgeschlechtern. Nur die ergrauten Diener des Hauses verwahrten und übergaben einander das treue Angedenken an die Vergangenheit, das sie wie ein Heiligthum hochhielten. – Darum liebte Sachar so seinen grauen Rock. Vielleicht war ihm auch sein Backenbart darum so theuer, weil er in seiner Kindheit viele alte Diener mit dieser alterthümlichen, aristokratischen Barttracht gesehen hatte.

In seine Gedanken versunken, bemerkte Ilja Iljitsch Sachar lange Zeit nicht. Sachar stand schweigend vor ihm. Endlich räusperte er sich.

– Was hast Du? – fragte Ilja Iljitsch.

– Sie haben mich ja gerufen!

– Ich habe Dich gerufen? Warum habe ich Dich denn gerufen – ich weiß es nicht mehr! – antwortete er und streckte sich. – Geh vorläufig in Dein Zimmer, und ich werde mich erinnern.

Sachar gieng, und Ilja Iljitsch blieb liegen und dachte wieder über den verfluchten Brief nach.

Es vergieng eine Viertelstunde.

»Nun es ist genug zu liegen,« sagte er; »man muß ja aufstehen . . Ich werde übrigens den Brief des Dorfschulzen noch einmal aufmerksam durchlesen und werde dann aufstehen. Sachar!«

Wieder derselbe Sprung und ein heftigeres Brummen. Sachar kam herein, und Oblomow versenkte sich wieder in seine Gedanken. Sachar blieb etwa zwei Minuten stehen, indem er den Herrn ungnädig ein wenig von der Seite anblickte und trat endlich zur Thüre.

– Wohin denn? – fragte plötzlich Oblomow.

– Sie sagen mir nichts, warum soll ich denn unnütz dastehen? – krächzte Sachar in Ermangelung einer andern Stimme, die er, wie er sagte, als er mit dem alten Herrn auf die Jagd fuhr, und ihm ein heftiger Wind in den Hals blies, verloren hatte. Er stand halb abgewendet in der Mitte des Zimmers und blickte Oblomow immer von der Seite an.

– Fallen Dir denn Deine Füße ab, wenn Du stehen bleibst? Du siehst, ich habe Sorgen – warte also! Bist Du denn zu wenig gelegen? Suche den Brief, den ich gestern vom Dorfschulzen bekommen habe. Wo hast Du ihn hingegeben?

– Was für ein Brief? Ich habe keinen Brief gesehen – sagte Sachar.

– Du hast ihn ja dem Briefträger abgenommen, es war ein so schmutziger Brief.

– Woher soll ich denn wissen, wo Sie ihn hingelegt haben? – sprach Sachar, über die Papiere und die verschiedenen auf dem Tische liegenden Sachen mit der Hand fahrend.

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